Grönland: US-Militär gegen chinesischen Ausbau der Infrastruktur

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

In Grönland entwickelt sich, bisher weitab der Weltöffentlichkeit, ein exemplarischer Konflikt: Die USA wollen die riesige, kaum bewohnte Insel weiter exklusiv militärisch nutzen, mithilfe des NATO-Musterstaats Dänemark. Aber die grönländische Regierung will das Land wirtschaftlich entwickeln – mithilfe Chinas.

Polarfuchs und Überwachungssymbole über der nördlichen Erdhalbkugel

Von Werner Rügemer

Grönland, im arktischen Nordatlantik nahe Kanada gelegen, die größte Insel der Erde, hat eine sechsmal größere Fläche als Deutschland, aber nur 56.000 Einwohner. Sie leben wie seit Jahrhunderten fast ausschließlich vom Fischfang (Heilbutt, Kabeljau, Krabben), mit dem auch zu 90 Prozent der Export bestritten wird; inzwischen kam etwas Tourismus hinzu. Das Land wird bisher wirtschaftlich unterentwickelt gehalten: Dänemark hält die ehemalige Kolonie mit inzwischen zugestandener Selbstverwaltung weiter in einem halbkolonialen Zustand. Vor allem wollen die USA ihren weltweit vernetzten Militär-Stützpunkt Thule Air Base ungestört und unbeobachtet weiter ausbauen.

Von der Kolonie zu Unabhängigkeit und Entwicklung

Aber seit den 1970er Jahren hat sich die grönländische Unabhängigkeitsbewegung durch drei Volksabstimmungen schrittweise Raum verschafft: 1979 wurde Grönland zu einer „Nation“ innerhalb der dänischen Monarchie, 1985 trat Grönland aus der EU aus (u.a. wegen der Überfischung der umgebenden Gewässer nach EU-Recht), seit 2009 gilt die erweiterte Selbstverwaltung mit eigenem Parlament und eigener Regierung. Für 2021 hofft die Unabhängigkeitsbewegung auf die vollständige nationale Souveränität. Allerdings ist das monarchische Dänemark, NATO-Mitglied, weiter für Außen- und Militärpolitik zuständig.

Königin Margarethe II. spielt Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der dänischen Streitkräfte: Auch wenn sie sich in ihrem französischen Schloss Chateau de Cayx auf 24 Hektar dem Weinbau widmet und ihr Prinzgemahl dort die Gäste durch seine Sammlung naiver afrikanischer Kunst führt[1] – da kann nichts passieren, der Große Bruder regelt alles Wichtige, wie seit sieben Jahrzehnten.

Grönland ist reich an Bodenschätzen: Erz, Zink, Blei, Uran, Öl, Edelsteine, auch an seltenen Erden: Cer, Lanthan, Neodym, Terbium und Yttrium, die für die Elektronikindustrie weltweit gebraucht werden. Das ist lange bekannt. Aber die USA und der NATO-Musterstaat Dänemark geben verbissen der militärischen Nutzung den Vorrang. Deshalb, aber auch wegen der geografischen und klimatischen Lage sowie der dicken Eisschicht war die Erschließung für westliche Unternehmen nicht lohnend. Viele Einheimische sind arbeitslos und arm.

Die zunehmend selbstbewusste Regierung der Insel sucht deshalb nach Möglichkeiten wirtschaftlicher Entwicklung. Aber den zunächst interessierten britischen und norwegischen Investoren erschien die Sache nicht lohnend. US-Investoren haben überhaupt kein Interesse: da ist kein schneller Gewinn möglich.

Doch 2014 kaufte das chinesische Bergbauunternehmen General Nice Group (GNG) das insolvente britische Unternehmen London Mining und dessen Lizenzen in Grönland. GNG mit 12.000 Beschäftigten und Niederlassungen in 80 Staaten ist ein wichtiger Zulieferer der weltweiten Stahlindustrie. Einige Bergbauprojekte wurden begonnen. Die grönländische Regierung verbindet damit große Hoffnung.[2]

