FAZ: Dümmlich-akademischer Renten-Zynismus

FAZ: Dümmlich-akademischer Renten-Zynismus

FAZ: Dümmlich-akademischer Renten-Zynismus

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Zwei Professoren plädieren für die Erhöhung des Renteneintrittsalters und hetzen Rentner gegen Noch-Beschäftigte auf. Die Mehrheit der Beschäftigten und Selbstständigen – auch der jungen – lehnt aber die längere Lebensarbeitszeit ab und fordert höhere Löhne: Alternativen für ein demokratisches Rentensystem. Von Werner Rügemer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Unternehmer-Postille FAZ veröffentlichte am 9. Juni 2023 den ganzseitigen Artikel „Renten, stabiler als gedacht?“ Dafür holte sie zwei hochrangige Wissenschaftler: Senior Economist Benjamin Bittschi vom Institut für Wirtschaftsforschung WIFO in Wien und Professor Berthold Wigger vom Karlsruher Institut für Technologie KIT. Beide werden mit ihren erfolgreichen Karrieren in diversen Universitäten vorgestellt, Wigger noch als Mitglied des „Wissenschaftlichen“ Beirats beim Bundesfinanzministerium. Die Idylle wird durch ein großes Buntfoto untermalt: Ein Rentner in Sommerkleidung räkelt sich bequem im Gartenstuhl unter den hohen Bäumen des Kurparks Bad Füssing.

Im Interesse der vielen Neurentner: Beschäftigte sollen länger arbeiten!

„Die Rente“, so die Behauptung der beiden FAZ-Akademiker, ist „stabil“. Für die „Stabilität der Rente“ und für die „Stabilität des Konsums im Rentenalter“ müsse lediglich die Lebensarbeitszeit verlängert werden.

Und diese notwendige Erhöhung des Renteneintrittsalters lasse sich umso leichter durchsetzen, weil jetzt und in den kommenden Jahren immer mehr „Babyboomer“ in Rente gehen. Damit erhöhe sich logischerweise die Zahl der Rentner – und die haben „natürlich“ das existenzielle Interesse, dass die Renten stabil bleiben oder möglichst noch steigen.

„Wissenschaftliche“ Schlussfolgerung der beiden FAZ-Professoren: Die jetzigen Rentner selbst und die zahlreichen Neurentner sind die besten Unterstützer für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Denn dann zahlen immer mehr Beschäftigte immer länger und mehr in die gesetzliche Rentenkasse ein. Das gelte für Deutschland wie auch für „viele andere Länder“.

Dezenterweise nennen die beiden Autoren keine Zahl: Das Renteneintrittsalter von jetzt 67 auf 70 Jahre erhöhen, beispielsweise? Das lassen sie offen. Die konkrete Zahl 70 nennen allerdings ihre geistig-kapitalistisch Verwandten schon seit einiger Zeit, so in Deutschland BDI-Präsident Siegfried Russwurm und Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf, auch der CDU-Wirtschaftsrat, aktuell der ökonomische Chefberater des FDP-Finanzministers Lindner, Professor Dr. Dr. Lars Feld, der zugleich Vorsitzender des Beirats des CDU-Wirtschaftsrates ist.[1]

Die Neurentner als politische Komplizen der Arbeitszeitverlängerung

Bittschi/Wigger bieten sich als Berater der Politik an. Sie loben die jetzt kommenden vielen Neurentner aus den Babyboom-Jahrgängen ab Ende der 1950er-Jahre als wichtige politische Komplizen für die angeblich notwendige Erhöhung des Renteneintrittsalters.

So werde „das politische Gewicht der Rentner, wie beschrieben, in den kommenden Jahren deutlich zunehmen… Zwar dürften sich die Erwerbstätigen gegen ein höheres Renteneintrittsalter zu wehren versuchen. Ihr politischer Einfluss auf das Renteneintrittsalter wird aber tendenziell geringer sein als in der Vergangenheit.“

Das ist doch auch ein passender Vorschlag für die wählermäßig abdriftenden Christen-Parteien, nicht wahr? Traditionell werden die (un)christlichen Kapitalparteien vorwiegend von alten und Christenmenschen gewählt. Der im Versuch der Erneuerung begriffene CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat ja schon überlegt: Das „Christliche“ zieht nicht mehr, die Kirchen leeren sich, und der sexuelle Missbrauch nagt am Image! Sollen wir das „C“ im Parteinamen nicht lieber abschaffen? Merz zögert. Er hat noch keinen überzeugenden Ersatz gefunden. Da kommen doch die neuen Babyboomer-Rentner als neue Stütze gerade recht, oder? Also das „C“ durch das „R“ ersetzen: die neue Rentner-Partei! Oder besser noch: die neue BabyBoomer-Partei, also die BBR-Partei! Gute Idee, Herr Merz?

Das Tabu im „Demografie“-Klischee: Sinkende Arbeitseinkommen

Die beiden FAZ-Akademiker beschwören das seit Jahrzehnten von der Kapital-Lobby behauptete „Demografie“-Problem: „Steigende Lebenserwartung und geringe Geburtenzahlen“ gefährden das gesetzliche Rentensystem. Denn immer mehr Rentner müssen von den Einzahlungen von immer weniger Beschäftigten leben, so das „wissenschaftlich“ unterstützte Klischee.

