Corona – Was mich umtreibt, was viele umtreibt: Ein andauerndes Chaos

Corona – Was mich umtreibt, was viele umtreibt: Ein andauerndes Chaos

Corona – Was mich umtreibt, was viele umtreibt: Ein andauerndes Chaos

Anette Sorg
Ein Artikel von Anette Sorg

Seit vielen Wochen begleitet mich nun dieses Virus in meinem Job, in meinem Alltag, in meiner Freizeit – und in meinen Gedanken. Wahrscheinlich geht es vielen Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten ähnlich. Deshalb finden Sie hier ein paar zentrale, persönliche Beobachtungen – aufgelistet ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Ausgewogenheit. Möglich, dass Sie sich in der einen oder anderen wiederfinden. Anette Sorg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Experten

Bisher war es meistens so, dass ich nach einer gewissen Zeit zu einem Thema eine Meinung hatte. Sie war nicht unumstößlich, sie war diskutierbar, aber ich hatte eine Position, eine Haltung.

Bei Corona änderte sich diese anfangs fast stündlich. Das hat mich, die ich versuche, mich umfassend zu informieren, total verunsichert, mich ohnmächtig fühlen lassen. Nahezu täglich bekam ich widersprüchliche Informationen, auch von Menschen, die sich allesamt „Experten“ nennen und nennen dürfen. Ich selbst bin weder Virologin noch Medizinerin und auch keine sonstige Naturwissenschaftlerin. Was mich in gewisser Weise abhängig macht von den Experten. Leider haben auch die Experten nahezu täglich ihre Einschätzungen verändert (hier und hier).

Lange Zeit lag der Schwerpunkt in der Berichterstattung ausschließlich auf Naturwissenschaften, weder Sozial- noch Geisteswissenschaftler hat man gehört. Erst spät(er) meldeten sich vereinzelt Verfassungsrechtler, Ökonomen, Soziologen und Psychologen zu Wort.

Wer als Experte gehört wird oder werden darf, entscheidet wohl der Herr Spahn oder die Kanzlerin. Jedenfalls habe ich abweichende Stellungnahmen anfangs nur in alternativen Medien wahrgenommen sowie in Kulturformaten (Aspekte, TTT) und erstaunlicherweise bei Markus Lanz. Nicht jedoch im Heute Journal oder der Tagesschau. Im Moment sehe ich in Letzteren ein wenig Bewegung. Nach sieben Wochen „Brav-sein“!

Auch Gesundheitsminister Spahn scheint nicht alles, was „seine“ Experten ihm nahelegen, für bare Münze zu halten: Kürzlich wurde er dichtgedrängt im Klinik-Fahrstuhl gesichtet, zwar mit Mundschutz ausgestattet, der wiederum soll aber nicht vor Ansteckung schützen. Weiß er also mehr als wir? Seine kryptische Aussage kürzlich im Bundestag: „wir werden einander viel verzeihen müssen“ lässt jedenfalls einigen Raum für Spekulationen. Auch Frau Kramp-Karrenbauer scheint keine furchtsame Person zu sein. Jedenfalls nicht, wenn sie mediale Aufmerksamkeit beim persönlichen Empfang von Masken am Flughafen benötigt.

Immunsystem

Ich gestehe, ich habe (Gott sei Dank!) nicht jede Sondersendung zu Corona gesehen und mir nicht jede Talkshow angetan und nicht jeden Zeitungsartikel hierzu gelesen. Dennoch wage ich zu behaupten, dass ein Thema so gut wie nicht stattgefunden hat, das mehrere Sondersendungen verdient hätte: unser Immunsystem. Jeder vernünftige Hausarzt wird seinen Patienten unter normalen Umständen predigen: achten Sie auf genug frische Luft, auf Sonne, auf ausreichend Bewegung, auf gesunde Ernährung, und möglichst auch auf seelisches Gleichgewicht. Der neue Virus scheint sich – jedenfalls was die mediale Beschäftigung mit diesem Thema suggeriert – von einem guten Immunsystem nicht beeindrucken zu lassen. Oder etwa doch? Und wir hören nur nichts davon, weil damit diejenigen, die an unserer Krankheit und nicht an unserer Gesundheit etwas verdienen möchten, ein Problem hätten?

