Heiko Maas fordert Härte gegenüber den USA – Anbiederung, Akt der Befreiung oder Finte für mehr europäische Rüstung?

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In einem Medien-Kommentar hat sich Außenminister Heiko Maas (SPD) deutlich zum deutsch-amerikanischen Verhältnis geäußert: Europa müsse sich gegen US-Willkür wehren und ein „Gegengewicht“ werden, das Überschreiten „roter Linien“ durch die USA müsse Konsequenzen haben, Europa brauche gar einen eigenen Währungsfonds. Erkennt Maas hier die Realitäten einer multipolaren Welt an – oder ist der Text eine Finte, um für europäische Aufrüstung zu trommeln? Von Tobias Riegel.

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Außenminister Heiko Maas hat eine verbale Kehrtwende vollzogen: Nachdem er in den letzten Monaten vor allem eine scharfe antirussische Rhetorik gepflegt hatte, die selbst der eigenen Partei zu viel wurde, hat er nun in einem Kommentar für das „Handelsblatt“ eine radikale Neubewertung der transatlantischen „Freundschaft“ gefordert: „Wir lassen nicht zu, dass die USA über unsere Köpfe hinweg handeln“, schreibt Maas bereits forsch in der Überschrift, und fährt fort: „Es ist höchste Zeit, die Partnerschaft zwischen den USA und Europa neu zu vermessen.“ Die US-Dominanz sollte der „Idee einer balancierten Partnerschaft“ weichen. Ist dies Heiko Maas’ späte Ankunft in der multipolaren Welt? Oder werden wir nur Zeuge einer folgenlosen Anbiederung an einen zunehmend US-kritischen Zeitgeist?

Die Analyse des deutsch-amerikanischen Verhältnisses ist angemessen pessimistisch: „Die USA und Europa driften seit Jahren auseinander“, schreibt Maas. Das liege keineswegs nur an US-Präsident Donald Trump. Die Überschneidung von Werten und Interessen nehme ab, die Konflikte würden Trumps Präsidentschaft absehbar überdauern. “Deshalb bin ich skeptisch, wenn manch eingefleischter Transatlantiker uns rät, diese Präsidentschaft auszusitzen“, so der Außenminister.

Maas: Europäer sollen US-Dominanz des Zahlungsverkehrs konkret angreifen

Maas spricht von einem „neu zu vermessenden“ Verhältnis, in dem „wir ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten“. Europa könne es nicht zulassen, dass die USA „über unsere Köpfe hinweg zu unseren Lasten handeln. Deshalb war es richtig, europäische Unternehmen rechtlich vor Sanktionen zu schützen.“ Zudem müssten die US-Internet-Konzerne angemessen besteuert werden. Geradezu radikal sind einige finanzpolitische Maßnahmen, die der Außenminister zusätzlich fordert: „Deshalb ist es unverzichtbar, dass wir europäische Autonomie stärken, indem wir von den USA unabhängige Zahlungskanäle einrichten, einen Europäischen Währungsfonds schaffen und ein unabhängiges Swift-System aufbauen.“

Gegen solch allzu konkrete Maßnahmen gegen die US-Dominanz des weltweiten Zahlungsverkehrs erhoben denn auch schnell die transatlantischen Lobbyisten ihre Stimme. So mahnte etwa Karen Donfried, Präsidentin des German Marshall Fund in Washington, die Europäer, ihre Macht nicht zu überschätzen. „Europa kann langfristig danach streben, alternative Zahlungssysteme aufzubauen, das derzeitige Swift-System zu umgehen“, sagte sie. „Aber kurzfristig wird das nicht gelingen.“ Mark Leonard, Leiter des European Council on Foreign Relations, lobte dagegen den nüchternen Blick, den Maas auf veränderte transatlantische Realitäten richte. Gerade für die Bundesrepublik sei es schwer, „den Bruch in den transatlantischen Beziehungen“ zu akzeptieren.

Maas trommelt für Aufrüstung – und besudelt die eigenen Argumente

Die sich von den USA distanzierenden Teile des Textes sind erstaunlich konsequent, auch wenn die getätigten Aussagen überfällig und darum selbstverständlich sind. Verdächtig klingen allerdings jene Passagen, in denen Maas von der europäischen „Verantwortung“ spricht, die aus dem Bruch mit den USA entstünde: Denn zu der von ihm skizzierten „balancierten Partnerschaft“ gehöre, “dass wir Europäer einen ausgewogenen Teil der Verantwortung übernehmen.“ Damit steuert Maas auf sein mutmaßlich zentrales Anliegen zu – die Erhöhung europäischer Rüstungsausgaben: „Die Kehrtwende bei den Verteidigungsausgaben ist Realität. Jetzt kommt es darauf an, Schritt für Schritt eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion aufzubauen – als Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung und als eigenes europäisches Zukunftsprojekt.“

Maas verknüpft hier den weiterverbreiteten Wusch nach einer Emanzipation von den USA mit europäischer Aufrüstung. So entwertet der Außenminister seinen zum Teil überraschenden Text selber, indem er die überfällige Scheidung von den USA in ein billiges Argument für Aufrüstung umwandelt und es dadurch besudelt. Zudem rudert er mit der inkonsequenten Aussage von der EU-Armee, die „Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung“ bleiben solle, hinter die eigenen Forderungen nach Emanzipation zurück. Denkt man Maas’ Forderungen zu Ende, so sieht man dort eine zwar aufgerüstete EU-Armee, die aber immer noch unter NATO- also US-Kommando stehen würde. Das steht in auffälligem Widerspruch zu den markigen Forderungen nach europäischer Eigenständigkeit.

Ist die EU-Armee moralischer als die US-Armee?

Die USA haben es immer hervorragend verstanden, ihre knallharte Interessenpolitik in warme Worte zu kleiden. Maas hat sich das bereits abgeguckt, und versucht nun seinerseits und mit ähnlicher Strategie, Rüstungsgegner von der „gutmeinenden EU-Armee“ zu überzeugen: „Wir schaffen keine Wagenburg gegen den Rest der Welt, wir fordern nicht Gefolgschaft ein. Europa baut auf die Stärke des Rechts, auf Respekt vor dem Schwächeren“. Dann können die Bürger ja ganz beruhigt sein.

Unabhängig von der berechtigten Kritik an dem hier beschriebenen Rüstungs-Lobbyismus durch Maas sollte aber die Diskussion über die militärische Entwicklung Europas jetzt einsetzen. Vorausgesetzt, dass Armeen noch geraume Zeit Bestandteil einer nicht perfekten Welt sein werden – und ebenfalls vorausgesetzt, dass der angebliche US-Rückzug aus Europa tatsächlich Realität wird: Wie sollte das von den USA geschaffene militärische Vakuum in Europa gefüllt werden?

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