Doch da wird genau die zentrale Ursache des „Renten-Problems“ zugedeckt, verschwiegen, geleugnet: die sinkenden Arbeitseinkommen. Denn je niedriger die Arbeitseinkommen, desto geringer sind die prozentualen Einzahlungen in die Rentenkasse.

Seit dem Ende des Sozialismus musste das bisher so schöne reiche westliche „Schaufenster“ mit Wohlstand und zumindest annähernder Vollbeschäftigung nicht mehr so schön und reich geschmückt werden. Die Arbeitseinkommen wurden gesenkt, schrittweise, oft unmerklich. Zuerst wurde Ost-Deutschland, also die Ex-DDR, deindustrialisiert und verarmt – durch westdeutsche Investoren. Und seit etwa dem Jahr 2000 wird West-Deutschland deindustrialisiert und verarmt, durch US-Investoren – und das jetzt noch beschleunigt durch die US-geführten Maßnahmen für den Ukraine-Krieg.

So stagnieren seit 1990 die durchschnittlichen Arbeitseinkommen der abhängig Beschäftigten, gemessen an der Kaufkraft. Für eine Minderheit stiegen die Einkommen leicht, für die Mehrheit stagnierten sie oder sanken ab[2] – während die Besserverdiener wie Bittschi/Wigger und die Investoren immer mehr „verdienen“.

Systemische Niedriglöhnerei

So wurde mit den vier Hartz-Gesetzen der SPD-grünen Bundesregierung bekanntlich der größte Niedriglohnsektor der EU gestartet und unter der christlich lackierten Dauerkanzlerin Merkel und mithilfe der EU noch weiter ausgebaut: Minijobs, befristete und Teilzeitarbeit, erweiterte Leiharbeit, migrantische Aushilfsarbeit, neuerdings noch mit weithin rechteloser, teilweise sogar vertragsloser Plattform-Arbeit (Liefer-, Taxi-, IT- und weitere Dienste). Nicht nur „christliche“ Gewerkschaften helfen bei niedrigeren Tarifabschlüssen. Bedeutungsverlust und Anpassung der Gewerkschaften nähern sich US-Verhältnissen an.

Das frühere Ziel der Vollbeschäftigung wurde im Dienste der neuen Investoren aufgegeben. So werden Niedriglöhnerei und unfreiwillige Arbeitslosigkeit in verschiedenen Formen miteinander kombiniert: erzwungene Teilzeitarbeit, zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit, Dauerarbeitslosigkeit – mit niedrigen oder keinen Rentenbeiträgen.

Diese Arbeitspolitik trifft auch die „Normal“arbeitsplätze: Die jährlich offiziell erfassten etwa eine Milliarde Überstunden werden von den Unternehmern nicht bezahlt, bleiben ohne Arbeitseinkommen – und ohne Rentenbeitrag. Deshalb werden mögliche Arbeitsplätze nicht geschaffen, Arbeitslosigkeit und Rentenarmut werden gefördert. Mit der Digitalisierung werden die unbezahlten Überstunden noch ausgeweitet – deshalb wehrte sich nicht nur die Merkel/CDU-geführte Bundesregierung, sondern es wehrt sich auch die gegenwärtige Scholz/SPD-geführte Bundesregierung verbissen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH von 2019 einzuhalten, wonach die Unternehmen alle geleisteten Arbeitsstunden rechtssicher dokumentieren müssen.[3] Nein – mehr arbeiten, ohne Bezahlung, und ohne Rentenbeiträge! Und noch mehr Arbeitslose!

Merkel/von der Leyen: Rentenbeitrag für Arbeitslose gestrichen

Am stärksten leiden unter dieser Verarmungspolitik die Arbeitslosen: Für Hartz-IV-Empfänger wurde der anfänglich noch gezahlte Rentenbeitrag dann unter Kanzlerin Merkel ersatzlos gestrichen, und zwar unter direkter Verantwortung der damaligen Arbeitsministerin namens Ursula von der Leyen, der heutigen Präsidentin der Europäischen Kommission.

Von all dem haben die FAZ-Wissenschaftler noch nie etwas gehört. Vielleicht haben sie das doch schon mal gehört, ist ja eigentlich alles leicht mit einem Klick auch im universitären Büro abrufbar – die schlecht bezahlten wissenschaftlichen 450-Euro-Hilfskräfte sind dabei sicher gern behilflich, jedenfalls wenn sie solche Aufträge kriegen würden.

Gegen alle Fakten halten sich Bittschi/Wigger verbissen an ihr vorgegebenes Klischee: Über die Arbeitseinkommen und die Arbeitslosen-Einkommen und deren Niedrigst- und Nicht-Rentenbeiträge wird nicht gesprochen.

Von den immer zahlreicheren, zwischenzeitlich oder dauerhaft in ihre osteuropäischen und sonstigen Herkunftsländer zurückkehrenden Wanderarbeitern der häuslichen Pflege, der Haushaltshilfe, der saisonalen Landwirtschaft, der Gastronomie, der Prostitution, der Baustellen, der Sicherheitsdienste usw. ganz zu schweigen – „deutsche“ FAZ- und Unternehmer-Rentenpolitik muss sich um diese billigen, schweigenden und lautlos verschwindenden Dienstleister nicht kümmern, nach dem Motto „Wir sind gute Europäer“!

