Blick aus dem Globalen Süden: Die Welt finanziert das US-Defizit

Blick aus dem Globalen Süden: Die Welt finanziert das US-Defizit

Blick aus dem Globalen Süden: Die Welt finanziert das US-Defizit

Ein Artikel von Jaime Bravo & Jorge Coulon

Der Status des US-Dollars als Weltreservewährung ermöglicht es den USA, ihre Inflation zu exportieren und über ihre Verhältnisse zu leben – auf Kosten aller anderen. Die große Frage ist, wie lange dieses System aufrechterhalten werden kann. Es gibt bereits Versuche, Alternativen zu schaffen: den chinesischen Yuan oder Renminbi, die BRICS-Initiativen zum Handel in lokalen oder sogar in digitalen Währungen der Zentralbanken. Von Jaime Bravo und Jorge Coulon.

Im August 1971 verkündete der damalige US-Präsident Richard Nixon die Aussetzung der Bindung des Dollars an Gold.

Damit endete ein Zyklus, der mit den Bretton-Woods-Abkommen [1944, Anm. d. Red.] begonnen hatte, die den USA – der einzigen Industrie- und Finanzmacht, die mit ihren intakten Kapazitäten und als Kreditgeber für den Rest der Welt aufstrebten – die Möglichkeit gaben, ihre Währung zur globalen Wertreserve zu machen.

Aber selbst mit diesem amerikanischen Gewicht mussten die USA Kompromisse bei der Golddeckung eingehen und dafür die Reserven der westlichen Länder konzentrieren. Niemand war bereit, die Druckerpresse für die Reservewährung einem einzigen Land zu überlassen.

Mit der Aufhebung der Konvertibilität – dem sogenannten Nixon-Schock – brach das Bretton-Woods-System zusammen, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Stabilität im internationalen Handel gesorgt hatte. Der Goldstandard, der garantierte, dass jeder Dollar gegen eine feste Menge Edelmetall eingetauscht werden konnte, wurde aufgegeben.

Seitdem wird der Dollar allein durch „Vertrauen” in die US-Wirtschaft und die politische und militärische Macht, die dahintersteht, gestützt.

Aber das ist nicht alles. Die erzwungene Verwendung des Dollars führte zur Entstehung der Petrodollars. Nixon selbst unterzeichnete ein Abkommen mit Saudi-Arabien, wonach dieses Land – seinerzeit der führende Ölexporteur – nur Zahlungen in US-Dollar akzeptieren würde. Im Gegenzug würden die USA die Sicherheit Saudi-Arabiens garantieren.

Die hohe Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Öl sicherte den Fortbestand dieser Währung als Reservewährung und als universellstes internationales Zahlungsmittel.

Exorbitantes Privileg

Dieser Übergang zu einer auf „Vertrauen” basierenden Währung führte zu einer besonderen Finanzordnung: Die Währung eines einzigen Landes wurde der globale Maßstab.

Damit erlangte Washington ein beispielloses Privileg: Es kann nach Belieben Dollar drucken, ohne dass die Welt diese ablehnt. Tatsächlich verlangt die Welt nach ihnen. Zentralbanken, Regierungen und Unternehmen benötigen Dollar, zum Handeln, Sparen und Leihen. Was für jede andere Nation ein sicheres Rezept für Inflation wäre, wird für die USA zu einem Mechanismus für globale Finanzierung.

Der damalige Finanzminister – und spätere Präsident Frankreichs – Valéry Giscard d’Estaing bezeichnete diese Situation als „exorbitantes Privileg”.

Und er hatte recht: Dank der Hegemonie des Dollars können die USA über ihre Verhältnisse leben und ihre Haushalts- und Handelsdefizite mit Papiergeld – oder digitalen Belegen – finanzieren, die andere wie Gold horten.

Wie die Maschinerie funktioniert

Die Maschinerie funktioniert auf einfache und brutale Art und Weise.

Wie wir gesehen haben, werden Öl und die meisten anderen Rohstoffe in Dollar gehandelt. Internationale Schulden werden in Dollar angegeben. Die Reserven der Zentralbanken werden in Dollar gehalten. Somit zahlt jedes Land der Welt eine Art „Tribut” an das Zentrum des Systems.

Wenn die Federal Reserve die Geldmenge erweitert – wie nach der Krise von 2008 oder während der Pandemie von 2020 –, injiziert sie Liquidität, die über ihre Grenzen hinausfließt.

