„Bedrohung durch Russland“: Die deutsche Presse und ihr Feindbild im Kopf

„Bedrohung durch Russland“: Die deutsche Presse und ihr Feindbild im Kopf

„Bedrohung durch Russland“: Die deutsche Presse und ihr Feindbild im Kopf

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Die Gefahr sitzt im Osten, Russland bedroht uns, wir müssen aufrüsten: Weite Teile der deutschen Medienlandschaft haben den Bezug zur Realität verloren. Im Magazin Stern ist die „Bedrohung“ durch Russland Realität. Kritische journalistische Distanz? Fehlanzeige. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Schande über diese Presse! Kritische Stimmen im Blätterwald zur Kriegstreiberei? Sie lassen sich nur mit dem Elektronenmikroskop finden. Von morgens bis abends erdreisten sich Redaktionen, die deutsche Öffentlichkeit mit anti-russischer Propaganda zu überschütten. Vernunft, Verstand, kritische Distanzierung zur Wahrheit der Kriegstreiber in den eigenen Reihen? Fehlanzeige! Wer das, was Medien im Zustand der Realitätsverweigerung noch als „Berichterstattung“ verstanden wissen möchten, kritisch verfolgt, kann nur zu einem Schluss kommen: Die Presse ist Bestandteil beim politischen Feindbildaufbau. Der ganze Schwall an Worten, Sätzen, Zitaten, aus denen Medienvertreter die Mär von der „Gefahr aus Moskau“ entstehen lassen, ist eine einzige Blamage für den Journalismus.

Selbst wenn Journalisten eine Milliarde Mal am Tag von „Bedrohung“ reden: Diese Bedrohung gibt es nicht. Richtig ist: Im vergangenen Jahrhundert hat Deutschland Russland überfallen – und nicht umgekehrt. Das ist die Wahrheit. Und auch jetzt entbehrt die Annahme, Russland wolle in Berlin einmarschieren, jeder Grundlage. Wobei, Kommando zurück und Korrektur: Doch, eine Grundlage gibt es. Sie nennt sich Propaganda. In der Propaganda geht von Russland jene Gefahr aus, die die ewigen Russlandhasser seit jeher in die Köpfe der Bürger gepresst haben. Diese „Gefahr“ ist aber fiktionaler Natur. Diese „Gefahr“ ist das Produkt einer ekelhaften Propaganda, die versucht, einen Keil zwischen Europa und Russland zu treiben. Diese Propaganda baut auf Angst, und sie baut auf Akteure, die aus Überzeugung, aus Dummheit, Ignoranz oder einem verqueren politischen Verstand heraus jene Halbwahrheiten und Lügen verbreiten, aus denen die Propaganda ihre Kraft zieht.

Nach allem, was die deutsche Geschichte im Schlepptau hat, müssten Redaktionen Zeter und Mordio schreien, wenn wieder einmal die Kriegstreiber ihre Feindbildzeichnungen zum Besten geben. Eine Presse, die den Geist des Grundgesetzes verstanden hat, würde an einem Tag ehrlicher, kritischer Berichterstattung das gesamte Lügengebäude von der „russischen Bedrohung“ zum Kollabieren bringen. Stattdessen aber nehmen Journalisten der Politik den Propagandapinsel aus der Hand – allerdings nicht, um ihn die Ecke zu werfen, sondern um die Konturen des Feindbildes noch dicker und ausgeprägter hervorzuheben.

Bedrohung durch Russland
CDU macht Druck – plötzlich wird wieder über eine Wehrpflicht diskutiert“

So sieht eine aktuelle Stern-Überschrift aus. Die Formulierung „Bedrohung durch Russland“ findet sich in der Dachzeile über dem Titel. Eine kritische Distanzierung zu dieser Aussage, die kaum weitreichender sein könnte, gibt es nicht. Die Aussage ist für den Leser als „faktisch wahr“ zu verstehen. Sie ist aber nur so „wahr“, wie es die von dem Magazin veröffentlichten Hitler-Tagebücher waren. Im Vorspann des Artikels geht es weiter: „Die russische Bedrohung heizt in der Koalition die Wehrpflicht-Debatte an: Reicht ein freiwilliger Dienst, um ausreichend Soldaten zu finden?“ Auch an dieser Stelle: Die „Realität“ ist gesetzt. Die „russische Bedrohung“ ist – angeblich – real. Im Artikel selbst findet sich nichts, was eine Aussage dieser Art rechtfertigen ließe. Bedeutungsschwangere Fragen im Zusammenhang mit russischen Truppenbewegungen ersetzen das Faktische: „Will er (Putin) wirklich den Krieg in der Ukraine verschärfen? Oder plant er schon darüber hinaus?“ Die doch eigentlich ungeheuerliche „Realität“ speist sich aus vagen Aussagen: „Putin, so heißt es bei den Diensten, schiele längst auf die Nato.“ Oder: „Wir können nicht ausschließlichen [sic!], dass Putin nicht abwartet, bis die Nato ihre Vorbereitungen abgeschlossen hat, sondern dass er früher angreift“, so der CDU-Politiker Norbert Röttgen, den das Magazin zitiert. Weiter ist zu lesen: „Der Handlungsdruck ist klar. Nato-Chef Mark Rutte hat die Mitgliedstaaten angesichts der Bedrohungslage schon zu massiven Investitionen in die Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit verdonnert.“

Was sollen diese Aussagen? Richtig: Was hier den Lesern zugemutet wird, nennt sich: heiße Luft. Der Artikel zeigt nicht die Realität auf – vielmehr erzeugt er Pseudorealität durch künstliche Benennungsakte.

Von dem Verfasser des Artikels stammt die Zwischenkommentierung: „Der Handlungsdruck ist klar.“

„Handlungsdruck“? „Klar“? Nein, es gibt weder einen Handlungsdruck noch ist das „klar“, was der Artikel insinuiert. Wenn es bei Geheimdiensten „heißt“, dass …, dann hat für einen Journalisten erst einmal überhaupt nichts „klar“ zu sein. Geheimdienste agieren häufig als verlängerter Arm der Politik. Auch die Massenvernichtungswaffen im Irak waren „klar“ – heute weiß jeder, wie „klar“ sie tatsächlich waren.

Auffallend ist: Bisher vermag die Propaganda es nicht, die angebliche Bedrohung durch Russland logisch, sinnvoll darzulegen. Die Propaganda liefert weder tragfähige Antworten auf die Frage, warum Russland die NATO überhaupt angreifen sollte, noch, was dann passiert. Es wird immer deutlicher: Die Propagandisten und politischen Irrläufer unserer Zeit wollen eine russische Bedrohung sehen – der Realität zum Trotze.

Deutsche Medien haben mit ihrer „Berichterstattung“ zum politischen Großvorhaben Kriegstüchtigkeit schwere Schuld auf sich geladen. Auch wenn die „Bedrohung“ durch Russland jeder Grundlage entbehrt: Vieles deutet darauf hin, dass Medien einen Krieg regelrecht herbeiberichten. Eine Eigendynamik ist entstanden, die ein verheerendes Ende in sich trägt.

Titelbild: Lewis Tse/shutterstock.com

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