„Chiles Medien sind eine Resonanzbüchse des State Department”

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf
Juan Pablo Cárdenas

Juan Pablo Cárdenas ist wohl der renommierteste Medienwissenschaftler Chiles und beobachtet mit Argusaugen und Sorge das Phänomen des “Duopolio”, wie kritische Chilenen die Medienkonzentration in den Händen eines Duos, nämlich der Gruppen El Mercurio und La Tercera bezeichnen. Cárdenas ist Professor am Lehrstuhl für Journalismus der ebenso renommierten Universidad de Chile und amtiert seit Jahren als Chefredakteur des Rundfunksenders und der digitalen Zeitung ebendieser Universität, landesweit bekannt als “Radio Universidad de Chile”. Dem Wissenschaftler und Publizisten entgeht jedoch auch umgekehrt nicht, wie der mediale Mainstream seines Landes mit dem Weltgeschehen umgeht, nämlich als „Resonanzbüchse der US-hörigen Außenpolitik”, so das Urteil des chilenischen Professors. Von Frederico Füllgraf.

„Die journalistische Monopolstellung von Großunternehmen der chilenischen Rechten wirkt sich politisch mit der Begrenzung der Freiheit, des Pluralismus und der Vielfalt aus“, sekundierte die medienkritische Internet-Plattform El Quinto Poder die vor mehr als einem Jahrzehnt von Cárdenas in zahlreichen Essays zur Lage der Medien erstellte Diagnose. Demnach habe eine einzigartige und massive ideologische Bearbeitung von Informationsgehalt und Meinungen Mechanismen geschaffen, die die Grundwerte der kritischen und unparteiischen Presse verfälschten.

Ferner habe diese Monopolstellung ein stures, einseitiges Muster der Identifizierung und Annäherung an die Realität des Landes in allen Lebensbereichen verewigt und „eine politische und kulturelle Kolonisierung“ im Interesse der konservativen Unternehmer und Eigentümer des Medien-Duopols“ – das sind die 1,11% der Multi-Milliardäre, die 57,7 Prozent des Gesamteinkommens des Landes zum Nachteil von 98,8 Prozent der Bevölkerung auf sich vereinigen – errichtet. „Eine Macht mit großem M“, warnte der Sozial-Anthropologe Jaime Vieyra-Poseck (Duopolio mediático: decanos de la parcialidad – El Quinto Poder, 04. Juni 2016).

Als Autor vielgelesener Sachbücher setzte sich Juan Pablo Cárdenas in einem bereits 2006 erschienenen Essayband – El Periodismo Comprometido (Der engagierte Journalismus) – mit einschlägigen Aspekten der medienpolitischen Landschaft seines Heimatlandes und des lateinamerikanischen Kontinents auseinander – eine Art Reise durch das Territorium des gesellschaftlichen Auftrags des Journalismus und einer demokratischen Medienpolitik. Eine Reise zugleich durch Schwächen und politische Herausforderungen.

Hier die Stichworte zu einigen der neun Essays:

  • In “Journalist sein, heute und morgen”, untersuchte Cárdenas die Bedingungen der journalistischen Arbeit mit der besonderen Verpflichtung zur Berufsethik und beurteilte damals das offene Internet als günstige Gelegenheit für die Demokratie.
  • In “Demokratie und Kommunikationspolitik” unterstrich er das Imperativ des Meinungs-Pluralismus und ermutigte den Kampf gegen die weitverbreitete Selbstzensur in den Medien, der bereits in den Ausbildungseinrichtungen für Journalisten begegnet werden müsse.
  • In der 2004 veröffentlichten Analyse “Journalismus und der chilenische politische Prozess” macht Cárdenas eine harte Abrechnung mit den Mitte-Links-Regierungen, die die Schließung von mindestens zwei linksdemokratischen Tageszeitungen (La Nación und Clarin) herbeigeführt haben und auch keinen Finger krumm machten, um die nach 50-jährigem Erscheinen im April 2018 endgültig eingestellte Wochenzeitung Punto Final zu retten.
  • Auf eine kuriose Pointe verweist der Text “Lateinamerika und die Stärken des Rundfunks”: Im Radio wird am wenigsten gelogen.
  • Im Essay “Fernsehen, Müll und Demokratie” setzt sich Cárdenas schließlich mit dem eigentlichen lateinamerikanischen Massenmedium – dem Fernsehen – auseinander. Die Einschaltquoten (rating) seien von einer unbeschreiblichen Unsittlichkeit dominiert, schrieb er 2006 und unterstellte ihrer Aufstellung einen „unterirdischen, ideologischen Schmuggel ungeahnter Proportionen“. Beim Gedanken über Alternativen zum lärmenden und trivialen Kommerzfernsehen geht Cárdenas mit dem chilenischen Staat ins Gericht, der den Betrieb eines genuinen öffentlichen Fernsehens schuldig sei.

