„Deutschland hat sich bei dem Deal erpressen lassen“

„Deutschland hat sich bei dem Deal erpressen lassen“

„Deutschland hat sich bei dem Deal erpressen lassen“

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Die Bundesregierung sponsert die Ansiedlung eines Intel-Werks in Magdeburg mit knapp zehn Milliarden Euro – einfach so, bloß gegen das Versprechen des US-Chipherstellers, 3.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Mehr braucht es heute nicht mehr für Megaunternehmen, die Steuerzahler um Unsummen zu erleichtern. Für den linkskeynesianischen Ökonomen Rudolf Hickel ist das Ausdruck einer Zeitenwende, bei der es nur mehr um „eiskalte, rücksichtslose Konkurrenz“ zwischen Konzernen geht, „die den Staat als willfährigen Erfüllungsgehilfen vor sich her treiben“. Dagegen hätten alle Ansätze zur Regulierung, Besteuerung und Zerschlagung der Monopole fürs Erste ausgedient, beklagt er im Interview mit den NachDenkSeiten. Mit dem Wirtschaftswissenschaftler sprach Ralf Wurzbacher.

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Herr Hickel, die Bundesregierung will dem US-Chip-Hersteller Intel aus Bundesmitteln knapp zehn Milliarden Euro an Subventionen zur Ansiedlung eines Werks in Magdeburg bereitstellen. Den Deal haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Konzernchef Patrick Gelsinger am Montag mit ihrer beider Unterschrift perfekt gemacht. Ursprünglich wollte die Ampelregierung „nur“ 6,8 Milliarden Euro an Fördergeldern ausschütten, jetzt sind es drei Milliarden Euro mehr geworden. Machen Sie sich Sorgen um das viele Geld?

Zur Begründung der Zugabe heißt es ja, Intel werde anders als zunächst geplant nicht 17 Milliarden Euro, sondern 30 Milliarden in den Standort investieren. Also müsse auch der Bund entsprechend nachlegen, und zwar durch die Erhöhung der Finanzhilfen auf 9,9 Milliarden Euro. Das mag irgendwie folgerichtig klingen, verstärkt aber eigentlich nur den Eindruck, dass sich die Bundesregierung mit der Unterstützung dieses Investments in einer klaren Abhängigkeit von Intel befindet. Man könnte auch schärfer formulieren: Deutschland hat sich bei dem Deal erpressen lassen und der US-Konzern seine strukturelle Übermacht gegenüber der Politik demonstriert.

Die Frage ist doch, was bekommt die Ampelregierung beziehungsweise die BRD im Gegenzug für die Großzügigkeit? Einen auf Dauer gesicherten Industriestandort, ordentlich bezahlte Arbeitsplätze in großer Zahl, eine strukturelle Aufwertung der Region …

Erst einmal gehe ich davon aus, dass dies ein langfristig gesichertes Engagement ist. Abzuwarten bleibt allerdings, ob am Ende tatsächlich das ganze Volumen von 30 Milliarden Euro realisiert wird. Da sind wir dann schon beim Eingemachten, denn ein weltweit agierender Konzern investiert nicht ins Blaue hinein, sondern immer in Abhängigkeit von den erwarteten Profiten. Und sollte sich im Bereich der hochwertigen Chipproduktion in den kommenden Jahren eine Krise abzeichnen, kann eine Standortplanung auch schnell revidiert werden. An dieser Stelle wird das ganze erpresserische Ausmaß offenbar. Vertretbar sind öffentliche Subventionen, zumal in dieser Größenordnung, allenfalls dann, wenn es dafür eine belastbare Standortgarantie gibt, etwa für zehn Jahre oder besser noch mehr.

Die Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, gab dieser Tage zu bedenken, dass Mikrochipfabriken innerhalb weniger Jahre „völlig veraltet“ sein können. Deshalb müssten staatliche Zuschüsse mit Investitions- und Forschungszusagen sowie Jobgarantien über einen längeren Zeitraum verknüpft sein. Mit Blick auf Intel und vergleichbare Industrieansiedlungen in Ostdeutschland fehle eine solche „klare Strategie des Staates“, meint Fahimi. Wie ist Ihr Eindruck?

