Medienmonopole verbreiten Einheitsmeinungen

Medienmonopole verbreiten Einheitsmeinungen

Medienmonopole verbreiten Einheitsmeinungen

Ein Artikel von Tilo Gräser

Der Schweizer Medienpsychologe Mark Galliker hat in einer Studie ausgewertet, wie in einer meinungsmachenden Zeitung in Deutschland und einer solchen in der Schweiz Soldaten dargestellt werden. Es gibt danach nur geringe Unterschiede, aber die Schweizer Sicht ist seiner Meinung nach etwas objektiver. Insgesamt verweist er auf die Macht der Meinungsmonopole und die Folgen für die Journalisten, die Einheitsmeinungen verbreiten. Tilo Gräser hat darüber mit Galliker gesprochen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Galliker, Sie haben untersucht, wie die Soldaten in Medien dargestellt werden. Das geschah an zwei Beispielen, einmal der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) in der Schweiz und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in Deutschland. Warum diese Studie, und was war das Ziel? Was haben Sie dabei herausgefunden?

Wir haben eine co-occurende-analytische, das heißt auf das gemeinsame Auftreten von Suchwörtern bedachte Methode angewandt, bei der man den Gesamtkorpus von Zeitungen untersuchen kann. Im konkreten Fall ging es darum, ob zum Beispiel „Soldaten“ und „Mörder“ ganz nahe zusammenliegen, wie bei dem bekannten Zitat „Soldaten sind Mörder“ von Kurt Tucholsky, oder wenn diese Schlüsselwörter nur im gleichen Satz oder im gleichen Absatz oder im gleichen Artikel jeweils pro Zeiteinheit in der FAZ und NZZ vorkommen, also in Tageszeitungen, die vom Umfang und von der politischen Einstellung her vergleichbar sind. Auf diese Weise kann man die bewusste Zuschreibung von dem mehr oder weniger unbewussten gemeinsamen Auftreten der Suchwörter per Zähleinheit voneinander unterscheiden.

Wir haben herausgefunden, dass seit dem 24. Februar 2022, dem nach westlichen Muster Kriegsbeginn in der Ukraine, ein tiefer Einschnitt erfolgte: Es ergab sich eine Verschiebung der Bewertung der russischen Soldaten gegenüber den ukrainischen – insbesondere, was die positive respektive negative Bewertung anbelangt. Beispielsweise wurden vor dem Krieg Helden vor allem mit den russischen Soldaten kombiniert; nach Kriegsbeginn waren plötzlich die ukrainischen Soldaten häufiger die Helden. Ähnliche Verschiebungen ergaben sich auch für andere Zuschreibungen, wie zum Beispiel mit der wohl sachlich zutreffendsten und nichtdiskriminierenden Aussage: Soldaten sind Opfer. Die russischen Soldaten waren nun nicht mehr vor allem Opfer, sondern das waren jetzt in erster Linie die ukrainischen Soldaten.

Opfer wovon?

Zwar nicht im Sinne der untersuchten Zeitungen, aber in Wirklichkeit sind die Soldaten beidseitig Opfer vom Krieg und des Kapitals, das in seiner Krise nicht viel anderes kann als Krieg; etwas, was jene Ökonomen wissen, die sich mit der Bewegung des Kapitals beschäftigen. Soldaten werden von den Leitmedien nach wie vor noch oft als „Helden“ dargestellt. Seit Anfang 1994 geschah das bis zum 3. Juli dieses Jahres in der FAZ 2.443-mal und in der NZZ 1.626-mal. Seit Beginn des Ukraine-Krieges waren in der FAZ und in der NZZ die gegenläufigen Verschiebungen (Abnahme Russland – Zunahme Ukraine) der erfassten Prädikative „Helden“ und „Opfer“ ähnlich, aber mit dem kleinen Unterschied, dass die NZZ die russischen Soldaten auf der bewussten Ebene und nur auf dieser weiterhin gleich häufig unmittelbar mit „Opfer“ verband. Anscheinend sind sich die Journalisten und Journalistinnen der NZZ ein wenig bewusster, was die Geschichte anbelangt. Sie haben bei den Russen nicht einfach das „Opfer“ minimiert, wie dies in der FAZ der Fall ist.

