„Deutsche Unterstützung für Israel ein ‚rechtlicher und moralischer Fehler‘ – Rechts- und Ethikprofessorin Janina Dill“

„Deutsche Unterstützung für Israel ein ‚rechtlicher und moralischer Fehler‘ – Rechts- und Ethikprofessorin Janina Dill“

„Deutsche Unterstützung für Israel ein ‚rechtlicher und moralischer Fehler‘ – Rechts- und Ethikprofessorin Janina Dill“

Ein Artikel von: Redaktion

Es ist immer wieder erstaunlich, welch informative Inhalte die aus dem Bundeshaushalt finanzierte ‚Deutsche Welle‘ in ihrem englischsprachigen Auslandsprogramm transportieren kann. Dort gibt es des Öfteren hervorragenden Journalismus, der Fachleuten Gehör verschafft, die nicht den jeweiligen Regierungen nach dem Mund reden. In dem zitierten Gespräch mit Janina Dill wird über Deutschlands mutmaßliche Komplizenschaft an dem – kürzlich von einer UN-Untersuchungskommission so bezeichneten – ‚Völkermord am palästinensischen Volk‘ gesprochen. Ferner werden die Auswirkungen auf das internationale Ansehen deutscher Außenpolitik und die Bedeutung des humanitären Völkerrechts insgesamt beleuchtet. Solche Beiträge muss man im inländischen ÖRR-Programm leider immer noch mit der Lupe suchen. Transkript und Übersetzung aus dem Englischen von Christian Goldbrunner.

German support for Israel a ‘legal and moral mistake’ — Law and ethics professor Janina Dill
[„Es ist nichts weniger als tragisch, dass wir aus unserer historischen Vergangenheit die gegenteilige Lehre gezogen haben.“ Die Oxford-Professorin Janina Dill warnt vor möglichen rechtlichen Konsequenzen, denen Deutschland aufgrund seiner Unterstützung für Israel ausgesetzt sein könnte. Als Co-Direktorin des Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict erklärt Dill, warum Deutschland eine besondere Verantwortung zum Eingreifen hat – und was das Völkerrecht angesichts der eskalierenden Gewalt verlangt. Übersetzung der Videobeschreibung CG]
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Quelle: DW News (6 Mio. Abonnenten), 22.09.2025

Erster Teil der Übersetzung [von Beginn bis Minute 9:29]:

Matthew Moore, DW-Politikkorrespondent: Letzte Woche kam eine unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats zu dem Schluss, dass Israel Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen begangen hat. Israel bestreitet, dass sein Vorgehen in Gaza gegen die Verträge und Konventionen verstößt, die das Kriegsrecht und das humanitäre Völkerrecht ausmachen. Es rechtfertigt seine Handlungen als Selbstverteidigung gegen die Hamas, eine Gruppe, die von der EU und anderen als Terrororganisation eingestuft wird. Der jüngste Bericht hat die Aufmerksamkeit auf die Maßnahmen Deutschlands, eines der engsten Verbündeten Israels, gelenkt. Die deutsche Regierung betont, dass sie Israel diplomatisch dazu auffordert, Zurückhaltung in Gaza zu üben, und hat die Waffenexporte nach Israel eingeschränkt. Einige Rechtsexperten warnen, dass Deutschland seine Verpflichtung zur Intervention verletzt, was dem Völkerrecht nachhaltig schaden könnte. Ich habe darüber mit Janina Dill, Co-Direktorin des Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict, gesprochen. Zunächst habe ich sie gefragt, mit welchen rechtlichen Konsequenzen Deutschland aufgrund seiner Unterstützung für Israel rechnen muss.

