Die Regie des ZDF-Sportstudio hat am Samstag – gemeinsam mit Verteidigungsminister Pistorius und dem britischen Prinz Harry – fragwürdige Register gezogen, um die aktuelle Militarisierung der Gesellschaft normal erscheinen zu lassen, wodurch sie noch schneller vorangetrieben wird: Bei der Präsentation der „Invictus Games“ für versehrte Soldaten wurde auch hemmungslos mit Emotionen gearbeitet. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Das ZDF-Sportstudio am Samstag war keine normale Sportsendung. Aber vielleicht gibt die Sendung einen Ausblick darauf, was künftig als normal betrachtet werden wird – wenn zugelassen wird, dass sich die Sportberichterstattung immer mehr in den Dienst einer Meinungsmache zugunsten der militaristischen „Zeitenwende“ stellt.
Die gerade in Düsseldorf eröffneten „Invictus Games“ standen im Zentrum des Sportstudios. Ziel dieses 2014 vom britischen Prinz Harry initiierten Events ist es nach eigener Aussage, „verwundeten, verletzten oder an Körper und Seele erkrankten Soldatinnen und Soldaten mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Gesellschaft zu geben“.
Dieses Ansinnen ist prinzipiell zu begrüßen, zumal versehrte, traumatisierte oder verstümmelte Soldaten oft eben nicht thematisiert werden, weil sie personifizierte Warnungen vor den Schrecken des Krieges sind. Aber die betreffende ZDF-Sendung, bei der auch zahlreiche uniformierte Soldaten im Publikum saßen, geriet trotzdem zur indirekten Weißwaschung westlicher Militärmaschinen mit emotionalen Mitteln. Dazu passt auch, was die taz in einem guten Artikel über die Finanzierung der „Invictus Games“ schreibt:
„Finanziert werden sie aus dem deutschen Verteidigungsetat mit üppigen 40 Millionen Euro. Hauptsponsor der Invictus Games ist der weltweit drittgrößte Rüstungskonzern Boeing aus den USA.“
Außerdem wurde dem Bundesverteidigungsminister in der Ausgabe des Sportstudios eine unangemessene und distanzlose Bühne geboten, auf der er einmal mehr ausgiebig das kumpelhafte Gesicht des Militärischen geben durfte. Zu guter Letzt war die aufgeregte Unterwürfigkeit der Moderatoren der Sendung angesichts des „hohen Besuchs“ einfach nur zum Fremdschämen.
Kriegsmaschine oder Heldengeschichte
Innerhalb der Militärmaschinen gehören die einfachen Soldaten zu den unschuldigeren Akteuren. Oft sind sie selber Opfer der Entscheidungen von nie zur Verantwortung gezogenen Militärstrategen oder Politikern. Es ist darum zunächst nicht fragwürdig, ein eigenes Sportevent für versehrte Soldaten zu zelebrieren. Die heilende Wirkung des Sports ist real und sollte geschätzt werden. Wie gesagt, kann es auch im Sinne des Pazifismus prinzipiell verdienstvoll sein, Kriegsversehrten Raum in der Öffentlichkeit zu geben.
Aber: Die ganze pompöse und „heldenhafte“ Inszenierung der Games, zumindest wie sie nach dem Bericht des ZDF erscheint, ist eher eine Verherrlichung als eine Mahnung. Die Heroisierung von einigen willkürlich ausgewählten Soldaten/Sportlern hat auch nichts mit der wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe der Betreuung der zahllosen Kriegsversehrten und -traumatisierten zu tun.
Und warum waren unter den 21 teilnehmenden Nationen fast ausschließlich solche, die sich strategisch „dem Westen“ zurechnen? Was ist denn mit verwundeten Soldaten „gegnerischer Armeen“, etwa aus den zahlreichen von NATO-Staaten überfallenen Ländern? Durch die Auswahl der Teilnehmer wurde bei den „Invictus Games“ eben nicht prinzipiell „des versehrten Soldaten“ an sich gedacht, sondern es wurde der opferreiche Kampf für ein bestimmtes Lager zelebriert. Diese Haltung wurde indirekt auch vom Sportstudio transportiert. Die taz schreibt zum problematischen Auswahlprozess der Games:
„Auf Anfrage der taz, nach welchen Kriterien die Aufnahme von Ländern erfolgt und ob es Definitionen für Militäreinsätze gibt, die dem Geist der Invictus Games widersprechen, erklärte Pressesprecher Samuel Newell, die Anträge würden von Fall zu Fall geprüft. Die Organisation entscheide nach eigenem Ermessen.“
Die Bundeswehr sei einer der maßgeblichsten Förderer des deutschen Sports, der beispielsweise bei den letzten Olympischen Winterspielen in Peking an 17 von 27 deutschen Medaillen beteiligt gewesen sei, so der Artikel weiter. Im Jahr 2021 seien für die Sportsoldaten, die sich voll und ganz auf ihre Leistungssportkarriere konzentrieren können, 46 Millionen Euro ausgegeben worden. Diese Infos sind auch in dem Zusammenhang interessant, wenn etwa russischen Sportlern eine Nähe zu ihrem Militär angelastet wird und sie wegen dieser Nähe in Mithaftung für die Politik der russischen Regierung gebracht werden sollen, was wiederum ihren Ausschluss von internationalen Sportveranstaltungen rechtfertigen soll. Wann wurde einem deutschen Sportlersoldaten jemals die Politik der jeweiligen Bundesregierung angelastet? Das wird hier nicht gefordert, es soll aber die doppelten Standards illustrieren.
„Sportstudio“ und „Zeitenwende“
Die Teilnahme an den „Invictus Games“ bedeutet den Betroffenen sicherlich viel und das soll nicht geschmälert werden. Aber meiner Meinung nach werden die versehrten Soldaten/Sportler bei dieser Veranstaltung instrumentalisiert, weil hinter ihren persönlichen Heldengeschichten mit viel emotionaler Ablenkung das reale Wirken der Kriegsmaschinen und die fragwürdigen Motive für die Kriege, in denen die Sportler verletzt wurden, verschwinden. Und wen haben wiederum die auftretenden Sportler in ihren Kämpfen verletzt?
Wer sich am Samstag ohne Zweifel hat instrumentalisieren lassen, um die abzulehnende militaristische „Zeitenwende“ mithilfe des Sports immer normaler erscheinen zu lassen, das sind die Macher des ZDF-Sportstudios.
Titelbild: Screenshot ZDF