Im Osten nichts Neues

Im Osten nichts Neues

Im Osten nichts Neues

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Sachsen und Thüringen haben gewählt und politische Beobachter geben sich überrascht. Der SPIEGEL spricht gar von einer Zäsur und einer Krise der liberalen Demokratie. Dabei war das Ergebnis vorhersehbar und schreibt im Trend eine Entwicklung fort, die seit rund zehn Jahren voranschreitet. Die Kampagnen gegen die AfD und neuerdings auch das BSW haben – erwartungsgemäß – nicht gefruchtet. Stattdessen hat die AfD in beiden Ländern die Rolle als Arbeiterpartei übernommen – das war früher im Osten mal die Linke und im Westen die SPD. Die Erfolge des BSW wiederum sind vor allem, aber nicht nur, eine Folge der Kriegs- und Aufrüstungspolitik. Eine Zäsur ist das nicht und wenn die sich selbst als liberal verortenden Parteien den Wink mit dem Zaunspfahl nicht verstehen, wird sich an dieser neuen Normalität auch so bald nichts ändern. Ein Kommentar von Jens Berger.

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Mit 49 Prozent wählte gestern fast jeder zweite Arbeiter in Thüringen die AfD. In Sachsen waren es 45 Prozent. Sogar noch größer war der Erfolg der AfD bei Wählern, die ihre finanzielle Lage als „schlecht“ bewerten – hier wählten in Thüringen 51 Prozent und in Sachsen 49 Prozent die AfD. Die AfD ist also – zumindest im Osten – zweifelsohne die Partei der „kleinen Leute“. Das ist nicht neu. Auch bei den letzten Landtagswahlen holte die AfD beispielsweise in Sachsen mit 41 Prozent bei den Arbeitern mehr als doppelt so viele Stimmen wie das sogenannte „linke Lager“ aus SPD, Grünen und Linken zusammen. Gestern holte die AfD bei den Arbeitern übrigens mehr als fünfmal so viele Stimmen wie diese drei Parteien zusammen, und selbst in Thüringen, wo die Linkspartei noch einige Hochburgen hat, konnte die AfD bei den Arbeitern mehr als dreimal so viele Stimmen bei den Arbeitern holen als SPD, Grüne und Linke zusammen.

Vor dieser Entwicklung haben die NachDenkSeiten bereits 2019 gewarnt. Dass es ein Widerspruch ist, dass eine im Kern klar neoliberale Partei als Interessenvertreterin der Arbeiter und finanziell Unterprivilegierten wahrgenommen wird, ist klar. Damit könnte man die Analyse eigentlich bereits abschließen. Die AfD hat es – mit Hilfe der politischen Konkurrenz und der Medien – erfolgreich geschafft, Migration und Kriminalität gerade in diesen Wählerschichten zu den subjektiv wichtigsten Themen beim Wahlentscheid zu machen, und da die traditionellen Parteien und auch die Linkspartei ihr sozioökonomisches Profil seit längerem erfolgreich abgeschliffen haben, muss man sich auch nicht darüber wundern, wenn die Wähler sich von ihnen abwenden.

Einzig das BSW hat es erfolgreich geschafft, mit dem Thema „soziale Sicherheit“ zu punkten – laut infratest dimap war die soziale Sicherheit bei BSW-Wählern noch vor dem Thema „Ukraine und Russland“ sowohl in Sachsen als auch in Thüringen das wichtigste Thema für die Wahlentscheidung für das BSW.

Dass Deutschland immer weiter in den Krieg in der Ukraine hineingezogen wird, war beispielsweise in Thüringen hinter der Sorge vor steigender Kriminalität die zweitgrößte Sorge der Wählenden. Wer sich also darüber wundern sollte, dass das BSW vor allen im Thüringen ein durchaus respektables Ergebnis erzielen konnte, findet hier die Antwort. Die Kriegs- und Rüstungspolitik der Ampel wird von immer mehr Menschen kritisch gesehen und die CDU wird verständlicherweise gerade in diesem Punkt auch nicht als Alternative wahrgenommen.

Worüber wundern sich die politischen Kommentatoren eigentlich? Die Sorgen der Wähler lagen auch vor den Wahlen klar auf dem Tisch. Es sind die Themenkomplexe Kriminalität und Migration, Krieg und Frieden und sozioökonomische Ängste. Beim Themenkomplex Kriminalität und Migration scheinen die Wähler das Original AfD den Kopien der CDU und der Ampelparteien vorzuziehen, beim Themenkomplex Krieg und Frieden hat das BSW zurzeit ein echtes Alleinstellungsmerkmal und auch bei den sozioökonomischen Ängsten sind die Antworten des BSW im Osten von den Wählern offenbar überzeugender als die der politischen Konkurrenz empfunden worden. Als letzten Punkt könnte man sicher den Themenkomplex Corona und Corona-Aufarbeitung nennen – doch der wurde in den Nachwahlbefragungen erstaunlicherweise nicht abgefragt, sodass man sich hier nur auf den eigenen Instinkt und nicht auf Zahlen stützen kann. Wie dem auch sei – man mag ja die subjektiven Entscheidungen der Wähler gerade bei der Wahl der AfD kritisieren, überraschen können sie jedoch nicht.

