Leserbriefe zu den Brexit-Beiträgen der letzten Woche

Ein Artikel von:

Die Beiträge: “Disput zum Brexit. Winfried Wolf feiert ihn als Zeichen demokratischen Lebens. Die NachDenkSeiten wundern sich.“, “Der Brexit soll ein fortschrittliches Projekt sein? Und die ärmeren Schichten in GB sollen davon profitieren? Der Glaube muss auch hier wohl Berge versetzen.” und “Corbyn gegen ungeregelten No Deal Brexit, für eine Zollunion und für Sicherung der Arbeitnehmerrechte ‘nie hinter EU-Niveau’” von Winfried Wolf und Albrecht Müller sind, genau wie die äußerst zahlreichen Reaktionen der Leser hierauf, ein Beispiel dafür, wie extrem verschieden man das Thema Brexit sehen kann. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum bei den maßgeblichen Personen und Institutionen (noch) kein tragfähiger Kompromiss in Sicht ist. Nachfolgend eine Auswahl der Zuschriften, die recht lang, aber dennoch spannend geworden ist. Bitte beachten Sie auch die Anmerkungen von AM und WW. Zusammengestellt von Moritz Müller.

Albrecht Müller – Anmerkung zur Leserbriefsammlung und zum Disput mit Winfried Wolf

Die Leserbriefzusammenstellung zeigt, dass es zwei ziemlich klar getrennte Lager gibt. Dazu eine kleine Geschichte: Als der Leserbrief Nr. 31 von Frau Mertins ankam, habe ich dort angerufen, weil ich ihre Argumente und damit die Argumente meiner Kritiker kennenlernen wollte. Am Telefon war zunächst ihr Mann. Er sagte mir, dass er ganz anderer Meinung sei als seine Frau und meine Kritik an dem Artikel von Winfried Wolf teile. Dann habe ich über eine halbe Stunde mit Frau Mertins gesprochen. Ich habe ihre Position nicht verstanden und sie die meine nicht. Ihr Mann hat mir dann später geschrieben, der Disput habe eine „hausinterne“ Folgediskussion ausgelöst – mit weiterhin differierenden Positionen. Er sehe auch meine spontane „polemische“ Äußerung durchaus nicht als Stilbruch. – Diese Geschichte erzähle ich, weil sie zeigt, wie unversöhnlich die Positionen sind.

Das Kernproblem aus meiner Sicht: Wir sind in der miesen Situation, nur zwei miese Alternativen zu haben. So ist das manchmal im Leben. Da ist zum einen die Europäische Union mit ihrer schlimmen Entwicklung zu einer neoliberalen Trutzburg und zum anderen der Brexit (und andere Austritte) mit nicht kalkulierbaren Folgen.

Winfried Wolf sagt, Letzteres, der Austritt, auch der Austritt ohne Vertrag, sei eine Lösung, sogar eine fortschrittliche, eine linke Lösung. Ich sage, der Brexit ist wie die EU auch eine miese Lösung und vermutlich verbunden mit noch schlimmerem Elend gerade für jene Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben. Dass der Brexit eine fortschrittliche, linke Lösung sei, kann ich nicht erkennen.

Die Einschätzung hängt wesentlich davon ab, wie man die weitere Entwicklung nach dem Brexit einschätzt. W. Wolf und auch einige Leserbriefschreiber glauben daran, dieser Austritt führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg der „einzigen großen linken Partei in Europa“, von Labour und Jeremy Corbyn. – Sie machen dabei die Rechnung ohne den Wirt. Sie nehmen einfach nicht wahr, dass Corbyn jetzt und schon früher erklärt hat, dass ein ungeregelter Austritt verhindert werden müsse und dass er eine Zollunion anstrebe – einschließlich der Absicherung der Arbeitnehmerrechte. – Hallo, liebe Befürworter des ungeregelten Brexit, wann endlich nehmen Sie denn wahr, was Ihr (und mein) „Idol“ in Großbritannien selbst sagt: Siehe hier am 5. April: Corbyn gegen ungeregelten No Deal Brexit, für eine Zollunion und für Sicherung der Arbeitnehmerrechte „nie hinter EU-Niveau“. Vermutlich ahnt der Labourchef, dass der Brexit nicht zu seinem Sieg, sondern zu einer Rechtsentwicklung in Großbritannien führen wird.

Eine Minderheit hat Verständnis für meine Sorgen. Siehe zum Beispiel die Leserbriefe Nr. 1, 6, 7 und 16. Übrigens, ein Leserbriefschreiber, Nr. 18, nennt mich wahrheitswidrig einen „EU-Anhänger“. Es gibt eben Menschen, die nicht verstehen, dass man auch im politischen Leben manchmal vor zwei miesen Alternativen steht.

Zum Schluss will ich an einem wichtigen Punkt erklären, warum mein ursprünglicher Text so polemisch ausgefallen war: Winfried Wolf und mit ihm viele der Leserbriefschreiber/Innen betonen, dass alleine schon der Respekt vor einer demokratischen Entscheidung dazu zwinge, die Brexit-Entscheidung zu unterstützen. Ich musste das zweimal lesen. Denn Winfried Wolf und ich machen wie hier gemeinsam „Gegen die Resignation im Kampf gegen Stuttgart 21 …“ mobil. – Zu diesem Vorgang zitiere ich zum Abschluss aus dem Leserbrief Nr. 15: „Ich kann die Argumente von Winfried Wolf nur nachvollziehen. Das Volk hat nun mal mit (knapper) Mehrheit für den Brexit gestimmt. Mir hat es auch nicht gepasst, dass eine Mehrheit für Stuttgart 21 gestimmt hat. Ich finde dieses Vorhaben immer noch unglaublich. Aber die Bevölkerung in Baden-Württemberg hat nun mal so abgestimmt.“

Die demokratische Qualität der Entscheidung für den Brexit ist ähnlich zu beurteilen wie jene für Stuttgart 21. Die demokratische Qualität beider Entscheidungen darf man doch wohl hinterfragen? Dass Winfried Wolf die demokratische Qualität der Brexit-Entscheidung nicht hinterfragt und stattdessen ausdrücklich lobt, war der unmittelbare Anstoß für meine Polemik. Dass wir in Sachen Stuttgart 21 weiter und gemeinsam an einem Strang ziehen, wünsche ich mir trotz der Meinungsunterschiede in Sachen Brexit.

Winfried Wolf – Antworten auf Leserbriefe in der NDS-Brexit-Debatte:

Welche Art Entscheidung war das Brexit-Ja? Ich schrieb nicht, die Brexit-Entscheidung sei „zutiefst demokratisch“, ich sage nicht, die 48% der Stimmen seien für mich „schlichtweg unwichtig“ [Leserbrief 7, Eva Sprengel]. Es war halt eine Mehrheitsentscheidung, die nach meinem Demokratie-Verständnis zu respektieren ist. Niemand bestreitet, dass galt „je ärmer und je mehr arbeitende Bevölkerung desto größer die Stimmen für „leave“. Das sollte zu denken geben. Dass es einen „Club weißer reicher Männer“ gab, die für „Leave“ getrommelt haben, ist richtig. Doch der „Club reicher weiße Männer“, die für „Remain“ stimmten, war bedeutend größer. Die Führungen von Tories, Labour, Liberals, der britische Industriellenverband (CBI), der britische Finanzsektor – sie alle trommelten für „Remain“. Und sie trommeln jetzt für das 2. Referendum… Not our friends.

Sollte es eine 2/3-Mehrheit für einen Austritt geben? [Leserbrief 7, Eva Sprengel] // Schwierige Debatte. Auf alle Fälle absurd, solange es keine 2/3-Mehrheit für den Beitritt gibt. Und man oft erst gar nicht beim Beitritt gefragt wurde. Siehe BRD/Westdeutschland.

In welcher Tradition steht die EU? [Leserbrief 11, Fred Schumacher] // Guter Verweis auf Walter Hallstein und NSDAP. Es gibt seit dem Ersten Weltkrieg (Rathenau!) und seit der NS-Zeit Pläne der deutschen Eliten für ein von Deutschland dominiertes Europa, mit Einheitswährung und Freihandel. Z.B.: „Die Lösung der europäischen Frage kann nur auf föderativer Basis herbeigeführt werden, indem die europäischen Staaten sich aus freiem […] Entschluss zu einer Gemeinschaft souveräner Staaten zusammenschließen. […] Ziel ist eine europäische Zollunion und ein freier europäischer Markt, europäische […] feste Währungsverhältnisse mit dem späteren Ziel einer europäischen Wirtschaftsunion.“ Denkschrift des Auswärtigen Amtes über die Schaffung eines Europäischen Staatenbundes, 9. September 1943 [Abgedruckt in: Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945, Hrsg. R. Opitz, Bonn 1994, S. 957ff.] Ist die EU damit ein Nazi-Projekt? Nein! Doch es gibt beunruhigende Kontinuitäten bei den Personen, hinsichtlich der Denkschulen und bei der jüngsten Entwicklung. Oder auch, siehe Leserbrief 15 [M. Wrazidlo]: „Die EU ist wie das alte Rom: selbstgerecht und autoritär.“ Wie das endete, wissen wir. Was kein Lobgesang auf die Vandalen ist!

Austritt und Ehescheidung // Heiner Biewer [Leserbrief 14] schreibt: „Es könnte ja sowas wie eine einvernehmliche Scheidung geben.“ Alexander Allinger [Leserbrief 19] fragt: „Ist wirklich eine Austrittserklärung nötig?“. Der Vergleich mit Ehe & Scheidung ist erhellend. 90% der Scheidungen sind nicht einvernehmlich. Das BRD-Scheidungsrecht war bis in die 1970er Jahre so, dass es den Stärkeren, den Mann, objektiv unterstützte. Gut so, dass das – noch unter Willy Brandt initiiert – am 11.12.1975 geändert wurde und die Schwächeren, die Frauen, mehr Möglichkeiten erhielten um „und tschüss!“ zu sagen. Blöd halt, dass die EU zurückfällt vor die 1970er und unter dem Deckmantel der Forderung nach „Einvernehmlichkeit“ = Vertrag = Deal das Recht des Stärkeren praktiziert.

„Bloß keine Kleinstaaterei!“ // Eva Sprengel [Leserbrief 7] befürchtet das „Los der Kleinstaaterei“. Die EU hat in den letzten Jahren Jugoslawien in eher kleine Staaten aufgesplittert. Zuletzt begrüßte sie, dass Montenegro als Staat entstand. In der EU hat der Kleinstaat Luxemburg ein erhebliches Gewicht als Finanzoase und Zentrum von neoliberalen Offensiven.

Corbyn will Vertrag mit EU und soziale EU-Standards beibehalten // Es gibt so gut wie keine erhaltenswerte soziale Standards der EU. Siehe die Beiträge des NDS-Autors Werner Rügemer. Kein Streikrecht. Kein Minimallohn. Keine garantierte Koalitionsfreiheit. Kein einheitliches soziales Netz. Nicht einmal die Idee, es könnte ein solches EU-Sozialnetz gespannt werden. Im Übrigen haben wir Pferde kotzen, einen Alexis Tsipras Verrat begehen, einen SPD-Kanzler Schröder Krieg führen und Hartz-IV einführen sehen. Es kann also sein, dass wir einen Jeremy Corbyn werden wanken sehen – in Richtung Tony Blair, Theresa May und Jean-Claude Juncker. So what? Wir müssen halt weiter unsere Ideale hoch und eine gehörige Prise Optimismus bereit halten. Und weiter kämpfen!

Winfried Wolf, 10. April 2019


1. Leserbrief

Liebe NDS Redaktion,

Es gibt offenbar verschiedene Interpretationen zur (Mit-)Ursache des Brexit-Votums: Müller verweist auf die Brexit-Werber, die gesellschaftspolitisch nationalistisch bis rassistisch, und wirtschaftspolitisch libertär motiviert sind. Wolf hingegen verweist auch auf die Zustimmung von “linker” Seite durch die Bevölkerungsteile, die von der EU (und der britischen Politik) zutiefst frustriert sind, ohne rechts-nationalistische Motivation. Diese Motivation passt auch zu den Erfolgen von Trump und der AfD: “Let’s throw a wrench in the drive!”

Ich halte es für sehr wichtig hier genau hinzuschauen: Eine Einteilung nach “Pro Brexit = nationalistisch-libertär” und “Contra Brexit = Friedenssicherung in Europa” ist wohl ebenso ungenau wie die andere Lesart “Pro Brexit = Chance auf linke Selbstbestimmung (in UK)” und “Contra Brexit = Weiter mit Austerität, Militarisierung, Ausbeutung”. Auch bestehen massive Meinungsunterschiede zwischen den Politikern und deren (mind. potentieller) Wählerschaft.

Trotz der Rechtsaussen-Position der Brexit-Kampagne hat dieser auch im linken Lager Zustimmung gefunden, nur so kam die absolute Mehrheit zustande. Insofern stimme ich hier Wolf zu. Dieses Wählersegment muss für das Anstreben einer sozialeren Post-Brexit Zukunft ernst genommen werden (oder soll man riskieren die “linken Brexiter” zu ignorieren, weil die andere Ursache für die Brexit-Zustimmmung darin bestand, dass viele “Remainer” gar nicht gewählt haben? Das würde die Politikverdrossenheit nur stärken)

“Let’s throw a wrench in the drive!” kommt (in unterschiedlichen Anteilen) von links UND von rechts – natürlich bei jeweils völlig anderen Lösungsansätzen und Ursachenanalysen. Das reicht aber für Querfront-Kampagnen und Rinks-Lechts Verwurschtelungen (siehe auch der Umgang mit Wagenknecht). Diese Taktik für ein neoliberales “weiter so” befördert ebenfalls die Politikverdrossenheit. Eine progressive Politik muss sich dessen mit Taten statt nur mit Sonntagsreden annehmen.

Ein harter Brexit wird die Remainer massiv frustrieren, die jetzt schon am gesamten(!) Parlament verzweifeln. Ein zweites Votum (das aussichtslos ist) würde den anderen Teil der Bevölkerung vor den Kopf stossen. Tory und Labour haben in den letzten Jahrzehnten einen mustergültigen “Clusterfuck” hingelegt. Corbyn kam wohl zu spät und hat inzwischen leider vieles verspielt.

WENN Labour konstruktiv-progressive Politik umsetzen möchte MUSS JETZT eine konkrete und ehrliche Post-Brexit Perspektive aufgezeigt werden. (Oder tut sie das schon? Mir ist das bisher jedenfalls entgangen). Sonst wird die vielfach bestehende destruktive Motivation gewissermaßen zum alternativlosen Mainstream. Eine Politik “for the many” ist dann unmöglich realisierbar.

