Maria Sacharowa: Deutschland hat seine eigene Geschichte vergessen

Maria Sacharowa: Deutschland hat seine eigene Geschichte vergessen

Maria Sacharowa: Deutschland hat seine eigene Geschichte vergessen

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums hat kürzlich eindringliche Worte zur neuen Rolle Deutschlands als Speerspitze gegen Russland gewählt. Hier werden einige Zitate vorgestellt – nicht, um die offizielle russische Sicht naiv zu übernehmen, sondern um der Kriegspropaganda hierzulande auch andere Stimmen gegenüberzustellen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Meinungsbildung in Deutschland liegt momentan fest in der Hand von eiskalten militaristischen Propagandisten aus Medien, Politik und „Zivilgesellschaft“. Ein Ziel der Propaganda ist es, die Geschichte umzuschreiben: die des Zweiten Weltkriegs und die Vorgeschichte des Ukrainekriegs. Da können Stimmen von außen helfen, wieder eine etwas rationalere Orientierung zurückzugewinnen – auch ohne dass alle Botschaften dieser Stimmen wiederum kritiklos übernommen werden. Eine dieser Stimmen ist dieser Tage der US-Journalist Tucker Carlson, der in einem Interview mit Paul Ronzheimer von der Bild einige aufrüttelnde Sätze über die deutsche Souveränität oder das bei uns zur Ablenkung hochgehaltene „Feindbild Putin“ sagt. Eine weitere Stimme, die zum gedanklichen Innehalten führen könnte, ist eine kürzliche Äußerung der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, zum deutsch-russischen Verhältnis — am Ende dieses Textes werden Ausschnitte zitiert.

Dass es sich bei Sacharowa um einen Kommunikations-Profi und um die Sprecherin einer der Kriegsparteien im Ukrainekrieg handelt, die natürlich zuerst die Interessen ihres Landes im Blick hat, muss dabei beachtet werden. Es geht nicht darum, solche Aussagen naiv und als alleinige Quelle der „Wahrheit“ anzunehmen. Skepsis gegenüber Äußerungen aller Seiten ist momentan angebracht. Dass ich (trotz der massiven westlichen Verantwortung für den Ausbruch des Krieges) finde, dass Russland jetzt einen Waffenstillstand anstreben sollte, habe ich kürzlich in diesem Artikel beschrieben.

Aber: Um den hierzulande beim Thema Russland hermetisch eingegrenzten Meinungskorridor zu erweitern, können auch die Äußerungen einer offiziellen Vertreterin wie Sacharowa helfen – zumal, wenn es um die in Deutschland zunehmend dreist verneinte historische Verantwortung gegenüber Russland als Folge der Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs gegen die Sowjetunion und der freundlichen Haltung Russlands zur Wiedervereinigung geht.

Das ist nicht unser Krieg

Man kann das aktuelle russische Vorgehen seit dem Einmarsch sehr kritisch sehen und trotzdem massiv davor warnen, dass (ausgerechnet!) Deutschland wegen der Ukraine eine direkte kriegerische Konfrontation mit Russland eingeht. Denn: Der Ukrainekrieg ist nicht unser Krieg. Und es gibt zahllose Beispiele von Kriegen, in die sich Deutschland nicht hat verwickeln lassen, auch wenn eine vereinfachte Moral das vielleicht „vorgeschrieben“ hätte.

Der Regionalkonflikt um den Donbass wurde von Kiew mit den militärischen Angriffen auch von Nazi-Einheiten auf die dortigen Bürger begonnen und er wurde dann vom Westen vorsätzlich zum internationalen Krieg ausgeweitet. Der westliche „Betrug von Minsk“ hat das letzte Vertrauen zerstört. Dass nun trotz schwerster historischer Verantwortung ausgerechnet Deutschland das zum Anlass für möglicherweise direkte militärische Konfrontationen mit Russland nimmt, ist geschichtslos, irrational, selbstzerstörerisch und vor allem durch geopolitische US-Abhängigkeiten zu erklären.

Endgültig zur Farce werden die Phrasen der deutschen Militaristen zu Ukraine und Völkerrecht angesichts des zahmen offiziellen deutschen Verhaltens gegenüber Israel. Die geopolitischen und sozialen Kosten für das deutsche „Ukraine-Abenteuer“ und die tödliche Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen Deutschland und Russland sind nicht zu rechtfertigen.

