Wie den meisten unserer Leser_innen* durch die Medien schon bekannt sein dürfte, haben sich die NachDenkSeiten entschlossen, künftig eng mit dem Rechercheportal Correctiv zusammenzuarbeiten. Jedem Faktencheck von Correctiv wird künftig ein Gegen-Faktencheck der NachDenkSeiten gegenüberstehen. Solche Kooperationen sind in der Medienbranche üblich. Wir verstehen jedoch die vielfach kritischen Zuschriften unserer Leser_innen*, die nun um die Unabhängigkeit der NachDenkSeiten fürchten. Seien Sie versichert: Auch wir haben es uns nicht leicht gemacht. Um Kritiker_innen* hoffentlich den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben wir ganz im Sinne der Transparenz eine gemeinsame Stellungname verfasst und veröffentlichen sogar das Wortprotokoll der Sitzung, in der diese einstimmige Entscheidung fiel. Von Redaktion.
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Wie alles begann
Den meisten unserer Leser_innen* wird das „Faktencheck der Faktenchecker“-Projekt der NachDenkSeiten bekannt sein. Der letzte hierzu von uns veröffentlichte Beitrag stammt vom 6. März und lautete: „Faktencheck der Faktenchecker: Wie Correctiv seine Leser über den Taurus-Mitschnitt desinformiert.“
Wenige Tage später, genauer gesagt am 10. März, einem Sonntag, erhielt unsere Redaktion eine Mail von Alice Echtermann, ihres Zeichens Leiterin des Faktencheck-Teams bei Correctiv. Inhalt der Mail: Das Daten- und Statistik-Team bei Correctiv hätte mittels des renommierten Website-Analyse-Tools Pro Similarweb herausgefunden, dass die „Faktencheck der Faktenchecker”-Artikel der NDS signifikant mehr Zugriffe erhielten als die eigentlichen Faktenchecks von Correctiv. Und auch generell sei die Website-Entwicklung gerade gegensätzlich: Erfolg und wachsende Zugriffsraten bei den NachDenkSeiten, signifikant fallende Besuchszahlen bei Correctiv.
Verbunden war dieser Hinweis auf die Zugriffsdaten mit der Frage, ob aus dieser Situation nicht eine Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen erwachsen könnte. Correctiv könnte sich, so hieß es weiter, etwa vorstellen, dass man das „Faktencheck der Faktenchecker”-Projekt der NachDenkSeiten formalisiert und nicht nur in ausgewählten Fällen, sondern grundsätzlich jedem Correctiv-Faktencheck einen Gegencheck gegenüberstellt. Für den zusätzlichen Personalbedarf dafür bei den NachDenkSeiten käme Correctiv finanziell auf, „selbstverständlich“ ohne dabei in die redaktionelle Autonomie bei uns einzugreifen – so, wie bereits jetzt die zwei Hauptfinanziers von Correctiv, der US-Multimilliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar via seiner Stiftung „Omidyar Network“ sowie die Bundeskasse, die dem Bundesministerium der Finanzen untersteht, keinerlei Einfluss auf die redaktionellen und Recherchen-Tätigkeiten der Faktenchecker aus Essen ausüben („Echt jetzt, das kann ich Ihnen vollumfänglich versichern!“).
Auch eine Aufhebung des seit vier Jahren anhaltenden sogenannten Shadow-Bannings der NDS auf Facebook und die Rücknahme von Strikes auf YouTube wären in diesem Rahmen „zeitnah und pragmatisch lösbar“ – wurde uns später in weiteren Gesprächen signalisiert.