Fahimi ist voll zuzustimmen. Ich habe das verfügbare Material zu der Intel-Ansiedlung gesichtet und kann dabei nichts finden, was erkennen lässt, dass die Bundesregierung auf harten und vertraglich verbrieften Gegenleistungen für ihre Milliardenbeihilfen besteht. Schließlich ist die Rede von insgesamt 10.000 Jobs, davon 3.000 feste und hochqualifizierte Arbeitsplätze im künftigen Chipwerk. Man stelle sich vor, die Menschen werden morgen eingestellt und übermorgen wieder auf die Straße gesetzt, weil die Geschäfte nicht die erhofften Profite bringen. Das würde die Region weiter zurückwerfen. Deshalb: Ohne echte Standortgarantie vor allem im Bereich der Jobs und der tariflich abgesicherten Arbeitsverhältnisse könnte die ganze Unternehmung zum Schuss in den Ofen werden.

Gleichwohl verspricht sich Intel ja zunächst einmal etwas davon.

Klar, die wollen viel Geld verdienen und spannen dafür die Bundesregierung vor ihren Karren. Beachtlich ist der Vorgang noch aus einem anderen Grund: Vor ein paar Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass ein US-Industriegigant auf der grünen Wiese an der Elbe so ein Projekt stemmt. Manche sprechen hier von einem Zeichen für das „decoupling, übersetzt „Entkoppeln“. Dahinter steht die Vorstellung, Wirtschaftswachstum könnte es auch ohne steigende Umweltbelastung geben, weshalb man von der Dreckschleuderproduktion in Billiglohnländern abrücken würde.

Das ist Augenwischerei. Nicht eine plötzlich eingekehrte ökologische Vernunft oder sozialpolitische Verantwortung sind die Treiber dieser Entwicklung. Es geht schlichtweg um die materielle Gewalt der jüngsten Krisen der Globalisierung, vor allem die Lieferkettenproblematik, die gerade den Nachschub an Mikrochips monatelang ins Stocken brachte. Deshalb geht man jetzt nicht mehr so ganz aggressiv an den billigsten Standort mit den minderwertigsten sozialen und ökologischen Bedingungen. Lieber sucht man sich Standorte in vergleichsweise sicheren Regionen, verbunden allerdings mit höheren Ausgaben für Beschäftigte und Logistik. Und eben für diese Mehrkosten werden dann zum Einstieg hohe Subventionen der Allgemeinheit abverlangt.

Dabei blühen Intel noch viel mehr Beihilfen: Das Land Sachsen-Anhalt wird gewiss einiges springen lassen und außerdem soll der Konzern mit einem billigen Industriestrompreis gepampert werden. So wird Profitmachen ziemlich leichtgemacht.

Ohne Frage wird das ganze Drumherum, also die Erschließung, die logistische Anbindung, die Wasserversorgung, die Menschen in Sachsen-Anhalt noch einiges mehr kosten. Und den günstigen Strom – die Rede ist von zehn Cent pro Kilowattstunde über 20 Jahre – bezahlt der Normalverbraucher beziehungsweise der Steuerzahler.

Intel hat in den vergangenen fünf Jahren fast 100 Milliarden Dollar Nettogewinn eingestrichen. Da fragt man sich schon, ob sich die Expansion nicht auch aus eigener Kasse zahlen ließe?

Natürlich könnte Intel das. Aber wir erleben tatsächlich so etwas wie eine Zeitenwende, was die polit-ökonomischen Machtverhältnisse und Interdependenzen zwischen Staat und Wirtschaft in der globalen Welt betrifft. Der protektionistische Schub, der schon unter Donald Trump einsetzte und der sich mit dem Inflation Reduction Act der Biden-Administration noch zugespitzt hat, schwappt jetzt mit voller Wucht auf Europa über. Das löst einen nie dagewesenen Subventionswettlauf aus, begünstigt noch durch andere Faktoren: den Ukraine-Krieg, das demonstrative Zusammenstehen gegenüber dem russischen Feind, die Energiekrise. Das Ganze gipfelt jetzt in einer Art Beggar-My-Neighbour-Politik, neuerdings auf der Ebene von monopolistischen Konzernen.

