„Wir müssen uns das Geld von den Superreichen holen!“

„Wir müssen uns das Geld von den Superreichen holen!“

„Wir müssen uns das Geld von den Superreichen holen!“

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Das Etaturteil des Bundesverfassungsgerichts lässt die Ampel wanken. Schuldenbremse kippen oder noch mehr Sozialkahlschlag? Es gibt eine bessere Alternative, meint Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Kassiert bei denen ab, die seit 25 Jahren Kasse machen – dank Spardiktaten, Privatisierungen und Schattenhaushalten. Im Interview mit den NachDenkSeiten spricht er Klartext: „Schluss mit dem Verfall der Daseinsvorsorge und her mit einer fetten Vermögenssteuer.“ Dafür müsse man nur noch das politische Personal auf Linie bringen. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Waßmuth, das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts schafft laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „neue Realitäten“. Besieht man sich die jetzt von der Ampelkoalition diskutierten Rezepte, mit denen sie über Nacht etliche Milliarden Euro im 2024er Bundeshaushalt einsparen will, dann läuft es augenscheinlich auf weitere Kürzungen beim Sozialen hinaus, etwa beim Bürgergeld, der Rente oder der Migration: Was wäre daran so neu?

Ich finde es interessant, wie es gelungen ist, dass jetzt über die Schuldenbremse diskutiert wird und über sogenannte neue Realitäten. Stellen Sie sich vor, die Ampelregierung hätte nicht zu tricksen versucht, sondern wäre gleich losgegangen auf die Kürzungen von Sozialleistungen. Welche Diskussion hätten wir dann? Ich behaupte mal, dann wären Hunderttausend auf der Straße, Gewerkschaften und Sozialverbände würden Sturm laufen wie vor der Einführung der Hartz-Gesetze.

Nun bringt die Koalition aber auch selbst Opfer. Die sogenannte Aktienrente, ein Lieblingsprojekt der FDP, soll nun doch nicht kommen – vorerst. Freut Sie das nicht?

Beim Suchen nach den verlorenen Milliarden ist aufgefallen, dass der Staat trotz seiner Schulden auch Geld in Aktien anlegen will. Man wollte angeblich mit Schulden für die Rente spekulieren, tatsächlich ging es um den Einstieg in die Rentenprivatisierung. Das Modell war auch vor dem Karlsruher Urteil schon absurd! Aber als FDP-Baby haben Grüne und SPD das für den Koalitionsfrieden toleriert. Aber jetzt sind die Koalitionspartner aneinandergeraten und da wurde das Ding kassiert. Wenn die Opposition so schwach ist wie bei uns im Bundestag, muss man sich freuen, wenn die Regierung sich streitet.

Aber es wird noch besser: Die Schuldenbremse wackelt. Die entsprechenden Vorschläge reichen von Aussetzung über Modifizierung bis hin zur kompletten Abschaffung. Das haben Sie und Ihre Mitstreiter doch stets gefordert.

Schuldenbremse war seit jeher Orwell’sches Neusprech. Das Ding ist ein Instrument, um Geld umzuverteilen von unten nach oben. Es wurden ja viele neue Staatsschulden gemacht, seit dieses Kreditaufnahmeverbot im Grundgesetz steht! Nur waren das Schulden in teuren Schattenhaushalten, für diese ganzen Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft und bei der Deutschen Bahn. Nicht in den offiziellen Haushalten, wo ab 2007/08 Niedrigzinsen und dann Nullzinsen herrschten. Offizielle Staatsschulden haben den Banken nach der Finanzkrise nichts mehr eingebracht und so wurden sie mit einem quasireligiösen Bannstrahl belegt. Inzwischen wurden die offiziellen Zinsen von der Europäischen Zentralbank schlagartig hochgesetzt. Und prompt werden offizielle Staatsschulden wieder freundlich betrachtet.

In der Nullzinsphase hätte der Staat allerhand nachholen können, was über Jahrzehnte vernachlässigt wurde, Stichwort: Investitionstau. Warum wurde das unterlassen?