Wichtig wäre eine möglichst genaue Analyse und Prognose der Situation und (Un)Möglichkeiten nach einem harten/mittelharten Brexit mit Blick auf Beschäftigung, Infrastruktur, Teuerungen, ggf. Verknappungen, Export, Handel, Rechtssicherheiten inkl Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte, Bürgerrechte, Einwanderung, und andere wichtige EU-Regelungen:
Was können die Menschen von einer Labour-Regierung unter diesen Umständen erwarten? WIE KANN EINE SOZIALE GESELLSCHAFT IN UK ÜBERHAUPT AUSSEHEN wenn die eben genannten Bereiche betroffen sind oder ganz wegfallen?

In einem solchen kollabierenden (oder akut-deregulierten) System können nur die bereits jetzt schon Mächtigen und Superreichen ihre Position sichern und sogar ausbauen,  da stimme ich Albrecht Müller völlig zu.

PS: Im übrigen ist der Brexit ein Paradebeispiel für den Erfolg der “Troublemaker”-Kampagnen (wie u.a. von Steve Bannon, oder auf militärischer Ebene in Nordafrika und im Nahen Osten), die gar nicht an Lösungen oder Zielen interessiert sind, eine nachhaltige Destabilisierung ist völlig ausreichend. Schneller kann eine libertäre hochaggressive Politik nicht staatlich-demokratischen Strukturen über den Haufen schiessen – und das Drohszenario einer “Mistgabelrevolution” (in der Bildsprache der Supperreichen) lässt sich ja auch wie alles andere gewaltsam lösen…

Mit freundlichen Grüßen,
MB


2. Leserbrief

Sehr geehrtes Team der NachDenkSeiten,

Der Beitrag von Winfried Wolf „Disput zum Brexit. Winfried Wolf feiert ihn als Zeichen demokratischen Lebens. Die NachDenkSeiten wundern sich“ findet meine Zustimmung. Perfekt wäre der Beitrag, wenn die Formulierung „sozial Schwache“ durch „ökonomisch und sozial Benachteiligte“ oder ganz einfach durch „arme Menschen“ ersetzt wird.

Denn welche Personengruppe ist sozial schwächer? Beispielsweise diejenige, die sich trotz prekärer Beschäftigung und materieller Armut ehrenamtlich in Sportvereinen engagiert, oder diejenige, die trotz größter Vermögen und höchster Einkommen mit Klauen und Zähnen ihre Steuerprivilegien verteidigt und in der VIP-Lounge des Profisportvereins sich als Sponsor feiern lässt?

freundliche Grüße aus Marburg
Hajo Zeller


3. Leserbrief

Hallo NDS-Team,

Winfried Wolfs Text habe ich noch nicht gelesen und auf Herrn Müllers Gegenkommentar bin ich gespannt. Aber vorweg möchte ich mal feststellen, dass mir W.Ws Überschrift völlig einleuchtet und ich schon länger der Ansicht bin, dass der Brexit die richtige Entscheidung war.

Grund: Die EU, so wie sie konstruiert ist, ist eine Fehlkonstruktion und nicht reformierbar. Und wir brauchen eine völlige Neukonstruktion. Auf den Gedanken kam ich nach dem Fiasko um die Behandlung Griechenlands 2015.

Nun bin ich gespannt, was ich nach der Lektüre beider Texte denken werde.

Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Meyer


4. Leserbrief

Liebe Leute

ich stimme Winfried Wolf absolut zu. An der EU ist nichts, aber auch gar nichts fortschrittlich. Und sie ist unreformierbar. Ich kenne viele Leute der politischen und gewerkschaftlichen Linken in GB, die den Brexit (dort als Lexit – Left Exit tituliert) unterstützen. Und ich hoffe auch, daß GB nicht das letzte Land sein wird, das geht. Wer irgendetwas positiv verändern will, kann das nur ohne dieses undemokratische Monstrum EU tun.

VG
Wilfried Schwetz


5. Leserbrief

Lieber Herr Müller, auf die Schnelle (ich bin noch bei der Arbeit) einige Anmerkungen oder Fragen zu Ihrer Replik auf Wini Wolf’s Brexit-Artikel:

1. Wenn ich mir Wort-oder Bildberichte vom Zustand der britischen Industriearbeiterschaft anhöre oder ansehe, habe ich den Eindruck, dass es für die nicht viel tiefer gehen kann (bei vielen französischen Kolleginnen und Kollegen auch nicht und auch nicht bei einer alten, leider nun verstorbenen Freundin von uns in Italien, die sich nach fast 50 Jahren Berufstätigkeit ihr Leben, und ihre Bestattung teilweise non Nichten und Neffen bezahlen lassen musste). Abgesehen davon, dass von nicht wenigen gesagt wird, dass das, was bislang zum Austritt auf dem Tisch lag, für Großbritannien nicht zu unterzeichnen ist, wenn man  nicht auf Jahre hinaus seine Souveränität aufgeben will, von kommender Properität gar nicht zu reden.

2. Auch wenn natürlich Rechte und Rassisten wesentlich mit am Zustandekommen des bekannten Ergebnisses beteiligt waren (was Wolf nicht leugnet oder unterbewertet), ist doch anhand der Analysen kaum von der Hand zu weisen, dass es vor allem die sozial und ökonomisch unter Druck Stehenden waren, die für „leave“ gestimmt haben. Die gut ausgebildeten Menschen, die noch mobil sind und kulturell zum Mainstream im Neoliberalismus (incl. nicht geringer Teile der kulturalistischen Linken) gehören (und das nicht nur in GB) haben und hatten gute Gründe für „remain“ zu stimmen. Noch sind das die Menschen, die auch mit einer zunehmend undemokratischen EU gut leben können – noch!

3. Dass für Wolf alles Gute aus London kommt und alles Übel aus Brüssel, kann ich so nicht lesen, im Gegenteil. Zugegeben, der Verweis auf ausgebliebene Kritik aus Brüssel an der Londoner Austeritätspolitik war überflüssig. Es gibt zwischen europäischen Regierungen und Brüssel keine Rollenaufteilung zwischen Machern und Begutachtern. Beide machen, wozu ist der europäische Rat sonst da? Damit man unliebsame Entscheidungen jeweils der anderen Seite zuschreiben kann. Was national eine heiße Kartoffel ist, wird in den Rat eingebracht, damit man zuhause behaupten kann, man sei es nicht gewesen. Und was in den Nationalstaaten nicht durchgesetzt wird bezeichnet Brüssel als nicht gemachte Hausaufgaben und Reformunwillen. Brüssel und London wissen das, auch die Regime in Berlin und Paris auch. Die lachen sich allesamt ins Fäustchen, während wir uns die Haare raufen darüber, wer denn das alles verbrochen haben mag.

4. Ihr Punkt 4. Über den Lissabon-Vertrag ist beredtes Beispiel für das was ich in 3. gesagt habe: und wenn es nicht klappt, wird abgestimmt bis der Arzt kommt.

5. Es mag sein, dass durch Austritte nichts oder wenig bewirkt werden kann – durch Drinbleiben wird aber mit Sicherheit für die meisten Betroffenen auch nichts besser. Hören Sie sich jeden Tag die noch so kleinen Beschlüsse in Brüssel an (und ich bin sicher, dass Sie da tun), dann wird Ihnen jede noch so geringe Hoffnung vergehen, dass sich etwas zum Positiven wandelt, für die die nichts haben oder bald nichts mehr haben werden. Das Dilemma dabei ist, dass eine Garantie auf Besserung des Zustandes in beide Richtungen nicht gegeben ist.

6. Ich kann mich nicht entsinnen, dass irgendjemand von uns in Europa gefragt worden wäre, ob er oder sie drin sein möchte oder draussen. Ich möchte mich aber nicht damit abfinden müssen, dass ich darüber qua Generationenzugehörigkeit keinen Einfluss mehr haben soll. Ich kann noch nicht einmal so tun als ob, was ich bei Bundestagswahlen zumindest scheinbar noch kann, sehr scheinbar, zugegeben.

7. Es geht seit Jahren, und nicht nur in GB, ob mit oder ohne Brexit, den meisten Lohnabhängigen nicht besser. Sehen Sie sich nochmal die Reallohnentwicklungen der letzten 20 Jahre auch in der BRD an. Das statistische Mittel suggeriert immer allgemeine Reichtumszunahme. Dass dem nicht so ist, wissen wir alle. Die gleichmäßige Wohlstandsverteilung ist eben nicht die Stärke diese Kapitalismus und auch nicht sein Wollen.

8. Geschenkt, das ist alles Spekulation, zumal nicht gesagt ist, dass Corbyn dem Druck auch innerparteilich standhält und man hat schon zu viele Linke gesehen, die dann umgekippt sind. Tsipras 2.0 sozusagen und mit Varoufakis möchte ich auch keine bessere oder gemütlichere EU. Schaun ma mal.

9. Bitte lassen Sie uns jetzt nicht die 52% interpretieren und verhackstücken. Sind es jetzt 52 % oder sind sie es nicht? Ich warte auf den Tag, wo jemand unsere linken Wahl-oder Abstimmungsergebnisse gegen uns interpretiert. Es wird uns auf die Füße fallen. Und natürlich hat in den goldenen Jahren niemand von einer Zwangsmitgliedschaft im ach so demokratischen Europa gesprochen. Ging ja auch ohne. Aber jetzt bekommen wir eine lange Nase gedreht, mitgegangen, mitgehangen. Jetzt seid ihr drin und ein Raus gibt es nicht. Das den Leuten das nun zum Himmel stinkt, wen wundert‘s. Damit, dass wir jetzt die 52% als potentiell rechts abtun, lösen wir nüschte. Die, die wir brauchen und die mit denen wir von unserer Interessenlage mitgehen müssen, ob es gefällt oder nicht, befinden sich vermutlich zu einem nicht geringen Teil eben in diesen 52%.

10. Die restlichen EU-Partner, das sind wohlgemerkt weder wir beide noch Wini Wolf, das sind auch nicht die Leute oder die anderen Lohnabhängigen, das sind die Damen und Herren Merkel, Macron, Conte, Kurz und wie sie alle heißen, dass sind diese unsympathischen Typen wie Michael Selmayr, die hätten gut daran getan, rechtzeitig ihr Verhandlungsangebot den Briten anzupassen. Aber das wäre ein Präzedenzfall für alle europäische Nationen gewesen, denn es gärt überall und alle haben Bedarf, dass jemand auf die Wünsche eingeht. Aber das ist in diesem Europa nicht vorgesehen.

11. Siehe oben. Die britische Regierung ist eben so wenig das britsche Volk wie die EU-Kommission oder die Herren Barnier, Selmayr e tutti quanti

12. Wichtig scheint mir vor allem, dass Wolf auch und gerade ein Ende des europäischen Kolonialismus fordert. Auch in Irland!

13. Vielleicht wäre der Dynamik des Raus/Rein die Spitze genommen, wenn bei der komplizierten Gemengelage (Gesetze, usw.) auch einmal etwas für die Nichtbesitzenden rausgekommen wäre. Die Dispositionen der Unternehmen, das sind Interna des Kapitals, das können und müssen wir nicht lösen. Ich bin mir sicher, die werden das zu ihrem Besten auch ohne uns hinkriegen. Die Mitarbeiter, ja, das ist ein Problem. Da wäre Konversion angesagt, so wie wir es für die Rüstungsindustrie, für die AKW’s, für die Automobilindustrie fordern. Gegenüber den Letztgenannten haben die Mitarbeiter in Brüssel und Strassbourg noch recht gute Karten. Wobei sicher richtig ist, dass auch diese Frage systemimmanent nicht zu lösen ist. Aber was für Europa insgesamt gilt, scheint auch hier niemandem von Belang: es braucht den Systemwechsel. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der sich im Augenblick nicht gerade am Horizont abzeichnet. Es lohnte vielleicht doch, auch diesbezüglich bei den 52 % in GB nachzufragen. Ohne die, auch wenn es schwer fällt, ist da, so glaube ich, nichts zu machen.

14. Zum Schluss: m.E braucht Wini Wolf keine große Revision zu machen, kleinere Nachbesserungen würden genügen.

Trotz allem, schön, dass wir streiten können, und das auf den Nachdenkseiten. Wo passiert das heute noch so prominent und in so guter Gesellschaft.

Ihnen herzliche Grüße und weiterhin streitbare Nachdenkseiten
Ihre Thomas Hohnerlein & Christel Buchinger, Gersheim/Saar


6. Leserbrief

Der Brexit als basisdemokratisches Erweckungserlebnis zur Befreiung vom Joch einer militaristischen EU?

Man reibt sich die Augen über eine solch steile These. Zur Erinnerung: Die Brexit-Kampagne wurde massgeblich betrieben und unterstützt von Nigel Farage, Geschäfts- und Golfpartner eines gewissen Donald Trump, finananziert vom US Hedgefonds-Milliardär Paul Mercer, der viel investierte, um mit Hilfe von Cambridge Analytica und geklauten persönlichen Wähler-Daten von Facebook und andeeren diese selektiv (und mit in die Welt gesetzten Falschmeldungen) zu beeinflussen, mit grossem Erfolg. Strippenzieher im Hintergrund war u.a. Steve Bannon, so etwas wie Trump’s Chefideologe und heute in Europa unterwegs, um neonationalistischen Kräften den rechten (besser: rechtsradikalen….) Weg zu weisen. Das Ganze natürlich befeuert von der Murdoch-Presse, auch nicht gerade bekannt als das Sprachrohr unterdrückter Menschen.

Was will dieser Club reicher weisser Männer (Frauen waren kaum dabei)? Das scheint mir sonnenklar: Zunächst in Grossbritanien (und danach in der gesamten EU) alle Elemente des EU-Recht-basierten Schutzes von Standards (Gesundheit-, Umwelt-, Sozial-etc) auszuhebeln, um vor den Toren der EU bei weiterhin möglichst freiem Zugang zum EU-Markt eine Art Super-Hongkong für die ihre Geschäfte zu etablieren. Schon als Mitglied der EU hatte Grossbritanien  opt-outs zu allem, was nach Sozialpolitik “roch”, mit Hilfe des Brexits wollen diese Kreise nun auch die anderen Standards abschütteln. Darum vor allem ging und geht es!!!!!!!

Die Hinweise von Herausgeber A. Müller sind sehr notwendig gewesen.

Gruss
Eckard SEEBOHM


7. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für die Veröffentlichung des Gastartikels „Der Brexit, die EU und ein Plädoyer für Demokratie“ von Winfried Wolf und Ihren Beitrag „Der Brexit soll ein fortschrittliches Projekt sein? Und die ärmeren Schichten in GB sollen davon profitieren? Der Glaube muss auch hier wohl Berge versetzen.“ Ihrer augenscheinlich sehr aufgewühlten Lektüre und Replik erlaube ich mir noch zwei weitere Überlegungen anzufügen:

Winfried Wolf schreibt von einem Austritt Großbritanniens als einem zutiefst demokratisch legitimierten Vorgang. Mich deucht, dass hier Demokratie mit der Diktatur der Mehrheit verwechselt werden könnte. Die Macht geht vom Volke aus, jedoch nicht ausschließlich von der zahlenmäßig stärksten Gruppe innerhalb dieses Volkes. Sie sollte gedacht werden als das fortwährende, ja sehr wohl mühsame und zeitaufwändige Ringen um Kompromisse zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Es mutet mir nicht sonderlich demokratisch an, wenn Herr Wolf die Meinung von immerhin 48% der Briten schlichtweg als unwichtig deklariert. Ob diese von Eigeninteressen oder Manipulation geleitet sein könnten, sollte bei einer ersten Betrachtung dabei keine Rolle spielen.

