Die Grünen: Das Image der linksalternativen Friedenspartei macht sie so gefährlich

Die Grünen: Das Image der linksalternativen Friedenspartei macht sie so gefährlich

Die Grünen: Das Image der linksalternativen Friedenspartei macht sie so gefährlich

Ein Artikel von Uwe Steinkrüger

Mit dem Wieder-Erscheinen des Magazins „Hintergrund“ legte der Verlag auch drei kleine Bücher zu aktuellen Fragen auf. Eine der Schriften befasst sich mit dem für viele Menschen in Deutschland nach wie vor überraschenden Wandel der Grünen von Ökopazifisten zu Militärfreunden. Gleich am Anfang lässt uns der Autor Matthias Rude wissen: Der Wandel vollzog sich „keineswegs plötzlich und schon gar nicht als Reaktion auf den russischen Angriff in der Ukraine“. Eine Rezension von Uwe Steinkrüger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Kompakt-Buch „DIE GRÜNEN. Von der Protestpartei zum Kriegsakteur“ ist gut recherchiert, enthält eine Menge Fundstellen und liefert auf 78 Seiten alle wesentlichen Fakten. Daneben lässt sich das Büchlein auch gut lesen.

Entstanden seien die Grünen aus einer bunten Mischung von Listen zu unterschiedlichen ökologischen und alternativen Themen, die sich im Jahr 1979 für die Europawahl zu einem Listenbündnis zusammenschlossen. Das sei zwar mit 3,2 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, habe aber rund 4,5 Millionen D-Mark Wahlkampfkostenerstattung erhalten. „Die Kasse der noch gar nicht existenten Partei war also bereits gut gefüllt“, konstatiert Rude. „Ein bisher einmaliger Fall staatlich subventionierter Parteigründung“, zitiert er die Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Parteifinanzen. Der Wahlerfolg von 1979 trug laut Rude maßgeblich dazu bei, dass weitere bunt-alternative Listen und „undogmatische“ Linke dem Bündnis beitraten, das bereits im Folgejahr die Parteigründung vollzog. Da waren die Konservativen um Herbert Gruhl mit dabei – ebenso wie das Sozialistische Büro Offenbach und die Frankfurter Spontis. Auch maoistisch ausgerichtete K-Gruppen durften mitmachen; sie hätten eine anti-sowjetische Haltung forciert.

Die politische Ausrichtung war in der Gründungsphase „völlig offen“, wird der frühere Parteivorsitzende Ludger Vollmer zitiert. Das Motto „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ (so auch der Titel eines Buches von Silke Mende zur Gründung der Grünen) sieht Rude als Gründungskonsens der Grünen. „Vorn“ war und blieb weitgehend diffus, doch von Anfang an hätten sich die Grünen als Teil der Friedensbewegung gesehen. Die Massenproteste gegen die ab 1979 von der NATO angestrebte atomare Aufrüstung Deutschlands und Westeuropas mit bis zu 500.000 Teilnehmern gaben den Grünen einen enormen Aufschwung, stellt der Autor fest.

In ihrem ersten Bundesprogramm 1980 legte sich die grüne Partei auf einen klaren Anti-NATO-Kurs fest, erläutert Rude in einer längeren Passage. Gefordert wurde die Auflösung sowohl des westlichen Militärbündnisses wie auch des Warschauer Paktes. Ökologische Außenpolitik sei immer gewaltfreie Politik, hieß es, und: Humane Ziele könne man nicht mit inhumanen Mitteln erreichen. Die Anti-NATO-Haltung gipfelte 1981 in der Strafanzeige des Grünen-Vorstandes gegen die Bundesregierung, wonach die Zustimmung zur Stationierung atomarer Raketen in Deutschland die Vorbereitung eines Angriffskrieges darstelle. Damit werde auch die Auslöschung der Bundesrepublik riskiert. Die Gerichte sahen es anders. 1983 zog die so positionierte Grüne Partei mit 5,6 Prozent der Zweitstimmen erstmals in den Bundestag ein. In einem „alternativen“ Eid – so Rude – hätten die Abgeordneten versichert, die Friedensbewegung nicht zu verraten. Für die zeitweilige Bundessprecherin Petra Kelly war damit verbunden, keine Koalitionen einzugehen, denn die Grünen seien eine „fundamentale Antikriegspartei“ (1982). Rude weist aber darauf hin, dass schon im gleichen Jahr Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Hamburg stattfanden.

