„Während sie zum Krieg rüsten, müssen wir den Widerstand organisieren“

„Während sie zum Krieg rüsten, müssen wir den Widerstand organisieren“

„Während sie zum Krieg rüsten, müssen wir den Widerstand organisieren“

Ein Artikel von: Redaktion

„Für die Unterdrückten dieser Welt geht es beim Völkermord in Gaza um ihre Existenz”, sagte die Palästinenserin Layla Hazaineh in ihrer Rede beim Internationalen Forum für Frieden in Brüssel. Sie ruft progressive Kräfte auf der ganzen Welt dazu auf, sich zu organisieren. Es brauche koordinierte Aktionen, um die Verbrechen zu stoppen und die Strukturen abzuschaffen, die sie ermöglichen. Frieden sei nicht die Abwesenheit von Konflikten, sondern erfordere Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit erfordere die Konfrontation mit den Systemen und Allianzen, die Gewalt produzieren, finanzieren, schützen und von ihr profitieren.” Die NachDenkSeiten dokumentieren für ihre Leser die eindrückliche Rede. Von Redaktion.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mein Name ist Layla Hazaineh, ich bin Palästinenserin und ich bin zu diesem Forum gekommen, um euch an eine Warnung zu erinnern.

Es ist eine Warnung, die der kolumbianische Präsident Gustavo Petro bereits im vergangenen Oktober ausgesprochen hat: Der Völkermord in Gaza ist nicht nur eine Frage der Menschenrechte, des Friedens oder der Befreiung Palästinas.

Der anhaltende Völkermord in Gaza und die Rückendeckung, die ihm von Israels Unterstützern hier in Europa gewährt wird, ist eine Warnung an alle, die es wagen, den Westen mit seinem obszönen Konsum, seiner Sucht nach Ausbeutung und seiner endlosen Gewalt gegen die armen und unterdrückten Völker der Welt herauszufordern.

Das ist in einem sehr direkten Sinne wahr: Während des gesamten Völkermords und schon lange davor wurde das palästinensische Volk als Versuchskaninchen in einem grausamen Experiment behandelt, in dem die neuesten Kriegstechnologien erprobt worden sind, bevor sie an anderen Orten des Konflikts oder der Repression eingesetzt werden.

Auf der anderen Seite nimmt eine Agenda der Gerechtigkeit Gestalt an. Progressive Kräfte auf der ganzen Welt organisieren sich, um den Völkermord zu stoppen und eine Welt der Kooperation und souveräner Gleichberechtigung aufzubauen. Für die Unterdrückten dieser Welt geht es in diesem Konflikt um ihre Existenz.

Deshalb dürfen sich unsere Aktivitäten nicht darauf beschränken, Krieg abzulehnen oder abstrakte Aufrufe zum Frieden zu verfassen.

Wir haben unzählige Erklärungen gehört, in denen dieses Wort verwendet wurde – ein Begriff, der für Palästinenser leider beschmutzt worden ist, wenn er zur Rechtfertigung von Ungerechtigkeit verwendet wird und als Synonym für den Verlust von Rechten, den Diebstahl von Land und die Unterdrückung von Widerstandsbewegungen verwendet wird.

Donald Trump spricht von „Frieden“, während er den Iran bombardiert – unter dem Beifall der Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten, die sich als Verfechter der Demokratie und der Menschenrechte ausgeben.

Unsere Zusammenkunft hier muss also diese verzerrte Definition infrage stellen.

Frieden ist nicht die Abwesenheit von Konflikten, wie ihr alle wisst. Und er ist ganz sicher kein vorübergehender Waffenstillstand, der es den Unterdrückern erlaubt, eine Pause einzulegen, während die Unterdrückten ihre Toten begraben und sich auf die nächste Runde der Gräueltaten vorbereiten.

Frieden erfordert Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit erfordert die Konfrontation mit den Systemen und Allianzen, die Gewalt produzieren, finanzieren, schützen und von ihr profitieren.

