Des Politmachos ramponiertes Image

Des Politmachos ramponiertes Image

Des Politmachos ramponiertes Image

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

In der tiefsten Krise ihres 75-jährigen Bestehens verfolgt die Republik der Philippinen unter Präsident Duterte einen außenpolitischen Kurs, der einen manifesten Streit innerhalb des Regimes auslöst und die Gesellschaft in Zeiten der Pandemie zusätzlich polarisiert. Von Rainer Werning.

Vorbemerkung

Den Beginn des Wonnemonats Mai hatte sich Rodrigo R. Duterte gewiss anders vorgestellt. Vor fünf Jahren fuhr „Digong“, wie die glühenden Anhänger und Trolls den Präsidenten gern nennen, einen fulminanten Wahlsieg ein und trat am 30. Juni 2016 als 16. Präsident der Republik der Philippinen offiziell sein Amt an. Und wie!

Bewusst wahrte er dabei jenes Image, das er zuvor während seiner über 20-jährigen Tätigkeit als Bürgermeister von Davao City, der größten (Hafen-)Stadt im Süden des Landes, zielstrebig gepflegt hatte. Nämlich als strammer „Saubermann“, der sich bevorzugt mit einem Kehrbesen oder einem Maschinengewehr im Anschlag ablichten ließ. Die so transportierte Botschaft in seinem Wahlkampf lautete denn auch klipp und klar: Er werde das „Gesindel der Trapos den Fischen in der Manila-Bucht zum Fraß vorwerfen“ und deren imperiale Herrschaft ebenso beenden wie die grassierende Korruption und ausufernde Drogensucht. „Trapos“ ist die im Lande gebräuchliche Bezeichnung für „traditionelle Politiker“. Aus dem Spanischen übersetzt bedeutet das Wort „Schmutz-“ oder „Schmierlappen“. Womit gleichzeitig und unmissverständlich klar wird, was das „gemeine Volk“ von seinen hoch- und höchstrangigen Vertretern in der Exekutive und Legislative hält. Ja, so Duterte noch kurz vor seinem Amtsantritt, er gedenke zudem als erster „Sozialist“ und „Antiimperialist“ in die Annalen der Geschichte seines Landes einzugehen.

Dumme Kritiker“

„Wo ist unser Präsident?“, fragten sich verdutzt viele Filipinos, als Duterte im April über zwei Wochen lang nicht in der Öffentlichkeit auftauchte. Anfang des Monats dann meldete sich „Digong“ wieder zurück. Und zwar in einem Format, das der durch Krankheit gezeichnete Mann seit dem Jahreswechsel bevorzugt nutzt, um sich an seine Landsleute zu wenden – qua aufgezeichneter Fernsehsendungen, die meist allmontäglich abends ausgestrahlt werden.

Was der 76-jährige Präsident da am 3. und 10. Mai – inklusive einer kurzfristig angesetzten Sondersendung am 5. Mai – über TV kundtat, versetzte selbst engste Freunde in helle Aufregung – und ließ sie teils sprachlos zurück. „Ugok“ (wörtlich: „dumm“) schalt Duterte alle seine Kritiker, die es gewagt hatten, die zunehmende Präsenz chinesischer Schiffe in philippinischen Hoheitsgewässern als „Landesverrat“ zu bezeichnen. Ja, einer dieser Kritiker, der mittlerweile pensionierte Richter am Obersten Gerichtshof der Philippinen, Antonio Carpio, warf Duterte sogar vor, untätig zuzusehen, wie das Land immer mehr Gefahr laufe, zu einer „chinesischen Provinz“ herabgewürdigt zu werden.

