Berlin mit neuer Regierung: Sparen, bis es quietscht, Kulturkampf gegen Fahrräder und ansonsten alles wie immer

Berlin mit neuer Regierung: Sparen, bis es quietscht, Kulturkampf gegen Fahrräder und ansonsten alles wie immer

Berlin mit neuer Regierung: Sparen, bis es quietscht, Kulturkampf gegen Fahrräder und ansonsten alles wie immer

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Berlin ist als Hauptstadt des absurden Theaters ein wenig aus den Schlagzeilen verschwunden. Nach einer überraschend pannenfreien Wahlwiederholung am 12. Februar amtiert seit dem 27. April eine Landesregierung unter Führung des CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner mit der gerupften SPD als Juniorpartner in einer Koalition. Angetreten war Wegner mit der Ankündigung eines „Politikwechsels“ nebst den handelsüblichen leeren Versprechungen wie etwa der schnellen Einleitung einer umfassenden Verwaltungsreform und Ankurbelung des Wohnungsbaus. Aber die CDU hatte in diesem Wahlkampf einen Nerv getroffen, nämlich den verbreiteten Überdruss der Menschen in der Peripherie der Millionenstadt an der unerträglichen soziokulturellen Ignoranz, die ihnen von der „hippen“ Blase aus der grün-rot dominierten Innenstadt entgegengebracht wurde. Wirre Verkehrskonzepte, messianische Gender-Ideologie, chaotische Migrations- und Integrationspolitik und gravierende Mängel bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit wurden zu gewichtigen Faktoren für das Wahlergebnis. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dass sich mit der neuen Regierung zwar etwas ändert, sie aber im Prinzip vom Regen in die Traufe gekommen sind, werden viele Menschen bald merken. Die ersten Entwürfe für den kommenden Doppelhaushalt aus dem nun CDU-geführten Finanzressort knüpfen in Teilen an der „Sparen, bis es quietscht“ – Politik des von Klaus Wowereit (SPD) geführten rot-roten Senats zwischen 2002 und 2011 an. Besonders die 12 Stadtbezirke, die in Berlin eine zentrale Rolle für die soziale Infrastruktur spielen, sollen wieder regelrecht ausgeblutet werden. Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hickl (SPD), rechnete unlängst vor, was die Sparvorgaben für seinen Bezirk unter anderem bedeuten:

  • kein Wachschutz und keine Tagesreinigung mehr an Schulen
  • kaputte Spielgeräte auf Spielplätzen werden nicht mehr erneuert
  • Schließung von drei Jugendfreizeit- bzw. Familieneinrichtungen
  • drastische Kürzungen bei der Obdachlosen- und Suchthilfe
  • Müllentsorgung in Grünanlagen wird halbiert.

Ganz so schlimm wird es angesichts der noch nicht abgeschlossenen Haushaltsverhandlungen wohl nicht kommen, aber die Richtung ist klar.

Comeback der „autogerechten Stadt“

Natürlich wissen CDU und SPD, dass derartige Maßnahmen nicht besonders gut ankommen. Und natürlich wissen sie auch, dass sie keinen einigermaßen schlüssigen Plan für die Lösung der zentralen Probleme der Hauptstadt haben, wozu das marode Bildungssystem und die in Teilen dysfunktionale Verwaltung gehören. Um ein schnelles Umkippen der politischen Stimmung in der Stadt zu verhindern, braucht es also griffige Symbolik. Und kaum ein Politikfeld eignet sich in Berlin dafür so gut wie die Verkehrspolitik.

Auf den Kulturkampf gegen das Auto, den vor allem die Grünen in der vergangenen Landesregierung maßgeblich vorangetrieben haben, folgt jetzt aber nicht eine moderate Kurskorrektur im Sinne einer gleichermaßen klimapolitisch wie infrastrukturell zukunftsfähigen Mobilitätsplanung. Was folgt, ist stattdessen eine Art „Gegenoffensive“ mit dem Ziel der Revitalisierung der eigentlich längst überwunden geglaubten Idee einer „autogerechten Stadt“ und damit verbunden die teilweise Verdrängung des Fahrrads aus dem öffentlichen Straßenraum.

Was wie eine verrückte Zeitreise in die späten 1950er Jahre anmutet, nimmt jetzt ziemlich schnell konkrete Formen an. Das 2018 von der rot-rot-grünen Mehrheit verabschiedete Mobilitätsgesetz soll umfassend novelliert werden. Doch die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiber (CDU) macht schon jetzt Nägel mit Köpfen. Fahrradstreifen an großen Verkehrsadern sollen nur noch dort entstehen, wo dafür keine PKW-Fahrspur und kein Parkplatz verloren geht. Unter dieser Prämisse sollen auch die Planungen für den Ausbau des Straßenbahnnetzes überprüft werden.

Die neue Vorgabe betrifft nicht nur in Planung befindliche, sondern auch bereits fertiggestellte Fahrradspuren. So wurde die vor der offiziellen Eröffnung stehende Fahrradspur in der Ollenhauerstraße (Reinickendorf) kurzerhand entwidmet. Und nahezu triumphal wurde die Wiederfreigabe eines kurzen Teilstücks der Friedrichstraße in Berlin-Mitte für den Autoverkehr zelebriert. Auch aus dem Haushaltsentwurf wird deutlich, dass die ohnehin gewaltig im Verzug befindliche Umsetzung des Radverkehrsplans, der ausdrücklich das Ziel hat, den Anteil des Fahrrads an allen innerstädtischen Fahrten bis 2030 von derzeit 19 auf 23 Prozent zu steigern, nunmehr im Giftschrank der neuen Koalition verschwinden wird. Für das nächste und übernächste Jahr droht demnach eine Reduzierung der Mittel im Radwege-Bereich um bis zu 50 Prozent. Wobei der Verfall der Bundeszuschüsse für bereits genehmigte Fahrradwege noch gar nicht eingerechnet ist.

