Milliarden für die Ukraine, aber bröckelnde Brücken zu Hause. Während Union und Regierung mit neuen Forderungen und Debatten ablenken, wächst der Frust im Land. Statt Lösungen gibt es Symbolpolitik – in der Ukraine-Frage wie in der Industrie. Von Sevim Dağdelen.
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Der Haushaltsausschuss des Bundestages will jetzt mit den Stimmen der Koalition zusätzlich drei Milliarden Euro für die Ukraine genehmigen. Davon sollen neue Waffensysteme beschafft werden. Deutschland ist dabei, nach der finanziellen Zurückhaltung unter US-Präsident Donald Trump, zum größten Unterstützer der Ukraine zu avancieren – gerade wenn man den deutschen Anteil an den EU-Hilfen für das Land mit in Betracht zieht. Deutschland war mit Abstand der größte Einzahler in den EU-Haushalt. 2024 wurden über 27 Milliarden Euro an die EU überwiesen, fast ein Viertel des Brüsseler Budgets.
Wenn es nach der Union geht, soll Deutschland aber auch noch einen ganz anderen Beitrag zum Krieg in der Ukraine leisten. In den letzten Wochen haben sich weitere hunderttausende Ukrainer dem Kriegsdienst entzogen und sind gerade auch nach Deutschland geflüchtet. Seit August 2025 ist es für 18- bis 22-jährige Männer legal möglich, die Ukraine zu verlassen. Viele haben diese Möglichkeit genutzt. Der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, fordert deshalb, die etwa 200.000 in Deutschland lebenden kriegspflichtigen Ukrainer zurück ins Kriegsgebiet zu schicken. Sekundiert wird ihm dabei vom deutschen Außenminister Johann Wadephul. Um Druck für eine Rückkehr zu machen, sollen die sozialen Leistungen gekürzt werden.
Doch das zynische Kalkül der Union geht bisher nicht auf – auch, weil sich die Beschäftigungsquote für Ukrainer in Deutschland massiv erhöht hat. Wie bei der von Kanzler Friedrich Merz losgetretenen Stadtbilddebatte ist auch die Debatte zur Rücksendung ukrainischer Männer vor allem eine Ablenkungsdebatte von den Folgen der eigenen miserablen Politik. Während das Land zerbröselt und es trotz gigantischer Schuldenaufnahme an Geld für die Infrastruktur mangelt, werden für den Krieg in der Ukraine stets neue Milliarden von Seiten der Bundesregierung bereitgestellt.
In Berlin kann man sich auf der A100, wo jetzt die nächste Brücke gesperrt wurde, tagtäglich ein Bild von der wachsenden Misere machen. Union und SPD aber scheint dies völlig gleichgültig. Hauptsache, man plündert die Kasse und schreit dann: Haltet den Dieb.
Ablenkungspolitik scheint mitunter das Einzige zu sein, was die Bundesregierung noch zu bieten hat. Das zeigt sich auch bei der Stahlindustrie. Während man über die Sanktionen gegen Russland und die hohen Energiepreise in der Folge sowie über Preissteigerungen durch die CO₂-Steuer die deutsche Stahlindustrie an die Wand gefahren hat, versucht man jetzt, über die Forderung nach neuen Sanktionen – etwa gegen den Import russischer Stahlprodukte – und Importbeschränkungen für Stahl aus Asien den Beschäftigten und der Öffentlichkeit Aktivität zur Rettung der von einem selbst in Gefahr gebrachten Industrie vorzugaukeln.
Im Schatten dieser Ablenkungsdebatte entwickelt sich die deutsche Stahlindustrie zum Selbstbedienungsladen für die kriselnde SPD, die scheinbar nicht mehr so viele Jobs zu vergeben hat. Seit September 2025 ist der Stahlfachmann Heiko Maas Aufsichtsratsvorsitzender der beiden saarländischen Stahlkonzerne Dillinger Hütte und Saarstahl. Sein ehemaliger Büroleiter im saarländischen Wirtschaftsministerium, Stefan Rauber, ist Vorstandsvorsitzender. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Titelbild: Andrew Angelov/shutterstock.com