Meiner persönlichen Einschätzung nach sollten derart wichtige Entscheidungen wie der Austritt eines Landes aus der EU wenigstens durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Wählenden legitimiert werden müssen, um den Anschein von schlichter Überstimmung mit minimalsten Prozentpunkten Vorsprung zu vermeiden. Dieses Kriterium könnten dann nicht einmal die zitierten 64% „der Facharbeiter, der Arbeiter ohne Ausbildung, der Geringverdiener, der Leute mit Gelegenheitsjobs und der Menschen, die von Sozialhilfe abhängig sind“ erfüllen.

Ferner betrachtet Herr Wolf scheinbar zahlreiche Separationsbewegungen als gerechtfertigt, solange sie sich einer gewissen Anhängerschaft in der dort lebenden Bevölkerung versichern können. Ich sehe das Los der Kleinstaaterei heraufziehen, wenn jede Region und jeder Landstrich sich aus diesem Antrieb heraus als unabhängig erklären könnte. In einer größeren Staatengemeinschaft, so lose sie auch sein mag, vereinfacht sich der Entscheidungsfindungsprozess jedenfalls nicht gerade dadurch, dass sich die Zahl der mitentscheidenden Akteure vervielfacht.

Mit den besten Wünschen für die Glättung der Wogen Ihres Gemüts verbleibe ich

Hochachtungsvoll
Eva Sprengel


8. Leserbrief

der brexit-text winfried wolfs ist das beste, was ich bisher zum thema gelesen habe. dies nur als als kurze meldung, und danke für die veröffentlichung. beste grüße th. bachmann


9. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

bei ihrer Replik auf Wolf haben Sie sich m.E. ein wenig verrannt. Ich mache das mal an einem Beispiel klar. Stellen Sie sich vor, in Deutschland würde ernsthaft der Austritt aus der Nato diskutiert. (Eine Abstimmung darüber würde sicherlich mit der notwendigen Brutalität verhindert.) Wie würden Sie das Argument aufnehmen, dass wir drin bleiben müssen, weil wir eimal beigetreten sind. Egal welche Sauereien sich die Nato noch ausdenkt. Im übrigen gehe ich davon aus, dass Sie den letzten Satz auch selbst zu beherzigen bereit sind.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Ruf


10. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,
 
auch wenn es Ihnen “Bauchschmerzen” verursacht hat, den Beitrag von Winfried Wolf auf den NachDenkSeiten online zu stellen, so haben Sie damit aus meiner Sicht eine gute Entscheidung getroffen.
 
Obwohl ich als regelmäßiger Leser der Nachdenkseiten fast immer Ihren Standpunkt teile, kann ich – ehrlich gesagt – den Argumenten des Beitrages von Winfried Wolf mehr folgen als Ihrer Darstellung. Die meisten Argumente, die Sie hier gegen den Brexit anführen, entsprechen leider eher den Positionen des elitenhörigen Mainstreams, was natürlich nicht allein deswegen immer falsch sein muss. Aber auch hier könnte man einen Punkt nach dem anderen auseinander nehmen. Allen voran die Aussage, jedes Land müsse sich ja vor dem Beitritt in eine Gemeinschaft alle Konsequenzen überlegen und könne das dann Jahrzehnte später nicht wieder verlassen, dabei aber ignorierend, dass sich über Jahrzehnte Randbedingungen, vor allem aber die Gemeinschaft selbst aus Sicht einer Mehrheit zum Negativen entwickelt hat. Dass die EU in den gegenwärtigen Strukturen weder wirklich demokratisch noch reformierungswillig ist, war wie ich dachte eigentlich schon Konsens bei den NachDenkSeiten?
 
Daher gefällt mir nicht so gut, dass Sie den Artikel schon in der Überschrift abwerten bzw. einordnen, obwohl Sie zusätzlich einen entsprechenden Artikel als Gegenmeinung plaziert haben. Was aber nicht nur beim Ursprungsautor negativ ankommen dürfte, ist dann Ihr Fazit “Es wäre nicht schlecht, wenn ein so begabter Autor und Politiker wie Winfried Wolf zu einer Revision seiner Ansichten bereit wäre.”  Immerhin muss ich den NachDenkSeiten zugute halten, dass Sie den Original-Artikel überhaupt und auch ungekürzt publiziert haben. Aber die Einordnung und die Abwertung sind dann doch etwas mehr, als zum Nachdenken nötig ist, und erinneren schon an die Methoden der Meinungsmache von Tagesschau, Spiegel & Co, die Sie ja zu Recht immer wieder kritisieren. Die Nachdenkseiten sollten daher mit gutem Beispiel vorangehen und nicht in die gleichen Fußstapfen treten.
 
Mit freundlichen Grüßen
R.Schmidt


11. Leserbrief

Lieber Albrecht Müller, lieber Winfried Wolf,

ich bin ziemlich enttäuscht, dass die sachliche, kenntnisreiche Argumentation von Winfried Wolf von Albrecht Müller in offensichtlich oberflächlicher Weise abgebügelt wird. Wenn Wolf beispielsweise mit Fakten argumentiert: “Das Ergebnis war dann soziologisch – oder auch klassenpolitisch – erstaunlich: Die Mehrheit der Armen und der arbeitenden Menschen stimmte für Leave. Entsprechend der Ashcroft-Auswertung stimmten 64 Prozent der Facharbeiter, der Arbeiter ohne Ausbildung, der Geringverdiener, der Leute mit Gelegenheitsjobs und der Menschen, die von Sozialhilfe abhängig sind, für den EU-Austritt.” geht Müller mit keinem Wort auf die angeführten Fakten ein und versucht, die Wähler mit dem Hinweis auf reaktionäre Brexit-Befürworter faktenwidrig zu verleumden. Wann lernen wir endlich mal, die Demokratie ernst zu nehmen, die wir als Wortblase ständig vor uns her pusten?

Was sollen die wie eine Drohung hergebeteten Sätze Müllers “Hat Wolf schon einmal bedacht, was das für die Industriearbeiterschaft Großbritanniens bedeuten kann und wahrscheinlich bedeuten wird? Schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mehr Druck von oben.”? Derartige Drohungen gehören seit Anbeginn der EWG/EG/EU zum Standard der Befürworter dieser Gemeinschaft. Wir dürfen in diesem Zusammenhang die Argumente von Wolf nicht übersehen, dass das EU Establishment immer wieder das Votum der Mehrheit der Menschen – wenn sie denn überhaupt eine Chance zur Abstimmung hatten – übergangen hat, Beispiel Irland etc.

Gerade uns Deutschen muss bewusst sein, dass die Gründung dieser Union von Menschen beschlossen wurde, die alles andere als die Schaffung demokratischer Strukturen im Sinne hatten. Es gab eine deutliche Mehrheit der Deutschen gegen die Wiederaufrüstung; mit der Montanunion und der EWG wurde sie den Bürgern gegen deren Willen übergebügelt. Adolf Hitlers rechte Hand bei der Planung der Gestaltung Europas nach dem “Endsieg” wurde für die ersten zehn Jahre nach Gründung als erster Kommisionspräsident eingesetzt! Die Rede ist von Walter Hallstein. Hält das tatsächlich jemand für einen Zufall?

Aktuell. Eine breite Mehrheit der Menschen ist beispielsweise – das haben Umfragen immer wieder bestätigt – gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. Diejenigen, welche völlig ungerührt seit je die Mehrheit missachtet haben, nehmen jedes Jahr hunderte Millionen an Steuergeldern in die Hand, um sie in die Türkei zur Vorbereitung der Aufnahme zu schieben. Sie verwenden das Geld derer, die es aufbringen, gegen deren erklärten Willen.

Seit Jahrzehnten wird die Tatsache, dass Brüssel weit weg ist und für den normalen Bürger unkontrollierbar schaltet und waltet, schamlos ausgenutzt. Ein Ergebnis, das Wolf mit sauberen Fakten untermauer: “Eine Zeitlang – in den 1950er und 1960er Jahren wurde die soziale Kluft nicht wesentlich größer. Doch seither – und seit den großen Erweiterungsprozessen der EU in den Süden und nach Osten – ist das Gegenteil der Fall. Die soziale Kluft wird von Jahr zu Jahr größer.” lässt Müller einfach außen vor. Passt es nicht ins Vorurteil, dass die EU gut sei, auf Biegen und Brechen?

Zum Abschluss eine persönliche Bemerkung. Ich habe zum ersten Mal für die Niederlassung eines deutschen Unternehmens in London gearbeitet, bevor Großbritannien der EWG beigetreten ist. Das war problemlos möglich, umgekehrt natürlich auch. Es gab ein Leben vor der EU und es wird ein Leben nach der EU geben, egal welche Horroszenarien die Antidemokraten an die Wand malen, welche die EU steuern. Und die EU ist nicht Europa, das wollen wir auch festhalten, obwohl die Aufrüster und Kriegstreiber die Begriffe ständig vermengen.  Die Sprache ist verräterisch, das habe ich unter anderem durch Lektüre der Nachdenkseiten gelernt.

Mit besten Grüßen
Fred Schumacher


12. Leserbrief

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Albrecht Müller,

ich lese die NachDenkSeiten leider erst seit Anfang des Jahres und bin sehr dankbar für Ihre Arbeit!

Seit meiner Entdeckung Ihrer Plattform habe ich keinen einzigen Artikel verpasst und stimme in 95% mit den Kommentaren bzw. Aussagen überein.

(Keine 100%, weil ich unter Anderem die Reaktionen von Herr Müller, im Video mit Dietrich Krauß von der Anstalt, im Bezug auf die Medien als engstirnig und festgefahren empfunden habe. Die Medien sind sehr polarisieren in Deutschland keine Frage (ich als ehemaliger Bürger der Sowjetunion nehme den Fokus auf Russland als Feindbild sehr deutlich wahr). Aber der FaktenCheck der Anstalt lässt sich nunmal nicht von der Hand weisen und besteht nunmal zum größten Teil aus den etablierten Medien. Deshalb hat für mich seine Aussage, dass man nicht alle Medien bzw. Journalisten in Deutschland verurteilen kann, durchaus ihre Berechtigung.)

Kommen wir nun zum Hauptgrund für meinen Leserbrief. (Die Nummern entsprechen den Nummern von Herr Müller im Artikel.)

Allgemein finde ich, Sie (Albrecht Müller) hätten sich etwas mehr Zeit für eine sachliche Kommentierung des Artikels von Herr Wolf nehmen sollen.

zu 1.
Ich kann diese Aussage nicht nachvollziehen. Eine etwas ausführliche Darlegung fände ich angebracht.
So wie ich das sehe, ist die EU momentan ein riesiger Mafia-Clan aus dem man nicht austreten darf, ohne mit seinem Leben zu bezahlen.
Wie überall im Leben, sollte durchaus jedem (Staat) die Möglichkeit gegeben sein, aus einer Union austreten zu dürfen. Nur weil ein gewisses Risiko für die Bevölkerung von GB mit dem Austritt einhergeht, heisst ja noch lange nicht, dass ein Bleiben in der EU auf lange Sicht nicht noch viel schlimmere Folgen für das Land haben könnte! Ihre Aussage ist nur eine Vermutung und deswegen als Kritik eher unanagebracht. Der Zustand der EU-Mitgliedsstaaten (auch Deutschland) zeigt ganz deutlich, dass die Mitgliedschaft in der EU bisher das Leben der Bevölkerung nicht besser macht und eher das Gegenteil bewirkt!

zu 2.
An der Aussage von Herr Wolf ist ja nichts falsches. Das Brexit-Votum IST „in erster Linie das Votum der Arbeitenden und der sozial Schwachen gegen die EU“ , denn es ist nunmal Fakt das der Großteil der Bevölkerung in GB nunmal aus dieser Schicht kommt. Das diese in irgendeiner Weise beinflusst wurden, steht ausser Frage (Menschen werden immer beeinflusst). Aber Herr Wolf schreibt auch, dass es auch aus den linken Flügeln eine “Leave” Befürwortung von der Bevölkerung gefordert wurde. Ich hätte mir hier auch einfach die ein oder andere Quelle Ihrerseits gewünscht, die belegt das es von neo-liberaler Seite evtl. mehr Einfluss gegeben hat.

zu 3.
Herr Wolf sagt doch nur, dass Tony Blair und Margret Thatcher signifikant an der Austeritätspolitik mitgewirkt haben. Die haben diese nicht erfunden, das ist soweit richtig, aber keines der anderen Länder hat es verhindert. Ich finde Ihren pro EU-Ton hier doch recht bedenklich. Das Beklagen von Herr Wolf, dass es keine Kritik Seitens der EU an der Austeritätspolitik GBs gegeben hat, ist durchaus angebracht. Denn ursprünglich ist die EU ja gegründet worden, um genau so eine Politik zu verhindern und besteht ja nicht nur aus einer Handvoll Staaten. Und genau deswegen ist es ja so ein signifikantes Zeichen für das Versagen der Demokratie innerhalb der EU.

zu 4.
Die Briten haben daran ganz bestimmt nicht alle zusammen mitgearbeitet, sondern die Politiker von GB. Und nur weil die Politiker Mist gebaut haben und dem Volk das jetzt (recht späht, ja) aufgefallen ist, darf man das jetzt nicht kritisieren bzw. ansprechen? Ohne jetzt einen Streit vom Zaun brechen zu wollen, aber warum sind Sie denn dann nicht bei der ARD geblieben um diese von Innen zu verändern? Sie sind doch auch gegangen. Dürfen die Briten das jetzt nicht auch?

zu 5.
Ich habe in Herr Wolfs Beitrag nirgends lesen können, dass er der Meinung ist, dass jetzt alle Ratten das sinkende Schiff verlassen sollen. Es geht hier um EINEN Mitgliedsstaat. Und ein Austritt kann durchaus einen positiven Nebeneffekt erzeugen, nämlich ein Umdenken inerhalb der EU bzw. der Bevölkerung der EU anzustoßen, damit nicht noch mehr Länder dem Beispiel folgen. Also hat auch diese Aussage von Herr Wolf durchaus eine Berechtigung.

zu 6.
siehe Punkt 1.
Jeder hat das Recht Mitglied zu werden, wenn er die Bedingungen (die ich als viel zu kapitalistisch empfinde) erfüllt und zu gehen, wenn man sich doch geirrt hat.