Der „klar antimilitaristischen“ Haltung seien die Grünen noch länger treu geblieben. Im Programm zur Bundestagswahl 1987 hieß es:

„Wir müssen raus aus der NATO, weil es mit der NATO keinen Frieden geben kann.“

Rude stellt fest: „Mit diesem Programm wurden die Grünen mit 8,3 Prozent in den Bundestag gewählt“. Es habe aber schon damals Stimmen gegeben, die die Anti-NATO-Haltung ihrer Partei kritisierten. Er nennt als Beispiel Helmut Lippelt, der 1981 die Ablehnung der NATO als „Verbalradikalismus“ bezeichnete. Rude: „Anfang der 90er Jahre sollte Lippelt dann zu den ersten Grünen gehören, die eine deutsche Militärintervention auf dem Balkan forderten.“

Schlüsselfigur beim Richtungswechsel der Grünen: Joschka Fischer

Schlüsselfigur beim Richtungswechsel der Grünen auf den unterschiedlichen Feldern war der spätere Bundesaußenminister Joseph („Joschka“) Fischer. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass die Grünen ihre anti-militaristische Haltung, ihre ablehnende Haltung gegenüber der NATO, den Öko-Sozialismus und damit ihre kapitalismuskritischen Ideen über Bord warfen. Rude widmet ihm ein eigenes Kapitel.

Fischer sei in der linken Sponti-Szene Frankfurts politisch sozialisiert worden, erzählt Matthias Rude. Zusammen mit seinem Freund Daniel Cohn-Bendit, der Redakteur bei der Sponti-Zeitschift Pflasterstrand war, habe er der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ angehört, die zunächst versucht hatte, Opel-Arbeiter in Rüsselsheim zu politisieren. Danach sei die Gruppe in der Hausbesetzer-Szene aktiv gewesen. In der Verteidigung besetzter Häuser gegen die Polizei habe sich die „Putzgruppe“, als deren Kopf Fischer laut Rude galt, militant hervorgetan. Ein Foto vom 7. April 1973 zeige, wie Fischer und ein Mitstreiter gemeinsam auf einen Polizeibeamten einschlagen. Anlässlich einer Demonstration am 10. Mai 1976, bei der die „Putzgruppe“ Molotow-Cocktails geworfen haben soll, habe sich ein Polizist schwere Verbrennungen zugezogen. Fischer gehörte zu 14 Verhafteten, sei aber schon zwei Tage später wieder freigelassen worden. Zur Bewertung dieses Geschehens zitiert Rude eine vielsagende Bemerkung der früheren Grünen-Vorsitzenden Jutta Ditfurth: „Was immer in jenen knapp zwei Tagen Haft geschehen ist: Joseph Fischer war nach den Ereignissen im Mai 1976 nie wieder eine Bedrohung für den Staat. Ganz im Gegenteil: Er übernahm eine nützliche Aufgabe, die Integration ehemaliger Linker in den Staat und in die herrschenden Verhältnisse.“

Rude verweist auf Zweifel an der Ernsthaftigkeit der politischen Einstellung Fischers in dessen radikaler Zeit: „Ehemalige Grüne werfen Fischer vor, von Anfang an ein Karrierist gewesen zu sein.“ Er zitiert einen Spiegel-Artikel aus der Zeit, wonach der früh verheiratete Fischer „tief in der Bürgerlichkeit“ stecke – inklusive ADAC-Schutzbrief für das Auto. Die Sponti-Wählergruppe soll – so Ditfurth – die feindliche Übernahme des Frankfurter Kreisverbandes der Grünen beschlossen haben; Pflasterstrand habe das Ziel kommuniziert, man müsse „zugreifen, wenn Führungspositionen“ angeboten würden und plötzlich „lebensgeschichtliche Perspektiven möglich erscheinen“. (Ditfurth zitierte hier den Wissenschaftler Wolfgang Kraushaar.) Rude: „Knapp ein halbes Jahr nach seinem ersten Auftauchen auf einer grünen Kreisversammlung saß Fischer im März 1983 für die Grünen im Bundestag.“

