„Die USA beherrschen Europa“

„Die USA beherrschen Europa“

„Die USA beherrschen Europa“

Ein Artikel von Klaus von Dohnanyi & Erich Vad

Der aktuelle Gesprächsband „Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung“ vom Westend Verlag dokumentiert ein Gespräch zwischen von Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg und hoher Politiker in der SPD, und Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und ehemaliger militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, über deutsche Geschichte, ihre persönlichen Erfahrungen mit Krieg und Frieden, sowie über die dringend nötige Neuausrichtung von Deutschlands Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir veröffentlichen hier einen Auszug aus dem Buch.

Klaus von Dohnanyi: (…) Was mir fehlt, Herr Vad, ist das strategische Verständnis der Führungsschichten und Eliten in Europa, einschließlich Deutschlands, auch Frankreichs, angesichts einer Kriegsgefahr, die wir vor den Türen Europas haben. Aus unserem Mangel an strategischer Überlegung wissen wir nicht, wie wir auf Dauer Europa am besten platzieren sollten, um in dieser Welt, in der wir militärisch keine Rolle spielen, wenigstens als Wirtschaftsmacht, wo wir ja sehr stark sind, eine Rolle spielen zu können, auch um die Friedenspolitik in der Welt voranzutreiben. Die Gefahr, dass wir einbezogen werden in kriegerische Entwicklungen in Asien, ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Russen sind mit den Chinesen mehr oder weniger alliiert. Wenn es jetzt in Taiwan zu einem Konflikt käme, wer weiß, wie Russland sich in Europa verhalten würde. Niemand kann das vorhersagen.

Erich Vad: Nein, das kann niemand sagen. Man muss auch bei diesen kurzen Militärschlägen gegen den Iran folgendes sehen: Der Iran gehört zu den BRICS-Staaten. Iran ist Teil dieser chinesischen Kooperationsinitiative mit engen Verbindungen auch nach Indien. Das iranisch-indische Verhältnis ist sehr eng, auch das indisch-russische. Das indisch-chinesische ist nicht spannungsfrei, aber immerhin hatten wir ja im Juli 2025 diesen Gipfel in Rio de Janeiro. Die BRICS-Staaten formieren sich, der globale Süden sieht unser westliches Agieren in der Außen- und Sicherheitspolitik sehr kritisch.

Klaus von Dohnanyi: Putin hat ja die BRICS-Staaten erfolgreich bei sich eingeladen.

Erich Vad: Ich sehe da auch eine wichtige, vermittelnde Aufgabe für Deutschland und Europa. Statt nur an »ReArm«, also Wiederbewaffnung, zu denken, was Ursula von der Leyen derzeit macht, sollte man auch schauen, dass wir eine Brücke sind oder auch sein könnten – zu den BRICS-Staaten. Das wäre eine schöne, vernünftige Rolle und das verstünde ich auch unter einer konstruktiven Friedenspolitik, die gleichzeitig auch unserer Wirtschaft hilft. Das wäre auch eine Aufgabe des deutschen Bundeskanzlers, der ja irgendwann auch nach China fliegen will, dass man im Grunde genommen auch diese Verbindungen in den globalen Süden stärkt, auch, um aus dieser eindimensionalen, törichten Konfrontation mit Russland und auch China rauszukommen, die uns gar nichts bringt.

Klaus von Dohnanyi: Aber dann müssten wir unsere Prioritäten anders setzen. Wir müssen unsere Prioritäten auf eine wirkliche nachhaltige Zukunft Europas setzen. Und die Zukunft Europas liegt in einer weltweiten Beteiligung Europas als Wirtschaftsmacht und nicht als Militärmacht. Wir haben das Thema Atomwaffen noch nicht berührt. Ich halte ja die Tatsache, dass die Franzosen Atommacht sind, für relativ irrelevant, denn sie werden niemals Atomwaffen einsetzen, auf jeden Fall nicht, um Warschau oder Berlin zu retten und damit Paris zu gefährden. Das halte ich für völlig ausgeschlossen.

Erich Vad: Die Nuklearfrage ist schon spannend. Zwei Atommächte, die USA und Israel, haben Iran attakiert. Militärisch betrachtet ist Israel informell Atommacht. Iran selbst ist von Atommächten umgeben: Pakistan, Indien, Russland, die 5. US-Flotte und Israel. Ob Iran nun wirklich welche haben will oder nicht, mag dahingestellt sein. Ich könnte mir vorstellen, dass sie Atomwaffen haben wollen. Warum? Damit nicht wieder das passiert, was ihnen jetzt passiert ist. Denn gegenüber nuklear bewaffneten Ländern wie Nordkorea wäre ein solches Vorgehen nicht möglich. Die Ukraine hat im Budapester Memorandum 1994 auf atomare Waffen verzichtet und musste deshalb den Russischen Angriff im Februar 2022 über sich ergehen lassen.

Klaus von Dohnanyi: Zu Letzterem bin ich ganz anderer Meinung als Sie.

Erich Vad: Ich glaube, wenn die Ukrainer Atomwaffen gehabt hätten, hätten die Russen sie nicht angreifen können.

Klaus von Dohnanyi: Aber Herr Vad, das ist doch ein Märchen, das verbreitet wird. Die Atomwaffen, die in der Ukraine stationiert wurden, sind genauso zu bewerten wie die Atomwaffen, die die Amerikaner in Europa und auch in Deutschland stationieren. Die gehören niemandem hier außer den Amerikanern. Die Atomwaffen in der Ukraine waren dort stationiert, um möglichst weit westlich die Verteidigung der Russischen Föderation zu stärken. Das war doch eine reine – sage ich mal – Lagerungs-, Abschuss- oder Ortsfrage. Aber das waren doch keine Nuklearwaffen, die die Ukraine auch nur für einen Augenblick hätte benutzen können.