zu 7.
In diesem Punkt empfinde ich den Ton als extrem unsachlich! Und bin doch teils schockiert, dass dieser von Ihnen kommt Herr Müller! Es hätte nichts gegen eine sachliche Argumentation gesprochen mit Quellen und allem was dazu gehört. Aber die Aussage von Herr Wolf als Träumerei zu bezeichnen hat schon etwas von der Mentalität die täglich aus dem TV, von der CDU und den etablierten Medien trieft. Ich lese die NachDenkSeiten, um genau von dieser Art der Sprache verschohnt zu bleiben!

zu 8.
So wahrscheinlich finde ich Ihre Einschätzung gar nicht. Wenn man mal betrachtet, wie neo-liberal die EU geworden ist, ist die Wahrscheinlichkeit eher größer ohne den Einfluss der EU zu einer linken Regierung zu kommen. Fast jeder Staat der EU hat die linken/sozialen Bewegungen im Keim erstickt. Die einst so liberale französische Regierung schießt sogar schon mit Gummigeschossen auf die Anhänger der linken/sozialen Bewegung!

zu 9.
Auf den Kern der Demokratie runtergebrochen hat Herr Wolf einfach Recht. Es ist demokratisch gewesen. Ein Volksentscheid ist immer demokratisch! Ich persönlich kann es mir auch ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass neo-liberale Kräfte das Volk so beeinflussen, das dieses Volk sich dadurch dazu entschliesst das neo-liberale Paradies (EU) zu verlassen. Also ist meiner Meinung nach auch hier Ihre Aussage etwas einseitig.

zu 10.
Ihre Aussage hier ist für mich gleichwertig mit der Parole “die Briten picken sich die Rosinen raus”. Das ist, wie in Punkt 7 schon erwähnt, meiner Meinung nach extrem unsachlich! Und ist mit der sonstigen Qualität der NachDenkSeiten nicht zu vergleichen! Wäre Griechenland damals ausgetreten, dann würde das griech. Volk jetzt vor einem etwas kleiner Scherbenhaufen sitzen und keinen Schuldenberg mit horenden Zinsen stämmen müssen! Ganz zu schweigen von den immer noch ausstehenden Reparationszahlungen von Deutschland an Griechenland, mit denen sich das Land unter Aufsicht hätte sanieren können!

zu 11.
Die brit. Regierung hat Ihrer Meinung nach also einen guten Deal für das eigene Volk ausgehandelt? Ihre bisherigen Artikel waren bisher doch recht kritisch gegenüber der Regierung May. Also warum den jetzt die 180° Drehung? Ich finde auch hier den Schutz-Ton für die EU eher unfassbar!

zu 12.
In Punkt 11 bestehen Sie auf Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen der EU. Hier wiederum kritisieren Sie, dass Herr Wolf jetzt seinerseits auf rechtliche Bestimmungen zwischen der EU und Drittstaaten hinweist? Das Beispiel mit den Flüchtlingen ist sogar sehr passend, weil es die Grenzregelung mit Drittstaaten sehr deutlich zeigt. Mir stellt sich die Frage, warum Sie sich denn hier überhaupt parteiisch äussern?

zu 13.
Von einem Rein/Raus kann doch noch gar nicht die Rede sein. Seien wir mal ehrlich, GB ist das erste Land das aus der EU raus möchte. Und das nicht zum 10. Mal sondern zum aller ersten mal. Auch hier ist die Formulierung sehr unpassend und von einem Grundprinzip kann man hier gar nicht sprechen. Es handelt sich um einen Präzedenzfall und nicht um eine Gewohnheit von GB.

Ich hoffe, dass diese Art der Kommentare nicht die Zukunft der NachDenkSeiten darstellen.
Und empfehle Ihnen Herr Müller das nächste mal evtl. eine Nacht darüber zu schlafen, bevor man einen solchen hitzköpfig unsachlichen Kommentar schreibt.

Mit freundlichen Grüßen
J. W.


13. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,
ich kann die Argumente von Winfried Wolf nur nachvollziehen. Das Volk hat nun mal mit (knapper) Mehrheit für den Brexit gestimmt. Mir hat es auch nicht gepasst, dass eine Mehrheit für Stuttgart 21 gestimmt hat. Ich finde diese Vorhaben immer noch unglaublich. Aber die Bevölkerung in Baden-Württemberg hat nun mal so abgestimmt.
 
Gruß
Harald Pfleger


14. Leserbrief

Lieber Herr Müller, Herr Wolf,

den heutigen Beitrag von Winfried Wolf wie die Replik von Albrecht Müller habe ich studiert.

Dass Winfried Wolf die zuletzt auf den NDS veröffentlichten Texte zum Brexit für einseitig hält, kann ich nachvollziehen. Hinsichtlich der Optionen (weicher Brexit, harter Brexit, neues Referendum) und der mit ihnen verbundenen Chancen zur Durchsetzung progressiver Politik bin ich etwas unentschlossen, es gibt so viele Unwägbarkeiten. Ein harter Bruch kann theoretisch mittels- bis langfristig mehr Spielraum bieten, allerdings werden die kurzfristigen Auswirkungen darüber wesentlich mitbestimmen.

Die Varoufakis-Variante, die die NDS zuletzt mehr oder weniger vertreten – die EU ist neoliberal und vielleicht nicht reformierbar, aber ohne EU (lies: ohne diese real existierende EU!) wird alles noch schlimmer – ist jedoch wenig überzeugend: wir befinden uns im Elend, aber jeden radikalen Bruch lehnen wir ab.

Ich möchte hier die Kritik von Albrecht Müller am Beitrag von Winfried Wolf hinterfragen; ich zitiere dazu die Kritkpunkte von Albrecht Müller (z.T. verkürzt) und kommentiere sie:

1) Ein Austritt ohne Austrittsvertrag soll im Sinne einer fortschrittlichen Politik die beste Lösung sein? …

Hier bewegen wir uns im Bereich der Spekulation, vieles ist denkbar. Wer stellt die nächste Regierung, wie geschickt spielt diese ihre Karten?

Ein Austritt mit dem gegenwärtigen Austrittsvertrag wird jedenfalls keine fortschrittliche Politik ermöglichen.

2) Das Brexit-Votum “sei sei in erster Linie das Votum der Arbeitenden und der sozial Schwachen gegen die EU“ gewesen.

Ein überflüssiger Einwand. Winfried Wolf verschweigt nichts und unterscheidet sauber zwischen Votum einerseits und dominierenden Stimmen in der Brexit-Kampagne andererseits.

Und wieso “sei gewesen”? Es “ist so gewesen”!

3) zur “brutalen Austeritätspolitik“, heißt es “Winfried Wolf macht aus Margret Thatcher und Tony Blair, … so eine Art Vertreter der Europäischen Union … Alles Unheil kommt aus Brüssel, alles Heil aus London”

Hier ist die Argumentation von Albrecht Müller polemisch, sie verdreht die Argumentation von Winfried Wolf, der die Hauptschuld unmissverständlich in der britischen Politik sieht.

Dass die EU diesen Entwicklungen nichts entgegen gesetzt hat, ist keine Schuldzuweisung, sondern ein notwendiger Hinweis auf den Geist dieser Institution. Ja, ja die brutale Austeritätspolitik ist keine Erfindung der EU, aber die EU bietet ihr optimale Rahmenbedingungen und sie wurde in der EU flächendeckend durchgesetzt. Insofern muss die Frage gestellt werden, wie man innerhalb dieser EU das Ruder umwerfen kann.

4) Die Europäische Union wurde mit dem Lissabon-Vertrag und anderen Regelungen zu einer wirklich reaktionären Vereinigung entwickelt. Aber die Briten haben daran kräftig mitgearbeitet.

Ja, das haben die Briten. Und nun? Darf man sich nicht eines Anderen besinnen?

5) Kritik an der Europäischen Union zu üben, ist sehr berechtigt. Es ist auch legitim, die Frage zu stellen, ob die EU überhaupt noch reformierbar ist. Aber: Die EU wird weder durch den Austritt Großbritanniens noch durch andere Austritte im guten Sinne reformiert. Was Winfried Wolf nicht versteht: Man kann ein harter Kritiker des Zustandes der EU sein und dennoch keinen Sinn darin sehen, diese Wirtschafts- und politische Gemeinschaft aufzugeben. Der Glaube, dass aus möglichst vielen Austritten Besseres erwüchse, ist durch Nachdenken und durch Tatsachen nicht gestützt.

Es gibt schlicht keine “Tatsachen”, auf die man sich stützen könnte, da noch kein Land aus der EU ausgetreten ist; insofern zielt der Einwand von Albrecht Müller in beide Richtungen oder ins Leere.

Nachdenken kann bekanntlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Ich sehe bei den Skeptikern der Reformierbarkeit der EU als Ursprung ihrer Überlegungen zunächst weniger den Glauben, dass besseres erwüchse, sondern v.a. den Zweifel, ob es innerhalb der EU besser werden kann. Was tun wir, wenn es innerhalb nicht besser werden kann / werden wird?

Wenn die Frage nach der Reformierbarkeit legitim ist, dann muss sie auch mit NEIN beantwortet werden dürfen. Albrecht Müller lässt die Frage zwar zu, nimmt uns aber die Möglichkeit des NEIN gleich anschließend wieder weg. Denn was kann anderes folgen als Austritte, wenn die EU nicht reformierbar wäre? Es gibt meines Wissens nach keine Linke, die “möglichst viele Austritte” will. La France Insoumise spielt mit der Möglichkeit eines Austrittes, aber nur als eine Alternatve, wenn eine Änderung der Verträge nicht durchsetzbar ist. Und auch dann stehen Gedanken zur Gründung eines neuen europäischen Gebildes im Raum. Von unbedingter Aufgabe einer Gemeinschaft kann da nicht die Rede sein.

Eine existierende politische Gemeinschaft sehe ich nicht, bestenfalls ist sie (um mit Karl Polanyi zu sprechen) der wirtschaftlichen “Gemeinschaft” untergeordnet, alles Politische an ihr ist mittlerweile Auswuchs ökonomischer Interessen.

Hier könnte man mit Keynes sagen “Ideen, Kunst, Wissen, Gastfreundschaft und Reisen sollten international sein. Dagegen sollten Waren lokal erzeugt werden, wo immer dies vernünftig möglich ist; vor allem aber die Finanzen sollten weitgehend im nationalen Kontext verbleiben.”

In diesem Sinne argumentiert auch der französische Ökonom und Philosoph Fréderic Lordon, der eine Neugründung der EU als nicht wirtschaftliche Gemeinschaft (ohne Euro) ins Spiel bringt. (eine Zusammenfassung seines Vorschlages, auf dem Blog der französischen LMd frei verfügbar, würde hier zu weit führen).

Über den Brexit hinaus betrachtet, wird es kein Reform der EU im positiven Sinne geben ohne Plan B, d.h. ohne massive und glaubwürdige Drohung an Deutschland, die für die BRD so vorteilhaften Bedingungen in Frage zu stellen.

7) Zu glauben, dass sich durch den Brexit, noch dazu durch einen harten, die Lage für die Lohnabhängigen und die ärmeren Schichten in Großbritannien bessern würde, ist ohne Basis und nicht sehr wahrscheinlich

Nun ja, dass sich “die Lage” mit dem aktuellen Ausstiegsvertrag oder einem Verbleib in der EU NICHT bessern wird – dafür gibt es sicher eine gewisse Basis und es ist nicht ganz unwahrscheinlich.

Winfried Wolf etwas vorzuwerfen, was auf die eigene Präferenz ebenso gut zutrifft (oder auch nicht), führt nicht weiter.

8) Auch der Glaube, ein ungeregelter Austritt wäre gut, weil es dann in Großbritannien die Chance für eine linke Regierung gäbe, ist gewagt.

Ich kann nicht erkennen, das Winfried Wolf sagt, dass ein ungeregelter Austritt die Chance für eine linke Regierung verbessert/eröffnet. Er sieht die Chance auf eine linke Regierung unabhängig vom Austritt – im Falle eines ungeregelten Austrittes aber bessere Voraussetzungen für die Durchsetzbarkeit linker Politik. Da stimme ich zu.

Was die Chancen angeht, bin ich weit weniger optimistisch als Winfried Wolf: die reaktionären Medien/politischen Kräfte werden alles tun, um das zu vermeiden, da hat Albrecht Müller recht; aber sie brauchen dazu keinen harten Brexit, das kriegen die auch ohne hin. Die Chancen sind m.E. auch deswegen nicht so gut, weil die jungen Labourwähler Corbyns linke Wirtschaftspolitik unterstützen, aber gleichzeitig vielfach unreflektiert europhil sind – und somit in einem Dilemma bezüglich des Brexit. Offenbar hat es Corbyn nicht so recht geschafft, diesen Widerspruch zu formulieren. Und der ist zentral: Darüber müssten wir reden: was machen wir, wenn beides nicht zugleich zu haben ist? Welchen PLAN haben wir dann? Nur EINEN Plan zu haben, ist zu wenig. Da käme der Vorschlag von Fréderic Lordon wieder ins Spiel (siehe Anmerkung unter 5).

9) Winfried Wolf stellt fest, der Austritt aus der EU sei schlicht demokratisch. Ja, so kann man auch bei 52 % Zustimmung argumentieren, vor allem dann, wenn man außer acht lässt, welche Kräfte für dieses Votum mobilisiert haben.

Was soll man zu diesem Einwand sagen? It‘s democracy? Ja, Mist; aber 52 zu 48 oder so haben wir bei Wahlen immer wieder. Und auch wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche – und es läuft seit Jahrzehnten nicht so – dann sind trotzdem Mehrheitsentscheidungen gültig. Sicher könnte man in so komplexen Fragen über 2/3-Mehrheiten nachdenken. Und es geht nicht darum, wer für dieses Votum mobilisiert hat, noch nicht mal darum, wer wie gewählt hat (siehe zu 2.).

10) Winfried Wolf beklagt, der ausgehandelte Brexit-Vertrag widerspreche dem Brexit-Votum. Watt soll dat denn? Sollen die restlichen EU-Partner, also von Irland über Frankreich über Deutschland, dem Balkan bis nach Griechenland und von Rumänien bis nach Spanien und Portugal ihr Verhandlungsangebot den Wünschen der Briten anpassen? Das ist doch wohl eine ausgesprochen groteske Forderung.

Kein Kommentar. Oder doch: der Widerspruch besteht darin, dass das Brexit-Votum einen AUSSTIEG aus der EU impliziert, der aktuelle Ausstiegsvertrag das aber gerade nicht ist. Nein, die EU-Partner müssen sich nicht den Wünschen der Briten anpassen (unterordnen?), aber das Verhandlungsangebot der EU könnte schon das Anliegen der Briten in Rechnung stellen. Es könnte ja so was wie eine einvernehmliche Scheidung/Entscheidungsfindung geben, eine tragbare Lösung für beide Seiten?

