Die Widersprüche von Pistorius, fehlende Beweise für russische Abhöraktion und „peinliche Fragen“

Die Widersprüche von Pistorius, fehlende Beweise für russische Abhöraktion und „peinliche Fragen“

Die Widersprüche von Pistorius, fehlende Beweise für russische Abhöraktion und „peinliche Fragen“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Der veröffentlichte Mitschnitt eines WebEx-Gesprächs von Luftwaffen-Offizieren zu möglichen Taurus-Lieferungen an die Ukraine stand im Mittelpunkt der aktuellen Bundespressekonferenz. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund unter anderem wissen, wie Bundesverteidigungsminister Pistorius die Authentizität des Audio-Mitschnitts bestätigen und diesen zugleich als „Desinformation“ bezeichnen kann. Zudem fragten die NDS, wie Kanzler Scholz es bewertet, dass leitende Bundeswehroffiziere im Plauderton den Angriff auf die Kertsch-Brücke durchspielen, dabei aber keinen einzigen Gedanken darauf verwenden, was die Zerstörung dieser zentralen Infrastruktur für Reaktionen und Konsequenzen für die Sicherheit der bundesdeutschen Bevölkerung hervorrufen könnte. Weitere Fragen drehten sich um Belege, dass es sich dabei nachweislich um eine russische Abhöraktion gehandelt hat und ob Taurus in der Lage ist, auch russische Atomwaffenbunker zu zerstören. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund und Faktencheck der Aussagen

Am 3. März hatte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Rahmen einer Pressekonferenz die Authentizität des Mitschnitts bestätigt, gleichzeitig aber erklärt, dass es sich dabei „um einen hybriden Angriff zur Desinformation“ handle. Den Widerspruch, einen ungekürzten und von der Bundeswehr selbst als echt bestätigten Audiomitschnitt als „Desinformation“ zu bezeichnen, versucht der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums (BMVg), Oberst i.G. Arne Collatz, nicht sehr überzeugend mit der Aussage aufzulösen, „die Informationen sind danach zielgerichtet in der öffentlichen Debatte benutzt worden mit dem Ziel – wie das ja auch der Minister und andere deutlich gemacht haben -, Menschen gegeneinander aufzubringen.“ Selbst wenn dem so wäre, ist die Nutzung und Weiterverbreitung einer als umfassend authentisch bestätigten Aufnahme vieles, aber mit Sicherheit keine „Desinformation“. Und apropos Desinformation, zuvor versuchte Collatz, mit folgendem Verweis den Fragesteller zu verunsichern:

„Erst einmal möchte ich klarstellen, dass es sich nicht um ein Leak handelt. Es ist keine Information bewusst von innen nach außen getragen worden, sondern es handelt sich um einen russischen Lauschangriff, der zum Zweck der Zersetzung geführt wurde.“

Im Gegensatz zur Darstellung des BMVg-Sprechers ist „Leak“ im Deutschen jedoch lediglich definiert als „nicht autorisierte Veröffentlichung von Informationen“ – und das war beim Taurus-Mitschnitt definitiv der Fall.

Die Tagesschau legt sogar dem Minister höchstpersönlich das Wort „Leak“ in den Mund:

„Es lägen ihm (Pistorius) bislang keine Erkenntnisse über weitere Leaks oder das Mithören von weiteren Telefonaten vor.“

Fast alle deutschen Medien haben in diesem Zusammenhang von „Taurus-Leak“ gesprochen, es ist aber außer in der BPK auf Nachfrage der NachDenkSeiten kein Fall bekannt, in dem sich Vertreter des Verteidigungsministeriums an diesem Ausdruck gestört und dies entsprechend kommentiert hätten:

Davon abgesehen ist auch die anschließende Aussage des Sprechers, „es handelt sich um einen russischen Lauschangriff“, bisher nicht abschließend belegt. Ja, eine russische Journalistin hat das Gespräch veröffentlicht. Ob aber tatsächlich russische Dienste direkt für den Mitschnitt verantwortlich waren, ist eine bisher noch völlig ungeklärte Frage. Es spricht Bände, dass selbst ein eher boulevardesk ausgerichtetes „Nachrichtenmagazin“ wie Focus hier sachlicher und faktenorientierter agiert als das Verteidigungsministerium. In einem Beitrag vom 2. März befragte Focus z.B. den Militärexperten Oberst a. D. Ralph Thiele, aktuell Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft, zu der Thematik. Thiele verweist auf die Nachfrage, wer als potenzielle Verdächtige für diese Abhöraktion infrage kommen, neben Russland auch auf westliche Staaten, insbesondere Großbritannien. Im Wortlaut erklärt er:

„Grundsätzlich gibt es zwei Verdächtige, die das Gespräch abgehört und in Umlauf gebracht haben könnten. Zum einen die westlichen Staaten. Sie könnten ein Interesse daran haben, das vorsichtige Vorgehen von Bundeskanzler Scholz zu untergraben. Da in der hybriden Kriegsführung – in der zum Beispiel auch die Briten Meister sind – bevorzugt über Dritte agiert wird, ist zunächst nichts so, wie es scheint.“

Vor einer „vorschnellen Bewertung“ sei größte Vorsicht geboten, so Thiele abschließend.

Die RT-Journalistin Dagmar Henn verweist in dem Beitrag „Bundeswehr-Leak: Wer hat wirklich gelauscht?“ zudem auf noch weitere potenzielle Optionen und Akteure für die Abschöpfung des WebEx-Gesprächs der Luftwaffen-Offiziere, wie zum Beispiel den chinesischen Geheimdienst oder Hacker, die die Information aus rein materiellem Interesse abgegriffen und weiterverkauft haben könnten.

So viel auch zu der anschließenden Behauptung des BMVg-Sprechers Außer Ihnen ist mir niemand bekannt, der ernsthaft daran zweifelt“ bezugnehmend auf die entsprechende Frage der NDS, ob die Bundeswehr über konkrete Belege verfügt, dass Russland direkt für die Abhöraktion verantwortlich ist.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 7. März 2024

Frage Warweg
Herr Collatz, ich hätte noch eine Verständnisfrage zu den jüngsten Äußerungen des Verteidigungsministers. Dort hat er einerseits vollumfänglich bestätigt, dass das Taurus-Leak authentisch ist. Gleichzeitig hat er das auch als Desinformationskampagne bezeichnet. Da würde ich fragen: Worin liegt in den Augen des Ministers bei der Veröffentlichung eines ungeschnittenen Dokuments oder Audiomitschnitts, das die Bundeswehr selbst als authentisch bezeichnet, der Aspekt der Desinformation?

Collatz (BMVg)
Da sind ja schon viele Unterstellungen drin. Erst einmal möchte ich klarstellen, dass es sich nicht um ein Leak handelt. Diese Aussage bitte ich nicht zu tätigen. Es ist keine Information bewusst von innen nach außen getragen worden, sondern es handelt sich um einen russischen Lauschangriff, der zum Zweck der Zersetzung geführt wurde. Die Informationen sind danach zielgerichtet in der öffentlichen Debatte benutzt worden mit dem Ziel – wie das ja auch der Minister und andere deutlich gemacht haben -, Menschen gegeneinander aufzubringen. Genau dieses Ziel verfolgen wir auf keinen Fall. Das Spiel – so hat der Minister es gesagt – machen wir nicht mit. So ist das Ganze auch zu deuten. Es gibt keine Bestätigung von irgendwelchen Sachverhalten. Das deuten Sie da rein, ich nicht.

Zusatzfrage Warweg
Mit „Bestätigung“ meinte ich nur, dass der Inhalt so bestätigt wurde, dass das alles korrekt war. Aber      

Collatz (BMVg)
Dann sagen Sie das bitte so, wie Sie es meinen.

Zusatzfrage Warweg
Gut. – Herr Hebestreit, das fast Aufschlussreichste in diesem Mitschnitt ist nicht das, was gesagt wird, sondern das, was nicht gesagt wird. Da würde mich interessieren: Wie bewertet denn der Bundeskanzler, dass dort ranghohe Luftwaffenoffiziere zumindest durchspielen, wie und mit wie vielen Taurus-Marschflugkörpern man die Kertsch-Brücke zerstören kann, aber in den gesamten 38 Minuten kein einziger Gedanke darauf verwendet wird, zu antizipieren, welche Konsequenzen so ein Vorgehen für die gesamte Sicherheit der Bundesrepublik verursachen könnte?