Aber die „Dachdecker“?

Die FAZ-Autoren haben aber schon mal irgendwie davon gehört, dass es Beschäftigte mit körperlich besonders anstrengenden Berufen gibt: Die könnten ein Argument gegen die noch weiter verlängerte Lebensarbeitszeit sein. Dieses „Phänomen“ spießen Bittschi/Wigger mit dem Klischee-Stichwort „Dachdecker“ auf. Im Prinzip gestehen sie zu: Ja, solche anstrengenden Tätigkeiten gibt es. Aber, so Bittschi/Wigger: Man soll nicht übertreiben!

Denn bekanntlich seien in Deutschland drei Viertel aller Erwerbstätigen „im Dienstleistungsbereich“ beschäftigt. Deshalb: „Das Argument eines körperlich belastenden Berufs trifft damit für die meisten Beschäftigten gar nicht zu.“ Denn so wurde es ja von der herrschenden US-Soziologie schon vor Jahrzehnten vor-fabuliert und von der bundesdeutschen „Wissenschaft“ folgsam übernommen: Aus der „Industriegesellschaft“ ist eine „Dienstleistungsgesellschaft“ geworden. Und „Dienstleistung“ klingt modern und soll heißen: Die körperlich schwere Arbeit alter Art gehört der Vergangenheit an.

Falsch, Fake, Kapital-Ideologie: Zu „Dienstleistung“ wird zum Zweck der einkommensmäßigen Deklassierung immer mehr körperlich und oft zusätzlich seelisch anstrengende, auch überanstrengende Arbeit gezählt, zudem meist auch schlecht bezahlte: LKW-Fahrer, Uber-Taxifahrer, Altenpfleger, Krankenpfleger, häusliche Pflegerinnen im 24-Stunden-Betrieb, Paketauslieferer, Postboten, Straßenreiniger, Abfallentsorger, Lagerarbeiter, Hausmeister, Reinigungskräfte, Billig-Prostituierte aller Geschlechter, private Sicherheitsdienstleister, Polizisten, Gebäudereiniger, Verkäufer, Köche, Haushaltshilfen, Essens-, Getränke-, Medikamenten- und Supermarkt-Auslieferer, vertragslose gig-, click- und crowd worker, Solo-Selbstständige, scheinselbstständige Kulturmitarbeiter usw. – alles „Dienstleister“. Richtig daran ist: Sie dienen, in modernisierter Form, und werden schlecht bezahlt.

Davon haben unsere „Dachdecker“-Klischee-Wiederkäuer auch noch nix gehört, jedenfalls verleugnen sie das FAZ-gefällig. Für den irgendwie doch noch existierenden Restbestand körperlich anstrengender Tätigkeiten stellen Bittschi/Wigger aber Hoffnungen in Aussicht:

  • Erstens sei „zu erwarten, dass Arbeitgeber hier mehr tun werden als in der Vergangenheit, um für ältere Beschäftigte attraktiv zu sein“ – was das sein soll, bleibt im Nebel, Vorschläge machen Bittschi/Wigger nicht. Ihnen geht es ja auch nur um die „älteren“ Beschäftigten, nicht um die Mehrheit. Und für diese Älteren, was machen Arbeitgeber bisher? Sie nutzen die Rentenarmut von immer mehr Rentnern und Rentnerinnen über 70, über 75 und sogar über 80 Jahren, damit die ihre Armutsrenten durch billige Nebenjobs aufbessern und damit die Arbeitgeber keine teuren Normal-Arbeitsplätze für Beschäftigte vor der Rente schaffen müssen. Im Jahre 2020 gingen 220.000 über 75-Jährige einem Nebenjob nach, eine Verdoppelung innerhalb eines Jahrzehnts.[4] Also noch mehr genauer zugeschnittene Teil-Arbeits-Portiönchen für arme Rentner statt fester Arbeitsplätze!
  • Die zweite Hoffnung setzen Bittschi/Wigger in „die Automatisierung“: Sie biete, behaupten sie, „Chancen für Entlastungen in anstrengenden und gefährlichen Berufen“. Bisher machen die gelobten Arbeitgeber allerdings das genaue Gegenteil. Ob „die Arbeitgeber“ jetzt reumütig umkehren? Wo doch beim alles beherrschenden Thema der Umwelt und der Nachhaltigkeit und der neuen Werte-Skala ESG die Nachhaltigkeit von Arbeitseinkommen und Renten gar keine Rolle spielt!

FAZ: „Stabile Renten“ – auch wenn sie gesenkt werden!

Bittschi/Wigger verkünden ihre frohe Botschaft. „Die Renten“ sind trotz mancher bisheriger Zweifel „stabil“, es müsse ja nur das Renteneintrittsalter erhöht werden.

Das ist natürlich Unsinn, faktenwidrig. Bei Leuten wie den beiden hochrangigen Wissenschaftlern, die es berufsmäßig besser wissen können und müssen, können wir auch von Lüge sprechen. Bittschi/Wigger sind Renten-Lügner. Das zeigt sich an weiteren Fakten. Die sind mit einem Mausklick verfügbar.

Die Standardrente vor Steuern, auch Eckrente genannt, betrug im Jahre 1990 in Deutschland 55 Prozent in Bezug auf die Standardregelung der 45 Entgeltpunkte und Versicherungsjahre und in Prozent des durchschnittlichen Jahresentgelts.