Professorin Janina Dill: Deutschland sieht sich bereits mit rechtlichen Konsequenzen aufgrund seiner Unterstützung für Israel konfrontiert. Vor deutschen Gerichten sind mehrere Verfahren wegen der insbesondere fortgesetzten Waffenausfuhren nach Israel anhängig. Und vor dem Internationalen Gerichtshof ist ein Verfahren anhängig, das von Nicaragua angestrengt wurde und in dem unter anderem behauptet wird, dass Deutschland es versäumt, Völkermord zu verhindern, sich des Völkermords mitschuldig macht und auch seinen Pflichten aus der Genfer Konvention nicht nachkommt. Deutschland sieht sich also bereits jetzt erheblichen rechtlichen Konsequenzen für seine Unterstützung Israels ausgesetzt.

DW: Inwiefern erhöht der UN-Bericht den Druck auf Deutschland und andere Staaten, zu handeln?

Dill: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Deutschland gegen die Völkermordkonvention verstoßen könnte. Die eine ist die Unterlassung, Völkermord zu verhindern. Diese Pflicht zur Verhinderung von Völkermord tritt in dem Moment in Kraft, in dem ein Staat vernünftigerweise Kenntnis von einer ernsthaften Gefahr von Völkermord erlangt. Und man kann argumentieren, dass diese Gefahr von Völkermord schon seit vielen, vielen Monaten besteht. In gewisser Weise besteht also bereits eine erhebliche rechtliche Gefahr, dass Deutschland für die Nichtverhinderung verantwortlich gemacht werden könnte.

Es gibt jedoch noch eine zweite Möglichkeit, wie Deutschland gegen die Völkermordkonvention verstoßen könnte, nämlich durch Beihilfe zum Völkermord. Hier ist die Schwelle deutlich höher. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass ein Staat nur dann der Beihilfe zum Völkermord eines anderen Staates schuldig ist, wenn er sich der völkermörderischen Absicht des Täters bewusst ist oder davon Kenntnis hat. Wie Sie wissen, ist es sehr umstritten, ob eine völkermörderische Absicht vorliegt und ob diese Israel zugeschrieben werden kann. Und hier ist meiner Meinung nach der Bericht ein wichtiges Puzzleteil. Er bringt nämlich durchaus plausible Argumente dafür vor, warum aus der Perspektive dieses Staates nun bekannt sein sollte, dass es in Gaza Personen gibt, die mit genozidaler Absicht handeln. Und der Bericht argumentiert, dass dies Israel zuzuschreiben ist. Er trägt also zum Bewusstsein für genozidale Absichten bei Staaten wie Deutschland bei und erhöht damit das Risiko, dass ein Staat, der Israel weiterhin materiell unterstützt, gegen die Pflicht verstößt, sich nicht an Völkermord mitschuldig zu machen.

DW: Sie haben erwähnt, dass die Schwelle für den Nachweis der Mittäterschaft höher ist. Aber wenn wir nun von der Idee ausgehen, dass die Staaten eine Pflicht zur Verhinderung haben, die sich aus der Schutzverantwortung ergibt, beschreiben Sie mir bitte genau, was diese Schutzverantwortungskonvention beinhaltet.

Dill: Kehren wir also zur Völkermordkonvention zurück, ja? Die Schutzverantwortung ist in erster Linie ein politisches Konzept, aber es gibt eine ganz konkrete rechtliche Pflicht zur Verhinderung von Völkermord, die tatsächlich in einem internationalen Vertrag, der Völkermordkonvention, festgeschrieben ist, die ja „Prävention” im Titel trägt. Das ist also eine konkrete rechtliche Pflicht, die alle Staaten haben. Und wir wissen, dass Staaten bei einer ernsthaften Gefahr von Völkermord alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen müssen, um den Völkermord zu verhindern, indem sie versuchen, den potenziellen Täter dazu zu bewegen, seinen Kurs zu ändern. Das ist eine ganz konkrete, unbestrittene rechtliche Verpflichtung. Und in gewisser Weise hat der Internationale Gerichtshof bereits im Januar 2024 die Staaten der Welt darauf aufmerksam gemacht, dass in Gaza die Gefahr eines Völkermords besteht, da er im Grunde genommen festgestellt hat, dass die Rechte der Palästinenser gemäß der Völkermordkonvention durch das Verhalten Israels unmittelbar gefährdet sind. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Staaten also bereits darauf hingewiesen, dass die Gefahr eines Völkermords besteht. Das ist etwas ganz anderes als zu sagen, dass wir einen Völkermord definitiv feststellen können, aber die Präventionspflicht muss natürlich greifen, bevor eine Tat vollendet ist, sonst nützt sie nicht viel.

