Nach dem Gipfeltreffen in Alaska und einem Einzelgespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird US-Präsident Donald Trump heute auch „die Europäer“ zu einem Sondierungsgespräch zum Friedensprozess im Ukrainekrieg treffen. Es stellt sich die Frage, ob das Weiße Haus dafür überhaupt groß genug ist. Gleich sieben Vertreter werden Trump als Stimmen des alten Kontinents gegenübersitzen. Grundsätzlich ist es natürlich wichtig und richtig, die Europäer an dieser Stelle mit einzubinden, ist ein dauerhafte Friede ohne sie doch nicht möglich und stellen sie doch bislang das größte Hindernis im Friedensprozess dar. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Europäer überhaupt reif für einen Frieden sind. Ein Kommentar von Jens Berger.
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„Wen rufe ich an, wenn ich mit Europa sprechen will?“ – dieses mittlerweile berühmte Zitat des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger ist auch heute noch aktuell. Mittlerweile hat die EU zwar mit Kaja Kallas eine „Außenbeauftragte“, die eigentlich die zentrale Anlaufstelle für außenpolitische Fragestellungen sein sollte. Paradoxerweise steht Kallas jedoch noch nicht einmal im Aufgebot des illustren europäischen Verhandlungsteams, das heute im Weißen Haus erwartet wird. Wer Kallas’ Positionen zur europäischen Sicherheitspolitik kennt, wird dies freilich nicht bedauern.
Gründe für Zweckoptimismus gibt es dennoch nicht. Zwar muss die Estin Kallas zu Hause bleiben, dafür hat man aus unerfindlichen Gründen mit dem Finnen Alexander Stubb einen „würdigen“ Ersatzmann nominiert. Auch Stubb gilt als Falke und „Russenfresser“ und vertritt mit Finnland ein Land, das gerade einmal halb so viele Einwohner wie Ungarn hat, dessen Präsident Viktor Orban bekanntlich eine vom EU-Mainstream abweichende Position zur Ukrainefrage vertritt. Warum nimmt man also Stubb und nicht Orban mit? Sicher, das ist eine rhetorische Frage. Stubb ist ein Golfpartner von Trump und man sagt ihm nach, er hätte einen guten Zugang zum US-Präsidenten. Das sagt man auch über Giorgia Meloni und Mark Rutte, die auch zum europäischen Aufgebot gehören. Auch hier müsste man die Frage stellen, warum man die Italienerin Meloni und nicht den Spanier Pedro Sanchez mitnimmt, der ebenfalls kritischere Positionen vertritt. Und warum der politische Chef der NATO, eines transatlantischen Militärbündnisses, die Positionen der Europäer vertreten soll, ist ohnehin nicht ersichtlich.
Da haben wir sie nun, die Europäer. Fünf Staatschefs von vier EU-Ländern und dem Nicht-EU-Staat Großbritannien, die Präsidentin der EU-Kommission und der Generalsekretär der NATO; und jeder von ihnen vertritt bezüglich Krieg und Frieden in der Ukraine und Europa andere Positionen. In ähnlicher Formation konnte man sich jedoch bereits unter dem Dach der selbsternannten „Koalition der Willigen“ offenbar bereits auf einige „Eckpunkte“ einigen. Das Problem: Diese Eckpunkte sind so meilenweit von den Rahmenbedingungen entfernt, die beim Gipfeltreffen zwischen den USA und Russland am letzten Freitag in Alaska besprochen wurden, dass es unwahrscheinlich erscheint, hier auf einen Nenner zu kommen.
Für Russland steht die Frage einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa bekanntlich ganz oben auf der Agenda. Es geht darum, die Ursachen des Konflikts zu beseitigen, wie es die russische Seite stets unterstreicht. Man wolle keinen Waffenstillstand, sondern einen stabilen und andauernden Frieden. Auf die Ukraine bezogen hieße das, dass das Land künftig ein militärisch neutraler Puffer zwischen den Blöcken sein soll. Und was wollen die Europäer, die in Washington zu Gast sind?
Die Streitkräfte der Ukraine und ihre Zusammenarbeit mit Drittländern dürfen keinen Beschränkungen unterworfen werden. Russland darf kein Veto gegen den Weg der Ukraine in die EU und die NATO einlegen.
Aus dem gemeinsamen Statement der „Koalition der Willigen“ von 16. August
Größer können die Unterschiede in diesem Punkt, der wie gesagt für Russland zentral ist, wohl kaum sein. Es ist schon vielsagend, dass im deutschen und auch im europäischen Diskurs dieser zentrale Punkt kaum eine Rolle spielt. Stattdessen werden hierzulande stets die territorialen Fragen, die streng genommen eher nachrangig sind, in den Mittelpunkt gestellt. Doch nicht nur das.
Der hierzulande von Politik und Medien debattierte Überbau der Verhandlungen ist stets, die Ukraine und oft sogar die östlichen EU-Staaten einseitig vor künftigen Aggressionen aus Russland zu beschützen. Dafür brauche es „Sicherheitsgarantien“, die vor allem die USA stellen sollen. Diese Erzählung ist schon sehr raffiniert, bekräftigt sie doch das hierzulande immer wieder erzählte Bild eines expansiven, aggressiven Russlands und einer rein defensiven westlichen Staatengemeinschaft. In Russland herrscht jedoch das exakt gegenteilige Bild vor. Aus russischer Sicht expandiert die NATO fortwährend gen Osten und hat mit der vorangetriebenen NATO-Assoziation der Ukraine die rote Linie überschritten, vor der Putin bereits 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz explizit gewarnt hat. Heute stehen die Russen Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach eigenen Aussagen nicht im Wege, verlangen jedoch im Gegenzug auch Sicherheitsgarantien für Russland. Das ist freilich ein valider Punkt, doch wie sollen die im NATO-Denken verfangenen Europäer dem gerecht werden?
Soll es also zu einem Frieden kommen, muss diese Frage zentral angegangen werden. Doch nicht zuletzt der sicherheitspolitische europäische Diskurs zeigt, dass die Europäer nicht bereit für diese Debatte sind. Sollte Donald Trump dies ändern, wäre er tatsächlich ein Kandidat für den Friedensnobelpreis – beides ist aber zugegebenermaßen sehr unwahrscheinlich.
Echten innenpolitischen Druck müssen Europas Falken derzeit auch nicht befürchten. Die Narrative der Falken sitzen fest in den Köpfen der Menschen; den Medien sei Dank. Dies wird sich auch am heutigen Nachmittag in Washington nicht ändern. Die Rollen sind dabei klar verteilt. Putin ist – was auch sonst – das personifizierte Böse, das aufgehalten werden muss, solange es noch geht. Die Ukraine ist nicht Objekt, sondern Subjekt und als solches das arglose, bedauernswerte Opfer. Die Europäer sind die weißen Ritter, die vollkommen frei von eigenen Interessen diesem armen Opfer beistehen. Und last but not least gibt es noch Donald Trump – den verwirrten Egomanen, der von Putin über den Tisch gezogen wurde, nun aber von den wackeren Streitern Europas wieder ins Lager der Guten geholt werden kann.
Keine Frage – wer mit dieser Geschichte arbeitet, ist überhaupt nicht fähig, einen dauerhaften Frieden oder gar eine echte europäische Sicherheitsarchitektur mit einem ernsthaften Interessenausgleich hinzubekommen. Auch wenn man Trump aus guten Gründen nicht mag: Man kann nur hoffen, dass er der europäischen Klassenfahrt ordentlich die Leviten liest und vielleicht doch das Undenkbare denkbar werden lässt: Frieden.
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