Insofern sind die Erfolge der AfD und des BSW in Sachsen und Thüringen auch keine Zäsur, sondern eine erwartbare Fortsetzung einer langen Entwicklung. Müsste man das Wahlergebnis auf einen Satz herunterbrechen, dann könnte man schreiben, dass die Ampelparteien plus Linkspartei die Quittung dafür bekommen haben, dass sie die Sorgen der Wählerschaft schon lange nicht mehr ernst nehmen und lediglich dazu im Stande sind, „Lösungen“ anzubieten, die nicht überzeugen können.

Gewinner dieser Glaubwürdigkeitskrise ist die CDU, die sich erstaunlicherweise als Opposition im Bund zumindest verbal aus der Verantwortung für das Versagen der traditionellen Parteien stehlen kann, obgleich sie selbst in allen Themenbereichen, die wahlentscheidend waren, auch keine echten Antworten hat oder – wie beim Themenkomplex „Krieg und Frieden“ – sogar schlechtere Antworten als die Ampelparteien hat. Dafür konnte die CDU aber als „AfD-Verhinderer“ punkten – in Thüringen hat jeder zweite CDU-Wähler die CDU nicht wegen ihres Programms gewählt, sondern einzig und allein, um eine AfD-Mehrheit zu verhindern.

Ansonsten scheinen die Kampagnen gegen die AfD und neuerdings ja auch gegen das BSW sich totgelaufen zu haben. Durch Hysterie und stetige Warnungen vor „Populisten“ oder im Falle AfD einer angeblich bevorstehenden faschistischen Machtübernahme scheint man die Wähler nicht sonderlich zu beeindrucken. Aber auch hier kann man sagen: Im Osten nichts Neues. Eigentlich sollten die Wortführer derartiger Kampagnen aus Medien und Politik ja mittlerweile verstanden haben, dass sie mit ihren Kampagnen bestenfalls nichts, schlimmstenfalls das genaue Gegenteil erreichen.

Und so bleibt im Osten eigentlich alles beim Alten. In Sachsen wird wohl Kenia (CDU/SPD/Grüne) durch eine neue Koalition aus CDU, SPD und dem BSW ausgetauscht, wobei man gespannt darauf sein kann, welche Akzente das BSW in dieser Koalition setzt. In Thüringen ist – wieder einmal – überhaupt keine echte Koalition möglich, da die CDU nicht nur die AfD, sondern auch die Linkspartei über einen Unvereinbarkeitsbeschluss für nicht koalitionsfähig hält – dieser Beschluss könnte aufgehoben werden oder man regiert halt wie die Linke in den letzten Jahren in einer Minderheitsregierung. Die AfD hat jedenfalls nun in beiden Landtagen mit mehr als einem Drittel der Abgeordneten die Möglichkeit, Abstimmungen, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern, zu blockieren[*]. Aber auch dadurch wird das Abendland nicht untergehen. Die derzeitige Hysterie in den Medien wird sich auch wieder legen und es wird weitergehen wie zuvor.

Oder etwa nicht? Wird beispielsweise die SPD endlich aufwachen und feststellen, dass man mit einer glaubwürdigen Friedenspolitik Wahlen gewinnen könnte? Wird man die Sorgen der Wähler zum Themenkomplex Kriminalität und Migration ernst nehmen und damit der AfD Stimmen abnehmen? Oder wird man seine Politik unverändert fortsetzen, sich weiter echauffieren, das Gespenst eines kommenden Vierten Reichs an die Wahl malen und bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr die AfD damit wirklich zur stärksten Kraft machen?

P.S.: Als kleines Schmankerl aus der Rubrik „Karma is a bitch“: Womöglich hat die massive finanzielle Unterstützung der beiden erfolgreichen Direktkandidaten der Linkspartei in Sachsen durch die Kampagnenplattform Campact (die NachDenkSeiten berichteten) nun dazu geführt, dass nicht die Grünen, sondern das BSW in Sachsen in die Regierung einzieht. Ohne die gewonnenen Direktmandate wäre die Linke in Sachsen nämlich nicht in den Landtag eingezogen und es hätte rechnerisch für eine Fortsetzung der Regierung von CDU, SPD und den Grünen gereicht. Nun ist diese Koalition nicht mehr möglich. So hat Campact dazu beigetragen, dass das BSW in einer starken Verhandlungsposition bei den Koalitionsverhandlungen ist und die Grünen draußen bleiben. Ob es das ist, was Campact bezwecken wollte, kann man wohl getrost bezweifeln.

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[«*] Ergänzung 11.00 Uhr: Laut einer Eilmeldung der Tagesschau wird offenbar die Sitzverteilung in Sachsen wegen eines „Softwarefehlers“ korrigiert, wodurch CDU und AfD einen Sitz verlieren und SPD und Grüne einen Sitz gewinnen. Dadurch käme die AfD auf exakt ein Drittel der Sitze, was zur Verhinderung einer Zweidrittelmehrheit in Sachsen nicht reicht. In Thüringen verfügt die AfD mit 32 von 88 Sitzen hingegen über klar mehr als ein Drittel der Sitze.

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