Was hat das alles noch mit Kapitalismus zu tun, dem freien Spiel der Kräfte und der Erzählung, dass der Staat sich aus dem Marktgeschehen herauszuhalten habe?

Faktisch nichts mehr. Die Beschwörung des freien Marktes, der alles regelt und wie eine Maschine zur Wohlstandserzeugung für alle wirkt, war immer schon eine Lüge. Es sind zwar die neoliberalen Ökonomen, die jetzt lauthals gegen die neue Subventionitis wettern. Dabei haben sie mit ihrem Verzicht auf eine scharfe Wettbewerbspolitik mit ihrer verqueren Ideologie die monopolistische Konkurrenz jahrzehntelang befördert. Sie haben sich nie im Kampf gegen Monopolmacht engagiert. Durch die drei großen Krisen, die der Infektionen (Corona), der Inflation und der Intervention (Ukraine) hat sich das Wirtschaftsgeschehen noch einmal massiv verschoben, von einer vormals überwiegend marktbestimmten hin zu einer politisch bestimmten Produktion unter deregulierter Macht der Konzerne.

Dazu zwei Beispiele: Der Solarzellenfabrikant Meyer Burger mit Sitz im schweizerischen Thun hat in einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) unverhohlen damit gedroht, seine Investitionsvorhaben für Deutschland zu annullieren, um stattdessen in Übersee zu expandieren. Begründung: „In den USA rollt man uns den roten Teppich aus“. Zweitens will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Unternehmen im Bereich Zukunftstechnologien mit einem billigen Industriestrompreis entgegenkommen. Wo soll das alles enden und wer soll das alles bezahlen?

Macht Meyer Burger seine Drohung wahr, hätten wir in Europa überhaupt keinen Solarzellenhersteller mehr. Dann wäre auf dem Gebiet nicht mehr China unser vermeintlich böser Widersacher, sondern die USA mit ihrem imperialistischen Protektionismus. Dabei sind es die tonangebenden Monopolkonzerne, die den Staat als willfährigen Erfüllungsgehilfen vor sich her treiben. Das ist eine neue Variante eines staatsmonopolistischen Kapitalismus – jetzt auf globaler Ebene mit Blockbildung. Wo soll das enden? Ich weiß es nicht. Wer soll das bezahlen? Die einfachen Leute. Denn schlechter als heute standen die Chancen für eine stärkere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften oder Unternehmen wohl noch nie.

Sie sprechen es an: Es gab in jüngerer Vergangenheit ja zumindest Denkansätze, global agierende Konzerne wie Google, Apple und Co. endlich wirksam zu besteuern, Steueroasen zu schließen oder eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Kann man das angesichts der neueren Entwicklung nicht alles vergessen?

Vergessen sollte man es nicht, denn besagte Instrumente bleiben die Mittel der Wahl, um den kapitalistischen Krisen eines Tages vielleicht doch noch Herr zu werden. Richtig ist, dass diese im Zeichen des polarisierten Protektionismus – von wegen America First, Germany First, Japan First – in der politischen Debatte praktisch keine Rolle mehr spielen. Es geht nur noch um eine eiskalte, rücksichtslose Konkurrenz der Konzerne, die durch die Staaten nicht zerschlagen, sondern gehätschelt und gepäppelt werden. Wir erleben also das genaue Gegenteil dessen, worüber bis vor kurzem noch recht aussichtsreich diskutiert wurde: Wie kann man Konzerne zerschlagen, um ihre geostrategische Macht zu brechen, wie sie bestrafen, wenn sie keine Steuern zahlen? Die Profitlogik bestimmt die Ausbeutung von Mensch und Natur.