Die Zerstörung der deutsch-russischen Beziehungen muss als tragisch und kriminell bezeichnet werden und sie hat bereits jetzt gravierende Folgen für die deutschen Bürger. Es bleibt die nur schwache Hoffnung, dass diese Zerstörungen mit ernstgemeinter Diplomatie wieder repariert werden können – und zwar bevor der totale Alptraum eines deutsch-russischen Krieges Wirklichkeit werden könnte.

„Gibt es eine Perspektive für die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland?“

Hier folgen nun einige Zitate, die Sacharowa bei einem Pressebriefing am 17. Juli geäußert hat. Ein Video findet sich unter diesem Link. Die Frage eines Journalisten, auf die sich hier konzentriert werden soll, lautete:

Trotz der ständigen Spannungen in den deutsch-russischen Beziehungen war Deutschland bis 2022 das Russland am nächsten stehende Land in Europa. In der Zeit nach dem Kalten Krieg strebten Deutschland und Russland eine umfassende Partnerschaft an. Heute ist Berlin der aktivste Waffenlieferant an die Ukraine innerhalb der EU, und Boris Pistorius ruft offen dazu auf, ‚Russen zu töten‘. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Perspektive für die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und der Bundesrepublik Deutschland, und was wäre dafür erforderlich?

Hier folgen einige Ausschnitte aus der Antwort von Sacharowa:

Historisch gesehen haben wir alles getan, um die Beziehungen zu einem friedlichen und wohlhabenden Deutschland auf der Grundlage gegenseitigen Respekts aufzubauen. Wir haben vergeben, was weder ein Mensch noch ein Volk eigentlich vergeben kann. Und wir haben es dennoch geschafft. Wir haben zig Millionen getötete Menschen vergeben. Wir haben die Folterungen unseres Landes, unserer Menschen vergeben. Wir haben die niedergebrannten Städte und Dörfer, die zerstörten Museen vergeben. Wir haben die Misshandlungen von Menschen und Kindern vergeben. Wir haben ihnen vergeben, dass sie uns nicht nur als Menschen zweiter Klasse betrachteten, sondern als solche, denen überhaupt kein Recht auf Leben zustand. Wir haben alles vergeben.

Vergessen haben wir es nicht. Deshalb erhalten wir die Denkmäler, drehen Filme, lehren Geschichte. Wir haben nicht vergessen – aber wir haben vergeben und wieder die Hand zur Freundschaft, zum gegenseitigen Respekt und zur Zusammenarbeit ausgestreckt. Wir haben gezeigt, dass man, indem man vergibt, normale, respektvolle und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen anbieten kann. Wir haben eine große Zahl von Projekten vorgeschlagen.

Was haben wir bekommen? Das, was jetzt alle sehen können. Meiner Meinung nach ist das Schlimmste, was Deutschland bekommen hat, das vollständige Vergessen der eigenen Fehler. Es hat seine eigene moderne Geschichte vergessen – etwa die Wiedervereinigung eines Landes, das nicht nach Lust und Laune irgendeines Akteurs der Welt geteilt worden war, sondern als Folge seiner eigenen Verbrechen. Dieses Land hat vergessen, wer als treibende Kraft hinter der deutschen Einheit stand. Es war unser Land und unser Volk – das vergeben konnte, obwohl es nicht musste, und das sogar half, das deutsche Volk zu vereinen. Und selbst das konnten sie verraten. Sie haben sich selbst verraten.

Heute hören wir aus dem offiziellen Berlin Aufrufe zur Vernichtung unserer Staatlichkeit, unseres Landes und unseres Volkes – kollektiv und individuell. Diese Aufrufe sind zur „Manie“ jener geworden, die heute in Deutschland das Sagen haben. Sie vernichten buchstäblich alles, was mit Russland zu tun hat – im Informationsbereich, in der Kultur, im Humanitären, in der Wirtschaft, im Finanzwesen.

Ich bin überzeugt, dass viele Deutsche – einfache Menschen, gebildete, klarsichtige Menschen – unter dem leiden, was sie als Vorahnung einer erneuten Katastrophe empfinden.

Titelbild: Lightspring / Shutterstock

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