Die britische Verhandlungsführung war teils blauäugig, teils überheblich; die EU hat ihren neoliberalen Charakter manifestiert: das darf man feststellen: gnadenlos auf eigene Vorteile bedacht, soll nur niemand auf die Idee kommen, es den Briten nachzumachen. Wenn Albrecht Müller von einer “groteksen Forderung” spricht, übersetze ich das: “so ist sie halt, die Welt; die Menschen sind schlecht; jeder ist auf seinen eigenen Vorteil aus”. Nur – warum sollte ich mich dann in so eine “Gemeinschaft” begeben, und warum sollte ich in ihr bleiben wollen?

11) Der Vertrag enthalte Vereinbarungen, die für ein souveränes Land nicht akzeptabel seien. Der Austrittsvertrag wurde auf der Basis der vorhandenen rechtlichen Bestimmungen ausgehandelt. Daran war als wesentlicher Verhandlungspartner die britische Regierung beteiligt. Jetzt den europäischen Verhandlungspartnern einschließlich der Republik Irland Vorwürfe zu machen, sie seien den Briten nicht ausreichend entgegengekommen, unfassbar?!

Winfried Wolf weist richtigerweise darauf hin, dass die britische Regierung die Verhandlungen geführt hat, das Parlament aber entscheidet. Das Parlament ist m.E. in der Gewaltenteilung der primus inter pares.

Wenn Verhandlungsergebnisse nach Einschätzung eines Verhandlungspartners unbefriedigend sind, dann darf das angesprochen werden. Erhebt Winfried Wolf Vorwürfe (ich lese seinen Text jetzt nicht noch mal)?

Ist es “unfassbar”, zu sagen, man hätte mehr Entgegenkommen erhofft?

Hier nochmals: eine EU, die partnerschaftlich denken würde, würde man nicht verlassen wollen; und wollte man es trotzdem, dann sollte es unter für beide Seiten akzeptablen Umständen möglich sein. Aber sicher, man kann auch den Rosenkrieg als Standard setzen.

13) Sind Vereinigungen wie die Europäische Union vorstellbar und sinnvoll, wenn man das Rein und Raus und das Raus und Rein zu einem wesentlichen Grundprinzip und zu einer Grundforderung macht?

Ich stimme zu, man kann nicht 2019 in die EU, 2021 wieder raus, 2024 wieder rein – aber wer will das zum Grundprinzip machen? Niemand.

Im Falle eines wie auch immer gearteten Brexit würden die Briten die EU nach Jahrzehnten verlassen; das hat nichts mit Rein/raus zu tun. Rein kommt man dann ja u.U. schneller, vor allem, wenn man sich als billiger Zulieferer im Osten Deuschlands anbietet …

Albrecht Müller weiter “Man muss sich vor dem Beitritt überlegen, ob man so etwas will oder ob man es nicht will.”

Das ist m.E. eine Dystopie: Einmal EU, immer EU!? Ich stelle mir vor: Hätte man uns das zuvor gesagt und Referenden anberaumt unter dem Motto “Es gibt keinen Weg zurück!” – wie hätten wir dann abgestimmt? Ach, ich vergaß,  wir sind ja gar nicht gefragt worden.

Demokratie heißt, dass man in einer gemeinsamen Abstimmung mit wie auch immer im Einzelfall definierter ausreichender Mehrheit ÄNDERUNGEN am STATUS QUO herbeiführen kann.

Und um abschließend nochmals Fréderic Lordon zu bemühen: “Es ist ein fundamentales demokratisches Recht, zu experminentieren, auszuprobieren, andere Dinge zu versuchen”.

Die abschließende Bemerkung von Albrecht Müller verschlägt mir, mit Verlaub, die Sprache (Herr Müller, tut mir leid, das kommt mich sehr hart an, dass so zu formulieren):

“Es wäre nicht schlecht, wenn ein so begabter Autor und Politiker wie Winfried Wolf zu einer Revision seiner Ansichten bereit wäre.”

“Revision der Ansichten”: Das klingt so ein wenig nach “Widerrufen Sie! Fallen Sie vom Unglauben ab!”

Viele Grüße
Heiner Biewer
Stuttgart


15. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,
liebe NDS-Redaktion,

seit der Abstimmung 2016 versuchen führende EU-Politiker als auch das Remain-Lager den Brexit zu stoppen oder noch umzudrehen. Tauschen Sie mal das Wort “Brexit” durch den Begriff  “Volkes Wille” aus! Dann sieht man: Das Problem ist der Volkswille an sich – wir können und müssen den Volkswillen stoppen. (Obwohl das britische Staatsvolk mit seiner Entscheidung der Regierung ein klares Mandat erteilt hat, wird das “Volk” mal wieder als zu doof um seine wirklichen Interessen zu kennen eingeschätzt; ebenso traut man dem Volk nicht zu, die Folgen seiner Entscheidung übersehen zu können). Das ist eine Geringschätzung und Respektlosigkeit der Demokratie gegenüber. Das Volk hat entschieden, seine Unabhängigkeit, seine politische, rechtliche und wirtschaftliche Souveränität wiederzuerlangen. Der Deal, den Theresa May mit der EU ausgehandelt hat, leistet das nicht. Formell ist GB draußen (und hat nichts mehr zu sagen), für eine Übergangszeit von unbekannter Dauer unterliegt es aber weiterhin den europäischen Vorschriften. Das ist für die Brexitbefürworter schlechter als ein No-deal – ja, sogar schlechter als ein Verbleib in der EU. Dann hätte man wenigstens noch ein Mitspracherecht. Behaarlich weigert sich die EU weitere Zugeständnisse zu machen, hält krampfhaft am Backstop fest. Der hätte sich aber mit einem ungeregelten Austritt von ganz allein erledigt. Hier zeigt sich, dass die Europäer noch genauso wenig rücksichtsvoll innerhalb ihrer Nachbarschaft sind, wie in den beiden Weltkriegen. Macron als lupenreiner Vertreter des globalen Finanzkapitals und Merkel als Vertreterin des exportlastigen Deutschlands sind gegen den Brexit, so begann man (vielleicht mit Hilfe von May) den Austritt zu sabotieren. Mit der Unterzeichnung des Austrittabkommens in der jetzigen Form könnte Theresa May die Einheit der britischen Union gefährden. Mehrere ihrer Minister sind deshalb schon zurückgetreten, einschließlich der für den Brexit zuständige Minister. Kritik an der EU hat nur Sinn, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen würde. Davon ist nicht auszugehen. Brüssel ist wie das “alte Rom” selbstgerecht und autoritär, die 500 Millionen Einwohner werden zentralistisch-bürokratisch verwaltet. Demokratie gibt´s, wenn überhaupt, in homöopathischen Dosen. Kein EU-Bürger hat Einfluss auf die Zusammensetzung der EU-Kommission, die Bevölkerung ist weitgehend entmündigt. Blickt man auf die Aufrüstung, die Anbindung an die Nato (Pesco) und die vielen militärischen Abenteuer – dann ist die EU auch kein Friedensprojekt. Die EU hat noch Verfahren gegen Ungarn und Polen eingeleitet, zudem macht Italien Schwierigkeiten. Die Länder sollen die Regeln der Union akzeptieren ohne die Möglichkeit, diese mitzubestimmen. So wiegelt Brüssel die EU-Mitglieder gegeneinander auf.

Mit vielen Grüßen
Michael Wrazidlo


16. Leserbrief

Lieber Albrecht Müller,

mit leichtem Gruseln habe ich gestern den Artikel von Winfried Wolf gelesen. Viele leichtfertige Schlussfolgerungen, vielfach Ignorieren von Fakten und einseitige Betrachtungen.

Erst heute konnte ich Ihre Antwort darauf lesen – und bin erleichtert, dass Sie das Thema wieder zum „erst-nachdenken-dann-schreiben“ zurückholen. Ihren Ausführungen kann ich mich guten Gewissens anschließen und die Nachdenkseiten wieder lieben.

Gruß
Klaus Heitland


17. Leserbrief

Hallo,

Die Kritik an dem Beitrag von Hr. Wolf finde ich überzogen und von den Formulierungen auch ins persönliche gehend. Das muss nicht sein. Wieso neigt die Linke eigentlich so sehr zum Rechthabertum und kann so schwer andere Meinungen ertragen?

Ich finde der Beitrag von Herrn Wolf enthält viele nachdenkenswerte Aspekte und ebenso viele sind nicht “falsch”, sondern ein anderer Blickwinkel.

Insofern hoffe ich sehr, dass die NachDenkSeiten Demokratie und Meinungsfreiheit (noch dazu im eigenen spektrum!) weiterhin aushalten und vorleben.

Viele Grüße
Jörg S.


18. Leserbrief

Da steht der EU-Anhänger Müller vor einer Kritik der EU und vor lauter Ärger wird seine Replik so schwach, dass sich das Lesen nicht gelohnt hat. Zu hoffen, dass er seinen Rat an Wolf auf die eigene, verfestigte (um nicht starre zu sagen) Position beziehen möge, wäre wohl Träumerei: “Es wäre nicht schlecht, wenn ein so begabter Autor und Politiker wie Winfried Wolf zu einer Revision seiner Ansichten bereit wäre.”

Viele Grüße
Dietmar Siefert


19. Leserbrief

Lieber Herr Müller,
 
die Nervosität und zeilweise apokalyptische Tendenz der Brexit-Diskussion scheint mir doch sehr Medien-getrieben zu sein. Denn wenn man sich die Entwicklung am Kapitalmarkt anschaut, ist dort nichts von Brexit-Unsicherheit zu spüren. Weder am britischen Aktien- oder Anleihenmarkt noch beim britischen Pfund irgendwelche dramatischen Abwärtsbewegungen. Dies ist sehr ungewöhnlich, denn angesichts vielfältiger Alternativen würde man bei Unsicherheit erwarten, dass das Kapital sicherere Häfen aufsucht, ist es doch scheu wie ein Reh.
 
Dies deutet für mich darauf hin, dass es eine zumindest für die Kapitalmärkte zufriedenstellende Lösung für den Brexit gibt, die bei den Großinvestoren auch bekannt ist, die sicherlich mit den maßgeblichen politischen Akteuren in Brüssel und London in engem Kontakt stehen. Nur dafür gibt es keine Aufmerksamkeit. Praktikable Lösung? Langweilig! Dann schon lieber die ökonomische Apokalypse mit einem “chaotischen” Austritt an die Wand malen und damit Leser und Zuschauer bei der Stange halten (“Chaotisch” ist hier sicherlich ein manipulatives Propagandawort, das dem Rezipienten maximale Angst machen und die Spannung auf dem Siedepunkt halten soll). Möglicherweise gibt es auch andere Gründe, warum eine verunsicherte öffentliche Meinung den Machteliten dienlich ist (Europawahl, Aufrüstungspläne, transatlantische Bindung, etc.), aber das ist pure Spekulation.
 
Auch stellt sich mir die Frage, ob es wirklich so kompliziert ist, wie es aussehen soll. Letztendlich geht es doch im Wesentlichen um die vier “Grundfreiheiten” der EU, also Import-Export und die Arbeitnehmer- bzw. Reisendenfreizügigkeit. Hierfür bilaterale Lösungen zu finden, sollte zumindest für UK doch nicht so schwer sein. Die Briten können doch einfach Gesetze erlassen, die für EU-Waren, -Arbeitnehmer und -Touristen einen Sonderstatus festlegen, was Grenzübertritte bzw. Aufenthaltserlaubnisse angeht. Die Zölle für Waren aus der EU kann UK, wenn gewünscht auf 0, oder sehr niedrig ansetzen. Dasselbe gilt prinzipiell auch für die EU, wobei es hier wegen der unterschiedlichen Interessen der Mitglieder möglicherweise schwieriger ist, für UK-Waren und -Menschen ähnliche Regelungen zu verabschieden. Ob hierfür ein gemeinsamer Austrittsvertrag wirklich nötig ist, kann zumindest hinterfragt werden.
 
Die Gelassenheit der Finanzmärkte ist für mich jedenfalls ein starkes Zeichen, dass entsprechende Pläne in der Schublade liegen und im Falle des “Chaos”-Szenarios umgesetzt werden.
 
Also viel Lärm um Nichts; die berühmte Sau, die kreuz und quer durchs Dorf getrieben wird und der tagtägliche Kampf um Aufmerksamkeit in der totalen Nachrichtenflut. The Show must go on.
 
Aber vielleicht bin ich auch naiv und die Machteliten stürzen uns tatsächlich planlos ins Chaos. Hierfür wäre es möglicherweise interessant die Entwicklung der Short-Positionen bzgl. britischer Vermögenswerte zu analysieren, denn hier sollten sich im Falle real drohender massiver ökonomischer Verwerfungen doch einige Wetten aufgetürmt haben.
 
Vielen Dank für Ihre wichtige Arbeit, die ich gerne ausgiebig konsumiere.
 
Mit freundlichen Grüßen
Alexandar Allinger


20. Leserbrief

Winfried Wolfs andere Meinung

Sehr geehrte NDS-Redaktion

Dass eine abweichende Meinung (in diesem Fall zum Brexit) publiziert wird, scheint lobenswert. Doch ist NDS-Leserinnen und Lesern ein eigenes Urteil über einen Artikel nicht zuzutrauen? Muss deshalb bereits im Titel angekündigt sein, dass vom folgenden Artikel nichts zu halten sei? Entweder steht man für eine demokratische Auseinandersetzung und veröffentlicht demzufolge selbstverständlich auch andere Argumentationslinien, zumal solche, die aus einer links-kritischen Perspektive ebenso möglich sind, und zwar ohne das Publikum zu bevormunden oder man lässt es bleiben. Selbstverständlich kann eine Replik erfolgen und die auch sachlich angekündigt sein. Was hier indes vorgenommen wird, mutet als Versuch an, Denken  (bzw. Nachdenken) für sich zu monopolisieren.

Die fast gleichzeitig aufgeschaltete Replik versachlicht dann leider in keiner Art und Weise das Vor-Urteil, vielmehr verstärkt sie die Emotionalisierung noch und arbeitet an mehreren Stellen mit entsprechenden Markern wie z.B. ‚Watt soll dat denn?‘, Wendungen, die in der Sache keine Funktion haben und nur dazu dienen, die andere Meinung auf sachfremder Ebene zu diskreditieren. Das indes fällt womöglich auf die Replik selbst zurück, sind solche Emotionalisierungen in aller Regel doch einem Mangel an sachlichen Argumenten geschuldet. Von den über zehn angeführten Einwänden in der Replik enthalten denn auch nur drei wirklich stichhaltige Aspekte, bei allen anderen Punkten arbeitet die Replik mit Unterstellungen und Lesarten, die darauf abzielen, den Wolfschen Beitrag vorsätzlich der Lächerlichkeit preiszugeben. Vollziehen hier die NDS, was sonst im Fokus der NDS-Kritik steht (und weshalb ich NDS lese und am NDS-Gesprächskreis mich beteilige): die Einengung des Debattenraums?