Man stelle sich vor, so wie es hier Jens Berger am Mittwoch geschrieben hat, statt Intel zehn Milliarden Euro hinterherzuwerfen, das viele Geld in die Förderung von Jungunternehmern zu stecken. Sprängen dabei nicht ein paar mehr als nur 3.000 zukunftsträchtige Jobs heraus?

Ohne Frage Ja und das wäre eine Standortpolitik, die den Namen verdient, mit einer zukunftsweisenden Regionalisierung und Diversifizierung der Wirtschaftsstrukturen. Stattdessen setzt die Politik auf die ganz Großen, wodurch sich der Staat in eine brutale Abhängigkeit begibt und die Risiken und Konsequenzen eines Scheiterns ungleich größer sind. Wenn ein Großkonzern hüstelt, dann droht die Lungenentzündung an vielen seiner Standorte.

Zumal bei fehlenden Standortgarantien?

Wie gesagt: Die gibt es im Fall Intel nach Lage der Dinge nicht. Aber selbst wenn es sie gäbe, wäre auch darauf kein Verlass. Ich habe mich lange mit der regionalen Wirtschaftsstrukturpolitik befasst und kenne aus den letzten 20 Jahren kein einziges Beispiel einer subventionierten Firmenansiedlung, bei dem die paraphierten Bedingungen zum Erhalt oder Ausbau des Standorts, zu ökologischen Auflagen oder Fragen der Entlohnung eins zu eins eingehalten wurden.

Der Fall erinnert stark an die Tesla-„Gigafabrik“ in Brandenburg. Dabei gibt es schon jetzt erste Hinweise, der Autobauer könnte hinter seinen Produktionszielen zurückbleiben. Nicht gerade ein gutes Omen für Magdeburg …

In der Tat und die Sache wird nicht besser, wenn man sich vor Augen führt, wie das Projekt bezahlt werden soll und auf wessen Rechnung das geht. Tatsächlich will die Bundesregierung die Beihilfen mit Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten im Rahmen des Klima- und Transformationsfonds querfinanzieren. Das ist eine zweckentfremdete Nutzung mit einer sozial-ökologisch doppelten Fehlwirkung. Denn eigentlich soll der Fonds Maßnahmen zur Energieeinsparung sowie sozialen Ausgleichszahlungen für von steigenden Energiepreisen belastete Haushalte zugutekommen. Nun wird etwa die Spritpreiserhöhung durch die CO₂-Abgabe, die auch die sozial schwachen Pendler trifft, für die Subventionierung von Intel missbraucht.

Den Großen wird gegeben, den Kleinen genommen.

Schließlich stellt sich die Frage, wer die Zehn-Milliarden-Euro-Subvention am Ende bezahlt. Auskunft geben die laufenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024. Die FDP blockiert Steuererhöhungen für Vermögende und Erben, die Schuldenbremse wird wieder strikt eingehalten und dazu kommen noch die irren Ausgaben für die Bundeswehr. Das alles wird am Ende wohl nur zu weiteren Einschnitten im Sozialstaat führen.

Titelbild: © privat

Zur Person: Rudolf Hickel, Jahrgang 1942, ist Professor für Finanzwirtschaft und leitet die Forschungsstelle „Wirtschaft und Finanzen“ am Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen. Der 81-Jährige verfolgt einen nachfrageorientierten Ansatz in der Wirtschaftspolitik und tritt als Vertreter einer postkeynesianischen Position für hohe Löhne, schlagkräftige Gewerkschaften, Arbeitszeitverkürzungen und den ökologischen Umbau der Wirtschaft ein. Gemeinsam mit den Ökonomen Jörg Huffschmid und Herbert Schui hat er 1975 die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ gegründet, die alljährlich ein „Gegengutachten“ zu den Empfehlungen des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (die „fünf Weisen“) vorlegt. Hickel ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC und saß für die Arbeitnehmerseite in diversen Aufsichtsräten deutscher Unternehmen.

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