Frage: Wer haut gerade wieder feste auf die Bürgergeld-Empfänger drauf?

Frage: Wer haut gerade wieder feste auf die Bürgergeld-Empfänger drauf?

Frage: Wer haut gerade wieder feste auf die Bürgergeld-Empfänger drauf?

Ein Artikel von Frank Blenz

Eine Antwort: Die, die nicht betroffen sind, die besser Gestellten und die, die trotz unfairer Löhne arbeiten und sich über die, die nicht arbeiten, aufregen. Der deutsche Michel ist vergesslich, also in Sachen eigener Geschichte. Er erinnert sich vielleicht nicht mehr, dass vor Jahren Menschen, die arbeitslos waren, im Volksmund „Hartzer“ genannt wurden. Mit dem verhöhnenden Kosenamen ging eine permanente Herabwürdigung der betroffenen Mitbürger einher. Worte wie Sanktionen, Streichung der Mittel, Fordern und Fördern, wobei das mit dem Fordern hauptsächlich Praxis war, rundeten das Canceln (das Wort gab es damals noch nicht) der im Abseits stehenden Menschen ab. Dann „gelang“ es doch tatsächlich, zunächst, das Wort „Hartz“ zu streichen und die dazugehörende Unterdrückungspolitik auf kosmetische Weise zum Schein zu beenden. Wie schön klang das Wort Bürgergeld. Doch … Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Einst hieß es „Hartzer“, jetzt wird am Bürgergeld gekratzt

Bis heute gibt es für das Wort „Hartzer“ noch kein schlagkräftiges Kose-Nachfolgewort kalter und zynischer Bezeichnung für Empfänger sozialer und finanzieller Hilfsleistungen, das bis in den normalen Sprachgebrauch in den Volksmund Einzug hielt. „Bürgergeldler“ kommt manchem Sprachtüftler vielleicht in den Sinn. Nachdem die früheren, den zahlreichen „hartzenden“ Menschen schadenden Gängelungen und Sanktionierungen – bis hin zur kompletten Streichung von Zuwendungen – beendet sind, basteln die wohlhabenden und sich selbstsicher und verdienstvoll wähnenden politischen Entscheider in Berlin gerade wieder an einer neuen Form des Niederhaltens der aktuell Betroffenen und etwaiger künftiger Empfänger, falls diese in eine wirtschaftliche, gleich soziale Schieflage geraten. Das Bürgergeld muss gekürzt werden, die Erhöhung ist zu hoch, Arbeit lohnt sich gar nicht mehr, so tönt es heftig und falsch.

Das Dauerfeuer aus der Politik (besonders aus den Kreisen der CDU und der FDP), der Wirtschaft, der Gesellschaft im Verbund mit meinungsführenden Medien im Rahmen der auf Linie fixierten Erziehung der Bundesbürger zielt einzig darauf ab: Treten von oben nach unten. Die Menschen mit Bürgergeld nehmen unfreiwillig die Funktion der Zielscheibe ein. „Alle drauf“ lautet das unausgesprochene Motto. Nicht wenige, die in Arbeit und somit ein bisschen mehr anerkannt sind, machen dabei sogar mit, und zwar gegen ebendie, die ohne Job (und Ansehen?) sind. Von Otto Normalverbrauchern und von Bessergestellten werden diese Mitbürger verachtet, das Erziehungsziel ist erreicht. Sogleich springt die Opposition bei, in Person zum Beispiel von CDU-Großmeister Friedrich Merz, der in seinen Kreisen gern für seine brillanten Reden gelobt wird. Der Christ zweifelt an den verfassungsgemäßen Ansprüchen betroffener Mitbürger (und Wähler?) und keift gegen den regierenden Parlamentskollegen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der in seiner Regierung ebenfalls geizige Taschenrechner wie den Finanzminister Christian Lindner (FDP) weiß. Doch wissen Merz wie Lindner auch:

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Regelsätze sowohl 2023 als auch für 2024 nicht willkürlich erhöht. Wie stark diese steigen, ist im Zwölften Sozialgesetzbuch festgelegt. Demnach wird alle fünf Jahre mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) der tatsächliche Bedarf eines Erwachsenen, Kindes und einer Familie anhand der realen Ausgaben deutscher Haushalte ermittelt. Weil die letzte EVS noch aus dem Jahr 2018 stammt – aktuell wird eine neue ermittelt – werden die Regelsätze in den Jahren ohne aktuelle EVS nach einer bestimmten Formel berechnet. Die Erhöhung richtet sich dabei nach einem Mischindex, der zu 70 Prozent aus der Inflationsrate für die für Regelsätze relevanten Waren und Dienstleistungen und zu 30 Prozent aus der Entwicklung der Nettolöhne besteht. Maßgebend sind dabei die Daten vom Juni des Vorjahres. Für die Regelsatz-Erhöhung für 2024 ist also die Inflationsrate und Nettolohnentwicklung vom Juni 2023 entscheidend.

Um das Bürgergeld weniger stark zu erhöhen, müsste Merz also eine Berechnungsmethode finden, die verfassungsgemäß das im Grundgesetz garantierte Existenzminimum niedriger ansetzt. Das dürfte schwer werden und selbst, wenn Sie kein Bürgergeld bekommen, sollten Sie hoffen, dass er das nicht schafft.
(Quelle: Focus)

Dem umtriebigen, durchrechnenden CDU-Politiker Merz und all den anderen Kollegen, denen soziale Wärme nicht eigen sind, sei eine Mitteilung des Bundestages zur Lektüre noch mal in Erinnerung zu bringen:

Berlin: (hib/HLE) Das sächliche Existenzminimum eines Erwachsenen soll im kommenden Jahr 10.908 Euro betragen. Für 2024 geht der von der Bundesregierung als Unterrichtung vorgelegte 14. Existenzminimumbericht (20/4443) von 11.472 Euro aus. Außerdem wird das sächliche Existenzminimum eines Kindes mit 6.024 Euro für 2023 und mit 6.384 Euro für 2024 angegeben.
Der Entwurf des Inflationsausgleichsgesetzes (20/3496, 20/3871) sah dagegen zunächst eine Erhöhung des Grundfreibetrages ab 2023 um 285 Euro auf 10.632 Euro und ab 2024 um 300 Euro auf 10.932 Euro vor. Der Kinderfreibetrag sollte ab 2023 um 140 Euro auf 5.760 Euro und ab 2024 um weitere 228 Euro auf 5.988 Euro angehoben werden. „Aufgrund der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer Anpassung der vorgesehenen Erhöhungsbeträge beim Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag für 2023 und 2024 wird die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend aktiv werden.“
(Quelle: bundestag.de)

Minimum ist das Mindeste im Kontext zur Würde des Menschen

Das Existenzminimum wird also ziemlich genau und doch knausrig ausgerechnet und den Betroffenen zähneknirschend zugestanden. Und bei nicht wenigen Bürgern, die in Lohn und Brot stehen und damit, so die Erzählung, zur Gesellschaft gehören und in der Rangordnung eine Stufe höher stehen als die Bürger mit dem Bürgergeld, herrscht indes Unbehagen – gegen die Bürgergeld-Menschen. Das liegt auch daran, weil das Konstrukt unserer Karriereleiter-Leistungsgesellschaft unter anderem auf dem Prinzip „Teile und Herrsche“ basiert. Dieses Spalten verfängt und hat zur Folge, dass die Menschen diejenigen, die sie „unter sich“ wähnen, angreifen. Komisch, umgekehrt, also bei denen, die Geld wie Heu haben, hält sich der Protest der Tretenden in Grenzen. Nach oben treten?

Sei es, wie es sei, das Existenzminimum (die grundlegende Basis, um dem Grundgesetz etwas gerecht zu werden) erhält jemand angeblich leistungsfrei. Niedrige Löhne sind ebenfalls nahe am, knapp über oder sogar unter diesem Minimum eingetaktet. Klar, dass man da ins Grübeln und zum (teile und herrsche erwünschten) Schluss der Spaltungsgedanken kommen könnte: Warum soll ich arbeiten, wenn andere in der Hängematte liegen? Es geschieht denen schon recht, dass ihnen noch weniger als das Minimum zugestanden wird, dass sie kontrolliert, sanktioniert, bevormundet werden. Arbeit gibt es doch genug. Wirklich?