Und genau das ist es, was wir heute überall auf der Welt beobachten können.

In Westasien richten sich antikoloniale Widerstandsbewegungen gegen die Lieferketten und Infrastrukturen, die Zerstörung in die Region bringen.

Im Mittelmeerraum mobilisieren Hafenarbeiter und Aktivisten, um Schiffe mit Waffen für Israel zu stoppen – unter anderem durch Initiativen wie die Kampagne „Mask Off Maersk” des Palestinian Youth Movement, das die Rolle eines der weltweit größten Logistikunternehmen im Völkermord angreift.

In den USA und in Großbritannien erheben sich Bewegungen und Menschen gegen die aktive Beteiligung ihrer Länder am Völkermord. Dazu gehören Gruppen wie Palestine Action, die aktiv die Kriegsmaschinerie sabotiert und nun mit der Einstufung als terroristische Vereinigung rechnen muss. Dies ist eine weitere Waffe, die der Imperialismus einsetzt, um Widerstandsbewegungen zu delegitimieren und die Welt im Namen der Terrorismusbekämpfung zu terrorisieren, eine weitere Bombe der USA gegen die Logik.

Und von Südafrika bis Kolumbien haben sich Nationen zusammengeschlossen, um internationale Institutionen, die ursprünglich dazu dienten, Imperien und Unterdrücker zu unterstützen, neu zu gestalten, damit sie den Unterdrückten dienen.

Dies ist ein Moment der Klarheit. Milliarden von Menschen und Staaten auf der ganzen Welt erkennen, dass das internationale System, in dem wir leben, zum Schutz der Mächtigen geschaffen wurde. Während viele seiner Akteure zwar vorgeben, alle Staaten könnten sich auf der Ebene des Völkerrechts gleichberechtigt präsentieren, ist das heute ganz offensichtlich nicht wahr. Wenn dem so wäre, wenn alle Staaten gleich behandelt und vor dem Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen würden, hätte es keinen Grund gegeben, die Haager Gruppe als Koalition zu gründen, deren Hauptziel lediglich die Wahrung des Völkerrechts ist [*].

Ich wiederhole: Was auf dem Spiel steht, ist existenziell. Dieses System hat eine Welt geschaffen, in der unvorstellbare Verbrechen in unser tägliches Bewusstsein gehämmert werden, in der unvorstellbare Tragödien in unseren Mainstream-Medien normalisiert werden und in der imperialer Exzeptionalismus jede Möglichkeit einer rechtlichen oder diplomatischen Reaktion zu zerstören versucht. Was wirklich auf dem Spiel steht, ist die Menschheit selbst.

Als dieser Völkermord begann, war ich Studentin der Menschenrechte in Paris und lernte über „die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“. Während Folien des Professors an mir vorbeizogen, tauchten auf meinem Handy Meldungen über die Zahl der Todesopfer in Gaza auf. Im Unterricht wurde das aktuelle Geschehen nicht erwähnt – es fand keine Anerkennung des Verbrechens statt.

Ich musste daran denken: Waren diese Stichpunkte jemals für mich gedacht? Waren sie für meine Eltern gedacht, die das Massaker von Sabra und Shatila im Libanon überlebt hatten, wo sie im Widerstand gegen die israelische Invasion gekämpft hatten, und die trotz ihrer unerschütterlichen Unterstützung für mich nicht umhin konnten, leise zu lachen, als ich mein Interesse am Studium der Menschenrechte äußerte?

Waren sie für meine Großmutter gedacht, die 1948 aus Haifa vertrieben wurde und die die Nakba, die Invasion von 1982, die Intifadas und fast jeden Angriff auf Gaza überlebte, als sie 2021 verstarb? Nach dem Massaker von 1982 war sie gezwungen, nach Schweden zu fliehen. Und trotz ihrer schwindenden Erinnerung hörte sie nie auf zu sagen: „Haifa ist schöner.“

Ich bin stolz auf die Geschichte des Widerstands in meiner Familie, und mit diesem Stolz geht ein stärkerer Sinn für die Verantwortung einher, meinen Platz in diesem Kampf einzunehmen.