DW: Okay, Professor, was wird dann von Ländern wie in diesem Fall Deutschland erwartet oder verlangt, um einen Völkermord zu verhindern?

Dill: Jeder Staat, der Mitglied der Völkermordkonvention ist, hat die Pflicht, seinen Einfluss geltend zu machen, um Israel zu einer Kursänderung zu bewegen. Der Einfluss kann je nach den bilateralen Beziehungen eines Staates zu Israel sehr unterschiedlich aussehen. Auf jeden Fall würde dies bedeuten, keine Kriegswaffen oder Rüstungsgüter an Israel zu liefern. Ein Waffenembargo wäre also der erste Schritt für Staaten, um Einfluss auf Israel auszuüben. Handelssanktionen, Aussetzung, eine umfassendere Aussetzung der Handelsbeziehungen, diplomatische Proteste – all dies sind Mittel, die einem Staat zur Verfügung stehen, um auf einen anderen Staat Einfluss zu nehmen. Im Allgemeinen müssen die Einflussmittel selbst legal sein, damit sie nicht gegen das Völkerrecht verstoßen. Aber abgesehen davon gibt es eine ganze Reihe von Optionen, die Staaten zur Verfügung stehen. Insbesondere was Deutschland betrifft, so haben wir wirklich nicht gesehen, dass die deutsche Regierung ihre Möglichkeiten, Einfluss auf Israel zu nehmen, ausgeschöpft oder auch nur versucht hat, sie auszuschöpfen.

DW: Hier in Deutschland lautete die Reaktion auf den UN-Bericht, dass Deutschland abwarten werde, bis ein Gericht entschieden habe, ob Israel Völkermord begeht oder nicht. Ist das eine berechtigte und verständliche Position?

Dill: Das ist ein unglaublicher logischer Fehler, denn die Präventionspflicht ist zu dem Zeitpunkt hinfällig, zu dem ein Gericht feststellt, dass Völkermord stattgefunden hat. Wenn wir uns die bestehenden Fälle von Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof ansehen, gibt es zwei, die die Verhandlungsphase erreicht haben. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis das Gericht entschied, ob ein Völkermord vorlag. Zu diesem Zeitpunkt ist es dann zu spät. Zu spät für die Palästinenser, aber auch zu spät, damit die internationale Rechtsordnung so funktioniert, wie sie sollte. Und es wird sicherlich zu spät sein, damit Deutschland seine Rechtschaffenheit unter Beweis stellen kann. Es fällt mir sehr schwer zu verstehen oder zu glauben, dass jemand die rechtliche Pflicht zur Prävention betrachtet und vorschlägt, wir könnten darauf warten, dass ein Gericht uns sagt, ob wir dieser Pflicht nachkommen sollen, obwohl logischerweise zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht uns mitteilt, dass ein Völkermord stattgefunden hat, die Pflicht zur Prävention nicht mehr erfüllt werden kann.

DW: Seit den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 sprechen deutsche Politiker von dieser einzigartigen Beziehung, die Deutschland zu Israel hat, und von einer Art Verantwortung, die Deutschland für das Existenzrecht Israels hat. Und sie sagen, dass diese Beziehung es Deutschland ermöglicht, Druck auf Israel auszuüben, wie es nur wenige andere Länder können, weil es ein Verbündeter ist, der seine Unterstützung für Israel bekräftigt hat. Gleichzeitig sagen sie aber auch, dass sie sich dafür einsetzen, dass humanitäre Hilfe geleistet wird und dass die israelische Regierung Zurückhaltung übt. Können sie das damit rechtfertigen, dass die Regierung in gewisser Weise im Rahmen ihres Rechts oder ihrer Verantwortung zur Verhinderung handelt? Üben sie damit Druck aus? Reicht das im Wesentlichen aus?