Sodass der Unterschied nicht so groß ist.

Es ist ein Unterschied zwischen explizit und implizit, bewusst und nicht bewusst. Wenn „Soldat“ und „Opfer“ nicht unmittelbar nebeneinander auftauchen, sondern nur im gleichen Artikel, können die beiden Suchwörter auch zufällig miteinander vorkommen; das heißt, die Kombination ist nicht unbedingt bewusst vorgenommen worden, wie dies bei Nomen, Kopula und Prädikativ der Fall ist. Die Zuschreibung ist nicht explizit wie bei „Soldaten sind Opfer“ beim Miteinander-Auftreten der Suchwörter per Absatz oder Artikel, sondern allenfalls implizit. Wie erwähnt sind explizite Zuschreibungen von Soldaten als Opfer seit dem Beginn des Krieges in Bezug auf Russland in der NZZ nicht zurückgegangen, jedoch in der FAZ. Ähnliche Verhältnisse, die sich auf die bewussten und eben eher unbewussten Vorgehensweisen der Medienschaffenden beziehen, sind auch bezüglich anderer Suchwörter nachweisbar.

Was kann die Ursache sein? Ich vermute, bei der FAZ wirkt immer noch ein in Deutschland weitverbreiteter Antirussismus, der historisch bedingt ist. Lässt sich das damit erklären?

Ja, ich glaube, das ist so. Deutschland ist natürlich viel mehr in diese kriegerische Auseinandersetzung involviert als die Schweiz. Das Land spielt machtpolitisch eine viel wichtigere Rolle als die kleine Eidgenossenschaft. Auch die Verknüpfung mit anderen EU- und US-Monopolen, insbesondere in der Waffenindustrie, ist viel stärker als bei den Schweizer Konzernen. Es gibt auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sagen, Deutschland ist nach wie vor ein Protektorat der USA. Man denke nicht nur an die immer noch stationierten Soldaten (2021: 34.000), sondern auch an den US-Investmentfonds BlackRock, der an sämtlichen 30 Dax-Unternehmen signifikant beteiligt ist.

Sind deutsche Journalisten antirussisch oder russophob? Ich habe lediglich eine empirische Untersuchung vorgestellt. Ich möchte mit ihr nicht sagen, die Journalisten sind schlecht, denn sie müssen doch ihr Geld verdienen. Sie müssen sich anpassen, wenn sie für eine Zeitung arbeiten, die in den militärisch-industriellen Komplex integriert ist. Da können sie nicht mehr alles schreiben, was sie wollen. Ich denke, das sind einfach starke Interessen, die in diesem Fall in Deutschland noch stärker vorhanden sind als in der Schweiz, die zwar auch ihre Monopole hat, aber mehr in anderen Bereichen, siehe das Beispiel Nestlé. Die Schweizer Presse ist vielleicht ein bisschen neutraler, ein wenig objektiver, nicht sehr viel zwar, aber doch ein klein wenig. Das zeigt sich jetzt auch bei Israel. Hier wurde mindestens auch die palästinensische Seite von Anfang an gezeigt. In Deutschland ist es Staatsräson, Israel nicht zu kritisieren, und alle, die es trotzdem tun, werden als Antisemiten diffamiert. Doch auch die Palästinenser sind Semiten und vor allem Menschen.

Diese Untersuchung, die Sie gemacht haben, führt auch zu der Frage, welche Rolle Medien in der Darstellung von Krieg, von Militär, von Soldaten allgemein spielen. Wie würden Sie das aus Ihrer medienpsychologischen Forschung heraus beurteilen?