Regierungssprecher Hebestreit
Ich stehe jetzt vor der Herausforderung, über ein Gespräch zu reden, das nicht dafür bestimmt war, dass Sie und ich es hören. Fachleute haben sich über ein fachliches Thema unterhalten und wurden dabei von einem ausländischen, feindlichen Geheimdienst belauscht. Dieser Geheimdienst hat das dann öffentlich gemacht. Dann werden die Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland von der Regierung, in dem Fall vom Bundeskanzler, getroffen, was er für richtig hält, was geliefert werden kann und was er für verantwortbar hält. Das hat er getan, und das tut er immer wieder. Da gibt es eine ständige Abwägung. Insofern ist das ein Punkt, den die Regierung und die Politik bewegen müssen, die auch dafür verantwortlich sind.

Militärischer Ratschlag ist militärischer Ratschlag und muss dann auch die militärischen Aspekte beinhalten. Aber eine vollumfängliche Darlegung ist, glaube ich, nicht Inhalt dieser Besprechung gewesen, unabhängig von der Frage, wie ich das finde.

Frage Dr. Rinke (Chefkorrespondent von Reuters)
Ich habe eine Frage an Herrn Collatz: Der MBDA-Chef hat gestern gesagt, dass sein Unternehmen die Ukrainer vollumfänglich an diesem Waffensystem ausbilden könnte, sodass die Ukrainer es komplett eigenständig verwenden könnten. Teilt das Verteidigungsministerium diese Einschätzung?

Collatz (BMVg)
Ich spreche hier nicht für die Industrie.

Zusatz Dr. Rinke
Nein, Sie sprechen nicht für die Industrie. Aber die Frage geht ja an die Bundesregierung, ob Sie eine ähnliche Einschätzung haben, dass das technisch möglich wäre.

Collatz (BMVg)
Über technische Umstände des Waffeneinsatzes jeglicher Art kann ich hier nicht Stellung nehmen. Auch eine Bewertung von industriellen Produzenten kann ich hier nicht kommentieren.

Hebestreit
Herr Rinke, ich darf noch ergänzen. Sie werden das in diesem Moment sicherlich vergessen haben: Über Rüstungsexporte entscheidet nicht die Industrie, sondern darüber, ob das genehmigt wird, entscheidet letztendlich die Bundesregierung im sogenannten Bundessicherheitsrat. Insofern sind das theoretische Debatten, die immer auch politisch zu bewerten sind.

Frage Warweg
Ich habe noch eine Verständnisfrage: Ich glaube, Sie beide haben jetzt davon gesprochen, dass es sich um eine russische Abhöraktion handelt. Russland hat ohne Zweifel diesen Audiomitschnitt veröffentlicht. Beispielsweise Ralph Thiele, der Vorsitzende der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Deutschland, hat erklärt, dass bisher eigentlich noch nichts dafürspricht oder dass es keine Belege dafür gibt, dass Russland das war, und dass zumindest für ihn oder auch für andere Experten, die in eine ähnliche Richtung gehen, durchaus auch westliche Partner infrage kommen, die Olaf Scholz unter Druck setzen wollten. Gibt es tatsächlich schon Belege, dass ein sehr spezifischer Geheimdienst diese Abhöraktion durchgeführt hat?

StS Hebestreit
Ich glaube nicht, dass ich namentlich ein Land genannt habe. Ich habe von einem ausländischen, feindlichen Geheimdienst gesprochen. Ansonsten wünsche ich jedem viel Spaß damit, den Bundeskanzler unter Druck setzen zu wollen.

Zusatzfrage Warweg
Ich habe nur zitiert. Herr Collatz hat auf jeden Fall von einem russischem Abhörversuch gesprochen. Das spricht dafür, dass es vielleicht mehr Informationen gibt, als der Öffentlichkeit bisher bekannt ist. Vielleicht will er die ja mit uns teilen.

