Der Fall „Blutige Gina“ – ein weiteres Zeichen für den Verfall der USA

Jens Berger
Ein Artikel von:

Unser Gastautor Ray McGovern hat Mut bewiesen und während der Senatsanhörung der designierten CIA-Chefin Gina Haspel kritische Zwischenfragen gestellt. Als „Dank“ dafür wurde der 78jährige von vier Uniformierten niedergerungen und mit Gewalt in Haft genommen. Wer in den großen US-Medien nach diesem Zwischenfall sucht, sucht vergebens. Das ist kein Wunder, denn selbst die Kritik ist in den USA institutionalisiert und die Personalie Haspel ist geradezu ein Musterbeispiel für die Verlogenheit der Debatte und des Versagens der Kontrollmechanismen, die wir als „Checks and Balances“ kennen. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Karriere von Gina Haspel taugt wohl nicht für einen typischen Hollywood-Blockbuster. Afrikanische und asiatische Folterknechte kriegen dort von einem aufrechten amerikanischen Helden eine 9mm-Kugel zwischen die Augen verpasst. Und wenn es keine Blockbuster, sondern zivilisiertere „Arthouse-Filme“ sind, landen die Bösewichte vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und müssen sich für ihre Missetaten rechtfertigen. Natürlich gibt es in Hollywood-Filmen auch amerikanische Bösewichte, die foltern und dann die Beweise ihrer Straftaten vernichten. Doch auch dann gibt es am Ende stets ein Happy End – die Folterknechte bekommen ihre „gerechte“ Strafe, das „Gute“ siegt und das Sternenbanner flattert im Sonnenuntergang. Glory, Glory, Hallelujah. Die USA erkennen den Internationalen Gerichtshof übrigens noch nicht einmal an. Im echten Leben sieht die Sache ohnehin ein wenig anders aus.

Gina Haspel ist eine sogenannte „CIA-Veteranin“. Sie dient dem Auslandsgeheimdienst der USA seit mehr als 30 Jahren; leider verbietet die notorische Geheimniskrämerei der CIA die Herausgabe der Informationen, was genau Frau Haspel dort eigentlich gemacht hat. Dennoch kamen zwei Tätigkeitsprofile von Miss Haspel ans Licht, die ein erschütterndes Bild der Kandidatin zeichnen. So war Gina Haspel in der Zeit nach 9/11 in leitender Position im amerikanischen „Krieg gegen Terror“ tätig. Nach Aussagen des ehemaligen FBI-Verhörexperten Ali Soufan nahm Haspel dabei eine „Schlüsselrolle“ im berüchtigten Folterprogramm der USA ein. Fest steht unter anderem, dass sie 2002 einem illegalen US-Foltergefängnis, einer sogenannten „Black Site“, in Thailand vorstand und dort die grauenhafte Folterpraxis persönlich angeordnet und überwacht hat.

Trotz der aufkommenden Kritik an Praktiken á la Waterboarding und illegalen Black Sites machte die Folterexpertin Haspel auch unter Präsident Obama schnell Karriere und als es hart auf hart kam und ihre persönliche Beteiligung am Folterprogramm durch eine Untersuchung des Senats aufzufliegen drohte, ließ Haspel insgesamt 92 Videobänder, auf denen die Folterungen protokolliert wurden, vernichten. Dies ist – anders als die Inhalte der Bänder – jedoch sehr wohl bekannt und Insider wissen noch mehr, ohne darüber sprechen zu dürfen. In CIA-Kreisen hat Gina Hapsel daher auch den Spitznamen „Bloody Gina“ (Blutige Gina). Die Bürgerrechtsorganisation ACLU bezeichnet Haspel offen als „Kriegsverbrecherin“ und die europäische Menschenrechtsorganisation ECCHR erstattete Anzeige bei der deutschen Generalbundesanwaltschaft, einen internationalen Haftbefehl gegen Haspel auszustellen.

Trotz der öffentlichen Kritik an den Folterprogrammen während der Regierungszeit Obamas mussten leitende Geheimdienstler sich keine Sorgen um ihre Karriere machen. Kein einziger Folterknecht wurde aus der CIA entlassen. Dafür wurde jedoch der CIA-Whistleblower John Kiriakou, der Journalisten 2009 erst auf das Foltergefängnis in Thailand und weitere Einzelheiten aus dem Folterprogramm aufmerksam machte, Jahre später unter Obama verhaftet und zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Kiriakou ist somit der einzige CIA-Mann, der – wenn auch sehr indirekt – im Umfeld des Folterprogramms angeklagt wurde. Allein dies ist eine moralische Bankrotterklärung.