Ich möchte in der Sache das hier nicht weiter ausführen, aber deponieren, dass ich als Co-Leiter des NDS-Kreises Köln nicht so sehr über die Wolfsche Argumentation verwundert bin, sondern vielmehr über die Art und Weise, wie NDS damit verfährt. Dissens kann sachlich gehalten sein.

Eine Seitenbetrachtung zum Abschluss: Willy Wimmer schreibt ab und an über Geopolitik und in diesem Zusammenhang über Donald Trump auf NDS. Ohne jede Kritik an diesem. Soll er, darf er (ein Teil seiner Argumente überzeugt). NDS hält dazu lediglich fest, dass man diese Meinung nicht in allen Punkten teile und Trump kritischer sehe. Weshalb eine solche Sachlichkeit nicht auch bei Winfried Wolf, der über den Brexit durchaus so urteilt, wie man aus einer linken Haltung heraus begründet auch urteilen kann, während es für eine wohlwollende Einschätzung von Trumps Geo-Politik kaum nachvollziehbare Argumentationslinien gibt? Kurzum: Muss ich NDS lesen, um eine eigenständige linke Argumentationslinie für einen Brexit der Lächerlichkeit ausgeliefert zu sehen und Donald Trump in positivem Licht erstrahlt zu bekommen? Seltsame Welten. Die vielen präzisen und erhellenden Artikel auf NDS bleiben aber präzis und erhellend…

Dr. D. Sandmann, Köln


21. Leserbrief

Guten Tag!

Aber Herr Müller, es ist doch schön, hier zwei verschiedene Meinungen zu lesen. Warum soll Herr Wolf revidieren? Und dass die EU alles maßregelt, was auch nur ein wenig vom Weg abweicht, haben wir mit Griechenland gesehen. Ihren Schlusssatz finde ich schlicht überheblich.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Hellmann


22. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

die Nachdenkseiten sind seit über einem Jahrzehnt eine wichtige Informationsquelle jenseits des neoliberalen Mainstreams.
Für deren Entstehung und Fortführung möchte ich Dank und Respekt zum Ausdruck bringen.
Gelegentlich wird meine Freude über und Verbundenheit mit Ihrem wichtigen Projekt – oder zumindest einzelnen Artikeln samt Tonfall – bedauerlicherweise stark getrübt.
So finde ich es gut und wichtig, dass Sie bisher mehrere Einschätzungen bezüglich des Brexits veröffentlichen.

Betrachtet man das Werk (u.a. Bücher, Zeitschrift) und politische Engagement von Winfried Wolf, kann man vermutlich behaupten, dass seine Stimme und Engagement zu den wichtigsten in Deutschland gehören ( jenseits des neoliberalen Mainstreams). Dafür gebührt ihm Dank und Respekt.

In Ihrer Erwiderung auf Herrn Wolf ist mir zum Teil Ihr sarkastischer Ton aufgestossen (z.B. “Die anderen sind also Schuld …So kann man’s natürlich auch sehen.” “…groteske Förderung.” “…ist durch Nachdenken und durch Tatsachen nicht gestützt.”).
Diesen finde ich befremdlich. Er ist nicht hilfreich bei einer GEMEINSAMEN Veränderung der neoliberalen Realität.

Es spricht so einiges für Herrn Wolfs Argumentation. Übereinstimmen tun vermutlich alle Seiten, dass die Europäische Union in Ihrer seit Jahrzehnten bestehenden Form ein neoliberales Elitenprojekt ist.

Abschließend möchte ich noch den Hinweis geben, dass ein Tonfall (Sarkasmus etc. )befremdlich und herabsetzend wirkt – zumindest auf mich als Leser.
Ähnlich beschämend empfand ich den Tenor gegenüber den Themen WACHSTUMSRÜCKNAHME und BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN.

Was die WACHSTUMSRÜCKNAHME angeht ( bezüglich stofflichen, co2 – Wachstums) ist diese durchaus zu bedenken und sachlich zu diskutieren.
Wir brauchen eine soziale, wenig co2 produzierende Wirtschaft um alle Menschen mitzunehmen und die Lebensgrundlage von Mensch, Tier und Pflanzen zu erhalten.

Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Reiner Gorning


23. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

grade hab ich Ihren Artikel zum Brexit und zur EU gelesen. Erstens ist der gut, um die üblichen von außen kommenden Vorurteile (der NDR, wie Sie wissen, wagte es mal, ein Buch von Ihnen einfach auf einen Stapel mit rechtsradikaler Schmiererei zu legen! Manipulation des werten Publikums auf besonders absurde Weise ) gegen diie Nachdenkseiten zu widerlegen.

Zweitens ist das Offenheit. Nun sollten die Leser und Leserinnen die Argumente lesen. Es wurde über längere Zeit auch medial anerzogen, X gegen Y wäre das Thema. Nein, die Sachthemen stehen im Vordergrund. Ich finde, wie sicher viele andere, das ist ein großartiger Artikel. Die Rest-Linke hat genau das nötig, auch mal deutliche, aber immer sachbezogene Worte. Ich kenne Herrn Wolf nicht, bin mir aber fast sicher, nach einer kurzen Zeit spätestens wird er das genau so sehen. Es herrscht um den Brexit eine große Verwirrung, und es kann nichts besseres geben als – in all dem Schlamassel, von dem ich aus zahllosen Tagen auch vieles erzählen könnte, spielt aber jetzt keine Rolle – sachbezogen um Klarheit zu kämpfen. Meine Hauptthemen sind z.B. Klima, Sozialpolitik, westlicher einseitiger Konsumismus als zB. kapitalistische “Religion” und anderes, und so haben viele von uns ihre Gebiete. Was wir zum Brexit hörten, war wirr und teilweise höchst undurchdacht, ich erinnere mich an den unsäglichen Artikel der Autorin Jagoda Marinic direkt nach dem Brexit in der taz. Die Alten zerstörten “ihr” Europa. Kein kritisches Wort, aber so wurden Fronten aufgebaut.
Na, Sie kennen das alles ja.

Sachfragen präzise klären. Dazu gehört ein klarer Kopf, und eine gewisse Sturheit. Da ich auch aus der Pfalz komme, bilde ich mir manchmal ein, die Einebnung, diese einschläfernde Immergleichheit durch z.B. den Blick einengende smartphones (nur ein Beispiel von hunderten, theoretisch könnten das sinnvolle Instrumente sein, und müßten nicht jährlich neu zu kaufende apple-samsung-Glaubensartikel sein – Akku ausbaubar, 1 alle 10-15 Jahre, sinnvoll damit umgehen…) – – der setzen z.B. Pfälzer eine gewisse “Sturbockigkeit” entgegen. Manchmal^^.

Herzliche Grüsse, das ist Diskutieren, Herr Wolf sollte das nicht persönlich nehmen. So können sich die Leser und Leserinnen selbst eine Meinung bilden.
G F


24. Leserbrief

Sehr geehrte Redaktion,

danke für den Mut, zum Brexit zwei so gegensätzliche Artikel abzudrucken.

Der Text von Winfried Wolf spricht mir aus der Seele.

Auf den Nachdenkseiten hab ich auch gelernt, wie sehr die EU von den Konzerninteressen geprägt ist. Vor allem durch die Vorträge von Rainer Mausfeld. Deswegen bin ich sehr skeptisch zu dieser EU. Vor diesem Hintergrund und aus einer linken Perspektive kann ich die Argumentation von Winfried Wolf nachvollziehen.

Für mich ist prägend, was ich in den letzten 5 Jahren durch mein Engagement gegen die sog. Freihandelsverträge, besser: Konzern-Privilegierungsverträge, gelernt habe: das ist ein einziger Angriff der großen Unternehmen samt Finanzindustrie auf die Demokratie. Und die EU steht da klar auf der Seite der Konzerne.

Was mich auch geprägt hat, war, wie ich als Kind erlebt habe, dass Tagesausflüge oder längere Fahrten von München nach Österreich über eine Grenze führten; da wurde kontrolliert, wenn auch meist recht locker. Da war der Unterschied von Inland und Ausland spürbar. Wenn UK jetzt die EU per No-Deal verlassen sollte, wird es ein ganz normales Ausland.

Albrecht Müller schreibt in Nr. 8: “Die Folgen eines solchen Brexit werden so hart sein, dass davon mit Unterstützung reaktionärer Medien vor allem reaktionäre Kräfte, auch politische Kräfte profitieren werden und nicht Corbyn.” Von den harten Folgen ist öfters zu lesen. Aber was sind sie? Was werden die angeblichen Folgen sein? Diese Frage meine ich ernst. Die Antworten hab ich noch nicht gefunden. Und wenn Sie antworten: ist die Argumentation mehr als das klassische: >Wenn es den Unternehmen gut geht, bekommen auch die kleinen Leute was davon ab.< Und insofern es genau auf dieses Argument rausläuft: wollen Sie sich dies zu eigen machen. Zu "Alles Unheil kommt aus Brüssel, alles Heil aus London – eine beachtliche Beobachtung! – An einer Stelle im Text beklagt der Autor auch noch, dass es aus der EU oder seitens Brüssels keine Kritik an der vom Vereinigten Königreich durchgezogenen brutalen Austeritätspolitik gegeben habe. Donnerwetter: Die anderen sind also schuld, weil sie die Urheber des Elends nicht vor dem Elend gewarnt haben. So kann man‘s natürlich auch sehen." in Nr. 3 möchte ich noch sagen (wie an anderen Stellen auch): bitte bleiben Sie sachlich. Hr. Wolf hat klar gesagt, dass es die nationalen Regierungen waren, die den Sozialabbau betrieben haben. Und dabei Unterstützung der EG/EU erhielten. Und damit zeigt sich die EU als unsozial und profit-orientiert. Und schließlich die größere Perspektive: wir brauchen einen Weg aus der Wachstums- und Wettbewerbslogik des Kapitalismus, aus der Ausbeutung und dem Verhungern-Lassen der armen Länder weltweit, aus der Ausbeutung der Natur und der Klimakatastrophe. Das ist das wichtigere. herzliche Grüße SP


25. Leserbrief

Hallo Herr Müller,

Der Inhalt ihre Antwort und der eigentliche Artikel “Disput zum Brexit. Winfried Wolf feiert ihn als Zeichen demokratischen Lebens. Die NachDenkSeiten wundern sich.” zeigt warum in Großbritannien so viel und so lange über den Brexit gestritten wird. Von beiden Seiten wenig Fakten, viele Einschätzungen und Meinungen und jeder glaubt mit seiner Einschätzung richtig zu liegen.

Ich lebe seit 2008 in Großbritannien und fühle mich hier sehr wohl. Ich kann den Willen zum Brexit nachvollziehen (aus Gründen wie von Herrn Wolf angegeben) und ich kann auch verstehen warum es besser wäre in der EU zu bleiben (wie von Ihnen ausgeführt). Ich kann ohnehin nicht abstimmen und versuche mich mit beiden Seiten weiterhin zu unterhalten. Eine Entscheidung WIRD getroffen werden und danach müssen beide Seiten miteinander weiterleben. Politik ist nicht nur mehrheitliches Abstimmen sondern auch die Kompromissfindung, für die Zeit danach aber das brauche ich Ihnen ja nicht erklären. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, daß es mittlerweile auch Remainers gibt, die die Abstimmung akzeptiert haben und einen Abschluß der Sache wollen, auch wenn das den No-Deal bedeutet. Alles ist sehr verfahren.

ABER

Ich bin entäuscht darüber, wie Herr Wolfs Artikel derart negative dargestellt wird. Es gibt Stellen die man diskutieren kann aber das passiert m.E. in Ihrem Artikel nicht. Stellen die diskutiert werden könnten werden als faslch dargestellt. Und dann auch noch, daß am Ende Ihres Artikels eine Reveision verlangt wird.

Ich dachte die Nachdenkseiten sollen die Leser zum Denken anregen, sich eine eigene Meinung zu bilden und nicht eine bestimmte Meinung zu vertreten und eine Revision der Gegenseite zu verlangen. Ein solches Verhalten hatte ich eher bei den sog. Transatlantikern verortet.

Ich gestehe Ihnen gerne zu, daß Ihnen die EU wichtig ist und daß es vielleicht so ist, daß ich zu viel in Ihren Artikel hinein-interpretiere. In diesem Sinne möchte auch diese Mail verstanden wissen und klarstellen, daß ich Ihnen kein Transatlantiker-Verhalten unterstellen möchte sondern nur meine Wahrnehmung kund tue.

Best Regards / Viele Grüße,
Heinz T


26. Leserbrief

Liebes Team, lieber Herr Müller!

Sicherlich sah ein Großteil der britischen Bevölkerung mehr Chancen in einem Austritt, als die EU zugunsten Großbritanniens verändern zu können. Ich vermute, dass es da ganz unterschiedlich Gesinnte gab, die da dem Brexit zustimmten.

Die ärmere Bevölkerung sah zunächst die Billigarbeitskonkurrenz z.B. aus Polen, welche die Löhne drückte und Jobs wegnahm. In der Tat wird ja auch Arbeit und Kapital zugunsten der Reichen verschoben. Mit dem Eintreten für Leiharbeit zeigt die EU auch ihr hässliches Gesicht. Bei der Frage nach den europaweiten Mindestlöhnen spielt natürlich auch eine Rolle, wer diese wie hoch  festlegt. Bei der Forderung nach einer europaweiten Arbeitslosenversicherung habe ich das Gefühl, dass Herr Macron da nur ein soziales Erscheinungsbild abgeben will, aber in Wirklichkeit gar nicht dahinter steht. Die ganze EU Politik bisher hat gezeigt, dass ein richtiges Sozialwesen mit starkem Einfluss des Staates erst national aufgebaut werden muss und dann erst europäisch bzw. international übertragen werden kann. Die Forderung “Proletarier aller Länder vereinigt Euch” ist durch die Vereinigung des Kapitals (aller Länder) vorweggenommen worden.

Ein weiterer Punkt für den Entschluss zum Austritt zu sein, war sicher auch der Standpunkt, dass wichtige Entscheidungen vor Ort und nicht in Brüssel vollzogen werden können. Ich denke da auch wieder an den Entscheid über Stuttgart 21. Hätten da nur die Stuttgarter und nicht das ganze Bundesland abgestimmt, wäre das Ergebnis vielleicht anders ausgegangen und man hätte Abstand von diesem Unsinn nehmen müssen. Die Stuttgarter selbst sind nämlich von dem Dreck und Lärm während des Bauens und von der Landschaftsverschandelung hinterher am meisten betroffen.

