Trotz Warnung von Sicherheitsexperten: Pistorius verstößt mit dauerhafter Stationierung einer Kampfbrigade in Litauen gegen NATO-Russland-Grundakte

Trotz Warnung von Sicherheitsexperten: Pistorius verstößt mit dauerhafter Stationierung einer Kampfbrigade in Litauen gegen NATO-Russland-Grundakte

Trotz Warnung von Sicherheitsexperten: Pistorius verstößt mit dauerhafter Stationierung einer Kampfbrigade in Litauen gegen NATO-Russland-Grundakte

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

„Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren”, erklärte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem gemeinsamen Besuch mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 26. Juni in Vilnius. Doch mit diesem Schritt verstößt Pistorius wissentlich gegen die NATO-Russland-Grundakte. In diesem völkerrechtlichen Dokument versichert die NATO, „zusätzlich substanzielle Kampftruppen“ werde das Bündnis nicht „dauerhaft“ in den Staaten des ehemaligen Ostblocks stationieren. Die NATO hatte erst im April 2023 erneut betont, dass sie sich „voll und ganz“ an die NATO-Russland-Grundakte halten wird. Auch Sicherheitsexperten regierungsnaher Denkfabriken wie der SWP und ranghohe Bundeswehr-Generäle hatten zuvor vor so einem Schritt gewarnt. Von Florian Warweg

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es gilt bis heute als unklar, wie es zu dieser Zusage des amtierenden deutschen Verteidigungsministers kam. Nach übereinstimmenden Medienberichten sorgte dieser Schritt von Pistorius für Irritation und Verwunderung bei breiten Teilen von Politik wie Militär. So berichtet beispielsweise die NZZ:

„Die Ankündigung von Boris Pistorius, eine schwere Brigade mit 4.000 Soldaten fest in Litauen zu stationieren, hat den Bundestag und die Streitkräfte offenkundig sehr überrascht. Selbst in höchsten militärischen Ämtern scheint niemand vorab informiert gewesen zu sein. Ranghohe Militärs hatten zuvor von einer solchen Festlegung abgeraten.“

Völlig neu ist die Idee jedoch nicht. Es war Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich, welcher im August 2022 im Rahmen seiner damaligen Baltikum-Reise, scheinbar ohne vorherige Rücksprache mit der Bundeswehr-Generalität, erklärt hatte, er könnte sich die feste Stationierung einer Kampfbrigade in Litauen vorstellen. Allerdings sollen ihn dann Führungskräfte der Bundeswehr regelrecht zurückgepfiffen und ihm darlegt haben, dass dies eigentlich nicht leistbar sein. Seitdem hat Scholz seine damalige Aussage auch nie wieder aufgegriffen.

Das jetzige Vorpreschen von Pistorius sorgt daher weitflächig für Überraschung. Auch der bekannte und als in Bundeswehrkreisen gut vernetzt geltende Militärblogger Thomas Wiegold schreibt dazu in seinem Blog Augen geradeaus! :

„Die Aussage von Pistorius kam deshalb gleich mehrfach überraschend. Zum einen hatte die Bundesregierung die dauerhafte Stationierung der Brigade oder auch nur wesentlicher Teile bislang abgelehnt, unter anderem mit Verweis auf die fehlende Infrastruktur. Zum anderen gehörte Deutschland bislang zu den Nationen, die im Gegensatz zu osteuropäischen NATO-Staaten an der Vereinbarung in der NATO-Russland-Grundakte festhielten, keine substanziellen Kampftruppen dauerhaft auf dem Territorium ehemaliger Mitglieder des Warschauer Vertrags zu stationieren.“

Die NATO-Russland-Grundakte, offiziell als „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation“ bezeichnet, wurde am 27. Mai 1997 in Paris als völkerrechtliche Absichtserklärung zwischen der NATO und Russland unterzeichnet. Gleich zu Beginn der Erklärung heißt es:

„Die Nordatlantikvertrags-Organisation und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die Russische Föderation andererseits, im Folgenden als NATO und Russland bezeichnet, gestützt auf eine auf höchster politischer Ebene eingegangene dauerhafte politische Verpflichtung, werden gemeinsam im euro-atlantischen Raum einen dauerhaften und umfassenden Frieden auf der Grundlage der Prinzipien der Demokratie und der kooperativen Sicherheit schaffen.“

Am Rande der Unterzeichnung des völkerrechtlichen Dokuments hatte der damalige Präsident der Russischen Föderation, Boris Jelzin, für alle Teilnehmer überraschend erklärt:

„Ich habe soeben beschlossen, alle Atomsprengköpfe abbauen zu lassen, die gegen Ihre Länder gerichtet sind.“

Der damalige ARD-Korrespondent in Paris sprach von „großes Erstaunen bei der NATO, aber auch bei der russischen Delegation und ein Jelzin, der sich diebisch freut über den Überraschungscoup.“

Diese völkerrechtliche Erklärung, ausgefertigt in drei Sprachen – Englisch, Französisch und Russisch –, wurde auf der einen Seite von den Staats- und Regierungschefs aller NATO-Mitgliedsstaaten und dem damaligen NATO-Generalsekretär sowie auf der anderen von Russlands Präsident Boris Jelzin unterschrieben. Das Papier sollte das Verhältnis zwischen dem Nordatlantischen Bündnis und Russland völlig neu begründen. Der Eingangstext liest sich wie ein Dokument aus längst vergangenen Zeiten:

„Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken. Diese Akte bekräftigt die Entschlossenheit der NATO und Russlands, ihrer gemeinsamen Verpflichtung zum Bau eines stabilen, friedlichen und ungeteilten, geeinten und freien Europas zum Nutzen aller seiner Völker konkreten Ausdruck zu verleihen.

Die Übernahme dieser Verpflichtung auf höchster politischer Ebene stellt den Beginn grundlegend neuer Beziehungen zwischen der NATO und Russland dar. Beide Seiten beabsichtigen, auf der Grundlage gemeinsamen Interesses, der Gegenseitigkeit und der Transparenz eine starke, stabile und dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln.“

Bei Punkt IV der Akte zu „Politisch-Militärischen Angelegenheiten“ beteuert die NATO, dass sie „nicht die Absicht und keine Pläne“ habe, „nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch die Notwendigkeit sehen, das Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern – und dazu auch in Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehen.“ Dies schließe die Tatsache ein, dass die NATO entschieden hat, sie habe nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass, nukleare Waffenlager im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten einzurichten.

Es ist in diesem Punkt IV der Akte, in dem auch aufgeführt ist, dass die NATO verspricht, „substanzielle Kampftruppen“ nicht dauerhaft in osteuropäischen NATO-Staaten zu stationieren.

In diesem Zusammenhang gibt es zahlreiche Stimmen aus dem transatlantischen Lager, die behaupten, die NATO hätte spätestens mit dem Beginn des Ukraine-Krieges die Grundakte aufgekündigt beziehungsweise sähe sich nicht mehr an diese gebunden. Doch diese Behauptung ist nachweislich falsch. In einem NATO-Dokument von April 2022 wird eindeutig erklärt:

„Die NATO hält sich voll und ganz an die NATO-Russland-Grundakte.”

In diesem Zusammenhang betont die NATO ebenfalls, dass das Bündnis am vereinbarten Rotationssystem festhalten werde.

Wir halten fest: Mit seiner Initiative einer festen Stationierung von 4.000 Kampfsoldaten an der sogenannten „NATO-Ostflanke“ in Litauen stößt Pistorius nicht nur seine eigene Generalität vor den Kopf und ignoriert die Empfehlungen von Beratern der Bundesregierung, nein, er steht damit sogar im Widerspruch zu offiziellen NATO-Verlautbarungen.

Selbst Markus Kaim, verantwortlich für den Bereich Sicherheitspolitik bei der regierungsnahen Denkfabrik Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), welche zur Aufgabe hat, die Bundesregierung zu sicherheitspolitischen Themen zu beraten, warnte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor einer Aufkündigung der NATO-Russland-Grundakte:

„Das wäre eine Steilvorlage für die russische Propaganda im Moment. Da frage ich mich, wem würde man damit nutzen? Es gibt eine Zukunft nach Präsident Putin, wie auch immer die aussehen wird. Und die lautet ein gedeihliches, kooperatives, westlich russisches Verhältnis, was wir zumindest, der Westen, wir die NATO, nach wie vor anstreben. Weil das wäre auch ein nicht unwichtiges Signal, daran festzuhalten, auch in schwierigen Zeiten.“

Doch statt zumindest perspektivisch ein „gedeihliches, kooperatives, westlich russisches Verhältnis“ anzustreben, scheint Pistorius komplett und langfristig mit Russland brechen zu wollen.

Titelbild: Bundeswehr/Lea Bacherle

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