Ja, wir könnten jetzt ein reiches Land sein, mit brummender Wirtschaft und breiten Daseinsvorsorgeleistungen für alle! Und mit hohen Steuereinnahmen. Es kommt eben unbedingt darauf an, was man mit den Schulden macht. Und wie der Staat mit dem öffentlichen Vermögen umgeht, wie er seine Einnahmen und Ausgaben steuert. Das öffentliche Vermögen in Deutschland, also alle Werte zusammen, abzüglich aller Schulden, wurde durch die neoliberale Politik zwischen 1970 und 2020 mehr als halbiert. Und zwar nicht infolge von Schulden. Nein, man hat die Einnahmen verringert, zum Beispiel durch das Aussetzen der Vermögenssteuer 1997. Und es wurden riesige Vermögenswerte privatisiert, weit unter Wert verkauft. Die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge hat man verfallen lassen, obwohl Deutschland sich gratis hätte Geld leihen können, um zu investieren.

Warum das alles? Aus Sicht der Menschen im Land ist das doch offensichtlich blödsinnig. Weswegen wurden Schulden nur über teure Schattenhaushalte aufgenommen? Ich sage mal, so konnten die Reichen durch staatliches Handeln reicher werden. Die Reichen sind ja die Gläubiger der Schattenhaushalte und streichen deren enormen Zinsen ein. Sie profitieren auch von den Privatisierungsprozessen, die erforderlich sind, um Schattenhaushalte einzurichten. Das erfolgt ja zumeist im Privatrecht. Um das alles etwas zu verschleiern, wurde diese Form der Sonderschulden dann Sondervermögen genannt …

Davon gibt es laut Bundesrechnungshof nicht weniger als 29 …

Ja, und neun Zehntel davon bestehen aus Schulden. Letztes Jahr kamen über die sogenannten Sondervermögen zur Nettoneuverschuldung Deutschlands von 115 Milliarden Euro nochmal 80 Milliarden Euro neue Schattenschulden dazu. Und dieses Jahr wollte die Ampel sogar 150 Milliarden Euro neue Schattenschulden machen! Das Verfassungsgericht hat nicht bewertet, ob die fraglichen Ausgaben sinnvoll sind oder nicht. Die 100 Milliarden Euro Schulden für Rüstung haben die Richter nicht bemängelt, dazu war das Grundgesetz ja eigens geändert worden. Diese Schattenschulden bleiben uns also erhalten.

Zu den 29 Sondervermögen beim Bund kommen noch die ganzen Schattenhaushalte der Länder. Berlin wollte für den Schulbau, eine im Grundsatz gute Sache, eine Teilsumme von einer Milliarde Euro nicht aus dem offiziellen Haushalt bereitstellen. Heute kostet dieser Schattenhaushalt 11,7 Milliarden Euro, davon allein sechs Milliarden Euro für Zinsen. Die anderen Kostensteigerungen sind auch beachtlich, die verdankt Berlin der Intransparenz dieses Schattenhaushalts.

Man sieht: Egal, ob man das Geld für Blödsinn ausgibt oder für Sinnvolles: Schattenhaushalte können die Kosten verzehnfachen. Und das ist ein gewaltiges Instrument der Umverteilung. Wenn jemand 5.000 Euro Steuern im Jahr zahlt, gehen auf dem Wege der Schattenhaushalte 4.500 Euro an Banken, Bauindustrie und zwielichtige Beraterfirmen – statt ins BAföG, in eine anständige Kindergrundsicherung oder in eine Rente, von der man leben kann.

Sie sagen es. Da wird eine Bundesregierung der systematischen Finanztrickserei überführt, aber kein Kommentator fordert ihren Rücktritt. Die haben es ja nur gut gemeint …

Nein, die haben es nicht gut gemeint. Zumindest nicht mit den 99 Prozent der Bevölkerung, die auf einen funktionierenden Staat und eine intakte Daseinsvorsorge angewiesen sind. Es war und ist unser Steuergeld, es sind unsere Sozialversicherungsbeiträge, die diese Regierung dem reichsten einen Prozent zuschiebt.

Mit welchem Ergebnis?

Mit dem Ergebnis, dass es bei ein paar Hundert Superreichen gewaltige Sondervermögen gibt, und zwar echte, nicht solche, die aus Schulden bestehen. Ist das Geld mal bei den Superreichen, wird damit Schindluder getrieben. Das Geld horten und es dem Kreislauf entziehen, ist da noch das geringste Übel. Sehen Sie sich mal die Klimabilanz der Milliardäre an, privat und bezogen auf die Unternehmen, die ihnen gehören. Die machen diesen Planeten kaputt.

