Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen – Akt der Menschlichkeit oder eine Art politischer Perversion?

Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen – Akt der Menschlichkeit oder eine Art politischer Perversion?

Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen – Akt der Menschlichkeit oder eine Art politischer Perversion?

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

In diesem Beitrag geht es nicht um die Hintergründe dieses Krieges, der, wie der UNO-Generalsekretär Guterres es formuliert hat, „nicht im luftleeren Raum stattfindet“. Es geht auch nicht um die Darstellung der aktuellen Situation im Gazastreifen, die aus den warmen Sesseln der „westlichen“ Wohnungen sowieso nicht beurteilt werden kann, weil, wie in jedem Krieg, als Erstes die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wird. Es geht auch nicht darum zu beurteilen, ob Israel diesen Krieg militärisch gewinnen kann, weil es ja letztlich eine Ideologie vernichten müsste. Nein, es geht in diesem Beitrag darum, ob die humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen wirklich ein Akt echter Menschlichkeit ist oder vielleicht eher eine Art von Perversion der Politik. Von Jürgen Hübschen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Krieg zwischen der Hamas und Israel

Seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 herrscht ein offener Krieg zwischen der Hamas und Israel. Die seitdem stattfindenden Ereignisse dominieren die Schlagzeilen der „westlichen Presse“ und haben den Ukrainekrieg auf einen Nebenschauplatz verdrängt, obwohl dort auch noch jeden Tag gestorben und ein Land immer weiter zerstört wird. Aber ein Thema, das auf den Titelseiten der Presse abgehandelt und in Rundfunk und Fernsehen einen breiten Raum einnimmt, zwingt auch die Politiker, die eigene Agenda darauf abzustimmen. Auf diese Weise erfahren die Menschen weltweit nicht nur, wie sich Israel für den Terrorangriff der Hamas rächt, sondern dass dieses Vorgehen als ein legitimer Akt der Selbstverteidigung eingestuft wird.

Die der Form halber immer ergänzte Aussage, dass sich Israel bei seiner Verteidigung an Recht und Gesetz halten muss, kann man durchaus als eine Pflichtübung bezeichnen, weil es nämlich offensichtlich keinen Politiker stört, dass Israels Handeln zunehmend von Rache und nicht mehr von Recht und Gesetz bestimmt wird. Israel – oder sagt man vielleicht besser: Premierminister Netanjahu? – will die Hamas vernichten nach dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, lässt dabei jede Verhältnismäßigkeit vermissen, weist jede Form von Kritik zurück, verstößt durch massive Luft- und Artillerieangriffe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und missbraucht auf diese Weise das ihm zugestandene Recht auf Selbstverteidigung in sträflicher Art und Weise. Fachleute gehen davon aus, dass die Hamas über ca. 40.000 Kämpfer verfügt, das entspricht weniger als 2 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens. Um diese 40.000 auszuschalten – was vermutlich gar nicht gelingen wird – werden Tausende unschuldige Menschen getötet, verstümmelt, traumatisiert, aus ihren Häusern vertrieben und ganze Ortschaften durch israelische Bomben, Raketen und Artillerie plattgemacht. Die Gefahr, dass es zu einer Ausweitung dieses Krieges kommt, ist immer noch imminent, und die Frage, was nach diesem Krieg kommen soll, ist völlig ungeklärt.

Humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen – ein echter Akt der Menschlichkeit oder eine Art von politischer Perversion?

Während weltweit die Stimmen nach einem vollständigen Cease Fire (Waffenstillstand) immer lauter und die Forderungen nach einer Lösung des Konfliktes immer unüberhörbarer werden, lehnt Premierminister Netanjahu einen Waffenstillstand ab und wird in seiner Haltung dabei von den USA und der Mehrheit der westlichen Staaten unter Hinweis auf das israelische Recht auf Selbstverteidigung unterstützt. Da diese unnachgiebige Haltung das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung aber ständig vergrößert und die schrecklichen Bilder davon immer unerträglicher werden, will „der Westen“ wenigstens nicht mehr tatenlos zusehen, wie es den Menschen im Gazastreifen an allem fehlt. Es gibt für die mehr als 1 Million Vertriebenen keine festen Unterkünfte mehr, keine regelmäßige Verpflegung und die Gesundheitsversorgung ist in einer Form zusammengebrochen, dass es glaubhafte Berichte gibt, dass mittlerweile auch Kindern ohne Narkose Gliedmaßen amputiert werden. Deshalb fordert „der Westen“ einen humanitären Waffenstopp, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen.