In der Sondersendung am 5. Mai zeigte sich Duterte dermaßen erregt, dass er Carpio zum öffentlichen Streitgespräch über die Problematik im Südchinesischen/Westphilippinischen Meer, einer geostrategisch hochsensiblen Region, in der jährlich umgerechnet etwa fünf Billionen US-Dollar an globalem Handelsverkehr abgewickelt werden, herausforderte. Ein solcher Disput sollte auch über den am 12. Juli 2016 ergangenen Schiedsspruch des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag geführt werden, wodurch Manilas Position gegenüber der Volksrepublik China in Fragen der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bekräftigt wurde. Diesen Schiedsspruch hat Duterte aber nie als Erfolg, sondern als lästige Bürde empfunden, um im Gegensatz zu seinen Vorgängerregierungen engere Bande mit Beijing zu knüpfen. Am 5. Mai nannte Duterte auch Carpio namentlich „ugok”, weil dieser den Schiedsspruch begrüßte, während er (Duterte) diesen – dabei vor der Kamera mit einem Zettel wedelnd – als „nur ein Stück Papier“ bezeichnete, das er „in den Papierkorb werfen werde“!

Zu Dutertes Verblüffung nahm Carpio die Herausforderung umgehend an. Was den Präsidenten im Gegenzug dazu verleitete, seinen Pressesprecher Harry Roque in den Ring zu schicken. Gegenüber den Medien hieß es aus dem Präsidentenpalast Malacañang, ein Tête-à-Tête zwischen dem obersten Repräsentanten des Staates und einem „Untergebenen“ sei unangemessen und schade eher dem Ansehen des Landes.

Offener Kabinettsclinch

Öl ins lodernde Feuer goss dann ausgerechnet Manilas Chefdiplomat, Außenminister Teodoro Locsin, Jr. Am 13. Mai ordnete er erneut das Einreichen eines diplomatischen Protests gegen die Anwesenheit von 287 chinesischen Schiffen im Westphilippinischen Meer – einschließlich des innerhalb der AMZ liegenden Julian-Felipe-Riffs – an. Präsidentensprecher Roque hatte demgegenüber zwei Tage zuvor kategorisch erklärt, das Julian-Felipe-Riff sei „niemals im Besitz der Philippinen“ gewesen und man solle die „Angelegenheit nicht unnötig aufbauschen“. Das wiederum brachte Locsin zur Weißglut, der am 13. Mai twitterte: „Vielleicht haben diese Idioten (gemeint waren Roque und eine eigens eingerichtete Nationale Task Force zum Westphilippinischen Meer – RW) beim nächsten Mal das Protokoll gelernt. Ich habe das mit dem Präsidenten in Davao (City, der größten Stadt im Süden des Landes, wo Duterte über zwei Jahrzehnte lang als Bürgermeister amtierte – RW) besprochen. Wir haben eine Krankheit: Jeder und sein Onkel will ein Held sein, der China aus der Anonymität einer Einsatzgruppe heraus bekämpft.”

Derweil mokierten sich die beiden Senatoren Francis Pangilinan und Risa Hontiveros darüber, wessen Interessen eigentlich der Präsidentensprecher in dieser so sensiblen außen- und sicherheitspolitischen Frage vertritt. „Bezieht Roque sein Gehalt aus China?“, wurde Pangilinan Mitte Mai in den philippinischen Medien zitiert. Hontiveros bemängelte indes die widersprüchlichen Äußerungen seitens der Exekutive als Ausdruck dafür, dass offensichtlich niemand die Verantwortung trägt oder übernehmen will.

Für das Kabinettsmitglied Locsin steht außer Frage, wer in dieser brisanten außenpolitischen Angelegenheit das letzte Wort hat – nämlich er selbst. Die Tageszeitung Philippine Daily Inquirer zitiert den Außenminister in ihrer Ausgabe vom 12. Mai wie folgt: „Es gibt nur eine Stimme über das, was uns gehört: meine. Punkt. Nicht einmal das Militär hat ein Mitspracherecht. (…) Lassen Sie (gerichtet an Roque – RW) das Thema fallen und überlassen Sie es ganz dem Außenministerium (DFA) unter mir, dem einzigen Experten auf diesem Gebiet, ohne Ausnahme.“

Dummes Wahlvolk“

Es war dies nicht die erste öffentliche Brüskierung des Präsidenten durch seinen Außenminister. Locsin, den der glühende Duterte-Verehrer und Kolumnist der Manila Times, Rigoberto D. Tiglao, wiederholt einen „eitlen Twitter-König noch vor Trump“ gescholten und als „Schwachkopf“ bezeichnet hatte, war bereits am 3. Mai mit folgendem an die Adresse Beijings gerichteten Tweet angeeckt:

„China, mein Freund, wie höflich kann ich es ausdrücken? Mal sehen … Oh … VERPISS DICH. Was tust du unserer Freundschaft an? Du. Nicht wir. Wir versuchen es. Du. Du bist wie ein hässlicher Flegel, der seine Aufmerksamkeit einem gutaussehenden Kerl aufzwingt, der ein Freund sein will; aber nicht um eine chinesische Provinz zu gründen.“

Zwar entschuldigte sich Locsin wenig später für diesen Fauxpas. Doch geblieben ist ein immenser Imageschaden der gesamten Regierung. Am meisten davon betroffen ist der Präsident selbst. Der nämlich hatte ja als eines seiner zentralen Anliegen im Wahlkampf 2016 versprochen, als „erster Antiimperialist“ in die Annalen der Geschichte seines Landes einzugehen. Mit Blick auf die Präsenz chinesischer Schiffe in philippinischen Hoheitsgewässern prahlte Duterte damals, er werde notfalls mit einem Jet-Ski in der Konfliktregion aufkreuzen und dort die philippinische Flagge hissen. Duterte hatte diese Prahlerei während einer im Fernsehen übertragenen Wahlkampfdebatte als Antwort auf die Frage eines Fischers kundgetan, der wissen wollte, was die Kandidaten als Präsident denn unternehmen würden, um philippinische Fischer davor zu schützen, von Chinas Küstenwache bedrängt und am Fischen gehindert zu werden.

In seiner Fernsehansprache am 10. Mai dazu nunmehr der lapidare Hinweis des Präsidenten: „Wenn Sie das wirklich glauben (…) würde ich sagen, dass Sie wirklich dumm sind.“ Was den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Senat, Panfilo Lacson, sowie zahlreiche Kommentatoren in den Print- und Funkmedien in Rage versetzte. Sie warfen Duterte vor, bewusst getäuscht und einen Großteil seiner Wähler offen betrogen und nunmehr auch noch zutiefst verhöhnt zu haben. Was offensichtlich die vernagelte Fan- und Trollgemeinde Dutertes nicht daran hinderte, ihrem Idol fortgesetzt ungeniert Beifall zu zollen. Schließlich nennen sie sich selbst ja DDS – das steht für „diehard Duterte sympathizers“ („knallharte Duterte-Sympathisanten“).

Bizarre Kehrtwenden

Unmittelbar nach seiner Amtseinführung am 30. Juni 2016 erfolgte Dutertes erste bizarre Kehrtwende. Statt der traditionell engen Bindung an die USA (diese beherrschten die Inseln als einzige Kolonie in Asien von 1898 bis zum 4. Juli 1946), so der frischgekürte Präsident, propagierte er die neue „Achse Manila-Beijing-Moskau“. Wenngleich davon heute so gut wie keine Rede mehr ist und das Verhältnis zu Moskau ohnehin nicht in der ursprünglich gewünschten Form zustande kam, vertrat Duterte als Präsident einen betont chinafreundlichen Kurs, der seitens Beijings unter anderem mit Kreditzusagen in Höhe von umgerechnet annähernd 24 Mrd. US-Dollar honoriert wurde.

Was den verschlagenen Duterte nicht davon abhielt, die Beziehungen zu Washington zu keinem Zeitpunkt ernsthaft auf die Probe zu stellen. Als Duterte nun merkte, dass seine letzten öffentlichen Auftritte nicht nach seinem Gusto verliefen, schwenkte er plötzlich um und erklärte Mitte des Monats, er sei nicht gewillt, die mittlerweile in die Konfliktregion entsandten Schiffe der philippinischen Marine „auch nur Zentimeter zurückweichen“ oder gar „abziehen zu lassen“. Plumper hätte Duterte die Außenpolitik Manilas nicht selbst desavouieren und ad absurdum führen können.

