Vortrag/Diskussion mit dem russischen Außenminister Lawrow – der Mann ist spürbar berührt von der abweisenden Ignoranz des Westens

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Vergangenen Freitag war ich zu einem Treffen mit dem russischen Außenminister Lawrow eingeladen. Anlass war das 25-jährige Bestehen des Deutsch-Russischen Forums. Thema des Vortrags: „Integrationsprozesse im Großen Eurasien, Perspektiven eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären Raumes von Lissabon bis Wladiwostok“. Vortrag und Diskussion waren interessant. Ich möchte Sie auf ein paar Besonderheiten aufmerksam machen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zuvor noch der Link zu einem Bericht von RT Deutsch und zu einem Interview mit mir. Am Ende komme ich noch kurz auf einen Artikel in der „Welt“ zu sprechen.

Anmerkungen zum Inhalt und den Besonderheiten des Vortrags und der Diskussionsbeiträge des russischen Außenministers am 14.9.2018 in Berlin

  1. Die Russen haben Zusammenarbeit erwartet und wundern sich jetzt über die nahezu vollständige Sprachlosigkeit und Beendigung der verabredeten Kooperation

    Lawrow hält eine groß angelegte Partnerschaft für wichtig, gerade auch im Blick auf den weiten Raum zwischen Lissabon und Wladiwostok. Nach dem Ende des kalten Krieges, also 1990, seien eigentlich alle Hemmnisse gefallen. Von russischer Seite sei alles geschehen, um die Zusammenarbeit aufzubauen. Der Westen habe sich anders verhalten. Fast alle Kanäle des Dialogs zwischen EU und NATO auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite seien abgebrochen worden. Nur noch bei den Themen Flüchtlinge und Energie funktioniere die Kooperation wenigstens ein bisschen.

    Auf westlicher Seite gebe es offensichtlich historische „Phobien“. – Das ist das, was wir auf den NachDenkSeiten schon oft beschrieben haben: die tief sitzenden antislawischen bzw. antirussischen und im kalten Krieg der vierziger, fünfziger und sechziger Jahre neu belebten Emotionen. Was bei Lawrow nicht richtig durchkam: diese Phobien sind jetzt bewusst wiederbelebt worden. Sie sind nicht vom Himmel gefallen und immerhin: die große Mehrheit unseres Volkes scheint erstaunlich resistent. Wie lange das hält, wissen wir nicht

    Lawrow beklagte, dass der Westen den Russen vorschreiben wolle, wie „wir unser Haus ausbauen sollen“. Diese Sorge sitzt offensichtlich tief. Das ist nach der Erfahrung mit der Instrumentalisierung Jelzins durch den Westen nicht verwunderlich.

  2. Tief reichende Enttäuschung über die abweisende Haltung des Westens

    Bei Lawrow war deutlich zu spüren, dass die Enttäuschung über die mangelnde Zusammenarbeit nicht nur rational begründet ist. Das geht tiefer und hat einen deutlich emotionalen Charakter. In anderen Gesprächen mit Russen, auch bei einer kürzlichen Reise nach Russland, war das Gefühl zu spüren: Wir strecken die Hand aus, nicht nur einmal, immer wieder, und sie wird immer wieder zurückgewiesen. So empfinden viele Russen das Geschehen von 1990 bis heute. – Das kann böse enden, weil das spürbare emotionale Element eine ungute Eigendynamik entwickeln kann. Wenn westliche Politiker/innen klug wären, würden sie diese Gefahr sehen. Sie sehen sie nicht.

  3. Der russische Außenminister vermittelt den Eindruck, dass sich Russland vom Westen wiederholt betrogen fühlt

    Zum Beispiel erinnerte er an den Putsch in der Ukraine. Die westlichen Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Polens hätten einen Kompromiss mit dem damals amtierenden Präsidenten zu vereinbaren geholfen und dann schon am Tag danach nicht mehr auf die Einhaltung der Verabredung bestanden.

