Hämische Grüße aus Moskau – Die Russland-Korrespondenten und ihr Werk

Hämische Grüße aus Moskau – Die Russland-Korrespondenten und ihr Werk

Hämische Grüße aus Moskau – Die Russland-Korrespondenten und ihr Werk

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Unser Bild von Russland wird auch durch die Berichte der Korrespondenten vor Ort geprägt. Wer berichtet für deutsche Medien aus Russland? Und warum zeichnen sich zahlreiche Artikel durch Gleichklang und grobe Manipulationen aus? Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Russland-Korrespondenten deutscher Medien könnten unsere Augen und Ohren sein. Dafür müssten sie aber, wenn sie die Entwicklungen im größten Land der Erde beschreiben, einerseits kritisch und mit gebührender Distanz vorgehen. Andererseits aber auch mit Neugier, Respekt und dem Willen zur Verständigung. Statt dessen stellen sich viele deutsche Journalisten in Russland weitgehend blind und taub: Ein ideologischer Filter lässt fast ausschließlich negative Nachrichten passieren und solche, die die Erzählung vom „Diktator“ stützen, wie der russische Präsident Wladimir Putin in vielen deutschen Medien bezeichnet wird.

Diese Diagnose teilt auch etwa die frühere ARD-Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. In ihrem Buch „Eiszeit” beklagt sie eine Dämonisierung des Landes auch durch ihre „Nachfolger“ und dass in den westlichen Medien praktisch nur noch Raum für negative Nachrichten über Russland bleibe. Diese Dominanz negativer Nachrichten beim Thema Russland konstatieren mittlerweile zahlreiche Medienbeobachter und Russlandexperten – und die NachDenkSeiten haben bereits zahllose mediale Verzerrungen und Verkürzungen in Bezug auf Russland nachgewiesen.

Wer sind die deutschen Berichterstatter in Moskau? Wie kommt es zum Herdentrieb?

Ein Teil der inakzeptablen Qualität der Russland-Berichterstattung – beileibe nicht alles – lässt sich durch Sparmaßnahmen erklären: Die Zahl der akkreditierten deutschen Journalisten in der russischen Hauptstadt ist laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) in den vergangenen Jahren gesunken. Das ist ein Zeichen der Zeit und eine Folge des allgemeinen Spardiktats, das auch andere Auslandsredaktionen ausgedünnt hat.

In Moskau sind demnach derzeit etwa 20 deutsche Korrespondenten akkreditiert. Dabei sei die Nachrichtenagentur dpa mit drei Korrespondenten mittlerweile ebenso stark vertreten wie die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, während die Zahl der Sendungen, die diese beliefern müssen, in den letzten Jahren noch gewachsen ist. Viele Zeitungen sind in Moskau gar nicht mehr mit eigenen Korrespondenten vertreten. Das “Handelsblatt” schloss 2013 als einzige deutsche Wirtschaftszeitung nach 20 Jahren das Büro, auch die Magazine “Focus” und “Stern” haben seit Jahren keinen Korrespondenten mehr in der russischen Hauptstadt, ebenso Regionalzeitungen wie der “Tagesspiegel” oder die “Stuttgarter Zeitung“.

Abbau der Korrespondenten stärkt Nachrichtenagenturen

Diese Abwesenheit vom Geschehen hält die genannten Zeitungen aber nicht davon ab, über Russland zu berichten. Sie stützen sich dann weitgehend auf zugeliefertes Agentur-Material. Das stärkt den Einfluss dieser internationalen Nachrichtenagenturen nochmals, gleicht die Inhalte an und senkt das journalistische Niveau zusätzlich.

“Die Zeit”, die “Süddeutsche Zeitung” und die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” haben dagegen noch eigenes Personal vor Ort. Aber selbst wenn ein eigener Autor in Moskau weilt, muss dieser üblicherweise ein absurd großes Gebiet bearbeiten: So ist das ZDF-Studio in Moskau, wo Bernhard Lichte seit 2013 Korrespondent ist, zuständig für die Berichterstattung aus Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Russland, Tadschikistan, Usbekistan und der Ukraine. Angesichts der Unmöglichkeit dieser Aufgabe scheinen sich die meisten Redakteure gleich ganz auf das politische Moskau zu beschränken.

Für den „Spiegel“ sitzt Christina Hebel in Moskau, der langjährige Kollege Christian Neef hat sich 2017 verabschiedet. Und zum Glück hat es ihm sein Kollege von „Spiegel-Online“ gleichgetan: Auch Benjamin Bidder hat den Dienst in Moskau quittiert. Das trifft noch auf eine weitere umstrittene Redakteurin zu: Golineh Atai (ARD), die etwa durch distanzlose Unterstützung des Maidan-Umsturzes traurige Berühmtheit erlangte, hat im Sommer 2018 Moskau verlassen.
Aktuelle ARD-Studioleiterin in Moskau ist Ina Ruck weitere ARD-Korrespondenten sind Demian von Osten und Birgit Virnich. Möglicherweise öffnen diese Personaländerungen eine Tür zu einer künftig versöhnlicheren medialen Haltung gegenüber Russland – doch diese Hoffnungen drohen, verfrüht zu sein. Dass die kampagnenhafte Hyper-Kritik an der russischen Politik nicht ins andere Extrem der kritiklosen Romantisierung umschlagen sollte, versteht sich von selbst.

