Cum-Ex-Skandal: Hat Kanzler Scholz gelogen, sein Sprecher oder beide zusammen?

Cum-Ex-Skandal: Hat Kanzler Scholz gelogen, sein Sprecher oder beide zusammen?

Cum-Ex-Skandal: Hat Kanzler Scholz gelogen, sein Sprecher oder beide zusammen?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Neuste Entwicklung in der Causa Cum-Ex: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die Strafanzeige von Fabio de Masi gegen Kanzler Scholz wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss abgewiesen. Die Begründung der Staatsanwaltschaft lautet zusammengefasst: Sein Sprecher habe die Öffentlichkeit womöglich belogen und nicht Scholz selbst („…dass der Sprecher Hebestreit seine Ausführungen gemacht hat, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken“). Die NachDenkSeiten baten vor diesem Hintergrund den Regierungssprecher darum, doch bitte mal Klarheit zu schaffen, wer denn nun in der Angelegenheit mutmaßlich gelogen hat. Dieser reagierte zunächst mit der gewagten Behauptung, der Verweis des Fragestellers, dass die Staatsanwaltschaft in Hamburg weisungsgebunden ist, sei „eine Unterstellung“. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 28. August 2023 hatte der Finanzexperte Fabio de Masi Strafanzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz beim Hamburger Generalstaatsanwalt eingereicht. Begründung: Olaf Scholz hätte nachweislich unter Eid den Untersuchungsausschuss zur sogenannten Warburg-Bank-Affäre belogen und Erinnerungslücken vorgetäuscht. Er belegte dies in der Strafanzeige umfassend und detailliert (Die NachDenkSeiten berichteten hier und hier).

Genau drei Monate später, am 28. November 2023, erklärte nun die Hamburger Staatsanwaltschaft, wie alle Staatsanwaltschaften in Deutschland gegenüber der Exekutive weisungsgebunden, Dienstherrin ist im konkreten Fall die Grüne Justizsenatorin Anna Gallina, dass man beschlossen habe, kein Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler einzuleiten. Es lägen angeblich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Straftat (Lüge unter Eid vor einem Untersuchungsausschuss) vor. Denn, so die vielsagende Argumentation in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft, welches dem Business Insider vorliegt und auf Nachfrage der NachDenkSeiten so auch von de Masi bestätigt wurde:

„Es kommt (…) ebenso in Betracht, dass der Sprecher Hebestreit seine Ausführungen gemacht hat, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken.“

Die Staatsanwaltschaft schiebt den Schwarzen (Lügen-)Peter folglich vom Kanzler auf dessen Sprecher weiter. Man nennt dies gemeinhin wohl auch „Bauernopfer“.

Gegenüber den NachDenkSeiten erklärte de Masi, um seine Einschätzung des Vorgangs gebeten:

„Ich habe bei der Lektüre des Schreibens der Staatsanwaltschaft Tränen gelacht. Die Staatsanwaltschaft räumt zwar ein, dass die Vorgänge rund um die Erinnerungslücke widersprüchlich sind. Die Staatsanwaltschaft sagt aber gleichzeitig, der Kanzler habe womöglich ein Treffen mit dem CumEx-Bankier nur auf Verdacht bestätigen lassen, obwohl er sich daran gar nicht erinnert habe. Der Sprecher Hebestreit habe dabei womöglich einen Kalendereintrag nur vorgetäuscht, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken. Man hat bei der Hamburger Staatsanwaltschaft offenbar eine wilde Phantasie. Im Kern sagt die Staatsanwaltschaft: Scholz habe nicht zwingend im U-Ausschuss gelogen, weil vielleicht habe ja nur sein Regierungssprecher die Öffentlichkeit belogen. Dies zeigt, dass wir dringend politisch unabhängige Staatsanwaltschaften in Deutschland brauchen.“

Vor diesem skizzierten Hintergrund wollten die NachDenkSeiten auf der aktuellen Bundespressekonferenz von Regierungssprecher Steffen Hebestreit wissen, wer denn nun tatsächlich gelogen hat, er, sich für Olaf Scholz opfernd, oder doch der aktuell amtierende Kanzler höchstpersönlich. Der Austausch geriet für einige recht unterhaltsam:

Quellenbelege für die getroffenen Aussagen bei der Bundespressekonferenz:

  1. „Weisungsgebundene Staatsanwaltschaft“
    Die Behauptung des Regierungssprechers, es würde sich bei dem Verweis darauf, dass Staatsanwaltschaften in Deutschland weisungsgebunden seien, um „eine Unterstellung“ handeln, lässt sich recht leicht mit einem Verweis auf folgende Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages widerlegen. Dort heißt es unmissverständlich:

    Deutschlands Staatsanwälte sind weisungsgebunden und in eine hierarchische Ordnung eingegliedert. Die Weisungsgebundenheit ist mithin der entscheidende Unterschied zum Berufsbild des Richters, der in seinen Entscheidungen unabhängig ist (Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG)). (…) Weisungen können sich mangels gesetzlicher Beschränkung auf jede staatsanwaltschaftliche Aufgabe und jeden Zeitpunkt beziehen.“

    Dieser Sachverhalt wurde auch bereits vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) kritisiert. Dieser stellte in einem Urteil vom 27. Mai 2019 fest, dass deutsche Staatsanwaltschaften nicht hinreichend unabhängig gegenüber der Exekutive seien. Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen seit diesem Urteil keine Europäischen Haftbefehle mehr ausstellen, da die Gefahr einer Einflussnahme durch die Exekutive bestehe, etwa durch ein Justizministerium.

  2. Quelle für Zitat „Du darfst nicht lügen”

    Das in der zweiten Frage angeführte Zitat „Für jeden Regierungssprecher, jede Regierungssprecherin gilt: Du darfst nicht lügen“ findet sich in folgendem Interview mit dem Medienmagazin Journalist vom 2. Mai 2022: JOURNALISMUS UND DEMOKRATIE -“Du darfst nicht lügen”

  3. Belege für die Lügen von Scholz und seinem Pressesprecher

    Im Februar 2020, der Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaft lief gerade auf Hochtouren, veröffentlichten ZEIT und NDR Auszüge aus Dokumenten (Tagebuch des Privatbankers Olearius), aus denen hervorging, dass Scholz sich entgegen der bisherigen Darstellung sehr wohl Ende November 2017, mitten im aufgeflogenen Steuerskandal, zumindest einmal mit dem Miteigner der Warburg-Bank getroffen hatte – in seinem Amtszimmer.

    Erst nach dieser Veröffentlichung räumte Scholz das Treffen ein – und ließ über seinen damaligen Pressesprecher im Finanzministerium, Steffen Hebestreit, Folgendes verlautbaren:

    „Zu den Aufgaben eines Ersten Bürgermeisters gehört es, mit den Wirtschaftsvertretern der Stadt im regelmäßigen Austausch zu stehen. So hat es auch ein Treffen von Olaf Scholz mit Herrn Olearius im November 2017 im Amtszimmer des Bürgermeisters gegeben, wie aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters hervorgeht, der der Senatskanzlei vorliegen müsste. Wieso dies bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht berücksichtigt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“

    An der Korrektheit von dessen Darstellung bestehen erhebliche Zweifel, de Masi spricht in diesem Zusammenhang davon, dass dies „mehrfach gelogen“ sei, und führt dies auch aus:

    1. Der Termin stand nicht mehr (oder gar nie) in Scholz’ Kalender, da der Termin laut seiner Büroleiterin im März 2018 nicht ins Finanzministerium überspielt wurde;

    2. Dem Hamburger Senat lag der Kalender nicht mehr vor, was Scholz‘ Leute wussten, da der Senat ja bei ihnen angefragt hatte;

    3. Warum der Hamburger Senat die Treffen nicht eingeräumt hatte, entzog sich nicht ihrer Kenntnis, da Scholz dafür selbst verantwortlich war. Er hatte dem Hamburger Senat nicht geantwortet.“

    Es liege, so der Finanzexperte weiter, auf der Hand, dass Scholz den Kalendereintrag vorgetäuscht habe, um später noch die Option Erinnerungslücke anführen zu können, falls die weiteren Termine noch entdeckt werden würden. Scholz, so die Erläuterung von de Masi, konnte zu dem Zeitpunkt ja nicht einschätzen, was noch in den konfiszierten Tagebüchern des Warburg-Miteigners stand und bis zu welchem Grad Journalisten dazu Zugang hatten.