Ein Teil dieser Dollar zirkuliert in der Weltwirtschaft, übt Druck auf Preise aus und wertet lokale Währungen ab. Andere kehren in Form von Käufen von Treasury Bonds[*], die als die sichersten Anlagen der Welt gelten, in die USA zurück. In beiden Fällen gewinnt Washington: Es finanziert seine Schulden zu niedrigen Kosten und exportiert einen Teil seiner Inflation.

Nicht alle Schuld liegt beim Dollar

Dieser Punkt sollte differenziert werden. Die globale Inflation lässt sich nicht allein durch die Emissionen der USA erklären. Noch andere Faktoren sind im Spiel: Kriege, die die Lieferketten unterbrechen; Ölpreisanstiege; Pandemien, die die Produktion beeinträchtigen; Finanzspekulationen und die Innenpolitik der einzelnen Länder.

Aber der Dollar wirkt wie ein Verstärker: Sein Status als globale Reservewährung bedeutet, dass die Kosten der Entscheidungen der USA auf globaler Ebene verteilt werden.

Wenn beispielsweise die Federal Reserve die Zinsen erhöht, fließt Kapital aus Schwellenländern in Treasury Bonds, wodurch der Dollar gestärkt und die nationalen Währungen geschwächt werden. Dies macht Importe teurer, erhöht die Kosten der Auslandsverschuldung und trifft die peripheren Volkswirtschaften direkt.

Es macht deutlich, dass die Währungssouveränität des Globalen Südens an die Entscheidungen einer Zentralbank gebunden ist, die ausschließlich den Interessen der USA dient, mit Führungskräften aus der privaten Finanzwelt und einem von der Exekutive ernannten Präsidenten.

Unsichtbare Finanzierung

Das Ergebnis ist paradox: Die ganze Welt finanziert das Defizit der USA. Das am höchsten verschuldete Land der Welt bleibt gleichzeitig in den Augen der Märkte das solventeste. Nicht weil seine Konten in Ordnung sind, sondern weil es immer in der Währung bezahlen kann, die nur es selbst ausgibt.

Es ist, als akzeptierten alle anderen bereitwillig, ewige Gläubiger einer Macht zu sein, die niemals beabsichtigt, sie in Gold zurückzuzahlen, sondern nur in ihrem eigenen gedruckten Versprechen.

Wie lange wird das so weitergehen?

Die große Frage ist, wie lange dieses System aufrechterhalten werden kann. Es gibt bereits Versuche, Alternativen zu schaffen: den chinesischen Yuan oder Renminbi, die BRICS-Initiativen zum Handel in lokalen oder sogar in digitalen Währungen der Zentralbanken. Der Euro, obwohl wichtig, hat es nicht geschafft, den Dollar von seinem Thron zu stoßen.

Die Hegemonie des Dollars ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage: Sie ist ein Machtinstrument. Die USA drucken nicht nur die Währung, die jeder benutzt, sie können auch Transaktionen blockieren, Finanzsanktionen verhängen und ganze Länder aus dem Zahlungssystem ausschließen. Krieg und Finanzen sind auf demselben Schlachtfeld verwoben.

Unterdessen trägt der Rest der Welt die Kosten: importierte Inflation, teurere Schulden, wiederkehrende Währungskrisen.

Die Schlussfolgerung ist unbequem, aber klar: Wir leben in einer Ordnung, in der der Emittent der Weltwährung Geld ausgibt, das er nicht hat, und der Rest der Welt die Rechnung bezahlt – zunehmend mit dem, was er ebenfalls nicht hat: steigende Schulden und verpfändete Souveränität.

Vielleicht wird das 21. Jahrhundert die Herausbildung eines neuen monetären Gleichgewichts mit sich bringen. Aber solange der Dollar weiterhin dominiert, wird das Paradoxon bestehen bleiben: Die USA produzieren Defizite, und die ganze Welt finanziert sie.

Der Beitrag erschien im Original auf Aliran, Übersetzung aus dem Englischen von Marta Andujo.

Über die Autoren:

  • Jaime Bravo aus Chile ist Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzender der Corporación Encuentro Ciudadano.
  • Jorge Coulon aus Chile ist Musiker, Schriftsteller und Kulturmanager. Er ist Gründungsmitglied der Gruppe Inti Illimani.

Titelbild: Pla2na / Shutterstock


[«*] Treasury Bonds sind eine Form der Schuldenaufnahme durch Staaten, um sich zu finanzieren. Die US-Treasury Bonds werden vom US-Finanzministerium herausgegeben.

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