Win-win-Situation
Der Vorteil der Vereinbarung läge, so die Faktencheck-Leiterin weiter, auf der Hand („eine veritable Win-win-Situation“). Correctiv könnte zum einen von den wachsenden Zugriffsraten der NDS profitieren und zum anderen mittels des Faktenchecks der Faktenchecker seine Glaubwürdigkeit in dem immer stärker wachsenden Segment der Nutzer von sogenannten Alternativen Medien steigern. Aktuelle repräsentative Umfragen, die Correctiv kürzlich bei Allensbach in Auftrag gegeben hat, waren Echtermann zu Folge zu dem „für uns erstaunlichen Ergebnis“ gekommen, dass Correctiv, „trotz zahlreicher Auszeichnungen wie z.B. dem Grimme Online Award, dem Nannen Preis, dem Helmut Schmidt Journalistenpreis sowie dem Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus, im Milieu der Alternativmedien-Lesenden kaum Anerkennung findet und auch kaum gelesen wird.“ Diese Leerstelle wolle man, so die Führungskraft bei Correctiv weiter, endlich ändern „und dieses zunehmend wichtige und oft auch erstaunlich kaufkraftstarke Marktsegment mit den Segnungen von Correctiv-Recherchen erfreuen.“
Die NachDenkSeiten könnten im Gegenzug, neben dem erwähnten Wegfall von Shadowbans und anderen Reichweiten-Einschränkungen in den sozialen Netzwerken, von der Reputation Correctivs im politischen und medialen Mainstream profitieren und vielleicht endlich auch mal einen der begehrten Journalisten-Preise erhalten. Auch Einladungen von NDS-Redakteuren in „wirklich renommierte Talks-Shows“ wie Lanz, Anne Will, Hart aber fair oder Maybrit Illner seien bei gelungener Kooperation denkbar.
Zudem könnte sich dieser Schritt, so der subtile Hinweis in der Correctiv-Mail (und weiteren Hintergrundgesprächen), positiv auf die in zweiter Instanz laufenden Prozesse bzgl. der Aufnahme in die Bundespressekonferenz als vollwertiges Mitglied sowie der Rückgabe des Gemeinnützigkeitsstatus auswirken.
Ist es denn verwerflich, dass wir auch mal bei Lanz oder Hart aber Fair sitzen, dass wir auch mal eine anerkennende Besprechung des Sachbuchs eines NDS-Redakteurs beim Deutschlandfunk hören, einen der renommierten Journalistenpreise (inklusive Preisgeld) und statt gesenkten Blicken auch mal ein kollegiales Schulterklopfen in der BPK erhalten wollen?
Was sich für Sie ändert
Für Sie, liebe Leser_innen*, wird sich ohnehin nicht viel ändern. Dass unser Faktencheck der Faktenchecker nun von Autoren verfasst wird, die von Correctiv bezahlt werden, fällt kaum ins Gewicht und wird sicher der Qualität dieser Rubrik nur guttun. Natürlich haben wir uns mit unserem neuen Kooperationspartner auch auf eine neue Sprachregelung verständigt. Auch wir wollen uns nun nicht mehr dem undogmatischen Gendern verschließen. Im Gegenzug konnten wir jedoch durchsetzen, dass im Foyer des Correctiv-Hochhauses künftig ein Portrait von Willy Brandt hängen wird. So wächst zusammen, was eigentlich schon lange zusammengehört.
Dennoch ist uns allen in der Redaktion dieser Schritt nicht leichtgefallen, dies sei vorangestellt. Wir haben wie selten zuvor in der Redaktion gestritten, mit uns gerungen und uns teilweise sogar angeschrien. Doch am Ende stand eine Mehrheitsentscheidung. Das Angebot von Correctiv war einfach zu überzeugend. Um das größtmögliche Maß an Transparenz sicherstellen zu können, wollen wir exklusiv für unsere Leser_innen* darstellen, wie es zu dieser Übereinkunft kam. Anbei nun abschließend, wie bereits erwähnt, das Wortprotokoll der besagten Redaktionssitzung am 22. März, in welcher die Entscheidung zur Kooperation mit Correctiv fiel (ein Teilnehmer wollte anonym bleiben, diesem Wunsch kommen wir so weit wie möglich nach):
Müller:
So Jungs, wie gehen wir denn jetzt mit dem Angebot von Correctiv um? Ich bin da ehrlich gesagt noch immer etwas zwiegespalten.
O.L.:
Was heißt denn hier bitte zwiegespalten? Das müsst ihr rundheraus ablehnen. Die wollen Euch doch kooptieren, das ist doch evident!
Müller:
Och Oskar, jetzt lass doch erstmal die Redakteure selbst zu Wort kommen, zudem du immer mit deinen Fremdwörtern. Kooptieren, evident, wer soll das denn verstehen?