Diese Standardrente fiel wegen sinkender Arbeitseinkommen und versicherungsfremder Leistungen bis 2007 auf 51,9 Prozent. Dann wurde von der Merkel-geführten CDU-SPD-Regierung das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre erhöht. Das hätte nach der FAZ/Bittschi/Wigger-Logik dazu führen müssen, dass die Renten „stabil“ blieben – blieben sie aber nicht. Im Gegenteil: Der Abstieg wurde beschleunigt. Schrittweise wurden die Renten bis jetzt auf schließlich 48,3 Prozent abgesenkt.[5]

Versicherungsfremde Leistungen

Für die gesetzlichen Renten der gegenwärtig 21,4 Millionen Rentner werden in Deutschland jetzt 338 Milliarden Euro ausgegeben. Darin enthalten sind aber nicht nur die Kosten für die Verwaltung sowie für medizinische und berufliche Rehabilitation, sondern auch für „versicherungsfremde Leistungen“.

Die gehen auf politische Beschlüsse zurück. Für die müssten die Regierungen eigene Haushaltsposten schaffen. Das tun sie aber nicht, ob sie von Adenauer, Brandt, Kohl, Schröder, Merkel oder Scholz geführt werden – es ist ja politisch leichter durchzusetzen, wenn nicht wahrheitsgemäße neue Haushaltsposten, sondern wenn Schattenhaushalte geschaffen werden. Und es ist oder scheint vordergründig billiger, das notwendige Geld aus der gesetzlichen Rentenkasse zu holen. Das verletzt aber die demokratischen Gebote der Rechtsstaatlichkeit und der Haushaltsklarheit.

Diese versicherungsfremden Leistungen kommen sehr verschiedenen Rentnergruppen zugute: ehemalige SS-Mitglieder im Baltikum, abgeworbene Spätaussiedler aus der damaligen Sowjetunion, Ex-DDR-Rentner, jüdische Opfer, frühverrentete Arbeitslose, zuletzt für die Mütterrente. Auch deshalb sind die gesetzlichen Renten so niedrig.

Zusammen kürzten die versicherungsfremden Leistungen den Bestand der gesetzlichen Rentenkasse im Jahr 2020 um 66 Milliarden Euro, das waren immerhin 22,9 Prozent der Rentenkasse, mehr als ein Fünftel.[6] Dies wird von den FAZ-Autoren souverän bzw. blind übergangen.[7]

Es gibt nicht weniger, sondern immer mehr Beschäftigte

Das FAZ-Bittschi/Wigger-Demografie-Klischee besagt auch: Die Zahl der Beschäftigten nimmt ständig ab.

Falsch, ganz falsch: Die Zahl der abhängig Beschäftigten hat nach der Wiedervereinigung stetig zugenommen. 1991 waren es 35,3 Millionen Arbeitnehmer, heute sind es 41,6 Millionen Arbeitnehmer, also gut 6 Millionen mehr. Die professoralen FAZ-Wissenschaftler können nicht mal die einfachsten Statistiken lesen.

Dabei wurde allerdings nicht das Arbeitsvolumen erweitert. Vielmehr wurde in der kapitalgetriebenen ost-westlichen Stagnation das gleichbleibende Arbeitsvolumen auf immer mehr Beschäftigte verteilt, in immer kleineren Portionen.

So verdoppelte sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten von 1991 bis 2019 von 18,5 auf 38,6 Prozent. Und die geringfügige Beschäftigung stieg von 7,7 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse auf 17 Prozent: Im Jahre 2022 hatten 7,5 Millionen Beschäftigte einen Minijob (bis 450 Euro, ab Oktober 2022 bis 520 Euro pro Monat), 5 Millionen davon im „Hauptberuf“, 2,5 Millionen im Nebenberuf neben dem Hauptberuf.

Ebenfalls wurde die Leiharbeit erweitert, zugleich mit der Möglichkeit, dass sie schlechter bezahlt wird als die gleichartige Arbeit in Festanstellung: entweder durch einen Tarifvertrag mit einer meist „christlichen“ Gewerkschaft oder durch die Festlegung im Arbeitsüberlassungsgesetz aus der Ära Merkel: In den ersten neun Monaten gilt kein „equal pay“, sondern erst danach, wenn die bisherigen Leiharbeiter notfalls durch neue ersetzt werden.

Diese Entwicklung, durch die vier Hartz-Gesetze und spätere Maßnahmen verrechtlicht und beschleunigt, bedeutet auch: Die Arbeitseinkommen werden gesenkt, damit auch die Rentenbeiträge. Und die arbeitsmäßig Allerärmsten, die 450- bzw. jetzt 520-Euro-Jobber haben die Wahl: Soll ich davon einen Rentenbeitrag abführen oder nicht? Die meisten entscheiden sich gegen den Rentenbeitrag, damit ihnen jetzt ein paar Euro mehr übrigbleiben.