Gleichzeitig beläuft sich der Stau in der Daseinsvorsorge in Deutschland auf geschätzt 1,8 Billionen Euro. Dafür besitzt das reichste eine Prozent der Deutschen zusammen geschätzt 3,5 Billionen Euro. Beides hängt zusammen! Vor 26 Jahren wurde die Vermögenssteuer ausgesetzt, und seit 26 Jahren investiert der Staat zu wenig in die Infrastruktur! Der Zusammenhang ist nicht nur zeitlich. Seit sich Deutschland weigert, die Reichsten der Gesellschaft an den Lasten für alle angemessen zu beteiligen, rutschen wir sukzessive in die öffentliche Verarmung.

Und daraus folgt, dass Sie jetzt für den Erhalt Schuldenbremse eintreten?

Die Schuldenbremse war und ist grober Unfug. Aber wir sind absolut gegen eine Ausweitung der Staatsverschuldung zu Hochzinszeiten, während gleichzeitig die großen Privatvermögen geschont werden und quasi ungebremst in den Himmel wachsen. Wussten Sie, dass eine Kassiererin bei Lidl prozentual viel mehr Steuern zahlt als Dieter Schwarz, der Alleineigentümer aller Lidls und Kauflands? Herr Schwarz und die ganzen anderen Multimilliardäre müssen mit einer hohen Vermögenssteuer belegt werden. Sie haben sich Geld angeeignet, das uns allen gehört und das wir jetzt dringend brauchen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat wiederholt klargestellt, dass es mit ihm keine Abkehr von der Schuldenbremse geben wird. Da haben Sie sich ja einen feinen Bündnispartner geangelt …

Christian Lindner tritt ein für die Fortsetzung der unsozialen Umverteilungspolitik mit den ganzen Privatisierungen und Schattenhaushalten, so wie sie seit einem Vierteljahrhundert betrieben wird. Wenn SPD und Grüne deswegen harte soziale Einschnitte mittragen müssen, hilft das der FDP. Dann kann Lindner seiner Klientel sagen, ich habe für Euch viel rausgeholt. Nimmt Deutschland stattdessen teure Schulden auf, geht die Umverteilung aber auch weiter!

Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg: Ran an die großen Vermögen, um damit die Staatseinnahmen erheblich zu vergrößern. Wenn Lindner sich mit uns gegen die Umverteilung von unten nach oben stellt und verhindert, dass durch teure Verschuldung zu jeder ausgegebenen Milliarde noch eine Zinsmilliarde dazu kommt – herzlich willkommen! Aber wir sagen eben auch: Keine sozialen Einschnitte mehr, Schluss mit dem Verfall der Daseinsvorsorge und her mit einer fetten Vermögenssteuer für Superreiche. Ich fürchte, da geht er dann nicht mehr mit. Aber wir brauchen ihn dafür auch nicht …

Nun werden Sie das kaum allein durchsetzen können. Wie schätzen Sie in dieser Frage die Streitfähigkeit der Gewerkschaften ein?

Für die Gewerkschaften ist das eine enorme Chance. Derzeit kämpfen sie gegen die höchsten Reallohnverluste der letzten Jahrzehnte an und streiken deswegen auch häufiger. Aber streiken ist anstrengend und teuer. Und es gab jahrelang Mitgliederverluste, daran knabbern die Gewerkschaften noch. Ein großer Erfolg außerhalb von Streiks könnte ihnen erheblichen Zuwachs verschaffen.

Gemeingut in BürgerInnenhand hat eine Kampagne gestartet, die fordert, wieder eine Vermögenssteuer zu erheben und zugleich die Daseinsvorsorge per Grundgesetz zu garantieren.

Wir stehen damit erst am Anfang, bisher gibt es einen Unterschriftenaufruf unter Gemeingut.org/Daseinsvorsorge. Vermögenssteuer für Rüstung darf es nicht geben und gegen den Verfall der Infrastrukturen brauchen wir endlich etwas Einklagbares. Wir geben mit dieser Kampagne eine neue Initialzündung. Erfolgreich wird das aber nur, wenn die Gewerkschaften sich das zu eigen machen. Wir sind optimistisch – ohne ver.di und den DGB hätten wir heute keinen Mindestlohn.