Verwirrung (oder Manipulation?) mit Zahlen und Messdaten und Statistiken – sogenannten „Fakten“

Was ich aus der Berichterstattung gelernt habe, ist, dass Fakten nur heute solche sind, weil sie morgen schon überholt sein können. Ich tue mich daher mit Faktenfindern und Faktencheckern schwer. Auch Fakten sind häufig nur Momentaufnahmen, Momentinterpretationen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind ebenfalls nicht in Stein gemeißelt, sondern verändern sich auch nahezu täglich (ich verweise hier nur auf die sich verändernden Aussagen des RKI zur Gefährlichkeit des Virus, zur Maskenpflicht, zu den Todesraten u.v.a. mehr). Eine griffige Aussage zu Statistiken und deren Glaubwürdigkeit hat Gerd Bosbach mal formuliert: „Statistiken sind für Politiker wie für den Betrunkenen der Laternenpfahl: sie dienen nicht der Erleuchtung, sondern um sich daran festzuhalten.“ Mir geben sie keinen Halt, mich bringen sie zum Schwanken, sie verwirren mich mehr, als dass sie mir Klarheit brächten.

Seriös ist es nicht, wenn man die Sterblichkeit an positiv getesteten Personen festmacht, ohne zu erwähnen, dass wir die Zahl der tatsächlich Infizierten nicht kennen. Seriös ist es auch nicht, auf eine Zunahme der Infizierten zu schauen, ohne die Anzahl der durchgeführten Tests in Relation zu setzen. Seriös ist es auch nicht, wenn man zunächst die Zahl der Genesenen unterschlägt oder die Todeszahlen der einzelnen Länder als absolute Zahl vergleicht und nicht mit der Einwohnerzahl relativiert. Einem (guten) Journalisten muss so etwas auffallen (vorausgesetzt er möchte, dass es ihm auffällt) und nicht erst einem Statistiker wie Gerd Bosbach.

Der Philosoph Markus Gabriel stellt in einem n-tv-Interview Folgendes fest:

„Wenn wir immer nur auf das Robert-Koch-Institut hören, dann können wir irgendwann nicht mehr zurück. Das RKI wird immer mögliche Risiken einer neuen Ansteckungswelle sehen. Wir leben ja schon jetzt in einer Computersimulation. Nicht, weil die Wirklichkeit nicht wirklich wäre – es sterben ja tatsächlich täglich Menschen und die Wirtschaft ist angeschossen. Das sind beinharte Realitäten. Aber diese Realitäten werden erzeugt durch das Ablesen von Wahrscheinlichkeiten anhand von Computersimulationen. Und diese können nur so gut sein wie die Annahmen, die ihnen zugrunde liegen.“

Was mich komplett irritiert hat, waren die verschiedenen Begrifflichkeiten, die verwendet wurden, um die Maßnahmen zu begründen, zu verlängern oder ggf. zu lockern. Zuerst war “flatten the curve” gefühlte 100-mal täglich zu hören. Dabei ging es nicht um die Gefahr für das Leben der Betroffenen, sondern um die Gefahr für das Gesundheitssystem, dessen möglicher Überlastung. Irgendwann verschwand dieser Begriff aus der Berichterstattung und man konzentrierte sich auf die Verdopplungszeit. Diese sollte von zwei Tagen auf 10 Tage gesteigert werden… oder 14…. oder 20… oder… Begründung übrigens weitestgehend Fehlanzeige. Wurde jeweils ein Wert erreicht, wurde der nächsthöhere als Ziel verkündet. Als nächstes wurde mit der Reproduktionszahl R jongliert. Die müsse unter 1,0 sein, dann sei die Pandemie beherrschbar und Lockerungen des Lockdown denkbar. Nach noch nicht richtig erfolgten Lockerungen wurden wir mit den Gefahren einer zweiten Welle konfrontiert und wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Zahl der Neuinfizierten geschaut. Fühle ich mich bei den gebetsmühlenartigen Wiederholungen der Hygiene- und Abstandsregeln unterfordert und wie ein dummes, unmündiges Kind behandelt, so fühle ich mich bei dieser Art von Wechsel in den Kennzahlen und deren variabler Grenzziehungen tatsächlich überfordert. Auch wenn der hier verlinkte Artikel verzweifelt versucht, diese Vorgehensweise zu begründen, sieht Vertrauen bildende Berichterstattung anders aus.