Zum Ausbau der Infrastruktur für die Einwohner, die auf 17 weit voneinander entfernte Orte verteilt sind, hat die Regierung den Bau und Betrieb von drei Flughäfen ausgeschrieben – bisher gibt es nur einen zivilen Flughafen. Auch der Tourismus soll damit weiter gefördert, später sollen auch Straßen gebaut werden. Für die neuen Flughäfen machten 11 Unternehmen Angebote, aus Dänemark, Kanada, Island, den Färoer Inseln, den Niederlanden – und die China Communications Construction Company (CCCC). Der grönländische Regierungschef Kim Kielsen hatte Peking besucht, die chinesischen Bewerber haben wegen ihres integrierten Ansatzes und günstiger Konditionen die besten Aussichten.[3]

Thule Air Base – Überwachung der Nordhalbkugel und Russlands

Doch dann intervenierten 2016 das US State Department und das Pentagon. Die USA sind auf der Insel seit 1941 ununterbrochen militärisch präsent. Auf Grönland, damals eine Kolonie des Königreichs Dänemark, hatten die USA im 2. Weltkrieg einen Militärstützpunkt errichtet. Die USA förderten Dänemark danach mit dem Marshallplan, damit der bisher neutrale Kleinstaat 1949 Gründungsmitglied der NATO wurde. 1951 wurde auch die Kolonie Grönland zum NATO-Verteidigungsgebiet erklärt. Seitdem wurde im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion der US-Militärstützpunkt Thule Air Base ausgebaut. Einheimische Inuits wurden zwangsumgesiedelt. Der Stützpunkt ist heute mit 550 Militärs und festangestelltem Personal besetzt, das teilweise auch aus Kanada und Dänemark stammt.

Thule Air Base gehört wie 21 weitere Militärstützpunkte in 9 europäischen und anderen Staaten zur Peterson Air Force Base in Colorado/USA. Die ist wiederum Teil des North American Aerospace Defense Command (NORAD), des US Air Force Space Command (ADSPC) und der NATO. Aufgabe der Thule Air Base: Überwachung und Kontrolle des Luftraums über der gesamten Nordhalbkugel einschließlich Russlands. Dazu besteht u.a. die Verbindung zu 150 Satelliten und zu mehreren Außenstellen auf der Insel, auch für Wetter- und Bodenerkundung. Über die 3.000-Meter-Rollbahn werden täglich etwa 10 Flüge abgewickelt. Die Militärs haben auf der Insel auch Zugang zum nördlichsten Meereshafen mit dem größten Tiefgang. Zum militärischen Areal gehören 505 Spezialfahrzeuge, zwei Kraftwerke, Tanks, Pipelines, Wohnungen, Fitness Center, Bowling Center, rund um die Uhr besetztes Krankenhaus mit zahlreichen Spezialabteilungen, Bibliothek.

Zu den Aufgaben der geopolitisch zentralen Militärstation gehört auch die umfassende geologische Erforschung der Arktis: Die Gas- und Ölvorräte sind wohl größer als die auf der arabischen Halbinsel, weiß das U.S. Geological Survey.[4] Auf der website der Peterson Air Force Base heißt es nach dem „America First“-Prinzip: Wir sorgen für die Luftraumüberlegenheit und die wissenschaftliche Erforschung der Arktis „für unsere Nation“.[5]

State Department und Pentagon: „Die chinesische Gefahr!“

2016 wollte die dänische Regierung einen kleinen verlassenen dänischen Marinestützpunkt in Grönland verkaufen. Als ein chinesisches Unternehmen sich dafür interessierte, zog sie das Angebot schnell zurück – aus Rücksicht auf die USA.

Die US-Regierung weiß genau, dass „der Mangel an Infrastruktur die Entwicklung behindert“, wie es im World Factbook des Geheimdienstes CIA über Grönland heißt.[6] Aber wegen der chinesischen Angebote zum Bau der neuen Flughäfen und Straßen haben die USA „Sicherheits“bedenken angemeldet. Vor allem den größten Flughafen der Hauptstadt Nuuk mit einer Investitionssumme von 560 Millionen US-Dollar sieht das Pentagon als Gefahr für die „nationale Sicherheit“ (der USA).

Die USA fürchten überall den Ausbau der zivilen Infrastruktur der Insel, etwa auch der „Arktischen Seidenstraße“, eines chinesischen Projekts: Aufbau eines nördlichen Hafensystems zur Verkürzung der Seewege, ergänzt durch den Aufbau von Industrie und Dienstleistungen. Hinter vorgehaltener Hand gestanden dänische Regierungsbeamte schon frühzeitig, dass man auf die „Interessen unseres engsten Bündnispartners USA“ Rücksicht nehmen müsse.[7]

Der Atlantic Council, das Pentagon und das State Department wurden in Kopenhagen vorstellig und bearbeiteten vor allem den dänischen Verteidigungsminister Claus Hjort Fredricksen. Der war schon von 2001 bis 2009 Minister in allen drei Vorgänger-Regierungen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen gewesen, dem nachmaligen NATO-Generalsekretär.