In welchen zeitlichen Dimensionen denken Sie? Der Bundeshaushalt 2024 wird wohl noch im Dezember beschlossen werden. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Regierung in der Kürze auf die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einigt.

Den aktuellen Schlamassel hat sich die Ampel selbst eingebrockt. Da können wir ihnen jetzt auch nicht raushelfen. Natürlich schwenken die jetzt nicht sofort auf eine Vermögenssteuer um. Man muss aber klare Kante zeigen und sagen: Dann bleibt ihr im Dilemma gefangen. Wenn ihr den Reichen nur immer mehr gebt, müsst ihr es den anderen wegnehmen und das sind eben 99 Prozent. Und diese relevante Gruppe wird euch das sehr übelnehmen.

Bei der Wiedereinführung der Vermögenssteuer geht es um die nächste Bundestagswahl. CDU/CSU, FDP und AfD sind dagegen. Aber die werden nicht zusammen die nächste Regierung bilden, zumindest hoffen wir das schwer. Die CDU war auch gegen den Mindestlohn und trotzdem wurde der eingeführt, sogar unter einer CDU-Kanzlerin. Das war eben der Preis, um eine Koalition bilden zu können. Die Bevölkerung ist laut Umfragen längst für eine Vermögenssteuer. Die Menschen wollen generell, dass die Reichen mehr herangezogen werden für die Bewältigung der Herausforderungen der öffentlichen Hand, auch im Klimaschutz.

Also muss der Impuls aus der Bevölkerung kommen?

Ja, auch Verbände sind ja dankbar für Anstöße. Es sind schon oft gute Sachen entstanden, weil die Mitglieder ihren Verbandschefs Druck gemacht haben. Auch die Sozialverbände, Umweltverbände und die Klimabewegung sollten deutlich sagen: So geht es keinen Schritt mehr weiter. Wir brauchen die Vermögenssteuer und damit soll investiert werden in die Daseinsvorsorge und den Klimaschutz.

Umsetzen müsste das am Ende aber eine neue gewählte Regierung. Welche Konstellation kommt dafür infrage?

Die Linke ist bereits für eine Vermögenssteuer, wird aber kaum regieren. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist erst in Gründung, da muss man abwarten. Aber die SPD kommt dafür infrage. Wenn die Gewerkschaften denen Druck machen, bekommen sie Angst und bewegen sich. Die Grünen, eine inzwischen zutiefst unsoziale, neoliberale Partei, haben die Klimabewegung um Fridays for Future als Legitimation hergenommen, um überall Wettbewerb reinzubasteln.

Aber Klimaschutz durch Wettbewerb, das hat nirgendwo geklappt. Es wurde nur erreicht, dass Finanzinvestoren sich die Branchen gesichert haben, in die die öffentlichen Subventionen fließen, während der CO2-Ausstoß überall munter weiter ansteigt. Und die Grünen lassen obendrein die Kleinverbraucher den Klimaschutz bezahlen und schonen die Großunternehmer. Das kotzt die Klimabewegung inzwischen extrem an.

Woraus folgt?

Wenn die Grünen aus diesem Spektrum noch einmal gewählt werden wollen, müssen sie etwas tun. Wir hoffen, sie verstehen, dass man mit der Vermögenssteuer Wahlen gewinnen kann. Ich gehe sogar noch weiter: Die Antwort auf die Gefahr von rechts ist nicht die Übernahme von rechten Parolen oder eine immer autoritärere Politik oder die Verächtlichmachung der Wähler der AfD. Die richtige Antwort ist, die Sorgen der Leute ernst zu nehmen und die Richtung der Umverteilung umzukehren – endlich wieder von oben nach unten. Die Vermögenssteuer ist Mittel der Wahl, im doppelten Sinne. Es gibt noch andere gute Instrumente, aber die Vermögenssteuer ist das beste.

Zur Person: Carl Waßmuth, Jahrgang 1969, ist Bauingenieur und Infrastrukturexperte. Er ist Mitbegründer, Vorstandsmitglied und Sprecher beim Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) gemeingut.org, der sich für die Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen, insbesondere der Daseinsvorsorge, und für die gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit einsetzt. GiB ist Trägerorganisation der Initiativen „Bahn für alle“ und „Bündnis Klinikrettung“.

Titelbild: Elnur/shutterstock.com