Welche Zahlen jetzt? RKI oder Johns Hopkins Universität/USA oder Euromomo

Verstörend ist, dass nirgends die Frage gestellt wurde, wieso eine amerikanische Privatuniversität die aktuellen Zahlen aus Deutschland anscheinend früher und umfassender ermitteln und darstellen kann als das in Deutschland dafür zuständige Robert Koch-Institut. Dass man auf eine EU-weite Statistik über Sterbezahlen erst auf Umwegen und nicht über die Nachrichtensendungen in ARD und ZDF stößt, macht ebenfalls nachdenklich: Euromomo. Euromomo ist ein Monitoringprogramm von 24 europäischen Ländern, das wochenweise erfasst, ob sich mehr Todesfälle, als normalerweise zu erwarten sind, ereignen. Eine entsprechende Anfrage eines Bürgers nach dem Informationsfreiheitsgesetz, inwiefern das RKI diese Daten berücksichtigt, ist bisher unbeantwortet geblieben.

Impfung als nahezu einziger Rettungsanker? Bill Gates wird hofiert und als Gesundheitsexperte vorgestellt

Dass ein amerikanischer Multimilliardär im deutschen Fernsehen in einer Nachrichtensendung fast 9 Minuten Interviewzeit (12.4. Tagesschau) erhält, halte ich für einen einzigartigen und auch empörenden Vorgang. Kritiker der Maßnahmen – und seien es auch echte Experten, nämlich Ärzte, Virologen oder Epidemiologen – werden mit der Diffamierung als „Verschwörungstheoretiker“ mundtot gemacht und sind darauf angewiesen, auf alternative Medien auszuweichen, die dann wiederum ebenfalls dieses Etikett erhalten. Aber Bill Gates, der weder Biologe noch Mediziner noch Virologe ist, erhält mit seinen Theorien und Ideen unangemessen viel Raum. Finde den Fehler!

https://www.ardmediathek.de/…/ZjUyYzQ5ZGQ4NA/tagesthemen

Obduktionen und repräsentative Untersuchungen offiziell nicht empfohlen. Und wo bleiben die Antikörpertests?

Obduktionen würden erhellend wirken. Gerade wenn es um ein neues Virus geht, sollte der wissenschaftliche Anspruch doch sein, so viel als möglich und so schnell als möglich über dessen Wirkungen im menschlichen Körper zu erfahren. Warum also hat das RKI davon abgeraten? Weil sie frühzeitig die Ergebnisse gebracht hätten, die der Hamburger Pathologe Püschel bei Markus Lanz und an anderen Stellen vorgestellt hat: Kein Versterben an und mit Corona ohne Vorerkrankungen, die Betroffenen wären über kurz oder lang ohnehin gestorben. Das mag für den einen oder anderen zynisch klingen, aber müsste der Mehrzahl doch die Furcht nehmen!

Dem Einwand, die Hamburger Ergebnisse seien nicht repräsentativ, könnte man mit eben solchen repräsentativen (vielleicht sogar vom RKI empfohlenen und begleiteten) Obduktionen begegnen. Die Ergebnisse von Dr. Püschel ließen sich bestätigen oder halt nicht.

Ebenso ließen sich weitere repräsentative Untersuchungen vornehmen. Etwa in der Art, wie sie der Virologe Streeck mit seinem Team in Heinsberg vorgenommen hat. Anstatt ihm vorzuwerfen, es sei nicht sauber wissenschaftlich gearbeitet worden, müsste das RKI die Standards für solche repräsentativen Tests festlegen. Warum tut es das nicht?

Und wo bleiben die Antikörpertests? Sie wären so dringend notwendig. Gerade im Pflegebereich und bei anderen systemrelevanten Berufen. Wo bleibt die Forderung der Arbeitgeber nach diesen Tests?

In Spanien und Italien werden sie nun durchgeführt. Damit kann man herausfinden, ob ein Mensch bereits mit Sars-CoV-2 infiziert war und dagegen Antikörper im Blut gebildet hat. Auf diese Weise lässt sich der Kontakt mit dem Virus auch bei denjenigen nachweisen, die kaum oder keine Symptome der Krankheit hatten und oftmals gar nichts von ihrer Ansteckung wussten. In Deutschland muss der Test erst validiert werden, was nachvollziehbar ist. Der Virentest, den der Virologe Drosten entwickelt hatte, ist meines Wissens jedoch nicht validiert worden. Seltsam.