8,4 Millionen Frührentner

Die gesetzliche Rente ist aber auch aus weiteren Gründen nicht „stabil“: Immer mehr abhängig Beschäftigte gehen vorzeitig in Rente, seit zwei Jahrzehnten. Das hat viele Gründe: Unzufriedenheit mit der Arbeit und „innere Kündigung“ wegen Stress oder Sinnlosigkeit, wiederholte oder dauerhafte Arbeitslosigkeit, Schwerbehinderung, Muskel- und Nervenerkrankungen, Gliederschmerzen, Burn-out, schnell wechselnde Schichtdienste, wachsende Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort mit erhöhtem Zeit- und Kostenaufwand.

Wenige können es sich leisten, „freiwillig“ vorzeitig in Rente zu gehen, die meisten tun es unter Zwängen, weil sie einfach nicht mehr wollen, nicht mehr können. Sie alle müssen dauerhafte Abzüge bei ihren Renten hinnehmen.

Gegenwärtig bei 21,4 Millionen gesetzlichen Rentnern gibt es deshalb immerhin 8,4 Millionen Renten, die deshalb gekürzt sind. Im Durchschnitt gingen diese 8,4 Millionen Arbeitnehmer zwei Jahre und acht Monate vorzeitig in Rente. Pro Monat werden 0,3 Prozent abgezogen, bei zwei Jahren und acht Monaten sind dies folglich 9,6 Prozent an Abzügen.

Zu diesen Betroffenen mit lebenslang gekürzter Rente gehören 1,6 Millionen Beschäftigte, die wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig in Rente gingen oder eben geschickt wurden, abgeschoben wurden. Weitere 1,8 Millionen Beschäftigte sind wegen verschiedener Krankheiten in vorzeitiger Erwerbsminderungsrente.[8] Für die restlichen knapp fünf Millionen Frührentner macht die staatliche Rentenbehörde keine Angaben zur Ursache der vorzeitigen, gekürzten Rente.

Diese Entwicklung wird jetzt beschleunigt, wovon die FAZ-Autoren Bittschi/Wigger bei ihrer Stabilitätsduselei offensichtlich auch keine Ahnung haben, nämlich durch die Deindustrialisierung aufgrund der Sanktionspolitik gegen Russland wie auch durch die zeitenwendig intensivierte Anwerbung von jungen und billigen „Fachkräften“ aus Brasilien, Indien, Mexiko usw. – das bisherige Reservoir der Wanderarbeiter in den von der EU verarmten Volkswirtschaften Osteuropas ist weitgehend ausgepowert, und die vorhandenen Arbeits- und Fachkräfte in Deutschland werden oder bleiben arbeitslos – mit eingebauter Rentenkürzung.[9]

Seit 2005: Renten werden immer mehr besteuert

Gleichzeitig mit den vier Hartz-Gesetzen hat die SPD/Grüne Regierung 2005 eine weitere Kürzung der Renten eingeführt: Die gesetzlichen Renten werden besteuert, „nachgelagerte Besteuerung“ heißt das. Sie ist salamitaktisch auf 35 Jahre verteilt, bis 2040.

Wer 2005 neu in die Rente eintrat, musste 50 Prozent des Rentenbetrags versteuern. Jährlich wird der Betrag um zwei Prozent erhöht. Bei Neueintritt im Jahre 2020 unterlagen bereits 80 Prozent der Rente der Steuerpflicht. Ab 2040 ist die gesamte Rente steuerpflichtig.[10]

Das trifft nicht die absoluten Armutsrentner, aber dann immer mehr diejenigen, die eine höhere Renten bekommen: Also an den höheren Renten wird „nachgelagert“ bis 2040 immer mehr gekürzt, auch das haben Bittschi/Wigger nicht auf ihrem Schirm.

Die Durchschnittsrente im „reichen“ Deutschland: Unter der Armutsgrenze

Wenn Mensch in Deutschland im Monat weniger als 1.250 Euro netto im Monat an Einkommen hat, gilt Mensch als arm.

Im Jahr 2022 betrug die durchschnittliche gesetzliche Rente 1.152 Euro – sie liegt also unterhalb der Armutsgrenze! Das bleibt auch so, wenn wir das nach Männern und Frauen und nach West- und Ostdeutschland aufschlüsseln: Die durchschnittliche Rente in Westdeutschland beträgt bei Männern 1.218 Euro, bei Frauen 809 Euro. Ostdeutschland: für Männer 1.143 Euro, für Frauen 1.072 Euro. Also alles unter der Armutsgrenze.

Natürlich haben einige Millionen Rentner eine höhere Rente. Vier Millionen Männer und zwei Millionen Frauen bekommen zwischen 1.200 und 1.500 Euro, also von knapp unter der Armutsgrenze und etwas darüber. Die höchste gesetzliche Rente bei knapp über 2.400 Euro wird von 1,2 Prozent der Männer und 0,1 Prozent der Frauen erreicht.

Die meisten Rentner im „reichen“ Deutschland haben also eine Armutsrente. Das betrifft vor allem Frauen: 12,9 Prozent haben eine Rente unter 300 Euro, 21,8 Prozent zwischen 300 und 600 Euro, 23,7 Prozent zwischen 600 und 900 Euro, 23,5 Prozent zwischen 900 und 1.200 Euro. Insgesamt bekommen also 81,9 Prozent der Rentnerinnen eine Armutsrente.