Ich schätze die Rolle der Medien als stark ein. Meines Erachtens ist das eklatant. Es gibt Medienwissenschaftler, die sie nicht mehr als Vierte Macht im Staat, sondern als Erste einschätzen. Die Wirklichkeit für die meisten Menschen ist die mediale Wirklichkeit, nicht die Realität an und für sich. Dieselbe wird nicht überprüft, ist für die meisten Person gar nicht direkt überprüfbar, ich meine außermedial. Früher war dies weniger schlimm, nämlich als es auch noch in kleineren Städten mehrere Zeitungen gab, mit Meinungen und Gegenmeinungen. Da hat man sich vielleicht geeinigt oder auch nicht, mehr oder weniger. Aber gegenwärtig wird aus der sogenannten Sozialen Markwirtschaft immer noch mehr eine Monopolwirtschaft, zu der auch Meinungsmonopole gehören, die einseitige Informationen verbreiten. Mit Agenda Setting, Framing, Fragmentieren, Labeling und Ähnlichem werden die Mediennutzer weitgehend beeinflusst. Die Medienschaffenden sind abhängig von ihrem Arbeitgeber. Und die internationalen Nachrichtenagenturen treffen schon vorher eine Auswahl. Sie sind meistens in US-amerikanischen Händen. Für die Journalisten ist das die Wirklichkeit, was vorselektiert zu ihnen kommt. Dann wird projiziert, wie Psychoanalytiker sagen könnten oder vielmehr sollten. Dann ist Russlands Präsident Putin der Bösewicht, und bei uns gibt es keine Bösen. Es wird personalisiert, selektiert und projiziert. Für viele Menschen ist heute die mediale Wirklichkeit die Wirklichkeit. Wenn die Mediennutzer keine alternativen Medien kennen wie zum Beispiel die NachDenkSeiten und sich auf die Tagesschau verlassen müssen, dann ist das eben die einzige Wirklichkeit für sie.

Der Journalist Patrik Baab hat zum Beispiel mit Blick auf Ukraine-Krieg gesagt: Die Medien sind die entscheidenden Kriegstreiber geworden. Wie sehen Sie das?

Ich bin eigentlich einverstanden damit. Nur das Wort Kriegstreiber gefällt mir nicht so gut. Auch das, was Journalisten und Journalistinnen quasi treiben, treibt sie mitunter unbewusst. Ich würde sagen, die Leute leben in den Medien, gerade auch die Medienschaffenden, und wenn Menschen keine Alternativen wahrnehmen können, dann ist das eben ihre Wirklichkeit.

Es gilt ja dann für die Journalisten wie für die Politiker das, was Sie gesagt haben: Es sind nicht die Bösen. Ursache sind stattdessen diese wirtschaftlichen Entwicklungen, die hin zu einem Monopolkapitalismus führen.

Im Monopolkapitalismus existieren auch Meinungsmonopole und nicht mehr so viele verschiedene Zeitungen wie früher. Auch kann ich mich erinnern, in der Schweiz wurde beispielsweise vor einer Volksabstimmung immer die eine Meinung und die andere ebenfalls dargestellt, in zwei schönen Spalten. Das gibt es immer seltener. Das war auch schon wenig, aber mehr als heute. Bei diesen Kriegen gibt es ja fast nur einen Einheitsbrei von diesen Meinungsmonopolen der westlichen Welt, die auch das Geld haben für die massenhafte Informationsverbreitung und Desinformation. Auch in der BRD und in Frankreich sind es wenige Familien, denen die Medien gehören und die das Sagen haben. Sie schreiben natürlich nicht gegen ihre eigenen Interessen, auch nicht gegen den Krieg, schon gar nicht, wenn sie auch Aktien bei den Panzerherstellern haben. Die Leser und Leserinnen können allenfalls Leserbriefe schreiben, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, sie erscheinen eher selten, wenn sie nicht zur vorgängig verbreiteten Einheitsmeinung der Meinungsmonopole passen.