Dill: Nun, es ist richtig, dass die Durchsetzung des Völkerrechts oder die Forderung nach dessen Einhaltung mit Freunden und Verbündeten effektiver ist als mit Feinden. Es ist effektiver, aber auch politisch schwieriger. Und ich sehe einfach nicht, dass die deutsche Regierung ernsthaft versucht hat, Druck auf Israel auszuüben, denn die Forderung nach der Lieferung humanitärer Hilfe hat sich als weitgehend wirkungslos erwiesen. Die Palästinenser leiden immer noch. Es gibt immer noch nicht genug Hilfe. Und was Deutschland getan hat, ist, Israel diplomatisch vor UN-Maßnahmen zu schützen, die beispielsweise bei der Durchsetzung eines Waffenstillstands wirksam gewesen wären, und Israel seit langem diplomatisch vor der Europäischen Union zu schützen. Ich spreche mit einer Stimme und verhänge strengere Sanktionen und strengere Handelssanktionen. Es gibt also ganz klare Wege, wie Deutschland Druck auf Israel hätte ausüben können. Und ich stimme der Auffassung zu, dass Deutschland diese Möglichkeiten zum Teil deshalb hat, weil es enge diplomatische Beziehungen, ja sogar Freundschaft mit Israel unterhält. Aber Deutschland hat sich entschieden, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen, und sich in gewisser Weise hinter der Idee versteckt, einfach die Einhaltung des Rechts zu fordern, mehr humanitäre Hilfe zu verlangen, aber nie klar zu sagen, dass A) Israel sich nicht an das Recht hält und nicht genug Hilfe zulässt, und B) dann die Erwartung zu formulieren, dass es, wenn sich das nicht ändert, zu strengeren Sanktionen kommen wird, die Israel tatsächlich schaden. So schafft man eine abschreckende Wirkung, nicht einfach indem man öffentlich sagt: „Nun, wir würden uns wirklich wünschen, dass das Gesetz eingehalten wird und humanitäre Hilfe geleistet wird.“ Man muss sagen, was passiert, wenn sich nichts ändert.

[…]

Zweiter Teil der Übersetzung [ab Minute 11:50]:

DW: Wie beeinflussen die deutsche Geschichte, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust die Art und Weise, wie Deutschland im Jahr 2025 mit diesen Vorwürfen gegen Israel umgeht?

Dill: Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen dem Einfluss der deutschen Geschichte auf die Haltung Deutschlands gegenüber Israel und der Frage, wie Deutschland sich richtig verhalten sollte. Wir können ganz klar sehen, dass Deutschland irgendwie versucht, mit seiner Geschichte umzugehen, indem es Israel nicht zur Rechenschaft zieht, sich nicht klar äußert und sogar seine eigenen völkerrechtlichen Pflichten vernachlässigt, um Israel in gewisser Weise diplomatisch zu schützen und zu verteidigen. Und das hängt ganz offensichtlich mit dem Versuch zusammen, mit unserer eigenen Geschichte umzugehen. Das ist ein Fehler. Es ist moralisch ein Fehler und es ist rechtlich ein Fehler, oder? In gewisser Weise denke ich, dass aus unserer Geschichte eine umso stärkere Verpflichtung hervorgeht, sich für eine Opfergruppe einzusetzen. Und wie wir bereits gesagt haben, gibt es ein stärkeres Mittel, eine stärkere Möglichkeit, Einfluss auf Israel zu nehmen, das sich aus der engen Freundschaft und den diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Israel ergibt. Es ist also nichts weniger als tragisch zu sehen, dass wir aus unserer historischen Vergangenheit die gegenteilige Lehre gezogen haben, als wir eigentlich ziehen sollten.

DW: Mit welchen möglichen Konsequenzen müsste dann ein Drittstaat, in diesem Fall Deutschland, rechnen, wenn festgestellt wird, dass er seiner Verantwortung zur Verhinderung eines Völkermords nicht nachgekommen ist?