„Erosion der antimilitaristischen Positionen“ nach 1990

Ab der deutschen Wiedervereinigung gab es verstärkte Bestrebungen, den linken Parteiflügel abzuspalten, berichtet Matthias Rude, wobei sich Ralf Fücks mit Lob auf den Kapitalismus besonders hervorgetan habe. Unter Führung von Joseph Fischer bekämpften die „Realos“ die Ökosozialisten („Fundis“) mit der „Erzfeindin Jutta Ditfurth“ (Spiegel), die nachfolgend aus der Partei austrat und mit ihr laut Rude ein Viertel der Mitglieder, 10.000 an der Zahl.

In den Folgejahren kam es bei den Grünen zu einer „Erosion der antimilitaristischen Positionen“, stellt der Autor fest. Der grüne Länderrat habe dann 1993 sein Einverständnis für „humanitäres Eingreifen“ unter dem Dach der Vereinten Nationen gegeben. Jürgen Trittin warf den Initiatoren der Resolution seinerzeit vor, sie hätten sich zu „Türöffnern“ für „eine grundsätzliche Legitimierung von Krieg als Mittel der Politik“ gemacht, zitiert Rude den Spiegel. Die Befürchtungen Trittins haben sich – wie wir heute wissen – bewahrheitet. Ab dem 24. März 1999 bombardierte die NATO mit deutschen Tornados ohne UNO-Mandat Serbien. Als Begründung hätten Außenminister Fischer und SPD-Minister Scharping angegeben, Serbien betreibe Völkermord. Beide mussten sich von Holocaust-Überlebenden „eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ vorwerfen lassen, berichtet Rude. „Heute ist bekannt“, schreibt er, „dass die Legitimierungen, die für die Bombardements vorgebracht wurden, aus Lügen und Manipulationen bestanden.“ Konzentrationslager seien ebenso erfunden gewesen wie ein angeblicher Plan zur Vertreibung der Kosovo-Albaner aus dem Kosovo.

Und natürlich versäumt es der Autor nicht, darauf hinzuweisen, dass die NATO mit dem Kosovo-Krieg einen Präzedenzfall geschaffen habe, auf den sich Russland in Sachen Ukraine berufen könne – einschließlich des Arguments, dass es einen Völkermord zu verhindern gelte.

Aus Rudes Sicht war der Kosovo-Krieg ein Dammbruch: „Danach fielen bei einigen Grünen jedwede Hemmungen.“ Habe sich die rot-grüne Regierung beim Angriff auf den Irak „angesichts der hanebüchenen Begründungen“ noch zurückgehalten, stimmten 2001 auch die Grünen im Bundestag dem Krieg gegen Afghanistan zu.

Und was passierte nach dem Ende der rot-grünen Regierung mit Fischer? Laut Rude erhielt er „eine ganze Menge Berater- und Lobbyisten-Verträge“. Er sei „dick im Geschäft“, zitiert der Autor das Handelsblatt.

Zur aktuellen Bedeutung der Grünen stellt er fest:

Dass sie es – mit Unterstützung der Medien – bis heute schaffen, vom Image der linksalternativen Friedenspartei zu profitieren, macht sie so gefährlich: Mit einer linksalternativen Aura lässt sich eine Politik, die sich an den Interessen des Kapitals und der Industrie orientiert, leichter durchsetzen.“

Matthias Rudes Fazit:

Die Grünen sind ein Paradebeispiel für das Scheitern des Versuchs, das System über den parlamentarischen Weg grundlegend zu ändern; dafür dass der ‘Marsch durch die Institutionen’ eben genau dort endet – in den Institutionen.“

Karrieristen hätten grundlegende Positionen der Anti-Parteienpartei zunehmend hintertrieben und um „regierungsfähig zu werden“, habe die Partei „so ziemlich alles, wofür sie einmal standen, verraten und verkauft“. Sahra Wagenknecht sollte gewarnt sein.

Titelbild: Screenshot Der Spiegel 29.04.2022

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