Den Sender Televisión Nacional de Chile (TVN) gibt es, doch ließen die vorwiegend seit 1990 regierenden Mitte-Links-Administrationen auch den einzigen nicht-kommerziellen Sender bis zum finanziellen Bankrott und inhaltlicher Missbildung verkommen (Crisis financiera en TVN: ¿Cuál es el fracaso de la TV “de servicio público”? – El Ciudadano, 25. Oktober 2017).

Hier nun das Mitte Mai in Santiago de Chile geführte Interview mit Juan Pablo Cárdenas. Das Interview führte Frederico Füllgraf.

Wie würden Sie die gegenwärtige Herausforderung der Universitäten beschreiben, chilenischen Studenten den Journalismus, die Publizistik als demokratisches Handwerk zu lehren?

Sehr schwierig, sehr schwierig! Die meisten Studenten wissen bereits bei Studienbeginn, dass sie kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden, der nicht all die Absolventen beschäftigten kann. Die Medien bieten keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil, die werden dauernd abgebaut.

Den Kontext würde ich so beschreiben: Obwohl in Chile kein Mensch mehr wegen sogenannten Meinungsdelikten umgebracht wird, ist jedoch Fakt, dass wir keine Informationsvielfalt haben. Die Medien sind in den Händen weniger, mächtiger Gruppen konzentriert.

Wir erleben eine sehr schwierige Lage. Verschiedene demokratische und links ausgerichtete Medien haben in den vergangenen 20 Jahren Schritt für Schritt ihre Seiten und Türen geschlossen, weil sie nicht auf dem Markt überleben konnten.

Wir haben in Chile keine Gesetze und keine staatliche Politik, wie sie zum Beispiel in einzelnen Ländern Europas existieren, zur Sicherung der Vielfalt, die die Kontrolle einzelner Medien durch Gewerkschaften oder Journalisten-Genossenschaften oder -Ausschüsse vorsieht.

Wie erklären Sie, dass während der letzten Regierung Michelle Bachelets – die oft selbst über die Medienkonzentration geklagt hat – keine Maßnahmen zur Förderung der Vielfalt und damit zur Demokratisierung des Medienmarktes getroffen wurden?

Das liegt an den Politikern jener Regierung. Die haben kein Interesse an dem Thema gehabt. Die wollen einfach nicht, dass es mehr und demokratischere Medien gibt.

Sie meinen, auch die linken Regierungspolitiker nicht?

Ja, da muss ich wohl einen wichtigen Aspekt erklären. Bei der Aushandlung des Übergangs von der Pinochet-Diktatur zur Demokratie haben die Pinochet-Anhänger der sogenannten “Concertación” – dem Sammelbecken demokratischer Parteien – einen Pakt abverlangt, womit sie sich darauf einigten, dass es in Chile keine neuen Medien geben sollte. Es klingt wie ein Unding, doch wenn wir einen Vergleich ziehen zwischen der Anzahl der Medien, die bei Ende der Diktatur existierten, und denen, die heute noch überleben, so müssen wir leider feststellen, dass das demokratische Chile weniger Medienvielfalt besitzt als die Endzeit der Ära Pinochet.

Selbstverständlich haben der Colegio de Periodistas (Anm.: gewerkschaftlicher Dachverband der Journalisten in Chile), die Publizistik-Institute der Universitäten und eine Vielzahl von Journalisten den Staat dazu aufgefordert, seine Sicherungspflicht der Meinungsvielfalt mit einer Medien-Förderungspolitik wahrzunehmen, die die Demokratie stärken soll. Nichts ist passiert! Und von der gerade gewählten, rechtskonservativen Regierung Piñera ist dazu noch am wenigsten zu erwarten.

Was hat das für Folgen auf die Lehrpläne an den Journalisten-Schulen?

Nun, wir bemühen uns, den Studenten Journalismus zu lehren, wir betonen dabei emphatisch die journalistische Ethik, wir bilden sie inhaltlich und formal zur optimalen Leistung in allen möglichen Medien – Druckmedien, Radio, Fernsehen, Internet – aus, doch nur wenige nutzen auch diese Ausbildung in effektiver Weise, nämlich die Minderheit, die nach dem Studium auch einen Arbeitsplatz findet. Die meisten Studienabsolventen und -absolventinnen landen leider in der Funktion von Pressereferenten von Politikern oder Unternehmern.