Bei den Männern bekommen fast die Hälfte eine Armutsrente, nämlich 47,4 Prozent.[11]

FAZ-Autoren: Kapitalistischer Stabilitätsbegriff

Für Bittschi/Wigger sind also Renten „stabil“, wenn sie

  1. systemisch und dauerhaft sinken, wenn sie
  2. unterhalb der Armutsgrenze liegen, wenn sie
  3. zunehmend besteuert werden und wenn sie
  4. durch versicherungsfremde Leistungen zusätzlich verringert werden.

Da hantieren zwei professorale Ökonomen mit einem tollen Stabilitätsbegriff, oder?

Aber so kurios das klingt: „Stabil“ hat bei diesen von Staat und Privatwirtschaft korrumpierten Wissenschaftlern aber eine tatsächlich zutreffende Bedeutung, sie lautet nur anders, verdeckt: stabil für die Gewinne der Konzerne und für die wachsenden Einkommen und Renten derer, die im Interesse der Aktionäre die Gewinne bei der nationalen wie globalen Ausbeutung der Beschäftigten (und der Umwelt usw.) herausholen. Je härter und brutaler die Beschäftigten ausgebeutet werden, desto höher müssen die dafür direkt Verantwortlichen belohnt werden, damit das klappt, ist doch logisch, oder? Das ist Kapitalismus. Davon schreiben Bittschi/Wigger nie, weswegen sie in der FAZ beliebt sind (mit kleinem Nebenverdienst schon vor der Rente). Dazu kommen wir jetzt.

Konzernvorstände: Mit 60 in Rente, Rente steigend

Bittschi/Wigger befassen sich populistisch nur mit der gesetzlichen Rente der abhängig Beschäftigten und geben das als allgemeines Rentenproblem aus, verschweigen aber die Renten der Besser- und Bestverdiener.

Aber es gibt Rentner, deren Renten sind nicht nur wirklich stabil, sondern sie werden systemisch und langfristig erhöht – so, wie die Renten der abhängig Beschäftigten gesenkt werden. Das betrifft zum Beispiel Manager, Beamte, Professoren, Offiziere, Bischöfe, also die Systemrelevanten in dieser nach arm und reich geteilten Kapital-Demokratie. Und für diese wird das Renteneintrittsalter nicht erhöht. Renten heißen hier wie bei den Beamten allerdings etwas vornehmer Pensionen.

Während sich BDI, BDA, Gesamtmetall und FAZ & Co. scheinbar ganz allgemein für die Erhöhung des Renteneintrittsalters einsetzen, praktizieren sie in ihrem eigenen Milieu das Gegenteil. In den DAX-Unternehmen können die Top-Manager ab dem 60. Lebensjahr in Rente gehen, im Durchschnitt gehen sie mit 62. Da gibt es keinerlei Vorschläge für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Gleichzeitig werden die Renten erhöht, auch unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens.[12]

  • 2023 geht der führende Angestellte des Konzerns Deutsche Post DHL AG, Frank Appel, in Rente, und zwar gesundheitsschonend im zarten Alter von 61 Jahren. Eigentlich hätte er laut Vertrag schon mit 55 in Rente gehen können. Seine Rente beträgt ca. 1 Million Euro pro Jahr. Das wird von den zwei größten Aktionären unterstützt: Staat Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, und der größte Aktionär des westlichen Kapitalismus und in Deutschland – BlackRock.
  • Bei Bayer, BASF, Eon, RWE, Munich Re und Siemens gingen die Chefs im Jahre 2021 mit 60 Jahren ähnlich gepolstert in Frührente.[13]

Und die steigenden Einkommen und Renten der Konzernvorstände – mitsamt der von ihnen zu sichernden Gewinne der Aktionäre – hängen mit den sinkenden Arbeitseinkommen und sinkenden Renten der abhängig Beschäftigten zusammen: Je mehr für Vorstände (und weitere Manager und Aufsichtsräte und Berater und vor allem für die Aktionäre) herausgeholt wird, desto weniger bleibt für die normalen Beschäftigten übrig.

Beamte: Stabil steigende Renten

Von Bittschi/Wigger ebenfalls tabuisiert: Die durchschnittliche Rente der 1,4 Millionen Beamten-Rentner, auch Pensionäre genannt, beträgt gegenwärtig 3.150 Euro im Bund, 3.340 Euro in den Kommunen und 3.490 Euro bei den Bundesländern. Dabei bestehen große Unterschiede: Oberstudiendirektor über 5.000 Euro, Generäle und Bischöfe über 9.500 Euro.

Dagegen beträgt die durchschnittliche Rente der gesetzlich Versicherten gegenwärtig 1.152 Euro. Die gesetzliche Rente beträgt also fast nur ein Drittel der Beamtenpension, im Vergleich zur Beamtenpension der Bundesländer ist es sogar weniger als ein Drittel.

Einen Unterschied zwischen Beamtenpension und gesetzlicher Rente kann man auch an folgendem Beispiel sehen: Ein verbeamteter einfacher Lehrer mit der Einstufung A 13 und mit allen Voraussetzungen bekommt jetzt eine Anfangsrente von 3.138 Euro. Ein angestellter, nicht verbeamteter Lehrer mit gleicher Tätigkeit und Dauer der Beschäftigung bekommt weniger als die Hälfte, nämlich 1.495 Euro.[14]

Der Renten-Pensions-Unterschied vergrößert sich noch dadurch, dass Beamte, häufig auch als Ehepaare, sich während des Berufslebens ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung anschaffen konnten (oder auch zwei Eigentumswohnungen), sodass sie im Unterschied zu den meisten gesetzlichen Rentnern keine Miete zahlen müssen.