Dass Donald Trump ein glühender Befürworter der Folter ist, ist spätestens seit seinem Wahlkampf bekannt. Insofern ist es noch nicht einmal überraschend, dass Trump Haspel vor etwas über einem Jahr zunächst zur stellvertretenden CIA-Vorsitzenden ernannt und nun zur CIA-Chefin vorgeschlagen hat. Doch daraus nun – wie viele „liberale“ Medien es tun – eine „Trump-Geschichte“ zu machen, ist zu einfach und versperrt den Blick für eine vernichtende Analyse der gesamten US-Politik.

Schon in der Schule lernten wir, dass das US-System vor allem wegen der zahlreichen „Checks and Balances“, also der institutionalisierten Kontrollmöglichkeiten verschiedener Institutionen und Gremien, besonders demokratisch ist. So darf der Präsident beispielsweise nur seinen Kandidaten für den Posten des CIA-Vorsitzenden vorstellen; ernannt wird dieser Kandidat erst durch den US-Senat. Wer also der netten Geschichte vom „bösen Trump“ glaubt, der die im Kern ach so gute US-Politik gekidnappt hat, der bräuchte ja keine Angst zu haben. Denn der US-Senat würde dann ja nie und nimmer eine „Kriegsverbrecherin“ und „Foltermagd“ zur CIA-Chefin ernennen. Oder doch?

Genau darauf läuft es aber momentan hinaus. Genau zwei republikanische Senatoren haben bislang angekündigt, gegen Haspel zu stimmen – zum Einen John McCain, der selbst als Soldat in Nordvietnam Opfer von Folter war und zum Anderen Rand Paul, der als Maverick bei vielen Positionen seinen eigenen Kopf hat. Auf der anderen Seite gibt es jedoch schon die ersten demokratischen Senatoren, die sich offen zu Haspel bekennen und auch das gesamte demokratische Geheimdienst-Establishment unterstützt offenbar Haspel. Die „Checks and Balances“ scheinen zu versagen, wenn es um Folter geht. Daran dürfte wohl auch die blamable Vorstellung Haspels bei der Senatsanhörung vom Mittwochabend nichts ändern.


Ausschnitt aus der Anhörung

Haspel konnte sich dabei noch nicht einmal zu einer klaren Aussage durchringen, ob sie Folter für moralisch oder unmoralisch hält. Die Vernichtung der Videobänder sei nicht etwa falsch, sondern es war nur „ein Fehler, sich vorher nicht zu versichern, dafür von allen Beteiligten die Genehmigung einzuholen“. Würde sie wieder foltern lassen, wenn der Präsident dies anordnet? „Ich glaube nicht, dass der Präsident mich um so etwas bitten würde“. Lachen auf den Rängen. Nach langer Pause erklärte Haspel dann: „Wir haben heute längst andere Regierungsinstitutionen, die für Befragungen zuständig sind. […] Würde jedem, der mich fragt, sagen, dass die CIA nicht der richtige Ansprechpartner für solche Befragungen ist“. Ein klares „Nein“ sieht anders aus. Und bereut Gina Haspel denn irgendetwas? Ja, natürlich. Aber nicht etwa die Folter, sondern die „Kontroverse über das Folterprogramm, die einen Schatten auf diejenigen wirft, die eine große Leistung beim Schutz unseres Landes erbringen“. Vor Gericht würde man ein solches Lavieren wohl mangelndes Schuldbewusstsein nennen. Keine Frage – diese Frau wird wieder foltern und morden lassen, wenn sie es für opportun hält.

Das ist tragisch. Eine einzige Katastrophe ist jedoch, dass es in den USA niemanden gibt, der sich dagegen ernsthaft zur Wehr setzt. Die Kommentatoren führen sophistische Phantomdebatten, aus den Reihen der Opposition wird es wieder einmal zahlreiche „Überläufer“ geben und die Ernennung der „Blutigen Gina“ zur CIA-Chefin wird durch den Senat und nicht etwa durch den „verrückten Präsidenten“ erfolgen. Das US-System ist moralisch bankrott. Da gibt es keine Zweifel. Gäbe es doch nur mehr mutige Menschen wie Ray McGovern, die das offen aussprechen.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!