Etikettenverteiler

Ich habe eine andere Meinung, als der vorgegebene Diskussionskorridor derzeit erlaubt. Deshalb werde ich wahlweise mit dem Etikett „Verschwörungstheoretikerin“, „Corona-Verharmloserin“ oder „Corona-Leugnerin“ versehen. Das finde ich verletzend. Insbesondere den Begriff Corona-Leugnerin. Erstens, weil ich den Virus und seine partielle Gefährlichkeit nicht abstreite, und zweitens, weil diejenigen, die den Begriff verwenden, wissen, dass er auch in anderen Zusammenhängen („Holocaust-Leugner“ und „Klima-Leugner“) verwendet wird, die den Etikettierten sofort in eine Assoziationskette mit Rechtsradikalen bringt. Man darf sich gerne inhaltlich mit mir auseinandersetzen, versuchen, mich von meinem (vermeintlichen?) Irrglauben mit Argumenten und Tatsachen abzubringen. Wer mir aber ein Etikett anheftet, zeigt mir damit, dass er mich nicht für wert empfindet, sich mit mir auseinanderzusetzen oder schlimmer noch: er zeigt mir damit, dass er seine Wertung der Situation über die meinige stellt oder am allerschlimmsten, dass er vom Wesen einer Demokratie, von der Notwendigkeit einer lebendigen Diskussion im Ringen um den richtigen Weg, überhaupt nichts verstanden hat. Das macht mich nicht nur traurig, sondern macht mir Angst vor einer Zukunft, in der eben solche Debatten nicht mehr möglich sein sollen, wenn nur das Ziel (aktuell: „Menschenleben retten“) als hoch genug klassifiziert wird und damit einen allgemeinen Konsens findet. Und nein: ich finde nicht, dass man über all das erst danach, wenn alles vorbei ist, diskutieren sollte.

Desolate Lage in Pflegeheimen – Personalmangel im Gesundheitssystem

Der weit überwiegende Anteil an Infizierten und an Todesfällen ist in Pflegeheimen festzustellen. Bis auf das Besuchsverbot konnte sich der allgemeine Lockdown dort nicht bemerkbar machen und trotzdem sind dort überdurchschnittlich viele Menschen gestorben. Wenn also die Botschaft unserer Regierenden an uns Regierte lautet: „Es geht um Menschenleben. Es geht um Leben und Tod!“, müsste dann eben diese Regierung nicht dafür sorgen, dass dort, wo es besonders signifikant um Leben und Tod geht, der Schutz für Personal und Bewohner gewährleistet ist? Durch Schutzkleidung, durch Desinfektionsmittel, durch FFP2-Masken, durch Tests an Bewohnern und Personal (auf Infizierung, aber auch auf Antikörper!)? Niemand kann mir erklären, warum sie das nicht tut. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier meilenweit auseinander.

Dass ältere Menschen auch an Vereinsamung sterben könnten, bevor sie sich mit dem Virus anstecken, wage ich schon nicht mehr zu thematisieren, wird mir doch mit dieser Einlassung unterstellt, ich würde dem Menschenleben als Wert an sich nicht genügend Bedeutung beimessen. Hat aber ein Menschenleben nur die eine Dimension: die Länge oder Dauer? Wir sollten dringend eine ethisch begleitete Diskussion darüber führen, ob nicht auch die Qualität eines Lebens einen Wert darstellt. In manchen Senioren- und Pflegeheimen wäre diese Frage übrigens auch schon vor Corona zu stellen gewesen. „Minutenpflege“ kann keine Antwort auf Lebensqualität sein. Diesen Beitrag zur Pflegeethik empfehle ich deshalb zur Lektüre.

Blockwartmentalität und Sehnsucht nach starker, regelnder Hand

Rolf Gössner beschreibt in Ossietzky, was ich betrübt feststelle und sowohl Heribert Prantl (SZ) als auch Jakob Augstein (Der Freitag) alarmierend finden:

Zwölftens: Dass in angsterfüllten Zeiten der „Corona-Krise“ und der politisch und massenmedial stark befeuerten Unsicherheit nur wenige nach dem hohen Preis rigider staatlicher Eingriffe fragen, ist angesichts der gesundheitlichen Gefährdungen zwar auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber auf Dauer kurzsichtig. Denn langfristig könnten sich Abwehrmaßnahmen dieser Art auf die Gesellschaft zerstörerischer auswirken als die Abwehrgründe selbst. „Ansteckend ist Corona und ansteckend ist die Angst davor“, schreibt Heribert Prantl („Süddeutsche Zeitung“) Mitte März 2020: „Angst macht süchtig nach allem, was die Angst zu lindern verspricht.“ Aber man müsse doch fragen, „was angerichtet wird, wenn Grundrechte und Grundfreiheiten stillgelegt und das gesellschaftliche Miteinander ausgesetzt werden.“ Und man müsse „nicht nur entschlossen gegen das Virus kämpfen, sondern auch gegen eine Stimmung, die die Grund- und Bürgerrechte in Krisenzeiten als Ballast, als Bürde oder als Luxus betrachtet“. 