Ich will die Frustration und Entmutigung nicht leugnen, die ich empfand – zuerst als Palästinenserin, dann als Absolventin eines Menschenrechtsstudiums –, als ich nach dem richtigen Ort suchte, an dem ich meine Energie in etwas Sinnvolles stecken konnte, auf das ich stolz sein konnte.

Ich habe gelernt, Momente der Hoffnungslosigkeit nicht zu fürchten. Sie kommen oft vor und werden auch wiederkommen. Aber ich habe sie nie gefürchtet, denn mir wurde seit meiner Kindheit beigebracht, dass Handeln nicht von Hoffnung abhängen darf. Es muss von Verantwortung abhängen. Unsere Bewegungen bestehen fort, weil Menschen nicht nur handeln, wenn sie hoffnungsvoll sind, sondern weil sie es als ihre Verantwortung betrachten, zu handeln. Deshalb wissen wir, dass wir gewinnen werden, und darin finde ich Hoffnung.

Denn der Antiimperialismus, der Antikolonialismus und der Kampf gegen die Besatzung werden seit Generationen von freien Menschen getragen, deren Engagement für Gerechtigkeit nie nachgelassen hat.

In diesem Sinne wurde die Haager Gruppe [**] ins Leben gerufen, und ich möchte einige Worte zu diesem Projekt sagen.

Anfang dieses Jahres hat die Progressive Internationale acht Staaten des Globalen Südens mit dem Auftrag einberufen, „kollektiv Maßnahmen durch koordinierte rechtliche und diplomatische Schritte auf nationaler und internationaler Ebene“ zu ergreifen, um Israel für seine schweren Verstöße gegen das Völkerrecht gegenüber dem palästinensischen Volk zur Rechenschaft zu ziehen.

Ich spreche jetzt zu euch als Koordinatorin dieser Initiative.

Die Haager Gruppe will Straflosigkeit bekämpfen – nicht nur um Palästinas willen, sondern auch, weil Straflosigkeit die Grundlage des Völkerrechts bedroht, wo immer sie sich ausbreiten kann. Wir rufen deshalb alle Menschen auf, sich uns anzuschließen und ihre Regierungen zu ermutigen, sich dieser Initiative anzuschließen, um diese Herausforderung anzugehen.

Hier ist eine weitere Warnung: Wenn wir zulassen, dass Völkermord zur Normalität wird, wenn wir zulassen, dass Siedlerkolonialismus als „Sicherheit“ umdefiniert wird, dann lassen wir zu, dass die Mechanismen der globalen Governance selbst demontiert werden – und zwar nicht nur in Gaza, sondern überall dort, wo zugelassen wurde, dass das Völkerrecht überhaupt so offen untergraben wird.

Deshalb haben wir uns in der Haager Gruppe und anderen Initiativen nicht nur zum Ziel gesetzt, unsere Stimme zu erheben, sondern auch Systeme des Widerstands aufzubauen.

Unser Ziel ist es, diese Herausforderung auszuweiten und die Ketten der Komplizenschaft von den europäischen Häfen bis ins besetzte Palästina aufzudecken.

Wir dokumentieren die Regierungen, Unternehmen und Finanzinstitute, die die Maschinerie des Todes weiterhin antreiben. Wir unterstützen Aktivisten und Hafenarbeitergewerkschaften, die sich weigern, Waffen zu laden oder zu entladen, und wir solidarisieren uns mit ihren mutigen Taten.

Wir arbeiten mit Anwälten zusammen, die Einzelpersonen und Institutionen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft ziehen wollen.

Wir koordinieren parlamentarische Interventionen, drängen auf Waffenembargos, unterstützen Sanktionsforderungen und intervenieren in internationalen Foren, um Rechenschaftspflicht zu erreichen – echte Rechenschaftspflicht.