Dass dieses anachronistische Rollback bei der Verkehrspolitik in Berlin möglicherweise sogar mehrheitsfähig ist, ist vor allem den Grünen zu verdanken. Denn deren Verkehrspolitik wurde teilweise zur Spielwiese für durchgeknallte Fahrradfreaks. Willkürliche „Verkehrsberuhigungen“ mit albernen Sitzgruppen auf Straßen oder gar Findlingen, für die das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sogar einen eigenen Lagerplatz einrichtete, wurden zu Sinnbildern für Verbots- und Umerziehungspolitik. Es gab sogar Pläne, ganze Stadtteile zu „autofreien Zonen“ umzugestalten.

Linke und Grüne verharren in Schockstarre

Während die erkennbar von der Angst vor einem weiteren Erstarken der derzeit in Berlin noch relativ schwachen AfD gepeinigte CDU in der Verkehrspolitik in ungewohntem Tempo voran- bzw. zurückschreitet, ist es um die Wohnungspolitik ziemlich ruhig geworden. Bekräftigt hat der neue Senat allerdings, dass er nicht im Traum daran denkt, das mit fast 60 Prozent der Wählerstimmen erfolgreiche Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen bzw. Immobilienkonzerne umzusetzen, obwohl sogar eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission zu dem Ergebnis gekommen ist, dass dies durchaus möglich wäre. Nunmehr soll ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ erarbeitet werden, das frühestens in zwei Jahren in Kraft treten und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden soll. Und für den Fall, dass auch Karlsruhe grünes Licht gibt, behält sich der Senat vor, dann zu prüfen, ob diese Vergesellschaftung wohnungspolitisch opportun und finanziell zu bewältigen wäre. Und weder Wegner noch SPD-Frontfrau Franziska Giffey lassen irgendeinen Zweifel daran, zu welchem Ergebnis sie bei so einer Prüfung kommen würden.

Der Rest des Regierungsprogramms klingt eher nach den üblichen Sprechblasen – irgendwas mit besserer Verwaltung, Klima und Toleranz sowie Kampf gegen Clankriminalität und Obdachlosigkeit. Nichts Neues also.

Aber was macht eigentlich die Opposition? Schließlich waren Grüne und Linke bis vor wenigen Monaten noch Teil der Landesregierung, und rechnerisch hätte es nach der Wiederholungswahl – wenn auch sehr knapp – sogar für eine Neuauflage der rot-grün-roten Koalition gereicht. Doch von der hatten maßgebliche Teile der SPD schon lange die Nase voll und nach der Wahlschlappe erst recht. Grüne und Linke haben bislang ihre Schockstarre nach der Verbannung auf die Oppositionsbänke noch nicht überwunden. Viel mehr als Geschimpfe auf den „Verrat der SPD“ und trotziges Beharren auf die tollen „Erfolge“ ihrer bisherigen Politik kommen da derzeit nicht. In der Innenstadt gibt es ab und zu ein paar mäßig frequentierte – und zweifellos berechtigte – Proteste von empörten Fahrradfahrern, und die auch intern schon längst reichlich geschredderte „Initiative Deutsche Wohnen&Co enteignen“ ist längst auf Bonsai-Format geschrumpft. Sie leckt vor allem ihre Wunden und gibt sich überrascht, dass man in einem kapitalistischen Staat nicht einfach Wohnungskonzerne per Stimmzettel enteignen kann.

Steilvorlage für die AfD, aber die Party geht weiter

Jene gut zwei Drittel der Berliner, die außerhalb der Innenstadt wohnen, interessiert das überwiegend nicht die Bohne. Die wollen vor allem wissen, wie sie künftig ihre Mieten und Heizkosten und ihre Lebensmittel bezahlen können, wie der ungebrochene Zuzug von Flüchtlingen bewältigt werden soll oder was mit den maroden Schulen passiert. Darauf und auf vieles andere mehr bekommen sie auch von dem neuen Senat keine Antwort. Die im Umfeld der Wahlwiederholung teilweise recht aufgeheizte politische Stimmung ist längst wieder einer gewissen Agonie gewichen. Achselzuckend geht man durch vermüllte Straßen und Parks und hofft, dass der Bus nur einmal ausfällt und der Kelch der „betrieblichen Störung“ oder des „Schienenersatzverkehrs“ bei der S-Bahn an einem ab und zu vorbeigeht. Der Krieg und die unsägliche Rolle, die Deutschland dabei spielt, ist aus der öffentlichen Diskussion weitgehend verschwunden. Die Menschen sind müde, fühlen sich hilflos und auch ein bisschen wütend. Sie wollen irgendwie abgeholt werden – ein Job, den die AfD sehr gerne übernehmen wird, und in gut drei Jahren wird in der Hauptstadt wieder gewählt.

Derweil geht die Party in der Innenstadt ungebrochen weiter. Am Sonnabend durften wieder über 200.000 Raver bei der Neuauflage der Love-Parade den Tiergarten vermüllen, in zwei Wochen beim Christopher Street Day werden es noch wesentlich mehr sein. Bars und Restaurants sind voll. Die einschlägigen Parks auch, und wer nicht allzu breit ist, wird es auch schaffen, im Morgengrauen nicht über einen der zahlreich dort campierenden Obdachlosen zu stolpern. Also trotz Regierungswechsel alles ganz normal, wie es sich für die deutsche Hauptstadt gehört.

Titelbild: Mickis-Fotowelt/shutterstock.com