Collatz (BMVg)
Ich bin da vielleicht auch unaufmerksam. Außer Ihnen ist mir niemand bekannt, der ernsthaft daran zweifelt.

Frage Schröder
Es ist mir jetzt ein bisschen peinlich, dass ich eine ähnliche Frage stellen wollte wie Herr Warweg.

Vorsitzender Feldhoff
Das ist ein freies Land.

Frage Schröder
Auch noch einmal dazu: Gibt es Belege dafür, dass es Russland war? Da das ja auf der Airshow in Singapur, gibt es vielleicht auch Belege, dass es chinesische Geheimdienste waren? Gibt es da forensische Sachen?

Hebestreit
Ich möchte es einmal ganz abstrakt sagen: Wenn es einen langen Hals und kleine Höcker auf dem Kopf hat, dann ist es meistens kein Elefant, auch wenn man nicht unbedingt sicher sein kann.

Zusatzfrage Schröder
Das verstehe ich schon. Ich verstehe natürlich auch den ganzen Hintergrund. Die Frage ist nur: Gibt es jetzt wirklich Anhaltspunkte dazu, auch technische Anhaltspunkte, oder kann man das überhaupt nachweisen?

Hebestreit
Ich glaube, das sind alles nachrichtendienstliche Themen, die in der Regierungspressekonferenz für gewöhnlich gar nicht behandelt werden. So halten wir es auch hier. Ansonsten würde ich immer dem alten kriminalistischen Prinzip des „cui bono?“ folgen wollen. Dann habe ich meinen kleinen zoologischen Ausflug untergebracht. Vielmehr kann ich Ihnen an dieser Stelle zu diesem Thema leider nicht mitteilen.

Vorsitzender Feldhoff
Die spielen ja schon eine Rolle. Wir fragen, Sie antworten selten. Das ist der Punkt.

Hebestreit
Wenn wir uns darauf verständigen können, halten wir es weiterhin so.

Frage Jessen
Herr Collatz, Sie haben die Rolle der Industrie angesprochen. Ein Gesprächsthema war, dass gesagt worden ist: Die Ausbildung können wir ganz alleine selbst machen. – In diesem Gespräch ging es nicht nur um Ausbildungsfragen, sondern auch um die Frage möglicher Voraussetzungen und Daten für Einsätze. Da wurde dann gesagt, das könne man zwar auch über die Industrie spielen, zur Verfügung stellen, aber die Quelle seien nicht Industriedaten, sondern letztlich Daten, die aus dem Bereich der Bundeswehr kämen. Ist diese Darstellung, die öffentlich geworden ist, inhaltlich korrekt?

Collatz (BMVg)
Wie auch Herr Hebestreit kann ich zu den Inhalten des Gesprächs keine Stellung nehmen.

Zusatz Jessen
Aber Sie haben es doch schon getan.

Collatz (BMVg)
Ich habe allgemein über Voraussetzungen gesprochen.

Zusatz Jessen
Deswegen frage ich: Ist die Voraussetzung, die in diesem Gespräch genannt wurde, sachlich korrekt?

Collatz (BMVg)
Der Einsatz von Waffen durch die Ukraine unterliegt ganz vielen Faktoren, die für jeden Einzelfall gesondert zu betrachten sind. Näher kann ich auf diesen Fall nicht eingehen.

Frage Warweg
Es gibt Berichte, dass die Taurus auch für die Zerstörung von Atomwaffenbunkern geeignet sind. Können Sie das bestätigen?

Collatz (BMVg)
Nein, auch nicht dementieren.

Zusatzfrage Warweg
Also weder noch?

Collatz (BMVg)
Ja.

Hebestreit
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an etwas erinnern. Wir reden gerade relativ umfänglich über ein Thema und vergessen dabei – dem einen oder anderen ist das vielleicht entfallen: Es geht um den russischen Überfall auf die Ukraine. Russland führt weiterhin einen erbarmungslosen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der gegen das Völkerrecht verstößt und jeden Tag viele Menschenleben kostet. Das einfach nur “to whom it may concern”.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 06.03.2024