Dill: Wir sollten uns bewusst sein, dass es erhebliche dogmatische und rechtliche Hürden gibt, die sowohl nationale Gerichte als auch den Internationalen Gerichtshof daran hindern könnten, klare und eindeutige Urteile zu fällen, dass Deutschland für völkerrechtswidrige Handlungen oder die Nichterfüllung seiner Pflichten verantwortlich ist. Das bedeutet nicht, dass Deutschland derzeit seine Pflichten nicht erfüllt. Es ist sehr schwer, zu einer anderen Diagnose zu kommen. Wir müssen jedoch verstehen, dass internationale Rechtsstreitigkeiten in den internationalen Beziehungen nicht ganz so funktionieren wie im innerstaatlichen Kontext. Wir können uns also nicht wirklich auf ein Gerichtsverfahren verlassen, das uns schwarz auf weiß die Diagnose liefert, dass Deutschland seinen völkerrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist. Selbst wenn wir dieses Ergebnis erzielen, müssen wir verstehen, dass der Internationale Gerichtshof zwar Dinge wie Reparationen verlangen kann, wir aber keine internationale Polizeitruppe haben, die eine solche Anordnung dann durchsetzen könnte. Aus dieser Sicht ist es also schwierig zu sagen, was für Deutschland konkret daraus folgen wird. Absolut klar ist, dass Deutschland bereits jetzt seine eigene Stellung im internationalen System untergräbt. Es hat jegliche moralische Autorität und die Fähigkeit verloren, sich wirksam auf das Völkerrecht zu berufen, um andere Staaten dazu zu bewegen, das zu tun, was Deutschland möchte. Deutschland hat also erheblich zur Schwächung des Völkerrechts beigetragen, die wir allgemein beobachten können, und seine eigene Stellung in der Welt durch eine Politik erheblich untergraben, die meiner Meinung nach letztlich nicht einmal Israel dient und die Palästinenser völlig im Stich lässt.

DW: Zum Schluss möchte ich noch fragen, welchen Schaden diese Angelegenheit für das Völkerrecht und die Vereinten Nationen haben könnte. Sie haben gerade angesprochen, dass Deutschland seinem eigenen Ruf geschadet hat. Darüber hinaus sehen wir aber auch, dass die Vereinigten Staaten die auf internationalen Regeln basierende Ordnung in Frage stellen und dass Länder wie Deutschland die Regeln nicht so anwenden, wie Sie es für richtig halten. Könnte dies zu einer längerfristigen Aushöhlung des Völkerrechts führen?

Dill: Ja, das Völkerrecht, insbesondere die grundlegenden Regeln zum Verbot der Gewaltanwendung und zur Eindämmung von Gewalt, sind gebrochen. Sie ringen um Luft. Dies ist ein absoluter Krisenmoment. Wir befinden uns in einer Notlage, was das Überleben der internationalen Rechtsordnung angeht, und es ist umso erstaunlicher und schädlicher, dass Deutschland als führendes europäisches Land nicht nur nicht in die Lücke springt, die die Vereinigten Staaten durch ihre veränderte Haltung zum Völkerrecht hinterlassen haben, sondern selbst zu dieser Krise des Völkerrechts beiträgt. Wir werden das bereuen, und wir sollten den Kurs ändern, solange wir noch können.

DW: Professorin Janine Dill, vielen Dank für Ihre Zeit.

Dill: Danke.

Anmerkung d. Red.: Janina Dill ist Professorin für Globale Sicherheit an der Blavatnik School of Government der Universität Oxford, wo sie die Dame Louise Richardson Professur innehat. Als international anerkannte Expertin für Völkerrecht und die moralischen Grundlagen bewaffneter Konflikte ist sie zudem Co-Direktorin des Oxford Institute for Ethics, Law and Armed Conflict (ELAC) und Fellow am Trinity College, Oxford.

Titelbild: Screenshot DW News