Doch wenn Gefahr und Verunsicherung nur groß genug erscheinen, dann nimmt der Großteil der Bevölkerung gesellschaftliche und individuelle Einschränkungen und damit verbundene „Kollateralschäden“ offenbar zustimmend, resignierend oder aber willfährig hin, teilweise auch in vorauseilendem Gehorsam. Anscheinend bekommt die Sehnsucht nach autoritärer Führung und autoritären „Lösungen“, nach klaren Ansagen und Anordnungen sowohl in Zeiten des Terrors als auch in Zeiten von Corona erheblichen Auftrieb – überhaupt in Zeiten von Krisen, Katastrophen und Unsicherheit. Der hilflose Schrei nach dem starken autoritären Staat ist unüberhörbar. Und Denunziationen haben Konjunktur. „Die Angst vor der Krankheit hat die Demokratie aufgegessen“, diagnostiziert der Publizist Jakob Augstein („Der Freitag“).

Gesetze im Sauseschritt und Bußgelder in unverschämten Dimensionen – Parlamentarische Demokratie ausgehebelt

Die Lockerung der in Windeseile beschlossenen Maßnahmen des „social distancing“ erfolgten in einer Telefonkonferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Ohne Beteiligung irgendwelcher Parlamente. Der Regierung und dem Gesundheitsminister im Speziellen waren davor bereits weitestgehende Verordnungsermächtigungen gestattet worden, vorbei am Parlament. Die Liste aller bisher beschlossenen Gesetze und weiteren Regelungen liest sich lang. Eine große Regelungswut scheint sich Bahn zu brechen. Auch ersichtlich an den jeweiligen Bußgeldkatalogen, die meines Erachtens jenseits von Gut und Böse sind. Machen Sie sich selbst ein Bild unter folgenden Links. Hier und hier.

Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit (weil nahezu unbemerkt von den Leitmedien) wurde beispielsweise das Arbeitszeitgesetz am 7.4.2020 geändert, und zwar im Hinblick auf die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten sowie Sonn- und Feiertagsbeschäftigung für die sogenannten „systemrelevanten“ Berufe. Dies sind laut der Verordnung u.a. Berufe aus dem Gesundheits- und Pflegebereich inklusive der Apotheken, Handel und Logistik für Waren des täglichen Bedarfs, Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren, Landwirtschaft, Verpackungsbranche, Müllabfuhr, Geldtransporte, Energie- und Wasserversorger sowie Berufe für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen. Durch diese Verordnung erhalten Arbeitgeber die Möglichkeit, die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden auszudehnen. Diese Verordnung ist zunächst befristet auf den Zeitraum vom 10.04.2020 bis 30.06.2020. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Geltungsdauer der Verordnung je nach aktueller Lage der Corona-Epidemie verlängert wird.

Angst ist eine starke Emotion

„Urteile nie über einen Menschen, ehe du nicht 1000 Schritte in seinen Mokassins gelaufen bist“, sagt ein viel zitiertes Indianersprichwort. Ich versuche, es zu meiner Maxime zu machen, weil ich nicht weiß, warum Menschen große Angst haben oder sich große Angst machen lassen. Ich möchte deshalb auch über niemanden urteilen und ihn oder sie schon gar nicht verurteilen, wenn er anders über dieses Virus denkt, als ich es zwischenzeitlich tue. Auch bei mir ist meine heutige Meinung das Ergebnis eines Prozesses, der auch verbunden war mit der Sorge um mir sehr nahestehende Menschen, die zur „Risikogruppe“ gezählt werden. Das heißt: Ich akzeptiere, dass Menschen Angst haben, verstehen muss ich es nicht. Und umgekehrt erwarte ich, dass andere Menschen akzeptieren, dass ich zu einem anderen Ergebnis komme.

Wovor ich mich fürchte, ist, dass es nach Corona sehr viele, schwer heilbare Verletzungen zwischen vormals sich nahestehenden Menschen, vermutlich auch viele endgültige Brüche geben wird.