    Überprüfen wir nun, soweit möglich, die drei von de Masi angeführten Punkte:

    1. „Der Termin stand nicht mehr (oder gar nie) in Scholz‘ Kalender“

    Alle verfügbaren Informationen bestätigen diese Darlegung von de Masi: Im April 2021 schickte, wie unter anderem auch DER SPIEGEL berichtet, die langjährige Büroleiterin von Scholz, Jeanette Schwamberger, ein Schreiben an den Untersuchungsausschuss in Hamburg. In diesem berichtet sie über den Umgang mit dem Terminkalender und erklärt, als Scholz 2018 von Hamburg nach Berlin gewechselt sei, habe man die Daten aus den Jahren 2014 bis 2018 „in den Ministerkalender in Microsoft Outlook übertragen“. Dazu ergänzt sie dann allerdings, und jetzt wird es interessant:

    Zum Termin (von Scholz mit Olearius) finden sich keine Einträge im Ministerkalender des Bundesministeriums der Finanzen.“

    In einer internen Mail, datiert auf den 25. April 2021, die dem STERN vorliegt und nicht vom Bundeskanzler dementiert wurde, äußert sich seine Büroleiterin noch expliziter und erklärt, sie habe „noch nie“ einen Termin mit Olearius von November 2017 im Kalender gesehen.

    Hintergrund der Aussage? Am 30. April 2021 war Scholz vor dem Untersuchungsausschuss in Hamburg geladen. Für diesen Zweck verfasste sein damaliger Staatssekretär Wolfgang Schmidt, der als engster Vertrauter des jetzigen Bundeskanzlers gilt, in Zusammenarbeit mit Scholz’ Büroleiterin einen Sprechzettel für ihn. Darin heißt es unter anderem als Formulierungsvorschlag, der per Mail an Schwamberger geht:

    Im November 2017 hat sich der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz mit Herrn Olearius in seinem Bürgermeister-Amtszimmer zu einem Gespräch getroffen. Dies ist dem Dienstkalender des Bürgermeisters zu entnehmen.“

    Darauf antwortet Scholz’ Büroleiterin laut der dem STERN vorliegenden Mail an Schmidt und Hebestreit um 22:30 Uhr:

    Das irritiert mich. Ich habe noch nie einen Termin mit Olearius von November 2017 im Kalender gesehen. Auch nicht einen Termin im Oktober 2017. Das ist alles merkwürdig, aber wir sind alle Kalender durch.“

    Später dann im Untersuchungsausschuss auf den nicht belegbaren Kalendereintrag angesprochen, präsentiert Scholz eine sehr eigenwillige Erklärung. Bedingt durch IT-Probleme im Finanzministerium seien im Kalender ab Mitte Oktober 2017 „ausschließlich Termine meines Amtsvorgängers, Bundesminister Altmaier“ zu finden. Weiter führt er aus:

    Insofern gehe ich davon aus, dass das Treffen stattgefunden haben wird, auch wenn ich daran keine eigene Erinnerung habe.“

    Doch diese Scholz’sche Version wird durch Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) Nordrhein-Westfalen zumindest teilweise infrage gestellt, denn das LKA hatte im Laufe der Untersuchungen zu Cum-Ex ein damaliges E-Mail- und Kalender-Postfach von Scholz zu seiner Zeit als Bürgermeister beschlagnahmt und dies mittlerweile ausgewertet. Diese Auswertung ist einsehbar. Für den fraglichen 10. November 2017 sind dort genau acht Termine festgehalten, beginnend von 9 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Aufgeführt werden an Terminen unter anderem der Besuch eines Forschungszentrums sowie die Eröffnung einer Fachkonferenz. Doch was fehlt, ist ein Termineintrag für das Treffen mit dem Warburg-Vertreter.

    Ebenso präsentiert sich die Lage zu den von de Masi aufgeführten Punkten 2 und 3. Denn seit letzter Woche liegt eine weitere Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der dortigen Linksfraktion vor, die wissen wollte, wieso der Senat Ende 2019 das mittlerweile eingeräumte Treffen zwischen Olearius und Scholz dementiert hatte. Die Antwort hat es in sich.