Berufssoldaten, Offiziere, Militärgeistliche

Es gibt nicht nur die „Dachdecker“ und die Konzernvorstände, die als besonders arbeitsmäßig Belastete einen früheren Renteneinstieg verdienen. Aber es gilt noch viel mehr für andere systemrelevante Beschäftigte, zum Beispiel für die Bundeswehr, für deren verbeamtete Mitglieder.

Berufssoldaten können schon mit 55 Jahren in Rente gehen, Majore mit 59, Oberstleutnante mit 61, Oberste und Generäle mit 65. Da gibt es auch keine Vorschläge, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Die Renten entsprechen den schon bei den Beamten genannten Beträgen des sonstigen Öffentlichen Dienstes. Die durchschnittliche Rente der Berufssoldaten beträgt zum Beispiel 3.280 Euro.

Auch Militärbischöfe und Militärgeistliche sind übrigens Beamte. Sie segnen Panzer für völkerrechtswidrige Kriege wie in Afghanistan. Wie kirchliche Täter und Mittäter des sexuellen Missbrauchs gehören sie dann zu den systemrelevanten Rentnern.

„Versicherungsfremde Leistungen“: Nur in der gesetzlichen Rente

Die „versicherungsfremden Leistungen“ werden nur den gesetzlichen Rentnern aufgebürdet. Den Rentensystemen der Beamten, Professoren, Manager, Bischöfe und Offiziere und auch den Rentensystemen der privilegierten Selbstständigen wie Apotheker, Ärzte und auch dem Rentensystem der Abgeordneten werden die „versicherungsfremden Leistungen“ nicht aufgebürdet.

Es kommt hinzu, dass Beamte usw. länger leben und ihre höhere Rente länger beziehen als gesetzlich Versicherte mit ihrer niedrigeren Rente: Beamtete Männer leben nach dem Renteneintritt im Durchschnitt noch 21,5 Jahre, während männliche Arbeitnehmer nach dem Renteneintritt im Durchschnitt nur noch 15,9 Jahre leben – und zudem mehr krank sind und einem höheren Pflegerisiko unterliegen.[15]

Neutral-wissenschaftlich heißt das „Lebenserwartungsdiskrepanz“: Je früher du in Rente gehen kannst und je höher die Rente ist, desto länger lebst du, und dazu lebst du besser und gesünder, was Bittschi/Wigger, wie am Anfang zitiert, als „Stabilität des Konsums“ bezeichnen.

Das asozial-feudale Renten-Chaos

Wie „die Renten stabil“ halten? Die nur scheinbar wissenschaftlich gestellte Frage der FAZ ist bewusst falsch gestellt. Denn erstens ist die gesetzliche Rente gar nicht stabil, sondern wird seit 30 Jahren schrittweise abgesenkt, vor allem durch sinkende Arbeitseinkommen. Und zweitens ist diese absinkende Rente schon heute mehrheitlich eine Armutsrente! Und vor allem für Frauen!

Zudem gibt es neben der gesetzlichen Rente der „normalen“ abhängig Beschäftigten eine ganze Reihe privilegierter Renten. Die Renten der Top-Manager, Beamten und Offiziere wurden schon genannt. Daneben bestehen noch die Rentensysteme der kammerfähigen Berufe der gehobenen Selbstständigen (Anwälte, Apotheker, Architekten, Ärzte, Notare, Ingenieure…), der Kirchenbeamten, der GmbH-Geschäftsführer, dann noch der Abgeordneten des Bundestags und der Landtage, dann noch die unterschiedlichen Betriebsrenten für den Öffentlichen Dienst und für die Privatunternehmen, und dann noch die Privatrenten wie die „Riester“-Rente, der neue Renten-Kapitalfonds der Ampel-Regierung und noch die individuellen BlackRock-ETF-Renten.[16]

Dies ist teilweise chaotisch, aber vor allem ein systemisches asoziales Unrechtssystem wie in Feudalgesellschaften. Mit Demokratie und dem Gleichheitsgrundsatz hat das nichts zu tun.[17]

Wie sieht ein demokratisches Rentensystem aus?

Deshalb sind für ein menschenrechtliches, demokratisches, rechtsstaatliches Rentensystem vor allem folgende Maßnahmen nötig:

  • erstens die Anerkennung der menschenrechtlichen Renten-Konvention Nr. 128 der UNO/ILO
  • zweitens die Abschaffung der Niedriglöhnerei und die Erhöhung der Arbeitseinkommen für die Mehrheit der abhängig Beschäftigten, vor allem für Frauen, ebenso entsprechend der einschlägigen ILO-Konventionen
  • drittens Rentenbeiträge für zeitweise und dauerhaft Arbeitslose und für die Wanderarbeiter
  • viertens die Einbeziehung aller Lohn- und Gehaltsbezieher – also auch der Beamten, Manager, kammerfähigen Berufe, Abgeordneten – in ein einheitliches, staatliches Umlagesystem
  • fünftens die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus dem Haushalt der gesetzlichen Rente, um Transparenz und Haushaltsklarheit herzustellen.