Nach einer Kurzvisite des US-Verteidigungsministers Jim Mattis Ende Mai 2018 in Kopenhagen war die Sache dann klar. Fredericksen erklärte nach dem Treffen: Das Pentagon möchte keine chinesischen Investitionen in Grönland, das bedrohe „die Sicherheit“ (gemeint war die Sicherheit der USA).[8] Fredericksen will einerseits die Grönländer nicht verprellen: „Wir begrüßen die Kooperation mit China“, erklärte er. Aber wichtiger sei doch etwas anderes: „Wir im NATO-Bündnis müssen uns gegenseitig helfen und insbesondere die Beziehung zu den USA darf nicht gestört werden“.[9]

Jon Rahbek-Clemmensen vom Königlich-Dänischen Verteidigungs-Institut fantasierte eine weitere Gefahr herbei: „Eine chinesische Präsenz in Grönland würde die Position der USA auf der Insel komplizieren. China könnte die grönländische Regierung dazu zwingen wollen, von den USA den Abzug zu verlangen oder auch einen chinesischen Militär-Stützpunkt zu genehmigen.“[10] Das ist dümmliche Demagogie, denn nirgends in der Welt gehen chinesische Unternehmen so vor – davon abgesehen, dass das gar nicht funktionieren würde.

Dänemark als vielverwendbarer US-Vasall

Dänemark ist ein NATO-Musterstaat: klein, unauffällig, zunächst jahrzehntelang sozialdemokratisch regiert und immer folgsam. Die Halbkolonie Grönland wurde zugunsten der Thule Air Base vor wirtschaftlicher Entwicklung geschützt, Dänemark subventioniert lieber Arbeitslosigkeit und Armut. Aber dann wurde es noch direkter: Anders Fogh Rasmussen drückte ab 1998 als Vorsitzender die wirtschaftsliberale Venstre-Partei nach rechts. Er schrieb das Buch „Vom Sozialstaat zum Minimalstaat“: Sozialstaat abbauen, Militär- und Sicherheitsstaat ausbauen! Mit Ausländerhetze gewann er 2001 die Wahl. Mit der rassistischen, nationalistischen Dänischen Volkspartei bildete er als Ministerpräsident bis 2009 dreimal eine Minderheitsregierung.[11]

Rasmussen schickte dänisches Militär begeistert mit in die US-Kriege in Afghanistan und im Irak. 2009 machten die USA unter Präsident Barack Obama den militanten Rechtspopulisten zum NATO-Generalsekretär – kein Protest kam von der CDU/SPD-Bundesregierung (Merkel/Müntefering) und der EU. Rasmussen war ideal, um die Kontakte zu rechtspopulistischen EU-Staaten in Osteuropa zu vertiefen, die US-geführte Osterweiterung der NATO gegen Russland zu koordinieren und als scheinbares europäisches Interesse darzustellen.

Auch die ebenso fremdenfeindlichen Folgeregierungen Dänemarks seit 2009 unter Namensvetter Lars Rasmussen agieren nationalistisch, was im Kern bedeutet: Unterstützung für US-Interessen. Dänemark will so auch auf Druck der USA die zunächst genehmigte Verlegung von Röhren der Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Westeuropa entlang der dänischen Küsten verbieten. Gleichzeitig haben die USA und Dänemark ihre Energiegeschäfte mit dem US-Flüssiggas intensiviert.[12]

Facebook und Apple haben in Dänemark mit besonderen Vorrechten ihre neuen europäischen Serverfarmen eröffnet. Dänemark behandelt als erster Staat die Digital-Giganten wie souveräne Staaten und lässt sich vor Ort in Palo Alto/Kalifornien durch einen „digitalen Botschafter“ vertreten. So will Botschafter Casper Klynge diese Konzerne für die Bekämpfung des Terrorismus in Europa gewinnen, IBM soll die Datenverarbeitung der Flüchtlingsrouten übernehmen.[13]

Regierungskrise wegen des chinesischen Angebots

So einfach nach US-Kommando ist der Konflikt in Grönland aber wohl nicht zu regeln. China kann nicht so einfach draußengehalten werden – nicht nur, weil die Volksrepublik wirtschaftlich stark ist. Und China hat für die vom Westen vernachlässigte Infrastruktur auf allen Kontinenten und in unterentwickelten Regionen etwas zu bieten, was westliche Investoren und Regierungen nicht bieten.