    Zum Beispiel durchschaut Lawrow selbstverständlich das Spiel des Westens mit dem angeblich bevorstehenden Chemiewaffeneinsatz (angeblich) durch die syrische Regierung und der gleichzeitigen Vorbereitung einer Aktion unter falscher Flagge. Um dann mit einer militärischen Intervention unter Beteiligung Deutschlands zuschlagen zu können.

  4. Besonders schlimm sind aus der Sicht des russischen Außenministers die USA und auch die EU

    Brüssel habe ständig Hindernisse gegen eine gute Zusammenarbeit aufgebaut. Die EU habe es zum Beispiel auf Probleme für Gazprom angelegt. Die EU habe milliardenschwere Verluste durch die Sanktionen hingenommen. Die USA hätten nicht gelitten.

    Die besonders kritische Rolle der EU sei auch bei den schwierigen Gesprächen über die Zusammenarbeit mit der Ukraine sichtbar geworden. Russland sei zu einem Kompromiss bereit gewesen, der vorgesehen hätte, dass die Ukraine sowohl mit der EU wie auch mit der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) verbunden sei. Brüssel habe dies abgelehnt.

    Mit der EU-Außenbeauftragten, Federica Mogherini, seien ernsthafte Gespräche nicht möglich. Sie wolle nur über Syrien und die Ukraine sprechen.

    Die EU habe auch kein Interesse an einer gemeinsamen Arbeit zum Terrorismus. Selbst die Zusammenarbeit im Rahmen von Europol sei ausgesprochen schwierig.

    In Bezug auf den großen eurasischen Raum riet er der Europäischen Union, sie solle sich ernsthaft und positiv damit auseinandersetzen. „Wir wollen, dass sich auch die EU einbringt.“

    Die deutsch-russische Kooperation wurde von Lawrow etwas positiver beurteilt. Sie sei historisch wichtig. Gemeinsames Vertrauen sei nötig. – Ich fürchte, dass er sich täuscht, wenn er meint, die deutsche Politik unterscheide sich wesentlich von der von seiner Seite hart kritisierten europäischen und US-amerikanischen Position.

    Die Forderung an Russland, es müsse im Zusammenhang mit angeblichen Cyberangriffen auf die USA seine Schuld bekennen, nannte Lawrow absurd.

    In den USA versuche man seit einem Jahr, die Schwächen des US-Systems den Russen in die Schuhe zu schieben. – Eine interessante Interpretation!

    Lawrow – so der Eindruck – hält die USA für einen Failed State, für einen gescheiterten Staat. Im Vergleich zu den geordneten Regierungsverhältnissen in Russland kann man zu diesem Eindruck kommen. Abwegig ist das nicht und gefährlich ohnehin.

  5. Harte Kritik an der Politik des Regime Change – Der Außenminister lässt seine Zuhörer spüren, dass die russische Führung sich selbst betroffen fühlt.

    Lawrow erinnerte die Zuhörer an den Regime Change in Libyen. Die westliche, militärische Intervention in Libyen und die damit verbundene Ermöglichung der Ermordung Gaddafis sei eine wesentliche Ursache für die Flüchtlingsbewegung aus Afrika.

    Aufschlussreich war dann der Hinweis auf die Freude, die die Ermordung Gaddafis im Westen ausgelöst habe – „jubelnde Zuschauer im Weißen Haus“. Lawrow bezieht sich dabei offensichtlich auf das bemerkenswerte Video mit der damaligen US-Außenministerin Clinton. Hier ist der Link auf „We came. We saw. He died.“.

    Diese wenigen Sekunden sagen mehr über den Charakter bzw. die Charakterlosigkeit der amerikanischen Führungsschicht als 1000 Worte.

    Es ist bemerkenswert, dass der russische Außenminister auf diesen Vorfall hinwies. Ich deute das so, dass er das gleiche Vorgehen und die gleiche zynische Rücksichtslosigkeit auf den Fall Assad oder auf den Fall Putin und sich selbst zu übertragen gewillt ist.

