Am Freitag verkündete der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp seinen Rücktritt aus der Regierung. Kurz darauf folgten ihm die anderen vier Minister seiner Partei, darunter auch die Innenministerin. Grund war sein Scheitern, die Rumpfkoalition (Rechtspopulist Geert Wilders verließ die Koalition schon im Mai) zu einem härteren Vorgehen gegen Israel zu bewegen. Wann sehen wir eine solche Konsequenz endlich bei deutschen linken Politikern? Ein Kommentar von Maike Gosch.
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Veldkamp war es auch, der im Juli ein Einreiseverbot für die extrem rechten israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir in die Niederlande durchsetzte. Der ehemalige niederländische Botschafter in Israel hatte sich auch auf europäischer Ebene für eine Verstärkung der Sanktionen gegen Israel stark gemacht – ebenfalls ohne Erfolg, auch wegen der Haltung der deutschen Regierung (und der ungarischen), Sanktionen gegen Israel zu blockieren und insbesondere ein Aussetzen des Assoziationsabkommens der EU mit Israel zu verhindern – obwohl ein von Deutschland extra gefordertes juristisches Gutachten zu der Frage, ob Israel Menschenrechte verletzte und damit gegen Art. 2 des Assoziationsabkommens verstoßen würde, zu dem offensichtlichen Ergebnis gekommen ist, dass dies der Fall sei (siehe hierzu ausführlich Jens Berger auf den NachDenkSeiten).
Auch in der eigenen Koalition drang Veldkamp nun mit seiner Forderung nach härteren Sanktionen gegen Israel aufgrund des Völkermords in Gaza und der weiteren illegalen Besiedlungspläne Israels im Westjordanland nicht durch. Veldkamp sagte nach Angaben der niederländischen Nachrichtenagentur ANP am Freitagabend nach einer Kabinettssitzung, er sei nicht in der Lage, „bedeutsame zusätzliche Maßnahmen“ zu ergreifen, um Druck auf Israel auszuüben. Daraufhin beschloss er, zurückzutreten.
Es geht also doch. Man kann politische Konsequenzen ziehen und muss nicht, wie z.B. die SPD, an einer Koalition festhalten, in der grundlegende Werte des Völkerrechts und das Recht selbst gebrochen werden. Besonders grotesk ist die deutsche Haltung in dieser Frage vor dem Hintergrund der inzwischen 18 Sanktionspakete gegen Russland, die immer mit dem Bruch des Völkerrechts durch dieses Land begründet werden, und der „wertegeleiteten Außenpolitik“, die insbesondere Annalena Baerbock wie eine Monstranz vor sich hergetragen hatte. Auch wenn diese extreme Verlogenheit und Doppelmoral einem Teil der deutschen Bevölkerung und fast der gesamten Vertreterschaft der etablierten Medien nicht aufzufallen scheint, wird diese im Ausland und insbesondere im Globalen Süden sehr wohl gesehen und hat wohl dem Ansehen Deutschlands in den letzten Jahrzehnten mehr geschadet als diese verblendete Nibelungentreue zu dem verbrecherischen Vorgehen der israelischen Regierung in den letzten zwei Jahren.
Ebenfalls am Freitag hatte das IPC (Integrated Food Security Phase Classification) offiziell die Hungersnot in Teilen des Gazastreifens erklärt. Und an diesem Montag verübte die israelische Armee ein weiteres Massaker an Journalisten, Medizinern und Mitarbeitern des Zivilschutzes, das weltweit Empörung auslöste. Selbst das Auswärtige Amt unter dem stramm israelfreundlichen Außenminister Wadephul fühlte sich bemüßigt, auf X immerhin zu äußern, über die gezielte Tötung schockiert zu sein; natürlich nicht, ohne nachzuschieben, dass der Angriff untersucht werden müsse, um so die Anerkennung der Schuld Israels an diesem weiteren Kriegsverbrechen mal wieder auf die lange Bank zu schieben – von irgendwelchen Konsequenzen einmal ganz zu schweigen.
Dagegen zog die kanadische Fotojournalistin Valerie Zink öffentlich Konsequenzen aus der Ermordung ihrer Kollegen und dem Verrat an diesen Journalistenkollegen durch die – aus ihrer Sicht – extrem verzerrende und die Verbrechen verharmlosende Berichterstattung der westlichen Medien, einschließlich ihres Auftraggebers Reuters, und verkündete öffentlich auf X, dass sie nicht weiter bereit ist, für diesen Nachrichtendienst zu arbeiten.
Wie lange wird vor dem Hintergrund der immer offensichtlicheren Verbrechen Israels und der immer stärker anwachsenden internationalen Empörung die „EU-Front“ zur Verhinderung von Konsequenzen für Israels Kriegsverbrechen und dessen Bruch des Völkerrechts noch halten? Spanien, Irland und auch Schweden fordern schon lange Konsequenzen. Auch Belgien, die Niederlande und sogar Frankreich (mit dem aalglatten Präsidenten Macron) entdecken nach und nach ihr Rückgrat und verlieren ihre Illusionen über ihren Verbündeten und seine „moralischste Armee der Welt“.
Und die Bundesregierung? Wir haben uns ja in den letzten Jahren daran gewöhnen müssen, dass die Regierung in vielen entscheidenden Fragen gegen die Mehrheit der Bevölkerung regiert und eine unglaubliche Dickfelligkeit und Ignoranz an den Tag legt, was die Wünsche und Interessen der eigenen Wähler angeht. Wir erinnern uns an Annalena Baerbocks Aussage: „no matter what my German voters think“ („Egal, was meine deutschen Wähler denken“) – hier in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine durch Deutschland.
Aber irgendwann wird auch in dieser Frage der Druck zu groß werden. Die Ankündigung der vorläufigen Aussetzung der Waffenlieferungen an Israel durch Deutschland (auch wenn das vermutlich viele Schlupflöcher enthält) war ein erster Schritt. Die Stimmung in der Bevölkerung kippt langsam, international ist sie es schon längst. In Deutschland etwa lehnen laut jüngsten Umfragen rund 80 Prozent der Bevölkerung Israels Vorgehen im Gazastreifen ab, zwei Drittel forderten von der Regierung aktiveres Handeln. Gleichzeitig mehren sich auch die Appelle auf europäischer Ebene. Am Dienstag forderten 209 ehemalige Botschafter und hochrangige Diplomaten der EU-Staaten ein sofortiges Handeln der Europäischen Union gegen Israel. Da keine Einigung (dank Deutschland) auf EU-Ebene möglich zu sein scheint, müssten einzelne Länder oder kleinere Gruppen von Staaten Maßnahmen ergreifen, heißt es in dem Schreiben.
Aber hierzulande wird immer noch an einem Kurs festgehalten, der nicht moralisch, anständig oder treu ist, sondern nur noch als borniert und kurzsichtig zu bezeichnen ist – von der Beihilfe zum Völkermord einmal ganz zu schweigen. Und ebenso wie bei der Ukraine erweisen unsere Regierungsvertreter durch ihre „Treue“ auch Israel, also dem Land, das sie damit bedingungslos unterstützen wollen, hiermit einen Bärendienst.
Was muss noch passieren, um endlich einen Kurswechsel einzuleiten? Es sind eigentlich keine Kriegsverbrechen mehr übrig, die noch nicht begangen wurden. Man sagt ja, dass Mut ansteckend ist. Vielleicht erreicht er irgendwann auch unser Land.
Titelbild: Orange Pictures / Shutterstock