Nun gibt es da natürlich noch die konservativen bzw. rechten Briten in der Bevölkerung, die den Austritt wollten. Es wird ja immer die “Führung” von Deutschland und Frankreich in europäischen Angelegenheiten erwünscht. Selbst ich erschrecke bei diesem Begriff ein bisschen und bin verärgert, wenn sogar die (angeblich noch) linke SPD dieses Wort benutzt. Ich weiß nicht, wie mit diesem Begriff in den englischen Medien agiert wird, sicher ist aber, dass viele ältere konservative  Briten sich noch gern an die Dominanz ihres einstigen Weltreiches erinnern, dem aufgrund seiner Größe automatisch Führung zukam. Diese Denkweise vieler Engländer wird leider in Gesprächen im Fernsehen oder aber in den Zeitungen viel zu wenig analysiert. Manchen wird auch noch dazu verärgern, dass eben nur die französischen und die deutschen Regierungen bei den Gesprächen mit Russland und der Ukraine in Minsk dabei sind. Hierbei frage mich aber auch, warum Russlands Präsident Putin sich das antut, mit einer Mehrheit (nämlich Deutschland, Frankreich und der Ukraine) zu verhandeln, die gemeinsam versucht, ihn über den Tisch zu ziehen.

Beim Wunsch nach Austritt spielt aber auch die Militärisierung eine Rolle. Die linken Briten (z.B. um Corbyn) wollen überhaupt keine Militärisierung und die Rechten wollen eine eigene Militärisierung wie unsere AfD und das nicht dem Resteuropa wie Frankreich und Deutschland überlassen. Macron und Merkel setzen mit ihrer gegenseitigen Anlehnung die Politik fort, die einst Adenauer und De Gaulle in der Nachkriegszeit begonnen haben. Nach den jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern war bzw. ist das auch gut so. Nur eine gemeinsame Stärkung beider sehen viele andere mit Misstrauen. Freundschaften sind immer gut und da braucht man auch keine Armee. Solche Freundschaften sollte man aber dann nicht nur zwischen Frankreich und Deutschland, sondern auch mit der übrigen Welt pflegen. Beim Aufbau einer euopäschen Armee müsste man Herrn Macron dann jedoch fragen: “Soll am europäischen Wesen die Welt genesen?”
 
Mit freundlichem Gruß
Harald Pfleger


27. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten,
Debatten sind wichtig. In der vorliegenden hat meines Erachtens Winfried Wolf eher Recht als die Nachdenkseiten.
Nur kurz zu einigen von Albrecht Müllers “Fragen”:

  1. Wenn eine Anti-Brexit-Regierung mit der EU einen Vertrag verhandelt, kann der natürlich nur schlechter sein, als gar kein Vertrag. Mays Vorschläge wurden nicht ohne Grund schon als “Brexit in name only” bezeichnet. Alle Nachteile der Mitgliedschaft minus Mitspracherecht. Das ist natürlich schlechter als drinbleiben, aber eben auch schlechter als raus auf der Basis von WTO…
  2. Wer wirbt und wer votiert, sind zwei Paar Schuhe. Winfried belegt ziemlich gründlich die Wählerschaft pro Brexit. Wer dafür geworben hat, ob Farage, die Sun, die Queen oder Schneewittchens 7 Zwerge ist unerheblich für die Frage, wessen Votum es letztendlich war.
  3. Dieser Punkt ist pure Polemik. Ja, die EU ist ein Projekt der Banken und Konzerne. Ja, sie ist die Verrechtlichung der Austerität. Ob London, Berlin oder Paris da mitmacht, ist für die Aussage, dass es innerhalb der EU eine Anti-Austeritätspolitik geben könnte, irrelevant. Ein Programm der Labour Party unter Corbyn wäre in der EU nicht möglich, es wäre im Gegenteil verboten. Dieser Punkt von Winfried ist insbesondere zentral als Erwiederung auf Gestalten wie Gysi und andere, die der EU irgendwelches fortschrittlichen Eigenschaften zuschreiben, die sie objektiv nicht hat. Sie ist neoliberal, militaristisch, undemokratisch. Wie kann man das bestreiten?
  4. Britische Regierungen, nicht DIE Briten, haben an der Verschlechterung der EU mitgearbeitet, die wie gesagt von allem Anfang an ein Projekt der Banken und Konzerne war. Über Jahrzehnte war die Anti-EU-Haltung eine vornehmlich linke. Selbstverständlich hat jeder das Recht, zu kritisieren und austreten zu wollen, obwohl sein Land jetzt oder früher Regierungen hat, die dieselben Schweinereien machen. Darum geht es doch: Verbesserungen sind nicht MÖGLICH, wenn man in der EU bleibt. Nicht möglich, weil illegal.
  5. Ich wiederhole mich, aber: Für kein Land wird durchs Drinbleiben was besser. Denn Besserwerden ist durch die EU selbst verboten.
  6. Warum so argumentieren, es sei denn man ist bereit, sich erpressen zu lassen: Tretet ja nicht aus, denn… Wirtschafts- und politische Gemeinschaft sind keine Werte an sich. Sie werden erst erhaltenswert durch Fragen wie Was, wie, wozu, durch wen, auf welcher Basis. So wie sie hier stehen, sind es Phrasen.
  7. Wenn man von der irrigen Annahme ausginge, der Brexit sei die erste und letzte Maßnahme, würde das stimmen. Das tut nur niemand. Er ist nicht die Verbesserung, aber die Grundvoraussetzung für Verbesserung. Der Anfang.
  8. Diese Einschätzung ist möglich, aber dennoch: Ohne Brexit ist eine linke Regierung erst gar nicht möglich. Zumindest keine, die ihr Programm umsetzt. Und was das bedeutet, sehen wir zum Beispiel in Thüringen, Brandenburg und Berlin. Schön, eine Linke-Regierung. Schade, ohne ihr Programm. So tut sie nichts und darf gern spielen.
  9. Eh, ja, demokratisch, was denn sonst? Nur, weil die Bildzeitung für oder gegen etwas ist, macht das doch das Wahlergebnis nicht ungültig? Außerdem, war die Medienmacht nach Albrecht Müllers Ansicht pro-Brexit? Wirklich?
  10. Natürlich hat Winfried Recht. Das Votum lautete: Wir verlassen die EU. Fertig. Eine formlose Mail (“We’re out!”) hätte gereicht. Der Vertrag ist das Erpressungsinstrument der EU im Einklang mit der Anti-Brexit-Regierung in London, um die Bevölkerung  dazu zu bringen, das Wahleregbnis nicht umsetzen zu wollen.
  11. Ja, es ist Quatsch, zu jammern, der Erpresser sei dem Erpressten nicht entgegengekommen. Um es komplizierter zu machen, sei wiederholt, dass hier erwartet wird, Erpresser würden Betrügern entgegen kommen. Die Bevölkerungen kommen weder in den Verhandlungen noch sonstwo vor.
  12. Zitieren wir zum Abschluss Lichtenberg: Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll. Die EU, lieber Albrecht Müller, ist der Gegner. Nicht verklären, bitte, nicht erpressen lassen.

Wie gesagt, solche Debatten sind gut und richtig. Ich freue mich auf Winfrieds Replik.
 
Solidarische Grüße
martin Schneider


28. Leserbrief

Liebe Herausgeber der Nachdenkseiten,

schade, dass Sie einen Artikel, der nicht der Redaktionsmeinung der Nachdenkseiten entspricht, nicht so stehen lassen können, sondern in einem Vorwort Ihren Widerspruch ankündigen. Der Artikel mit der Gegenmeinung war wohl nicht genug. 

Einer Website, die – zumindest manchmal – mit dem Slogan “Für alle, die sich noch eigene Gedanken machen” wirbt, wird das nicht gerecht. 

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Schmidt


29. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

diesmal muss ich Sie kritisieren. Zunächst einmal finde ich, man könnte den NDS-Lesern durchaus zutrauen, dass sie sich zum dem Artikel von Winfried Wolf unvoreingenommen eine eigene Meinung bilden können, ohne schon vorab gesagt zu bekommen, was sie davon halten sollen. Davon abgesehen stehen Ihre nachgelieferten Gegenargumente auf schwachen Beinen. Wenn Sie z.B. gegen Wolfs Argumente die reaktionären Medien und politischen Kräfte anführen, die den Brexit propagiert haben, dann müssten fairerweise auch ihre eigenen Argumente mit den reaktionären Medien (z.B. BILD) und Interessen  (Londoner City, deutsches Großkapital) und Politikern (z.B. Merkel, FDP usw.) charakterisiert werden, die gegen den Brexit Sturm laufen. Solche Argumentationen sind weder substantiell noch erkenntnisfördernd.
 
Generell: Es ist nicht unbedingt hilfreich, wenn ein wohlsituierter deutscher Akademiker genau weiß, was für die britischen Industriearbeiter gut ist. Ich habe mich beim Lesen Ihrer Punkte gefragt: Wie kann man so vermessen sein und  behaupten, die Folgen des Brexit-Geschehens zu kennen? Man kann darüber nur spekulieren, muss sich dabei des Spekulationscharakters  bewusst sein und auch andere Spekulationen respektieren, statt sich auf’s hohen Ross zu schwingen und auf der spärlichen Grundlage der eigenen Einschätzung solche Verdikte auszusprechen. Was mir an ihren Argumenten völlig fehlt ist sowohl die Kenntnis der, als auch der Respekt vor dem subjektiven Willen und den leidvollen Erfahrungen der britischen Arbeiterklasse. Die Filme von Ken Loach sind keine Übertreibung! Wenn man  – gestatten Sie diese Polemik – das Geschehen aus der Perspektive sozialdemokratisch-keynesianischer Kochrezepte beurteilt, muss man gegenüber sozialen und kulturellen Aspekten, die hier eine große Rolle spielen und z.T. von Wolf angesprochen wurden, blind und taub bleiben.
 
Um nur ein Beispiel anzuführen: anders als in Deutschland hat England – zum Guten wie zum Schlechten  – eine ausgeprägte Klassenkultur (nicht zu verwechseln mit Politik). Die letzten Jahrzehnte waren eine einzige ökonomische, soziale, kulturelle und moralische Demütigung der Arbeiter und das wird auch so empfunden (und von rechts instrumentalisiert). Würde sich – was ich vom ersten Tag nach dem Referendum an geahnt habe – die City und die Upperclass mit ihren Tricks durchsetzen und das Ergebnis umdrehen oder unterlaufen (das wäre durch den von Wolf zutreffend interpretierten Austrittsvertrag tatsächlich der Fall), dann würde das eine weitere Demoralisierung der “ärmeren Schichten” (Müller) zur Folge haben, durch die auf mindestens eine weitere Generation keine Chance mehr für eine linke Bewegung bestünde.  
 
In den NDS konnte man neulich in einer anrührenden Reportage den Satz eines Arbeiters lesen: „dann merken diese Bastarde in London wenigstens endlich mal, wie es sich für uns anfühlt.“ Das mag aus Sicht unserer sozialen Schicht “irrational” sein, aber man muss verstehen, dass ein großer Teil der britischen “ärmeren Schichten” kaum noch etwas zu verlieren hat und daran gemessen dieser Satz nicht mehr so irrational ist. Ich vermute, dass Winfried Wolf nicht  – wie Sie polemisch unterstellen – glaubt, der ungeregelte Austritt “wäre gut”, würde ihm allerdings zustimmen, wenn er meinte, ein solcher Austritt sei vielleicht unter allen bevorstehenden Übeln für die britischen Arbeiter nicht das Allerschlimmste.
 
Wie wir eigentlich alle wissen repräsentieren in der EU die Regierungen (nicht nur Thatcher, Blair et al.) im Wesentlichen die jeweils mächtigsten Kapitalinteressen. Austeritätspolitik und Neoliberalismus sind ja nur politisch-ideologische Bezeichnungen dafür. Die – wie Sie sagen – “ärmeren Schichten” der UK hatten niemals darauf auch nur den leisesten Einfluss. Nur für Historiker ist es heute wichtig, wer mit Neoliberalismus “angefangen hat”. Wichtig ist heute, dass – wie Sie richtigerweise schreiben – mit den Lissabon-Verträgen sich die EU “zu einer wirklich reaktionären Vereinigung entwickelt” hat.  Es ist eine bereits von den neoliberalen “Klassikern” propagierte grundlegende Strategie, nationale Bereicherungspolitiken möglichst umgehend in internationalen Verträgen zu verankern, damit sie nicht mehr von einer gewählten linken Regierung verändert werden können. Diese Verträge sind der Mühlstein am Bein jeder möglichen linken Regierung. Wie wahrscheinlich in London eine solche Regierung kommen wird ist natürlich ungewiss, aber unter den EU-vertraglichen Bindungen an den Neoliberalismus würde die Möglichkeit dafür sicher stark eingeschränkt. Das gilt auch für den Austrittsvertrag, dessen Intentionen (den Brexit zu unterlaufen) sich – so meine Spekulation – in irgendeiner Form am Ende durchsetzen werden.
 
Viele Grüße und Dank für die Nachdenkseiten
Hagen Kühn, Stendal


30. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten, lieber Albrecht Müller,

natürlich muss der Glaube hier wieder einmal Berge für die Armen versetzen. Was bleibt ihnen auch sonst, die Bagger gehören ihnen ja nicht.

Ich kann Winfried Wolfs Standpunkt zum Brexit deutlich besser Nachvollziehen als ihren,und könnte jeden ihrer kritischen Kommentare mit eigenen kritischen Kommentaren überhäufen.

Ich meine, sie beschweren sich, wer da alles gegen den Brexit getrommelt hat. Jaja, die rechten, die AFD … blabla. Haben sie mal geschaut, mit was für ekelhaften Gesinnungsgenossen sie da in einem Boot der EU-beführworter sitzen? Jean Claude Juncker fiele mir da spontan ein. Oder Wolfgan Schäuble… Beim GG wollen sie doch mit Götz Werner auch nichts zu tun haben… sie sehen, mit dem Argument kommen sie nicht weiter.

Aber vielleicht belassen wir es bei einer grundsätzlichen Einschätzung.

Díe EU ist, so wie sie ist ein antidemokratisches und in aller Regel für die Mitgliedsstaaten wohl verfassungsfeindliches Monster. Und das ergibt sich aus ihrer historischen Verfasstheit. Das habt ihr (als die ältere Generation) nicht gewusst, und vermutlich nicht wissen können, als ihr sie eingetütet habt. Aber heute kann man das sehen. So wie man heute auch sehen, dass die NATO kein Verdeidigungsbündnis ist und auch nie gewesen ist.

Die EU hat sich aus der Montanunion entwickelt, einem Wirtschaftsbündnis. Und im Prinzip ist sie das bis heute geblieben.

Die demokratischen Strukturen sind so aufgesetzt, wie Winfried Wolf das beschreibt, das Parlament ein Witz. Sie haben doch die Anstalt zum Thema gesehen oder?