    Lawrow hat darauf hingewiesen, dass die russische Führung die Rolle der NGOs bei der Vorbereitung zu Regime Changes im Blick hat. Im Falle der Ukraine ist das bekannt. Es ist bekannt, wie viel Geld die USA in diesen Vorgang investiert haben – 5 Milliarden US-$. Und es ist überhaupt nicht abwegig, dass Russland das Treiben einiger NGOs in Russland ähnlich gesehen hat und deshalb beschlossen hat, diese zwar gewähren zu lassen, aber zu verlangen, dass sie sich als „Agenten“ registrieren zu lassen.

  6. Zu Idlib und Syrien

    Lawrow wies auf Folgendes hin:

    • Zivilisten würden von den islamischen Terroristen als lebende Schilder benutzt
    • Es gebe zahlreiche Drohneneinsätze auch gegen die russische Basis. Die Drohnenproduktionsstätten würden deshalb zerstört.
    • Es gebe keine Großoffensive, anders als vom und im Westen berichtet
    • Es würden humanitäre Korridore geschaffen.
    • Wir werden nicht so vorgehen wie der Westen in Mosul und Rakka, so Lawrow. Dort hat der Westen rücksichtslos gebombt und zerstört.
    • Mit seinen Redensarten über Chemiewaffeneinsatz und die dann folgende Militäraktion würde der Westen die Terroristen einladen, einen Chemiewaffeneinsatz unter falscher Flagge zu führen, um so die massive Militärintervention des Westens zu erreichen.
    • Der Westen habe mit seinen Sanktionen wesentlich zum Elend in Syrien beigetragen.
    • Der Gesamteindruck: Lawrow ist verbittert wegen der unzähligen Manipulationen des Westens. Das gilt hier wie auch für das Ost-West-Verhältnis in Europa. Die russische Führung hat offensichtlich erkannt, welche Rolle Meinungsmache als Instrument der Politik des Westens spielt.

Insgesamt eine spannende Veranstaltung.

Man kann Rede und Diskussion mit Lawrow auch anders bewerten. Das tut zum Beispiel die Tageszeitung „Die Welt“ mit diesem Artikel:

Sergej Lawrows fragwürdige Groß-Eurasien-Rhetorik

Der Text der „Welt“ ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Wie schräg dort argumentiert wird, um am Feindbildaufbau zu arbeiten, wird an folgender Passage sichtbar. Der Welt-Journalist Pavel Lokshin berichtet von Lawrows Rede:

„Russland stelle aber keine Gefahr und keine Bedrohung dar betonte er (Lawrow,d.Verf.) beim Deutsch-Russischen Forum. Mit keinem Wort ging er auf historische Ängste der Osteuropäer vor Moskau ein, als wäre die sowjetische Besatzung ein bereits aufgearbeitetes Kapitel.“

Da wird also trotz der Verständigung zwischen West und Ost im Jahre 1990, trotz der Beendigung des Warschauer Paktes und trotz des Rückzugs der Sowjetunion auf angebliche historische Ängste der Osteuropäer wegen der sowjetischen Besatzung hingewiesen. Dabei wird ganz selbstverständlich unterschlagen, dass Polen wie andere osteuropäische Staaten von Nazideutschland überfallen und besetzt worden ist. – Das ist interessant, weil hier sichtbar wird, wie die Osteuropäer als Katalysatoren beim Aufbau des neuen Konfliktes mit Russland benutzt werden und sich benutzen lassen. Man muss davon ausgehen, dass die besonderen Schwierigkeiten Russlands mit der Europäischen Union auch daraus gespeist werden, dass dort der Einfluss der osteuropäischen Staaten gerade beim Thema Verhältnis zu Russland besonders groß ist.

Die Konsequenz für Deutschland kann eigentlich nur darin liegen, dass wir uns mehr und mehr aus der Abhängigkeit dieser besonderen Gefühlslagen osteuropäischer Länder befreien und uns auf jeden Fall das friedliche Verhältnis und die Zusammenarbeit mit Russland durch Polen, Balten, Rumänen usw. nicht beschädigen lassen.