Auf dem G-7 war dies ein wesentlicher Punkt auf der Agenda, und auch auf der internationalen Konferenz, zu der Präsident Macron nach Paris eingeladen hat, geht es darum, die humanitäre Situation der Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Die Forderung nach einem Ende dieses Krieges, selbst nach einem Stopp der Bombardierung des Gazastreifens wird überhaupt nicht gestellt, und auch das Thema, was geschieht „danach“, steht nicht auf der Agenda der EU, der G-7-Staaten oder der USA. So stellt sich die Frage, ob es hier wirklich um echte Menschlichkeit geht oder vielleicht eher um eine Art von pervertierter Politik.

Mit einem gewissen Zynismus könnte man fragen: Will „der Westen“ die Menschen im Gazastreifen erst satt machen, sie gesundheitlich versorgen, sich um Unterkünfte für die Vertriebenen bemühen, bevor sie durch israelische Bomben, Raketen und Granaten weiterhin getötet, verletzt, traumatisiert oder bei lebendigem Leib verschüttet werden? Ist das wirklich humanitäre Unterstützung oder nicht eher nur die Beruhigung des schlechten Gewissens, weil es doch eigentlich jedem verantwortungsbewussten Politiker klar sein müsste, dass die beste humanitäre Unterstützung eine sofortige Beendigung des Krieges oder wenigstens ein Stopp der Bombardierung wäre.

Durch die aktuelle westliche Politik entsteht der Eindruck, dass man sich davor fürchtet, dem israelischen Premierminister klipp und klar zu sagen, dass dieses Bombardement aufhören muss, was ja nicht automatisch die Forderung beinhaltet, dass sich die israelischen Truppen umgehend aus dem Gazastreifen zurückziehen müssen. Es geht in erster Linie nicht darum, den Kampf gegen die Hamas einzustellen, sondern damit aufzuhören, diesen Kampf zu Lasten der Zivilbevölkerung zu führen. Die Methode, unschuldige Menschen zu bombardieren und dadurch zu töten, zu verletzen oder zu vertreiben, um auf diese Weise Druck auf ein handelndes Regime auszuüben, ist mit den Wertvorstellungen des christlichen Abendlandes nicht zu vereinbaren und hat auch noch nie funktioniert.

Israel hat den Anspruch, eine Demokratie zu sein, und für einen Rechtsstaat gibt es nun einmal klare Regeln, auch dann, wenn er von Terroristen oder anderen Gewalttätern angegriffen wird, denen das Völkerrecht und auch ethische Grundsätze egal sind. Wenn man so will, ist es ein Nachteil von Demokratie, dass Verbrechen anderer dasselbe eigene Handeln nicht rechtfertigen. Die Zeiten, in denen das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eine Handlungsmaxime war, müssen unwiderruflich der Vergangenheit angehören.

Als eine Kompromissformel oder als eine ehrliche humanitäre Unterstützung sollte „der Westen“ nicht auf einem sofortigen und aktuell wohl auch kaum zu erreichenden umfassenden Cease Fire bestehen, sondern als einen ersten Schritt fordern, dass die israelischen Luft- und Artillerieangriffe sofort eingestellt werden, weil die sich mehr gegen die Zivilbevölkerung richten als gegen die Hamaskämpfer, die sich vermutlich vorwiegend in dem riesigen Tunnelsystem aufhalten.

Ein Ende der Bombardierung ist aus meiner Sicht die Voraussetzung für eine ehrliche humanitäre Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen.

Titelbild: Shutterstock / Anas-Mohammed

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