Eigentlich müssten wir doch alle wissen, dass es nicht nur schwarz und weiß, also die eine oder die andere Sichtweise gibt, sondern dass die Wahrheit oftmals dazwischen liegt. Können wir es nicht mehr aushalten, dass andere Menschen in einer neuen Situation, die wir nicht üben konnten, über die wir viele, aber eben auch widersprüchliche Informationen bekommen, nicht so denken, wie wir das tun? Ist Toleranz nicht mehr modern? In unseren Leitmedien finden sich wenige Verlautbarungen, die von der Regierungssicht oder der RKI-Sicht abweichen, die Opposition in Berlin scheint weitestgehend in Schockstarre zu sein, das Parlament wurde für Verordnungsrechte der Regierung weitestgehend lahmgelegt. Vielleicht ist das der Grund, warum man sich mit anderen „Bewertungen“ so schwer tut? Weil wir die Auseinandersetzung, das Ringen um die richtige Richtung nicht (mehr) vorgelebt bekommen? Ich habe von gelöschten Videos auf Youtube und Facebook gehört und von (zeitweiliger) „Nicht-Erreichbarkeit“ von Homepages. Wenn dies keine technischen Ursachen hatte, sondern die Tatsache, dass nicht „auf Linie“ berichtet wurde, erinnert mich das sehr an die Zukunftsromane von George Orwell (1984) und Aldous Huxley (Schöne Neue Welt) und nicht an eine streitbare Demokratie.

Erwachsene Kinder bevormunden ihre Eltern und Großeltern – verkehrte Welt

Die staatlicherseits verordneten Einschränkungen erschaffen zuweilen skurrile Situationen. (Erwachsene) Kinder maßregeln ihre Eltern und Großeltern und mahnen teils mit deutlichen Worten, sich doch gefälligst strikt an die Vorgaben zu halten. Die klitzekleine Feier anlässlich eines runden Geburtstages einer krebskranken Oma (genau 1,5 Stunden im kleinsten Familienkreis) wird als verwerflich stigmatisiert. Andere verstehen nicht, wenn man sich mit Freunden zum Spazierengehen (auf Distanz) auf freiem Feld verabredet oder gemeinsam ein Glas Wein im Garten trinkt.

Also tendenziell die Generation(en), die mehrheitlich in der Fridays-for-future-Bewegung aktiv sind und dem Staat diesbezüglich Untätigkeit vorwerfen, solidarisieren sich uneingeschränkt (und nach meiner Auffassung auch reichlich unreflektiert) mit dessen rigiden und undifferenzierten Maßnahmen. Ein Autor der NachDenkSeiten – Norbert Wiersbin – hat das in einem Facebook-Kommentar am 23.4. so analysiert:

„Ich habe heute noch mit dem Psychiater und Dealer meines Vertrauens gesprochen. In Personalunion versteht sich, wir kennen uns ja schon länger.

Ich brauche fachlichen Rat, um einschätzen zu können, was in diesen Wochen in unseren Gesellschaften abgeht. Nicht erst in diesen Wochen. Aber nun ist es doch derart krass geworden, dass ich zwingend andere Medikamente benötige. Das ist alles so irreal geworden, dass es nüchtern nicht mehr zu ertragen wäre.

Es gibt einige kluge, ausnahmslos ältere Geister, die öffentlich die Frage stellen, wo denn nun das kritische Potential zu finden wäre. Wer sich von den Jüngeren, gut Gebildeten, zu Wort meldet. Da es doch um deren Zukunft gehe, denen in ihren Zwanzigern, Dreißigern oder Vierzigern. Denen mit den akademischen Abschlüssen, den Sprösslingen des viel beschworenen Bildungsbürgertums. Denen sich doch die Frage aufdrängen sollte, was hier gespielt wird. Diese Frage doch zumindest, von einer Antwort wären wir dann ja immer noch weit entfernt. Von Widerspruch oder gar Widerstand ganz zu schweigen!

Ich möchte mit diesen Zeilen eine Lanze für diese Jüngeren brechen: Sie können nichts dafür, dass infolge des sog. Bologna-Prozesses an den Hochschulen nur noch funktionale und bestens verwertbare Fachidioten ausgebildet werden. Um es, zugegeben, despektierlich zu sagen. Fernab von einem einst so hochgeschätzten, humboldtschen Bildungsideal, dem es geradezu ein Heiligtum war, kritikfähige und universell gebildete junge Menschen auf das reale Leben vorzubereiten.

Das ist den jungen Leuten heute vorenthalten, dafür tragen sie keine Verantwortung. Sie sind eindeutig die Opfer einer seit Jahrzehnten versagenden politischen Klasse und einer gesamtgesellschaftlichen Apathie.