Die abhängig Beschäftigten haben die Arbeits- und Renten-Verarmung seit dem Ende des Sozialismus viel zu lange hingenommen. Viele Kürzungen wurden in Salamitaktiken versteckt. Die Regierungen und ebenso die Uralt-Leitmedien, die schon vor und in der Adenauer-Zeit der Alt-BRD lizensiert wurden, haben ebenso mitgemacht wie die vorherrschende akademische „Wissenschaft“ – sie alle strampeln wie jetzt die FAZ-Autoren Bittschi/Wigger mit vordergründigen Lügen und Fakes ums eigene Überleben. Ihre Zeit ist spätestens jetzt abgelaufen, eigentlich.

Was will die Mehrheit der Beschäftigten und Selbstständigen wirklich?

Bittschi/Wigger & Co verdrängen, verleugnen mit politischen, medialen, „wissenschaftlichen“ Mitteln die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung:

  • 81 Prozent der Erwerbstätigen und ebenso 81 Prozent der Selbstständigen wollen ein Rentensystem, das Erwerbstätige und auch Selbstständige und Beamte umfasst;
  • 81 Prozent lehnen eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters ab, nur 5 Prozent können und wollen sich überhaupt vorstellen, länger als bis 67 zu arbeiten; und wer länger arbeitet, braucht gute Gesundheit und gute Arbeitsplatzbedingungen;
  • 99 Prozent wollen: Die Renten müssen Armut verhindern!
  • 83 Prozent wollen für die besseren Renten höhere Löhne;
  • Auch 83 Prozent der 18- bis 29-Jährigen und 85 Prozent der 30- bis 39-Jährigen stimmen diesen Forderungen zu.[18]

Die Bundesregierung und die Kapital-Lobby verdecken mit der Aufrüstung und der Deindustrialisierung wegen des Ukraine-Kriegs sowie mit dem Hype um e-Mobilität und Umwelt alle Fragen der Arbeit und des Sozialen. Deshalb gehören zum Kampf gegen Waffenlieferungen und Aufrüstung, für Demokratie und Frieden auch ganz elementar die Kämpfe für die Infrastruktur der Gesundheit, Bildung, Ausbildung und eben auch für höhere Löhne und für armutsfeste, menschenwürdige Renten, gerade jetzt!

Die Zeitenwende, die Wehrhaftigkeit, die Nachhaltigkeit sehen ganz anders aus, Herr Bundeskanzler![19]

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Matej Kastelic/shutterstock.com


[«1] Lindner-Berater Feld für höheres Rentenalter, Der Spiegel 16. Februar 2022. CDU-Wirtschaftsrat: „Wirtschaft“ = populistische Umschreibung für „Unternehmer“

[«2] Dies ist der Zustand bis 2021; die Pandemie-Politik und die Sanktionen gegen Russland haben diese Entwicklung verschärft;

[«3] EUGH, Urteil zur Arbeitszeiterfassung vom 14. Mai 2019, Az. C-5/18

[«4] Rente plus Job, merkur.de 16. Juli 2021

[«5] Deutsche Rentenversicherung: Rentenversicherung in Zeitreihen 2021, in: Rentenversicherungsbericht 2021

[«6] ADG e.V.: Jährliche versicherungsfremde Leistungen seit 1957, Stand 5. Oktober 2021

[«7] Eine Gesamtbilanz der gegenwärtigen Situation der gesetzlichen Renten gibt die Broschüre „Ohne eine gründliche Rentenreform wird es kein würdevolles Leben im Alter geben“, erstellt von der Initiative RentenZukunft.

[«8] Deutsche Rentenversicherung in Zeitreihen 2022 und Statistikband Rente 2021 – Band 224

[«9] Werner Rügemer: Imperium EU – ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr, Köln 2020

[«10] Reiner Heyse: Rentenschwindsucht durch die nachgelagerte Besteuerung, rentenzukunft.de 14. Juli 2020

[«11] Alle Angaben aus Deutsche Rentenversicherung Bund (2022): Verteilung der Versichertenrenten nach Geschlecht im Rentenbestand 2021

[«12] DAX-Konzerne: Goldene Rentner – Altersvorsorge von Vorständen immer üppiger, WirtschaftsWoche 8. August 2021

[«13] Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: DSW-Vorstandsvergütungsstudie 2022

[«14] Das Beispiel bezieht sich auf Bayern; zwischen den Bundesländern bestehen leichte Unterschiede.

[«15] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Lebenserwartung, 16. August 2021

[«16] Zu den international gescheiterten Privatrenten – hohe Gebühren, niedrige Leistung, Risiko bei den Anlegern/Versicherten: ILO: Reversing Pension Privatizations, Genf 2018

[«17] Werner Rügemer: Kämpfen statt auf Aktienkurse glotzen!, ÖkologiePolitik 3. Dezember 2021

[«18] Beschäftigte wollen höhere und sichere Renten – DGB, Arbeitskammer des Saarlandes und Arbeitnehmerkammer Bremen legen Befragung zur Alterssicherung vor, Arbeitskammer des Saarlandes 17. Februar 2023

[«19] Zum Zusammenhang der Kämpfe für Frieden, Arbeit, Infrastruktur und Soziales siehe z.B.: Soziale Politik & Demokratie 11. Juni 2023