Alles was in der EU funktioniert ist der “Freihandel”, die militärische Zusammenarbeit und die Bank, die jetzt mit einer gemeinsamen Armee entgültig vollzogen werden soll. Haben sie den Aachener Vertrag nicht gelesen? Doch haben sie. Setzen sie die Dinge doch bitte in einen Kontext.

Und jetzt stellen wir uns eine einfache Frage Wie könnten wir denn die EU demokratisieren?

Geht es, indem wir eine EU-Kommission wählen, die die EU demokratisiert? Das geht noch nichtmal formal. Wir könnten ja auch mal freundlich Jean-Claude Juncker fragen, der Mann der eine (neoliberale) Sauerei erstmal macht, dann schaut, ob jemand schreit, und wenn niemand schreit einfach weitermacht. (und wenn jemand schreit, dann kommt die Methode wir-nennen-es-um-und-fragen-nochmal zum Einsatz)

Naja, Ok eher nicht.

Ok, dann also indem wir im Parlament… war n Witz. Ernsthaft demokratische Politiker die versuchen dem Grundgesetz die Ehre zu erweisen, werden ja schon in Deutschland Medial verfolgt. Und vom Verfassungsschutz sowieso. Sollten sie wissen, als guter Freund von Sahra.

Dann vielleicht anders. Die Militärische Zusammenarbeit funktioniert ja gut. Vielleicht könnte man ja die kriminellen rechten und neolieberalen in der EU-Regierung einfach wegputschen. Leider bestehen ob der gegebenen Besitzverhältnisse sowie der historischen Erfahrungen der letzten 100 Jahre bei mir große Bedenken, dass ein Militärputsch – der durchaus im Rahmen des möglichen liegt, und ja zum Beispiel in Griechenland auch schon gemacht wurde – wirklich einem Europa helfen könnte, das sich solidarisch gegenüber seinen Schwächsten zeigt und demokratisch aufgebaut ist.

Wie dann? Ich sagte die Bank funktioniert, und sie funktioniert auch sehr gut. Das hat man super an Griechenland gesehen. Leider gehört die Bank auch nicht uns. Hat man auch an Griechenland gesehen.

Kennen sie den Witz: Wenn die EU um Aufnahme bei sich selbst suchen würde, dann würde sie abgelehnt wegen schwerer Demokratischer defizite?

Schauen sie sich in den Mitgliedsländern – in denen diese Defizite ja per definition nicht existieren sollten – um, wie da solidarische Politik im Interesse der Minderheiten und der Besitzlosen gemacht wird. Wie wollen sie die EU da irgendwie verändern?

Insofern ist der Ausstieg Großbritanniens eine Option. Ein Staat der stark genug ist, sich die Bedingungen nicht diktieren zu lassen, der eine eigene Bank hat, und also nicht von der EZB totgepresst werden kann, könnte ein wichtiger Präzedenzfall werden, auf den sich später kleinere, machtlosere Völker oder Staaten berufen könnten.

Könnte. Selbstverständlich. Und natürlich sind 52% Wahlergebnis kein Ausdruck einer ernsthaften demokratischen Entscheidung. Aber das liegt auch nicht an den %en, sonst wäre ja die DDR eine Ausgeburt der Demokratie gewesen. In einem Staat mit Mehrheitswahlrecht sind, so muss man aus unserer Geschichte lernen, demokratische Entscheidungen im Sinne von Rosa Luxemburg schlicht nicht möglich.

Aber insoweit man den Strukturen die wir haben, Demokratie unterstellen will, insofern ist das befolgen der Wahlentscheidung alternativlos. Und bitte hören sie auf sich Illussionen zu machen, die ärmsten hätten etwas von einem Verbleib GBs in der EU. Die werden so oder so im derzeitigen politischen Umfeld geschlachtet, wie der Vogel, dem es das ganze Jahr immer super geht…

Apropos Alternativlos. Wollen wir noch kurz darüber reden, wie realistisch man 1000-Seiten Gesetzestexte in 1-2 Wochen (oder in irgendeiner Zeit) in irgendeinem Parlament beraten und abstimmen lassen kann, und wie realistisch im Zweifel die Rückabwicklung solcher Gesetze/Abkommen – speziell internationaler Vereinbarungen – ist? Und ob das nicht vielleicht Absicht ist?

Nur mal so.

Zusammengefasst möchte ich sagen, dass Winfried Wolfs Einschätzung in meinen Augen den NDS durchaus würdig war. Und es zeichnet die NDS (und sie persönlich) natürlich aus, dass sie so einen Text veröffentlichen OBWOHL sie als Herausgeber damit so große Probleme zu haben scheinen.

Ich will mich hier auch keinesfalls beschweren, dass sie die Einschätzung von Winfried Wolf kommentiert haben. Das macht ja eine demokratische Debatte aus und steht ihnen selbstverständlich frei – auch wenn sie nicht Herausgeber wären. Ich möchte im Kern nur erklären, warum ich ihre Argumentation in ihrer Gesamtheit nicht teile und Winfried Wolf im Kern folgen kann.

Mit freundlichen Grüßen
S.D.


31. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

gut, daß Sie sich für Ihre Polemik entschuldigt haben: so kann ich mir wenigstens den bösen Leserbrief sparen, den ich im Geiste schon entworfen hatte. Es hatte mich doch sehr irritiert, daß Sie so wenig Toleranz für eine von Ihrer Meinung abweichende Sichtweise aufbringen, und es beschäftigt mich nach wie vor. Ich kann nur hoffen, daß Winfried Wolf sich nicht beleidigt zurückzieht und wir noch viele hervorragende Artikel von ihm lesen dürfen!

Mit freundlichen Grüßen
Jutta Mertins


32. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,
sehr geehrtes Nachdenkseiten-Team,
 
nicht umsonst bin ich seit Jahren Förderer der NDS, deren notwendige und wie ich finde hervorragende Arbeit gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Gerade in diesen extremen, politischen Zeiten eines extrem marktradikalen und damit menschenverachtenden, zerstörerischen Kapitalismus – umgesetzt durch den Neoliberalismus. Die politische Vertreter dieser Politik finden sich in Deutschland m.E. leider bereits in Teilen der Linken, sowie in den Partein der Grünen über die gesamte CDU/CSU bis hin zur AfD – eben die m.E. erweiterte politische “Mitte”.
 
Es schmerzt mich jedesmal, wenn ich sehe, das Menschen (hier Albrecht Müller und Winfried Wolf), deren Ansichten ich sehr schätze, sich derart scharf angehen. Gerade da beide doch m.E. – jeder auf seine Weise – gegen die von mir weiter oben beschriebenen marktradikale Politik ankämpfen/anschreiben.
 
Mein Eindruck ist, das die m.E. in Teilen doch etwas zu harsche Kritik (Fragen und Kommentare) von Albrecht Müller an dem Text von Winfried Wolf mit hervorgerufen wird durch das Aufeinandertreffen der klassischen Sozialdemokratie (Albrecht Müller) mit den m.E. hier noch weiter links stehende Ansichten des Winfried Wolf.
 
Deutlich tritt dies m.E. u.a. zu Tage an der Meinung von Winfried Wolf hinsichtlich der “nicht Reformierbarkeit” der EU in Verbindung mit den von der May-Regierung ausgehandelten Ausstiegsbedingungen und der sich daraus ergebenden Konsequenz das Wähler-Votum auch ohne gemeinsame Regelung mit den Vertretern der EU umzusetzen.

Vereinfacht ausgedrückt liegt die Schwierigkeit/das Reibungspotential in diesem Sachverhalt evtl. darin, ob es Sinn macht in einer Gemeinschaft (EU) zu bleiben bzw. Teil dieser Gemeinschaft zu bleiben mittels ausgehandelter Verträge, welche auf unabsehbare Zeit nicht reformierbar sein wird bzw. welche sich in m.E. nicht hinnehmbaren Maße gegen die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheiten wendet/richtet. 
 
Ich wünsche mir – insbesondere in heutigen Zeiten – eine sehr breit angelegte/offene, gemeinsame und konstruktive Debatte über linke Denkansätze hinweg. Denn nur so ist der momentan herrschenden und sich weiter in eine extreme Richtung entwickelnden neoliberalen (m.E. rechten) Politik der sogenannten “Mitte” m.E. etwas entgegen zu setzen.
 
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Rommel  


33. Leserbrief

Liebe Leute!

Vorab: Als aufmerksamer Leser der Nachdenkseiten meine ich, dass deren Verdienst in Sachen Aufklärung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Mit der Kritik von Albrecht Müller am Brexit-Text von Winfried Wolf bin ich aber durchaus nicht einverstanden, finde sie sowohl unangemessen wie auch sachlich unrichtig. Im Detail:

ad 1: Was bedeutet die lange EU-Mitgliedschaft für das britische Industrieproletariat? Sie bedeutet: Permanent sinkender Lebensstandard, Kaufkraftverlust, Lohndumping, Fremdbestimmtheit, Demokratieabbau und ein Ausgeliefertsein gegenüber der ruinösen deutschen Export-Maschinerie.

ad 2: Etwas muss nicht allein schon deshalb falsch sein, weil es Reaktionäre vertreten. Auch die Kapitalistenklasse ist kein Monolith.

Ad 3: Tony Blair gilt nicht ohne Grund als einer der vehementesten Verfechter der EU. Er ist eben mehr neoliberaler Europäer als sozialdemokratischer Brite. Ein EU-Austritt ist zwar die Grundvoraussetzung für eine national bestimmte Politik im Interesse der Arbeitenden, aber nicht deren Vollendung. Danach muss die Auseinandersetzung mit dem Gegner im eigenen Land erst geführt werden.

ad 4: Das Mitwirken der Briten ändert nichts daran, dass die EU eine reaktionäre Vereinigung ist.

ad 5: Die EU ist ein Vehikel des Großkapitals, eigens geformt um seinen Interessen zu dienen. Sie wirkt lediglich als Gemeinschaft der Blutsauger – egal ob auf wirtschaftlicher oder politischer Ebene. Ein Austritt Großbritanniens würde vielen Menschen die Hoffnung geben, dass ein Leben nach dem (EU-)Gefängnis möglich ist.

ad 6: Fest steht: Austritt aus der EU und Zerschlagung derselben liegt im ureigensten Interesse der arbeitenden Menschen.

ad 9: Knappe Mehrheit und schräge Partner hin oder her; soll vielleicht wieder so lange abgestimmt werden, bis das Ergebnis den („proeuropäischen“) Eliten passt?

ad 10: Wer sind die Verhandlungspartner der Briten konkret? Wohl im Grunde nur das deutsche (und vielleicht französische) Kapital mit seinen Handlangern in Gestalt der Junckers und Tusks.

ad 11: Der May-Vertrag enthält Vereinbarungen, die für ein souveränes Land unakzeptabel sind. Dafür sorgen gerade die vorhandenen rechtlichen Bestimmungen. Es ist deren Recht, nicht unseres!

ad 12: Das Irland/Nordirland-Problem ließe sich sehr gut regeln, entließe Großbritannien die (Nord-)Iren nach Jahrhunderten endlich aus dem Kolonialstatus.

ad 13: Es gibt viele erfolgreiche und weniger erfolgreiche Beispiele für Sezession. Dabei ist – nur exemplarisch – an die Sowjetunion, Jugoslawien, die Habsburgermonarchie oder auch an die Trennung von Tschechien und der Slowakei zu denken. In allen Fällen hat es sich um enge wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Verflechtung gehandelt. Hätte es in all diesen Fällen heißen sollen: Das geht nicht! Wohl kaum. Selbiges gilt für die EU.

Wir sollten uns nicht die Argumente unserer Gegner zu eigen machen und die EU als alternativlos und sakrosankt akzeptieren! Soll ein Europa der Arbeitenden errichtet werden, muss sie samt aller Wurzeln eliminiert werden. Erst daran kann eine positive Erzählung von gerechter Gesellschaft knüpfen.

Mit solidarischen Grüßen,
Michael Wengraf


34. Leserbrief

Liebe Nachdenkseitenredaktion,
 
Zwischen dem Disput vom Winfried Wolf und Albrecht Müller über den Brexit, finde ich die Argumente von Winfried Wolf weitaus vernünftiger, sachlicher und nachvollziehbarer.
 
Offensichtlich ist Albrecht Müller (den ich übrigens sehr schätze und auch alle Bücher/Artikel von ihm kenne) hier entgangen, dass er von der Polemik die er Winfried Wolf implizit vorwirft, selbst reichlich Gebrauch macht.
 
Sätze wie: “Der Glaube, dass aus möglichst vielen Austritten Besseres erwüchse, ist durch Nachdenken und durch Tatsachen nicht gestützt.”, sind natürlich ebenfalls extrem polemisch und durch Tatsachen schon gar nicht gestützt, da es noch keinen EU-Exit bisher gegeben hat. Wo hier das Nachdenken und die Tatsachen sind, bleibt wohl Albrecht Müllers Geheimnis. Wahrscheinlich kann niemand auch nur annähernd vorhersagen, was im Falle mehrerer(!) EU-Austritte tatsächlich passieren würde. Die Vorstellung, dass es nicht in irgendeiner Form zu Reformen und Debatten – über die in jeder Form neoliberale und militaristische Ausrichtung der EU – kommen würde, mutet reichlich absurd an. Meiner Meinung nach ganz im Gegenteil, würde sich hier eine echte Chance für eine grundlegende Revision der undemokratischen EU-Zustände eröffnen.
 
Die nackte Panik der EU-Eliten im Falle von Griechenland spricht Bände (und ist aus neoliberaler Sicht auch absolut verständlich, schließlich müssen Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert werden, einer der ehernen Gesetze der neoliberalen Ideologie), auch wenn einer der neoliberalsten Hardliner der EU, der damalige Finanzminister Schäuble, kurzzeitig den Gedanken eines Grexit “in den Ring warf” (und der dann ebenso schnell auch wieder in der Versenkung verschwand).
 
Auch die vielen ablehnenden Referenden der EU-Bevölkerungen zu den (abolut undemokratischen) EU-Verträgen, die dann so oft wiederholt werden bis sie “genehm” sind, sprechen eine andere Sprache.
 
Auch die “sehr wahrscheinliche Einschätzung”, “dass dass davon mit Unterstützung reaktionärer Medien vor allem reaktionäre Kräfte, auch politische Kräfte profitieren werden und nicht Corbyn” , wird durch keinerlei empirische Untersuchung belegt. Ganz im Gegenteil, stehen die Chancen von Labour – im Falle von Neuwahlen – Regierungspartei zu werden besser und überfälliger denn je.
 
Es gibt reichlich Bespiele dieses Art in dem Artikel von Herr Müller, diese sind mir nur besonders aufgefallen. Hier hätte ich mir gerne mehr Sachlichkeit und auch Quellenangaben zu vielen Argumenten gewünscht – dafür weniger Polemik.
 
Ein regelmässiger und absoluter Fan der NDS (und auch von A. Müller!)
 
VG und weiterhin viel Erfolg und alles Gute
M.W.


Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

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