Der andere Grund für den sich entwickelnden Konflikt ist die grönländische Unabhängigkeitsbewegung. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten schrittweise und geduldig vorangekämpft. Sie hat die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Und das offen aggressive Auftreten der USA unter Präsident Trump macht die Supermacht auch in der EU und auch in Dänemark und auch in Grönland nicht beliebter. Denn Trumps Handelskriege gegen China und die EU schaden inzwischen auch den jahrzehntelang allerengsten Bündnispartnern.

Deshalb will die dänische Regierung nicht frontal gegen die Regierung Grönlands vorgehen, sondern versucht es jetzt mit einem Trick: Rasmussen Nummer Zwei, der ebenso einer nationalistischen, rechtsliberalen und ultrarechts gestützten Regierung vorsteht, bot den Grönländern an, sich als Miteigentümer an den Kosten der drei Flughäfen zu beteiligen, noch einen sehr zinsgünstigen Kredit zu gewähren und für weitere Bankkredite Staatsgarantien abzugeben.

Aber so wollen sich Teile der grönländischen Regierung nicht hineinregieren lassen. Der Koalitionspartner Partii Naleraq warnte, dass ein solcher Deal mit Dänemark die für 2021 angestrebte völlige Unabhängigkeit der Nation Grönland unwahrscheinlich mache. Das sei nun schon die zweite Einmischung der dänischen Regierung in innere Angelegenheiten Grönlands.

Naleraq zog ihre beiden Minister Pele Broberg (Finanzen) und Anthon Frederiksen (Soziales) aus der Regierung zurück. Damit verlor Ministerpräsident Kim Kielsen die Mehrheit im Parlament: Er verfügt mit seiner sozialdemokratisch biegsamen Partei Siumut jetzt nur noch über 12 von 31 Sitzen.[14] Die nächste Entscheidung über das Flughafen-Projekt soll im grönländischen Parlament am 22. Oktober fallen.

Ex-Finanzminister Broberg erklärte den Nachdenkseiten: „Wir von Partii Naleraq hoffen, dass der Rest der Welt und die UNO-Mitglieder aufwachen und verstehen, wie Dänemark unser Land immer noch als Kolonie betrachtet, unter dem Vorwand der ‘Hilfe’“.

In seinem aktuellen Buch geht Werner Rügemer auf den epochalen Konflikt zwischen dem US-geführten westlichen Kapitalismus und China ein: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln Papyrossa Verlag 2018, 357 Seiten, 19,90 Euro.


[«1] chateau-de-cayx.com/fr

[«2] Andreas Uldum, Minister for Finance and Mineral Resources, The Government of Greenland: New strong force behind London Mining Greenland A/S, naalakkersuisut.gl/en 8.1.2015

[«3] China beflügelt Grönlands Traum von Unabhängigkeit und Wohlstand, Handelsblatt 24.4.2018

[«4] energy.usgs.gov

[«5] peterson.af.mil

[«6] cia.gov

[«7] Denmark „deeply concerned“ over Chinese bids to build Greenland Airports, globalconstructionreview.com 26.3.2018

[«8] Greenlands plans build new airports gather momentum, arctictoday.com 29.5.2018

[«9] How a potential Chinese-built airport in Greenland could be risky for a vital US Air Force Base, defensenews.com 7.9.2018

[«10] defensenews.com ebenda

[«11] Reinhard Wolff: Ausländerhetze führt zum Wahlsieg, taz 22.11.2001

[«12] Nord Stream 2 will Dänemark umgehen, Deutsche Wirtschaftsnachrichten 10.8.2018

[«13] „Tech-Konzerne sind viel einflussreicher als mancher Nationalstaat“, Süddeutsche Zeitung 20.1.2018

[«14] Parliament’s 700 million kroner offer to fund Greenland’s airports splits island’s coalition, cphpost.dk 11.9.2018