Mit Blick über die chilenischen Grenzen hinaus, wie beurteilen Sie den Einfluss der demokratischen und dem progressiven Lager zugeordneten Medien in Lateinamerika?

Nun, ich denke, wenn auch kritischer in Chile, ist das Symptom verallgemeinerbar. Aus notorischen Gründen (Anm.: die Machtübernahme durch die konservative Regierung Mauricio Macri) hat sich zum Beispiel die Lage in einem Land mit größerer Medienvielfalt, wie Argentinien, zum Schlechteren gewendet. Die Nachrichten aus Brasilien sind nicht ermutigender. Die demokratischen und linken Publikationen erhalten seit dem Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff keine staatlichen Werbeaufträge und Annoncen mehr und darben dahin.

Das ist im Großen und Ganzen die Lage auf dem gesamten Kontinent; Kolumbien und Venezuela nicht ausgenommen. Man muss also einsehen und beklagen, dass wir in nahezu gesamt Lateinamerika keinerlei Medienvielfalt besitzen. Ausnahmen bilden drei kleine Länder: Uruguay, Paraguay und Costa Rica.

Wie beurteilen Sie die Politik von Präsident Evo Morales zur Demokratisierung der Medienlandschaft in Bolivien?

Ich würde sagen, Präsident Morales hat wenigstens die bestehenden Medien in keiner Weise belästigt oder verfolgt. Auf der anderen Seite hat sich auch unter Morales kaum etwas am einheimischen Medienszenario geändert, die alteingesessenen Besitzstrukturen blieben unberührt, die beherrschenden Medien werden nach wie vor von mächtigen Gesellschaftsgruppen gelenkt. Es gibt ein paar wenige Medien, die Morales‘ politischen Kurs unterstützen, dazu gehört aber kein einziger einflussreicher Fernsehsender.

Um nun auf Chile zurückzukommen. Was sind die Aussichten für die demokratischen Medien unter der Ägide der Regierung Sebastián Piñera, die kaum drei Monate im Amt ist und bereits ihre ultrakonservativen Zähne zeigt?

Na, von dieser Regierung ist nichts zu erwarten – in der Medienpolitik nichts Gutes. Ihre Vertreter sagen sich, warum sollten sie denn ihre immense Vormachtstellung im privaten Fernsehen, vor allem im Radio, jedoch ebenso in den Tageszeitungen, aufs Spiel setzen! Die einzige Perspektive, die ich sehe, ist, dass die Linke reifer wird und einsieht, dass ihr nichts geschenkt wird, und mit dieser Erkenntnis ihre eigenen Ärmel hochkrempelt und endlich tatkräftig mit dem Aufbau neuer Medien beginnt.

Zum Schluss die Frage, ob Sie mit meiner Einschätzung als offiziell akkreditierter Auslandskorrespondent übereinstimmen, dass die Auslandsberichterstattung in den chilenischen Medien – um es höflich auszudrücken – ´sehr viel zu wünschen übrig lässt´?

Also, die hiesige Auslandsberichterstattung ist ein katastrophales Spektakel! Die tatsächlichen Umstände in Brasilien wurden hier auf ungeheuerliche Weise entstellt, die Lage in Venezuela selbstverständlich auch. Und so geht es generell bei der Auslandsberichterstattung zu: Das Weltgeschehen wird hier in Chile aufs Gröbste manipuliert.

Es könnte ja daran liegen, dass die meisten Medien keinen eigenen Korrespondenten, ergo keine eigene Meinung, haben …

Nein, nein, nein … – alles bewusst manipuliert! Hier operieren US-amerikanische Einflüsse und Hörigkeit. Der Außenminister Bachelets (Anm.: Heraldo Muñoz) und der Außenminister der seit wenigen Monaten amtierenden Regierung Piñera (Anm.: der ehemalige Kommunist und DDR-Exilant Roberto Ampuero) verhalten sich vollkommen unterwürfig gegenüber dem State Department.

Und darin reflektieren sich die chilenischen Medien. Sie sind eine Art Resonanzbox dieser US-hörigen Außenpolitik und tragen mit dazu bei, dass jeder Prozess demokratischer bis linker Intensivierung im Keim erstickt wird.

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