Keine Tendenzfreiheit für Öffentlich-Rechtliche

Die privaten Kollegen genießen mehr Tendenzfreiheit als die Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Natürlich sind Artikel wie jene von den privatrechtlichen Moskau-Korrespondenten Alice Bota („Zeit“), Julian Hans („Süddeutsche Zeitung“) oder Friedrich Schmidt („FAZ“) sehr oft scharf zu kritisieren. Fast noch mehr ins Unrecht setzen sich aber Redakteure von ARD, ZDF oder Deutschlandfunk – bei gleichem Delikt.

Denn die Redakteure der öffentlich-rechtlichen Medien sind offiziell und laut Rundfunkstaatsvertrag eindeutig zu einer umfassenden, ausgewogenen, sachlichen und überparteilichen Berichterstattung verpflichtet, um Meinungspluralität zu erzeugen. Darum werden sie von den Bürgern bezahlt. In Bezug auf die Berichterstattung zu Russland kann von all dem keine Rede sein. Die öffentlich-rechtlichen Medien verstoßen hier permanent gegen ihren Auftrag – die Privatmedien tun das zwar in noch stärkerem Maße. Aber die unterliegen anderen Regeln.

Der Russe ist selber Schuld

Passend zur Tendenz der Berichterstattung möchten Manche die Verantwortung für diese Tendenz den Russen selber in die Schuhe schieben. So hat etwa die langjährige Russland-Korrespondentin des Deutschlandfunks Gesine Dornblüth mit ihren teils grob verzerrenden Berichten mutmaßlich viel zur deutsch-russischen Entfremdung beigetragen. Gleichzeitig wundert sie sich über das selber erzeugte Misstrauen: Es sei sehr schwierig, Behördenvertreter und Politiker für Interviews zu bekommen, beklagt sie. “Sie wollen meistens nicht mit uns reden, anders als Kritiker der Regierung, die sich mehr Zeit nehmen und ihre Positionen ausführlich darlegen”, so Dornblüth mit mutmaßlich gespielter Naivität.

Auch die BPB möchte den Schwarzen Peter zumindest teilweise den Russen zuteilen: „ Die russische Seite erweist sich im Umgang mit ausländischen Medien als wenig kooperativ.“ Russische Stellen würden mit „ihrer unprofessionellen Öffentlichkeitsarbeit“ einige Mitverantwortung dafür tragen, dass „Russland in den ausländischen Medien – und nicht nur in Deutschland – oft schlecht wegkommt.“

Das Chaos unter Jelzin als „Gute alte Zeit“?

Vielleicht liegt das aber doch eher an dem journalistischen Personal, das das Russlandbild in Deutschland zeichnet. Etwa an Udo Lielischkies, der seit 1999 für die ARD aus Moskau berichten durfte. In einem Interview zu seiner Korrespondententätigkeit offenbarte er kürzlich einige der zentralen Defizite des deutschen Presse-Personals in Russland: So bezeichnet er die Entwicklung Russlands von der neoliberalen Anarchie unter Jelzin zu den heute vergleichbar geordneten Verhältnissen zynisch als „ernüchternd“:

„Ich habe als Russland-Korrespondent 1999 zeitgleich mit Putins erster Amtszeit als Ministerpräsident angefangen. Ich dachte damals, es könne gut sein, wenn dieser systematische Mann nach dem trinkfreudigen Jelzin Ordnung in das Chaos bringt. Das war eine Fehleinschätzung.“

Russland: Unterdrückung, Niedergang und Folklore

Neben dieser Ignoranz gegenüber der unter Jelzin leidenden Bevölkerung, die Lielischkies mit vielen seiner Kollegen teilt, ist er auch erfüllt von den selber erzeugten Medien-Klischees: Von Putins Politik abgesehen sei Russland „ein faszinierendes Land“, das für Fernsehleute viel „visuelle Exotik“ biete: „von nordischen Rentierhirten bis zu maroden alten Kohlezechen“. So sollen auch wir Medienkonsumenten Russland sehen: Neben Unterdrückung gibt es Ethno-Folklore und maroden Niedergang.

Im gleichen Interview sagt Lielischkies, dass er nach dem Ruhestand mit der Familie in Russland bleiben möchte. Er scheint dort also auch positive Facetten entdeckt zu haben. Schade, dass er und seine deutschen Kollegen nicht angemessen darüber berichtet haben.

Streiter gegen die deutsch-russische Sehnsucht

Umfragen zum Thema belegen eine große Sehnsucht der Deutschen nach Verständigung mit Russland. Dass sich trotzdem noch kein großes Medium traut, die russenfeindlichen Pfade konsequent zu verlassen, zeigt, wie mutmaßlich ideologisch motiviert diese Kampagnen sind. Der Gipfel ist, dass diese „standhafte“ mediale Haltung gegen Russland als besonders professionell und mutig verkauft wird – da die Redakteure sich nicht den „Leser-Irrtümern“ bezüglich Moskaus bösem Charakter unterwerfen würden.

Titelbild: Hadrian / Shutterstock