    Der Senat räumt in seiner Antwort ein, dass er damals gar keinen Zugriff mehr auf den Kalender von Scholz gehabt habe, da dieser zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin als Finanzminister tätig war. Zwar habe man entsprechend bei ihm im Bundesfinanzministerium nachgefragt, aber eine Rückmeldung sei „innerhalb der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgt“. Die Auskunft, dass es keinerlei Gespräche gegeben habe, hätte man dann auf der Grundlage gegeben, „weil grundsätzlich der Erste Bürgermeister in einem steuerlichen Verfahren nicht beteiligt ist“.

    Alles spricht gegen die Version von Scholz

    Wir können festhalten: Alles spricht für die Darlegung von de Masi und alles gegen die Wahrhaftigkeit der Erklärung von Hebestreit im Namen des jetzigen Bundeskanzlers und auch bezüglich Scholz’ eigener Aussagen vor dem Finanzausschuss des Bundestages sowie, in seiner Implikation noch gravierender und strafrechtlich relevant, gegenüber dem Hamburger Untersuchungsausschuss.

    Auf Grundlage dieses neuen Erkenntnisstandes gerät die gesamte bisherige Argumentationsgrundlage des amtierenden Kanzlers endgültig ins Wanken. Denn Scholz räumte zwar häppchenweise und nur nach medialem Druck zumindest drei Treffen mit dem kriminellen Banker ein, berief sich dabei aber immer auf angebliche Kalendereinträge. Eigene Erinnerungen, so betonte er es immer wieder vor dem Bundestag und dem Hamburger Senat, hätte er an keines der Treffen.

Protokollauszug von der Regierungspressekonferenz am 6. Dezember 2023:

Frage Warweg
Herr Hebestreit, ich muss noch einmal auf das leidige Thema von Cum-Ex und den angeblichen Erinnerungslücken von Olaf Scholz zurückkommen. Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft in Hamburg hat die Strafanzeige von Fabio De Masi wegen uneidlicher Falschaussage abgewiesen, und zwar mit der Begründung, der Sprecher von Scholz und nicht Scholz selbst habe die Öffentlichkeit womöglich belogen. Wenn ich kurz zitieren darf:

„dass der Sprecher Hebestreit seine Ausführung gemacht hat, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken.“

Das heißt, dass die Staatsanwaltschaft jetzt Ihnen ein wenig den Schwarzen Peter zuschiebt. Können Sie ein bisschen Klarheit schaffen und sagen, wer mutmaßlich gelogen hat, Sie, sich selbstlos für den künftigen Kanzler opfernd, oder Olaf Scholz selbst?

Regierungssprecher Hebestreit
Herr Warweg, wenn ich alle Unterstellungen, die Sie in Ihre Frage gepackt haben, unter anderem gegenüber der Staatsanwaltschaft Hamburg, einmal weglasse – – –

Zusatz Warweg
Ich habe zitiert.

Hebestreit
Nein, Sie haben eine Unterstellung gemacht. Mit der Erwähnung, dass sie weisungsgebunden ist, wollen Sie ja etwas insinuieren. Wenn ich das alles weglasse, dann habe ich von dieser Stelle aus zu dieser Thematik – hier sitze ich als Regierungssprecher und spreche für die Bundesregierung der aktuellen Legislaturperiode – gar nichts beizutragen, kann aber sagen, dass das, was ich Ihnen das letzte oder das erste Mal, als Sie die Frage gestellt haben, gesagt habe, dass es nämlich jedem freisteht, eine Anzeige zu erstatten, und es dann an den jeweiligen justiziellen Apparaten ist, das zu beantworten, weiterhin richtig ist.

Zusatzfrage Warweg
Sie hatten dem Medienmagazin „Journalist“ in einem Interview einmal erklärt, dass einer der Grundsätze eines Regierungssprechers sei: Du darfst nicht lügen. Können Sie uns versichern, dass dieser Grundsatz auch galt, als Sie noch Sprecher von Olaf Scholz waren, als dieser noch das Amt des Finanzministers innehatte?

Hebestreit
Herr Warweg, das gilt für den Regierungssprecher genauso viel wie für Journalisten.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 06.12.2023