Warweg:
Ich finde es, bei allem Respekt dir gegenüber, sehr einfach, als Bezieher einer Ministerpräsidenten- und Ministerpension uns vor „Kooption“ zu warnen. Es gibt da auch gewisse finanzielle Notwendigkeiten. Jens muss ein Haus abzahlen, ich noch einen ganzen Familienclan in Argentinien querfinanzieren, der gerade von Milei in die Armut getrieben wird, Tobias hat auch nochmal ganz eigene finanzielle Herausforderungen zu stemmen. Klar sind wir nach wie vor unserer Blattlinie und den Lesern verpflichtet, aber halt nicht nur … bis zu einem gewissen Grad müssen wir auch an unsere eigene Zukunft, die unserer Kinder denken. Und ja, ich will auch mal nen anerkennenden Blick oder Schulterschlag in der BPK bekommen und nicht immer nur geschnitten werden. Ich bin doch auch nur nen Mensch, menno …
Berger:
Also den finanziellen Aspekt würde ich jetzt gar nicht so in den Vordergrund rücken, aber ich habe gerade unter ungeheuren Anstrengungen meinen hoffentlich nächsten Bestseller „Wem gehört Deutschland?“ fertiggestellt. Und wenn das wirklich ein echter Bestseller werden soll, dann brauche ich eine gewisse Präsenz in den Leitmedien, und die gibt es gerade nicht mehr. Selbst unsere popelige Regionalzeitung ruft nicht mehr an, und die üblichen Gefälligkeitsinterviews mit Tom hört doch eh kein Schwein, und die, die es doch hören, boykottieren gerade mal wieder Amazon oder PayPal und können das Buch daher nicht kaufen. Diese Vereinbarung mit Correctiv könnte mir, äh uns, da durchaus helfen. Und wirklich Oskar, das hat doch nichts mit Kooptation zu tun, wir verraten doch dadurch nicht unsere Ideale, im Gegenteil, wir können dann endlich wieder unsere Positionen in die Mitte der Gesellschaft tragen, und nicht nur im Schwurbelmilieu …
Müller:
Jens, wirklich, etwas mehr Respekt vor unseren Lesern! Ich bitte doch sehr.
Riegel:
Ich will nochmal auf das, was Florian gesagt hat, zurückkommen. Unterlass es doch bitte, in meinem Namen von „finanziellen Herausforderungen“ zu sprechen. Ich erkenne dich und Jens ja fast nicht wieder. Seit wann seid Ihr denn so auf Geld und Anerkennung aus dem Mainstream aus? Oskar hat doch recht, die wollen uns einkaufen und so einhegen. Die wollen aus den NachDenkSeiten einen handzahmen Blog machen. Das müsst Ihr doch alle so sehen?! Albrecht, jetzt mach doch mal ‘ne klare Ansage.
Müller:
Hört Ihr auch das Knacksen in der Leitung? Hat sich etwa wieder jemand entgegen meiner expliziten Ansage mit Handy in unsere WebEx-Schalte eingewählt? In welchem Hotel in Singapur machst du gerade Urlaub, Oskar? Doch nicht etwa …
O.L.:
Ich bin in Singen, Albrecht, Singen. Und ich mach da auch keinen Urlaub, sondern bin zu einem Vortrag bei den Freidenkern eingeladen, die nehmen hier die BSW-Gründung in die Hand … Aber trotzdem, ich kann ja kurz mal meine Handy-Kamera hochheben, mit dem View, den man da aus meinem Hotelzimmer hat. Ich schick dir vielleicht nachher mal ein Foto. Das ist schon mega …
Müller:
Ja mach mal, bin gespannt. Aber jetzt zurück zum eigentlichen Thema. Also wenn ich das richtig raushöre, sind Florian und Jens, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, dafür, dieses Angebot von Correctiv anzunehmen, Tobias der alte Idealist dagegen. Oskar hat nur beratende Funktion und kein Stimmrecht. Hm. Also, auch ich würde gerne auf meine alten Tage mal wieder bei Lanz oder Hart aber Fair auftauchen und den woken Gockeln da die Grenzen aufzeigen. Ich sehe natürlich die Schwierigkeit, diese Kooperation unseren Lesern zu vermitteln. Angst, dass wir dadurch unserer Linie untreu werden, habe ich aber ehrlich gesagt auch nicht. Also, trotz der eingangs geäußerten Bedenken wäre ich schlussendlich auch dafür.
Warweg:
Ich würde Albrecht zustimmen. Zudem sehe ich diese Vereinbarung eher als ein trojanisches Pferd für uns an. Wir gewinnen dadurch vielmehr als Correctiv. Und wenn Tobias erstmal den Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus in den Händen hält, wird er diese Entscheidung auch nachvollziehen können.
Berger:
Alea iacta est …
Warweg:
Venceremos!
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