Was würden Sie als Medienpsychologe mit Ihrer Forschungserfahrung Menschen raten, die für sich erkannt haben, dass sie das, was da läuft, nicht mehr mitmachen wollen? Wie können Menschen gegen das, was Sie beschrieben haben, gegenhalten?

Das ist natürlich die entscheidende Frage, aber auch eine ganz schwierige Frage. Ich empfehle, zumindest noch eine andere Meinung zu lesen, eben zum Beispiel die NachDenkSeiten oder die junge Welt. Wenn wir etwas von Putins Aussagen hören, haben wir ja meistens nur einen ganz kleinen, aus dem Zusammenhang gerissenen Ausschnitt von dem, was er gesagt hat. Man sollte die ganze Rede kennen, dann kann man sich ein Urteil bilden. Aber die meisten Leute haben gar keine Zeit oder meinen, sie haben gar keine Zeit, sie haben andere Sorgen. Ein Intellektueller kann so was natürlich sagen, insbesondere, wenn er sich mit Medien befasst, auch noch beruflich. Aber wer macht das täglich? Ich kaufe immer noch mehrere Zeitungen jeden Tag und schaue, was übereinstimmt und was nicht.

Welche Zeitungen lesen Sie?

Die junge Welt, die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, den Mannheimer Morgen und natürlich Fachzeitschriften – den Mannheimer Morgen, weil ich auch in Mannheim lebe.

Daniele Ganser hat kürzlich bei einem Vortrag in Berlin gesagt, dass die jungen Menschen, die jüngeren Generationen gar nicht mehr normal Medien konsumieren, und deshalb sei er auch schon auf der Plattform TikTok unterwegs, um sie auf seine Vorträge und Bücher aufmerksam zu machen. Wie schätzen Sie diese Medienentwicklung, das mediale Verhalten der nachwachsenden Generation ein? Wo geht es hin?

Im Prinzip ist es genau das, was Jürgen Habermas in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, seiner Habilitationsschrift, beschrieben hat. Im alten Griechenland gab es sozusagen einen gleichgewichtigen Meinungsaustausch zwischen gleichberechtigten Männern, mit Argument und Gegenargument, allerdings nicht für die Frauen und die Sklaven. Und dann schaute man, was herauskam, ob man sich einigen konnte oder auch nicht, wofür es ja auch mindestens ein Beispiel gibt. Das kam mit der Entwicklung der öffentlichen Medien immer mehr abhanden. Habermas hat schon früh darauf hingewiesen, auch auf die Entwicklung der Meinungsmonopole. Aber in seinem neuen Buch „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ hat er nur noch die neuen sozialen Medien kritisiert. Das sei zwar schon eine unmittelbare Kommunikation, aber die Qualität sei nicht mehr gut. Als ob in der sogenannten Qualitätspresse die Qualität der außenpolitischen Beiträge gut, ausgewogen und nicht nur im Interesse der hochindustrialisierten Länder tendenziös wäre.

Natürlich muss man Habermas schon beipflichten, wenn er sich gegen Beschimpfungen und Bedrohungen von Politikern bei der spontanen und pluralistischen Meinungsbildung wendet. Auch, wenn er auf die Verwertung der Daten, welche die Kunden im Internet hinterlassen, zu Werbezwecken hinweist. Aber das kann doch nicht heißen, dass er selbst immer mehr die Einheitsmeinung der Meinungsmonopole übernehmen muss. Anscheinend hat er inzwischen vergessen, was er in seiner Habilitationsschrift geschrieben hat.

Titelbild: © Tilo Gräser

Prof. Mark Galliker studierte an der Universität Bern Psychologie und Philosophie und absolvierte später die Ausbildung zum Psychotherapeuten (pca.acp/FSP). 15 Jahre war er in der Jugendberatung und Drogenprävention tätig. Er lehrte an den Universitäten Zürich, Mannheim, Heidelberg und Bern Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie. Seine Forschungsgebiete sind Geschichte der Psychologie, Wissenschaftslehre und Sprachpsychologie.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!