Welche Arbeit zu welchem Lohn und zu welchen Bedingungen?

Deutschland ist ein Land von (zu) vielen befristet angestellten Menschen, Minijobbern, Aufstockern, schlecht bezahlten Menschen, von Menschen, die aufgegeben haben, sich zu bewerben oder bei Annahme in Probezeit zu arbeiten, um dann doch wieder freigestellt zu werden. Freigestellt? Nein, gefeuert werden die. Doch sie alle haben ein Jetzt und eine Zukunft verdient, die würdevoll ist. Doch man schaue sich um, sie bleiben in der Schleife aus Hoffen und Bangen, man lässt sie zappeln. Beispiele? In Hochschulen und Unis arbeiten die Eliten der Zukunft vielfach in Befristungen, in Bayern werden Pädagogen in den Ferien auf die Straße gesetzt. Es fehlen Lehrer, Mediziner, Fachkräfte, sogar Unternehmer, die, die kleine Firmen aufmachen, den Mittelstand verkörpern, der doch unseres Landes berühmte und geschätzte Stütze allzeit war. Die Hürden, in Arbeit zu kommen, sind hoch. Wer ein kleines Unternehmen aufmachen will, kann an Bürokratie und Standesdünkel verzweifeln. Die, die eines haben, ebenso.

Klartext gesprochen: Was wird wirklich gesucht von den Arbeitgebern? Antwort: Solche Menschen, die flexibel bis zum Kniefall sind, die wenig Geld verlangen, permanent verfügbar sind, keine privaten Verpflichtungen haben, die jung sind und doch Erfahrung eines gestandenen Bürgers haben, Menschen, die möglichst unauffällig, angepasst, wohlwollend, unkritisch und biegbar sind. Am Werktor oder am Firmeneingang wird der Titel „Mündiger Bürger“ abgegeben, und neuerdings gehen die Arbeitgeber sogar noch weiter und bevormunden ihre Mitarbeiter bis ins Private. Nein? Man braucht sich nur mal die Verhaltensregeln von Firmen (Compliance) anschauen, die ihren Untergebenen vorschreiben, ob und was sie zum Beispiel in sozialen Medien veröffentlichen. Vor nicht langer Zeit wurde ihnen auch beim Verhalten in Sachen eigener Gesundheit hereingeredet, empfohlen, verpflichtet, erpresst.

Merz’ Sache ist der Klassenkampf schon – von oben

Die Lage der Bürgergeld-Menschen ist eine nicht zu beneidende und die Lage derer, die zur Arbeitnehmerschaft gehören, ebenso. Gegeneinander anzugehen ist sinnlos. Gerade jetzt kämpfen zigtausende Arbeiternehmer um bessere Löhne – im Einzel- und im Großhandel: bislang erfolglos. Wo hört oder liest man vom Christdemokraten und potenziellen Kanzlerkandidaten Merz davon, dass dieser sich einsetzt, damit die Leute, die unsere Supermärkte, Lager, Lieferketten am Laufen halten, auf dass wir alle etwas zu Essen kaufen können, endlich mehr bekommen und gerecht bezahlt werden? Nebenbei: Diese Leute erwirtschaften den Mehrwert, den Profit – nicht die Eigentümer, die Arbeitgeber. Und die stehen den Arbeitnehmern nicht partnerschaftlich gegenüber, wie früher gern gesagt wurde (in Zeiten der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft). Das nennt man Klassenkampf, den Kampf zwischen Arbeiterklasse und Kapitalisten. Das wurde einst sogar in Schulen besprochen. Der Kampf von oben gegen unten sieht weiter so aus: Bei den Bürgergeld-Menschen wird am Kürzen und am Zweifel gegen diese Menschen gearbeitet, gehetzt, gespart. Bei denen, die in Arbeit sind, werden Lohnerhöhungen systematisch verwehrt. Die Forderung muss daher lauten: faires Bürgergeld und faire Löhne!

Titelbild: Dueringerto/shutterstock.com