Es geht nicht nur um Erklärungen, sondern um koordinierte Aktionen, um die Verbrechen zu stoppen und die Strukturen abzuschaffen, die sie ermöglichen. Und wir tun dies in dem Bewusstsein, dass der Kampf für den Frieden nicht vom Kampf gegen den Imperialismus zu trennen ist. Denn die Gewalt, die wir erleben, ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis eines Systems, das Herrschaft belohnt und Widerstand bestraft. Und genau dieses System müssen wir abschaffen.

An meine europäischen Genossinnen und Freunde, die heute hier sind: Dies ist nicht der Kampf anderer. Es ist auch eurer. Diejenigen von euch in Europa, die an Freiheit und Gleichberechtigung glauben, können nicht einfach Widerstandsbewegungen woanders bejubeln. Ihr müsst eure eigene Verantwortung erkennen, euch gemeinsam zu wehren und zu organisieren – genau hier, wo ihr herkommt.

Allzu oft wird euch das, was im Rest der Welt geschieht, bewusst als fern, abstrakt und ohne Bezug zu euch präsentiert. Aber das ist eine Lüge. Es gibt keinen „Konflikt“ weit weg von Europa, wenn es die europäischen Mächte sind – Regierungen, Waffenhändler, Finanzinstitute –, die ihn schüren und davon profitieren.

Aus dieser Erkenntnis resultiert Verantwortung. Und diese Verantwortung muss über Worte hinausgehen. Sie muss sich in euren Handlungen, in eurer Organisierung und in eurem Widerstand gegen die Strukturen der Gewalt, die in eurem Namen aufrechterhalten werden, ausdrücken.

Während wir uns heute hier versammeln, bereitet sich die NATO auf ihren jährlichen Gipfel vor. Dieses Treffen wird keine Antworten auf die drängendsten Herausforderungen der Menschheit liefern. Es wird sie verschärfen. Deshalb muss es durch die größte Sicherheitsoperation in der Geschichte der Niederlande geschützt werden.

Die NATO trifft sich, um sich zu bewaffnen und zu eskalieren, um noch mehr Militärausgaben zu versprechen und noch mehr öffentliche Gelder in den Krieg zu stecken, während Städte in Schutt und Asche gelegt werden und das Völkerrecht vor aller Augen mit Füßen getreten wird. Mit der Teilnahme von Präsident Trump und der Einigkeit der europäischen Staats- und Regierungschefs für diesen neuen Militarismus verspricht der Gipfel die NATO als das zu bekräftigen, was sie von Anfang an war: ein Instrument des Imperialismus, das unsere Befreiung verhindern und uns eine Zukunft verweigern soll. Das ist ihre Vision für die Menschheit.

Deshalb müssen wir, während sie für den Krieg rüsten, uns für die Entkolonialisierung bereit machen. Wir müssen den Widerstand organisieren.

Übersetzung: Marta Andujo


[«*] Das International Forum for Peace fand am 23. und 24. Juni in Brüssel statt.

[«**] Die Haager Gruppe ist ein im Januar 2025 gebildeter Zusammenschluss von Staaten, die sich für „koordinierte rechtliche und diplomatische Maßnahmen“ zur Verteidigung des Völkerrechts und in Solidarität mit dem palästinensischen Volk einsetzen.

Den Vorsitz haben Kolumbien und Südafrika inne, Mitglieder sind bislang Bolivien, Honduras, Kuba, Malaysia, Namibia und Senegal.

Für den 15. und 16. Juli 2025 ruft die Haager Gruppe Länder weltweit zu einer Dringlichkeitssitzung in Bogotá auf. Dort sollen konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung des Völkerrechts durch koordiniertes staatliches Handeln angekündigt werden, „um den Völkermord zu beenden und Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten“.

Titelbild: Progressive International

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