Des Präsidenten jämmerliche Performance bot offensichtlich den Hintergrund dafür, dass pensionierte Militär- und Polizeioffiziere Duterte und sein Kabinett Mitte Mai aufforderten, endlich Differenzen über die „anhaltende Aggression Chinas im Westphilippinischen Meer zurückzustellen“. In einer Erklärung sagten die Advocates for National Interest (ANI) unter dem Vorsitz des pensionierten Generals und früheren Generalstabschefs Edilberto Adan, es sei an der Zeit, „endlich über parteipolitische Grenzen hinweg den Schutz und die Verteidigung unserer Souveränität und unseres Territoriums als eine nationale Verpflichtung zu betrachten.“ Da sich Duterte vis-à-vis Beijing trotz wiederholter diplomatischer Proteste meist freundlich verhalten habe, „sollten wir uns endlich auf die Seite des philippinischen Volkes stellen. Unsere Bürger dürfen sich nicht unwissentlich auf die Seite Chinas begeben“, heißt es weiter in der Erklärung der ANI.

Die Gruppe fügte hinzu, Filipinos sollten wissen, dass ein „Informationskrieg“ im Gange sei, der psychologische, propagandistische und mediale Mittel einsetzt, um Chinas unrechtmäßige Handlungen im Westphilippinischen Meer zu rechtfertigen und somit Beijings Narrativ zu befördern. Schließlich wandten sich die ANI gegen die von Duterte stets vehement verfochtene Version, ein aktives Engagement im Westphilippinischen Meer zur Wahrung der eigenen Souveränität würde unweigerlich „zu einem Krieg führen“. Bei Redaktionsschluss dieses Beitrags schwenkte Duterte erneut um und beschied China, die „innige Freundschaft“ könne ein Ende haben, während er an die Adresse Washingtons die Message richtete, „uns (die Philippinen – RW) in Ruhe zu lassen.“

Veritable Probleme

Derweil dauert die wirtschaftliche und soziale Malaise infolge der COVID-19-Pandemie unvermindert an und nach wie vor bilden die Philippinen mit Abstand das Schlusslicht in der gesamten Region Ostasien/Pazifik. „Erhöhte Inflation, eine große Produktionslücke, ein neuerliches Auftreten von COVID-19-Infektionen und die begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoffen sind alles Gründe zur Besorgnis“, schrieb Katrina Ell, Ökonomin im Sydney-Büro der Ratingagentur Moody’s Analytics, in ihrem Bericht vom 25. März mit dem Titel „Die Philippinen bereiten Sorgen“ (im Original: „Asia-Pacific Daily Briefing: The Philippines Is a Worry“). Allein im vergangenen Jahr sackte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um annähernd zehn Prozent ab – der dramatischste Wirtschaftseinbruch in der knapp 75-jährigen Geschichte der am 4. Juli 1946 von den USA in die Unabhängigkeit entlassenen Republik der Philippinen.

Im ersten Quartal dieses Jahres ging das BIP um 4,2 Prozent zurück, während die Inflationsrate auf 4,5 Prozent anstieg. Neben Millionen vernichteten Arbeitsplätzen, Tausenden stillgelegter Unternehmen und extrem schleppenden Impfungen (bis dato lediglich 1,3 Prozent des 108 Millionen Einwohner zählenden Landes) grassiert erstmals in der Geschichte der Republik vielerorts Hunger. Eine „katastrophale“ Situation, von der Analysten der in Manila beheimateten Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) sowie Aaditya Mattoo, Chefökonom der Weltbank für Ostasien und den Pazifikraum, meinen, dass sie bis mindestens Frühjahr 2023 anhält.

Titelbild: hyotographics/shutterstock.com

Quellenhinweis

Die im Text verwendeten Zitate stammen ausschließlich aus folgenden philippinischen Quellen, die im Zeitraum vom 1. bis zum 15. Mai 2021 ausgewertet wurden: Manila Bulletin; Manila Times, Philippine Star, Philippine Daily Inquirer sowie aus den beiden Online-Portalen Rappler & Bulatlat.

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