Diese jungen Leute werden mit medialem Müll zugschüttet, der ihnen den Geist vernebelt. Sie werden von Kindesbeinen an in Angst gehalten, über prekäre Beschäftigungsverhältnisse zum Beispiel, die ihnen jede Zuversicht und Lebensperspektive rauben. Die es sich buchstäblich nicht leisten können, aufzubegehren und das Heft in die eigenen Hände zu nehmen.

Und dennoch möchte auch ich dazu aufrufen: Lasst Euch Eure Zukunft nicht nehmen, Ihr Jüngeren! Ihr habt doch das geistige und auch seelische Potential dazu. Bedient Euch Eures Verstandes und Eurer Möglichkeiten. Informiert Euch, recherchiert abseits des Mainstreams, hinterfragt und deckt all diese offensichtlichen Widersprüche auf. Organisiert Euch, leistet Widerstand!

Auch (und ganz sicher nicht zuletzt) wir Alten sind in diesen Tagen gefragt, vermutlich mehr denn je. Wir haben schon viel zu viel zugelassen, nun müssen wir uns in einem letzten Kraftakt doch noch aufraffen! Das sind wir diesen jungen Leuten verdammt noch mal schuldig, unseren Kindern und Kindeskindern. Wir müssen jetzt vorrücken, um möglichst viele von denen aufzurütteln und zu motivieren, ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten.

WIR ALTEN sind in der verdammten Pflicht, mit gutem Beispiel voranzuschreiten! Ohne benebelnde Medikamente, sehr nüchtern und rational. Das hat mir jedenfalls mein Psychiater empfohlen. Und hat mich 130 Euronen gekostet. Alter Verwalter.“

Frauenministerin nicht im Krisenstab – Wertigkeit von Familie im Allgemeinen und von Frauen insbesondere

Wir können eine Mehrfachbetroffenheit in dieser Corona-Zeit und deren Beschränkungen bei Familien und insbesondere bei Frauen feststellen. Sie sind Alleinerziehende, Minijobberinnen, systemrelevante (und damit häufig einhergehend schlechtbezahlte) Erwerbspersonen , Kinderbetreuerinnen, Ersatzlehrerinnen, häuslich Pflegende und von häuslicher Gewalt Betroffene. Eine Familienministerin im Krisenstab sucht man dennoch vergeblich, wo doch sonst der Artikel 6 unseres Grundgesetzes so in den Vordergrund gestellt wird, wie auch diese Kommentatorin des BR, Kirstin Girschick, ab Minute 08:20 feststellt.

Wir nehmen mehrheitlich nicht mehr zur Kenntnis, was sonst passiert

Der Regenwald im Amazonasgebiet wird in unvorstellbarem Ausmaß abgeholzt, in Afrika hungern Millionen Menschen, auch wegen Dürre und Heuschreckenplage und nun zusätzlich wegen Corona, die Situation in den Flüchtlingslagern in Griechenland und der Türkei ist katastrophal, die Kriegsministerin bestellt Kampfflugzeuge, die US-Atomwaffen transportieren können, unsere Militärausgaben schnellen in astronomische Höhe, die Folgen des Klimawandels werden durch den Lockdown zwar minimal geringer, bleiben allerdings eine bevorstehende Katastrophe von sicher größerem Ausmaß als die aktuelle Pandemie,… Können wir uns bitte wieder von der Nabelschau abwenden und sehen, was jenseits unseres Nabels totgeschwiegen oder mindestens bagatellisiert wird?

Klassengesellschaft und moderner Sklavenhandel

Bürokräfte sind ratzfatz im Homeoffice verschwunden. Verkäuferinnen im Lebensmittelhandel stehen von Anfang mit ihrer Arbeitskraft zur Verfügung und damit unter Virenbeschuss. Und das über viele Wochen ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen. Vom Umgang mit z.B. LKW-Fahrern, ungeschützten Pflegekräften in Kliniken, Arztpraxen, Alten- und Pflegeheimen und Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft aus ärmeren europäischen Ländern ganz zu schweigen. Die einen bekommen ihr Gehalt weiter, die anderen kämpfen um die nackte Existenz. Die einen sitzen geschützt im Homeoffice, die anderen bewegen sich ständig in der Nähe des Virus. Insofern ist dieses auch ein Klassen-Virus, das zwar bei der Wahl seiner Wirte keinen Unterschied nach arm und reich zu machen scheint, die Maßnahmen zum Schutz vor diesem Virus tun dies aber umso mehr.