Erich Vad: Das stimmt, Herr von Dohnanyi. Das war eine Teilhabe, so ähnlich wie wir das in der NATO haben.

Klaus von Dohnanyi: Tatsächlich hatten die Ukrainer nichts abgegeben, was sie hatten, denn der Knopf, mit dem diese Raketen überhaupt abgeschossen werden, war definitiv in Moskau und nicht in Kiew. Deswegen sehe ich das völlig anders. Ich glaube, die Ukraine hat dort nichts abgegeben. Das ist ein Märchen, das verbreitet wird- auch von Herrn Selenskyj, wenn er behauptet: »Wir haben unsere Atomwaffen an Russland zurückgegeben.« Das ist doch dummes Zeug. Die Ukrainer hatten gar keine. Das ist so, als ob wir sagen würden, wir haben die Waffen, die die Amerikaner hier gelagert haben, abgegeben. Die gehören uns nicht – Gott sei Dank, ich weiß es nicht … Auf jeden Fall liegt die Verfügungsmacht über diese Raketen ausschließlich bei den USA und nicht bei uns.

Erich Vad: Sehr richtig. Ich wollte mit dem Ukrainebeispiel zum Ausdruck bringen, dass die Ukrainer, wenn sie Nuklearwaffen gehabt hätten und auch die Verfügungsgewalt darüber, dass sie dann wahrscheinlich nicht von den Russen angegriffen worden wären. Es scheint – in Anlehnung an Carl Schmitt – wohl doch so zu sein, dass man erst dann wirklich souverän ist, wenn man – neben digitaler Souveränität – über Nuklearwaffen verfügt.

Klaus von Dohnanyi: Okay, jetzt ist es klarer.

Erich Vad: Was die Mittelstreckenraketen anbelangt, sehe ich das genauso. Wir stationieren im nächsten Jahr amerikanische Mittelstreckenraketen, mit einer Abwehrkomponente, mit einer Angriffskomponente, mit Hyperschallwaffen, nuklear oder konventionell bestückt. Ich halte das auch für eine sehr schlechte Lösung, weil es nur ein bilaterales Abkommen Deutschlands mit den USA ist, also nicht NATO-weit verhandelt wurde und weil die Vereinbarung nicht verknüpft wurde – wie damals der NATO-Doppelbeschluss unter Helmut Schmidt und Helmut Kohl – mit Abrüstungsmaßnahmen, Dialog und vertrauensbildenden Maßnahmen. Und dass wir keinen politischen Zugriff auf diese Mittelstreckenraketen haben. Das stört mich. Wenn wir diese Systeme aufstellen, um die Bedrohung vom Oblast Kaliningrad auszugleichen, dann müssen das europäische Systeme oder deutsche Systeme sein. Und die deutsche Regierung muss entscheiden, wann, wo und wie sie eingesetzt werden.

Klaus von Dohnanyi: Aber, lieber Herr Vad, das ist doch eine völlige Fehleinschätzung unserer Beziehung zu den USA. Die USA beherrschen Europa und die denken gar nicht daran, auch nur die Herstellung des Knopfes in einer deutschen Firma zuzulassen. Das ist doch völlige Illusion. Wir haben doch nichts zu sagen. Wir transportieren am Ende möglicherweise mit hier stationierten Trägersystemen die Raketen an die Einsatzorte. Darum geht es doch bei der nuklearen Teilhabe. Wobei ich der Meinung bin, dass diese ganze Atombewaffnung überschätzt wird. Ich weiß nicht, ob Sie in meinem Buch meinen Bericht an den Bundeskanzler Helmut Schmidt gelesen haben. Ich hatte damals den Auftrag, den deutschen Übungsstab zu leiten zusammen mit meinem Freund Klaus Blech, der dann später deutscher Botschafter in Moskau wurde. Blech war damals Leiter der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Wir waren also zu zweit leitungsmäßig mit dieser NATO-Übung befasst. Eines guten Tages legten wir uns während der Übung gegen 3 Uhr zu Bett. Als wir um 5 Uhr wieder aufstanden, berichtete man uns, die Amerikaner hätten gerade als Übungsmaßnahme Deutschland nuklear verseucht, um die Russen am Vormarsch zu hindern.

Erich Vad: Ja, das stimmt. Solche Fallex und Wintex-Übungen der NATO gab es alle zwei Jahre im Kalten Krieg. Deutschland wäre in solchen Szenarien verwüstet worden.

Klaus von Dohnanyi: Und das ist auch heute noch so. Ich bin zu Bundeskanzler Helmut Schmidt gegangen und habe ihn gefragt: »Können sie sich vorstellen, was da passiert ist? Wir wachen morgens auf und hören plötzlich, dass die Amerikaner taktische Nuklearwaffen abgeworfen hätten, um einen ganzen Streifen in Deutschland unbegehbar zu machen. Mitten in Deutschland. Die haben uns nicht mal gefragt.« Da sagte er: »Ich weiß, das ist amerikanische Verteidigung.«

Transparenzhinweis: Unsere Redakteurin Maike Gosch hat das Gespräch moderiert.

Klaus von Dohnanyi, Erich Vad: Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung. Neu-Isenburg 2025, Westend Verlag, gebundene Ausgabe, 144 Seiten, ISBN 978-3-98791-336-5, 20 Euro, erscheint am 18. August 2025. Erhältlich im Buchhandel oder online.

Titelbild: Westend Verlag

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