Kanzler Merz gibt den deutschen Donald Trump und bedankt sich bei Netanjahu für die „Drecksarbeit“, die „Israel für uns alle“ erledige, und spielt dabei auf die angebliche Bedrohung durch eine iranische Atombombe an. Die sieht neuerdings auch Donald Trump selbst als Bedrohung, obgleich seine Geheimdienste ganz anderer Meinung sind und Israel die US-Regierung in der letzten Woche mit seinen „Beweisen“ nicht überzeugen konnte. Dabei hat die Behauptung, Iran stünde „kurz vor der Atombombe“, durchaus Tradition. Seite Mitte der 1990er hatte die israelische Regierung nahezu jährlich „Beweise“ dafür vorgelegt, dass Iran binnen eines Jahres die Bombe haben würde. Doch offenbar ist das Langzeitgedächtnis von Merz und Trump nicht mehr das beste. Von Jens Berger.
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Kurz vor Beginn des israelischen Angriffskriegs gegen den Iran versuchte die israelische Regierung die USA mit allen Mitteln als Verbündeten – oder besser „Partner in Crime“ – zu gewinnen. Doch die „Beweise“, die die Israelis vorlegten, konnten die Amerikaner nicht überzeugen, wie nun das Wall Street Journal unter Berufung auf gleich vier hochrangige Offizielle, die an den Gesprächen teilnahmen, berichtet. Laut diesen Quellen hätten die Geheimdienstinformationen der Israelis lediglich gezeigt, was schon länger bekannt war – Iran forscht an Technologien zum Bau von Atomwaffen. Sie zeigten aber nicht, dass Iran eine Atombombe, deren Komponenten oder die Produktionsstätten, die dafür nötig sind, baut, noch dass es einen Befehl der iranischen Regierung gäbe, dies zu tun.
Dies deckt sich mit der Einschätzung der US-Geheimdienste. Deren Koordinatorin Tulsi Gabbard hatte erst im März dieses Jahres in einer Anhörung gesagt, dass Iran nach Kenntnis der US-Geheimdienste nicht an einer Atombombe baue und dass es unter den Diensten Konsens sei, dass es innerhalb der iranischen Regierung auch keine Entscheidung gäbe, daran etwas zu ändern. Iran sehe den Bau einer eigenen Atombombe jedoch als Option und wolle sich diese Option durch die Anreicherung von Uran und Forschungsarbeiten auf dem Gebiet erhalten, so Gabbard. Aber das ist – so die US-Experten – keine neue Nachricht und deute keinesfalls darauf hin, dass Iran in absehbarer Zeit tatsächlich eigene Atombomben entwickeln und bauen könne.
Doch Donald Trump interessiert sich offenbar nicht dafür, was seine Geheimdienste und Experten sagen und denken. In einem kurzen Statement wischte er die Aussage von Gabbard einfach weg: „Es ist mir egal, was sie gesagt hat. Ich glaube, sie standen kurz davor, eine Atomwaffe zu haben.“ Trump selbst glaubt also den vagen israelischen „Beweisen“ mehr als den Erkenntnissen der US-Geheimdienste und den Einschätzungen seiner eigenen Experten. Das hat bei ihm durchaus Tradition.
Die Anfänge des iranischen Atomprogramms reichen bis in die 1960er-Jahre zurück, als Iran noch vom Schah regiert wurde und mit den USA eng befreundet war. Den ersten iranischen Atomreaktor in Buschehr bauten übrigens zunächst westdeutsche Konzerne. Es folgten die Revolution und der Erste Golfkrieg gegen den Irak. Iran setzte sein Atomprogramm danach fort, wobei man jedoch zwischen dem zivilen und dem militärischen Atomprogramm unterscheiden muss. Und genau hier kam es immer wieder zu Konflikten. Während die iranische Regierung stets betont, ihr Atomprogramm habe einen rein zivilen Charakter, wird dies von vielen Seiten mehr oder weniger scharf infrage gestellt.
Und Fragezeichen sind hier auch berechtigt. So kann Iran keinen wirklich plausiblen Grund vorlegen, warum man so viel Energie in die Produktion von hoch angereichertem Uran steckt, das für die zivile Nutzung nicht nötig ist. Zwischen den Zeilen sieht es eher so aus, als lägen die US-Dienste schon ganz richtig. Iran will sich zwar die Option zum Bau von Atomwaffen offenhalten, hat dabei aber anscheinend noch keine rote Linie überschritten, die als Bruch des Atomwaffensperrvertrags interpretiert werden kann. Dies ist seit den frühen 2000er-Jahren so und daran hat sich – zumindest laut US-Diensten und IAEO – auch nichts maßgeblich geändert.
Warum dann der Alarmismus, den vor allem Israel stetig streut? Seit 1998 ist kaum ein Jahr vergangen, in dem Israel nicht in schrillen Tönen behauptet hat, dass der Iran kurz vor dem Bau einer Atombombe stünde. Seit den 2010er-Jahren ist übrigens auch kaum ein Jahr vergangen, in dem israelische Geheimdienste und Spezialtruppen nicht das iranische Atomprogramm mit Cyberwaffen, Anschlägen und der gezielten Ermordung iranischer Wissenschaftler aktiv sabotiert hätte. Nun könnte man ja denken, ohne die israelischen Sabotageakte hätten sich die Warnungen ja als korrekt herausstellen können. Doch dies würde allen anderen Berichten und Einschätzungen, die unter anderem von der dafür zuständigen IAEO stammen, fundamental widersprechen.
Die aktuellen Warnungen Israels stehen ganz in dieser Tradition. Wieder einmal warnt man entgegen sämtlichen Berichten und Einschätzungen aller anderer Experten davor, Iran stünde kurz vor dem Bau einer Atombombe. Der IAEO-Direktor Rafal Grossi widerspricht dem vehement – genauso wie es zuvor seine Vorgänger Hans Blix, Mohammed el-Baradei und Yukiya Amano schon taten.
Auch wenn die Angriffe Israel auf Iran ohnehin nicht vom Völkerrecht gedeckt sind, so ist auch die zentrale Begründung Israels für diesen offensichtlichen Bruch des Völkerrechts zumindest fadenscheinig.
Dabei gab es sogar eine kurze Periode, in der das iranische Atomprogramm unter lückenloser internationaler Kontrolle stand und sogar die üblichen israelischen Warnungen kein Gehör fanden. 2015 unterzeichneten nach langen Verhandlungen die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, sowie Deutschland und Iran das Wiener Abkommen über das iranische Atomprogramm. 2018 wurde dieses Abkommen beerdigt – nicht durch Iran, sondern durch Donald Trump, der damals von niemand anderem als seinem Freund und damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu diesem Schritt gedrängt wurde.
Titelbild: Tomasz Makowski/shutterstock.com