Geldregen und Schulterklopfen

Das Dogma der „Schwarzen Null“ hat vermutlich nicht zur Lebensverlängerung vieler Menschen beigetragen. Das Grundrentengesetz, das einigen Rentnerinnen und Rentnern ein wenig Erleichterung hätte bringen können, wurde aus fiskalischen Gründen seitens der CDU weiter marginalisiert. Auch die Hartz-IV-Sätze wurden nicht erhöht. Viele andere, die Lebensqualität verbessernde Maßnahmen sind mit Hinweis auf dieses Dogma unterblieben. Unsere „verlotterte“ Infrastruktur spricht Bände. Und jetzt soll es von heute auf morgen nach oben keine Grenzen geben? Entweder wir wurden vor der Krise angelogen oder aber wir werden es jetzt. Der Widerspruch könnte größer nicht sein. Und angesichts der in den Raum gestellten Summen wird mir schwindelig. Noch schwindeliger aber wird mir, wenn ich darüber nachdenke, wer die (zahlenden) Opfer der letzten Krisen, z.B. der Bankenrettung waren und wer es vermutlich wieder sein wird.

Die gelegentlich zitierte, fiktive „schwäbische Hausfrau“ würde es übrigens als komplette Fehlinvestition betrachten, wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau „KfW“ ganzseitige Anzeigen in vermutlich allen großen deutschen Zeitungen schaltet, um auf deren Angebote im Rahmen der Corona-Krise aufmerksam zu machen, und das nicht nur einmalig. Angesichts der schier überbordenden Informationsflut und des sich selbst ständig auf die Schulter klopfenden Vizekanzlers und Finanzministers Olaf Scholz (ob all „seiner“ Wohltaten) waren diese Informationen sicher längst auch im kleinsten Dorf im Bayerischen Wald angekommen. Aber irgendwie müssen die von den Verlegern beklagten Einnahmeausfälle wegen geringerer Werbung schließlich ausgeglichen werden.

Der (Mein-)Eid: Zum Wohle des deutschen Volkes

Die Beliebtheitswerte der „Krisenmanager“ nehmen erstaunliche Ausmaße an. Auch hier spiegelt sich offensichtlich der Wunsch (zumindest der Befragten) nach dem von Westerwelle beschriebenen Mann/Frau wider: „auf jedem Schiff, das dampft und segelt, braucht es eine/n, der es regelt“.

Man wünscht sich, dass diese Umfragen nicht repräsentativ sein mögen. Denn der gleiche Söder, der am Montag n a c h den Kommunalwahlen den Katastrophenfall ausgerufen hat, hat alle Faschingsveranstaltungen, alle Wahlwerbeveranstaltungen für die Kommunalwahlen und alle Starkbierfeste laufen lassen, als das Virus und seine Ansteckungsgefahr bereits bekannt war. Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt. Ich habe Zweifel, dass die Entscheidungsgrundlage jeweils das Wohl des deutschen bzw. bayerischen Volkes war oder ob nicht der weit überwiegende Antrieb die eigene Karriere oder das Wohl der eigenen Partei war. Seltsamerweise wird man mit solchen Vermutungen nahe an Blasphemie gerückt. Wenn schon Schulkinder dem Herrn Söder Masken häkeln (Scherz!) und ihm schreiben, er möge die Maßnahmen doch verlängern, ja dann kann das doch nur einer von den Guten sein, dem es ausschließlich um uns und unsere Gesundheit geht. Marketing jedenfalls kann er, der Söder.

Das Virus – Ein Spalter

Wir wissen immer noch nicht genug darüber, wie gefährlich und wie tödlich das neue Corona-Virus ist. Was wir wissen, ist, dass es bestimmte „Gruppen“ stärker trifft als andere. Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist, dass dieses Virus ein „Spalter“ ist oder mindestens zur Spaltung missbraucht wird (Divide et impera!).

Deshalb wünsche ich mir, dass wir weiter leidenschaftlich (und aufgrund vieler Fakten und sich verändernder Erkenntnisse) diskutieren, gerne emotional, aber die jeweils andere Position nicht abwertend. Erst in der Rückschau werden wir wissen, was falsch, was richtig, was zu spät, zu früh, zu übertrieben oder nicht ausreichend genug war. Erlauben wir nicht, dass uns eingeredet wird, dass es jetzt nicht die Zeit für Diskussionen, sondern die Zeit für Handlungen, Ge- und Verbote sei. Das Recht auf Leben ist ein Grundrecht und ein hohes Gut. Aber auch die Art und Weise des Schutzes dieses Lebens muss diskutierbar und hinterfragbar sein. Jederzeit.