Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (VI) – Von der „Abrüstungsmentalität“ über „Body bags“ zur „Drecksarbeit“

Leo Ensel
Ein Artikel von Leo Ensel

Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. Von Leo Ensel.

Abrüstungsmentalität
Die Abrüstungsmentalität der Deutschen kritisierte neulich im Garten seines Landbesitzes in der Provence bei Spaghetti mit Meeresfrüchten der „anregendste Philosoph Europas“, Peter Sloterdijk, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen am Sonntag.

Adaptionsfähigkeit
„Alle Maßnahmen müssen ein Hauptziel haben: das schnellstmögliche Erlangen von Kampfkraft bis 2029 und gleichzeitig das Erreichen der zugesagten Fähigkeitsziele in den Jahren danach. Das Zauberwort lautet: Adaptionsfähigkeit“, tönte der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, Mitte Juni in einem Interview mit der Welt. Soll wohl heißen: Alle Bürger, ob militärisch oder zivil, haben sich auf die zeitengewendeten Anforderungen und Gegebenheiten einer bald flächendeckend „kriegstüchtigen“ Gesellschaft einzustellen. Und dann: Volle „Kampfkraft“ voraus! (vgl. „Operationsplan Deutschland“)

angesichts der russischen Bedrohung
Totschlagformel, am effektivsten en passant in einem Nebensatz einzubauen. Dass es die Bedrohung gibt, so wird hier sublim suggeriert, ist unbestritten. Der bestimmte Artikel dieser Formulierung duldet keinen Zweifel, gar Widerrede. – Basta! Oder besser: „Stramm gestanden!!“

Anpassungsfähigkeit
Klingt nach Darwin, aber hier geht es um die der Streitkräfte. Darüber macht sich das KI-Fachmagazin IT Boltwise intensive Gedanken. „Während die ukrainischen Streitkräfte in einem rasanten Tempo neue Technologien und Taktiken integrieren, bleibt die australische Verteidigung in einem vergleichsweise langsamen Wandel gefangen.“ In Down Under ist zwar weit und breit kein Feind in Sicht, aber was hier beklagt – und in deutscher Sprache veröffentlicht – wird, lässt sich natürlich auch umstandslos auf die deutsche Bundeswehr übertragen. Die messerscharfe Konsequenz – mit und ohne Künstliche Intelligenz: „Insgesamt zeigt der Konflikt in der Ukraine, dass die Fähigkeit, schnell zu lernen und sich anzupassen, entscheidend für den Erfolg in modernen militärischen Konflikten ist. Länder, die in der Lage sind, diese Fähigkeiten zu entwickeln, werden besser auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sein.“ (vgl. „Fähigkeitsanalyse“, „Resilienz“)

Aufwuchsfähigkeit
Hier geht es nicht etwa um die Rekultivierung von durch sauren Regen, Erderwärmung oder den Borkenkäfer schwer geschädigten Wäldern im Harz, Fichtel- oder Erzgebirge. Schauen wir nach bei Wikipedia: „Aufwuchs bezeichnet im Militärwesen die Vergrößerung der Streitkräfte in personeller, materieller oder anderer Hinsicht.“ Der stellvertretende Generalinspekteur und Beauftragte für Reservistenangelegenheiten, Generalleutnant Andreas Hoppe, formulierte laut Reservistenverband im Februar 2025 die aktuellen Aufgaben auf dem Hintergrund der „Zeitenwende“ so: „Hinter allen aktuellen Planungen und Analysen stecke das Ziel der Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr. Im Gesamtkontext der Zeitenwende brauche es folglich eine wirklich belastbare und einsetzbare Reserve, die weit über das hinaus geht, wie wir in den letzten Jahrzehnten Reserve gedacht haben. Er hob hervor, dass die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte für alle anderen derzeitigen Planungen das große einende Thema sei und ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden müsse. So seien die Heimatschutzkräfte für den Operationsplan Deutschland essenziell und auch die Einführung eines neuen Wehrdienstes muss dem Ziel der Aufwuchsfähigkeit entsprechend Rechnung tragen.“ – Auf Deutsch: Möglichst viele „kriegstüchtige“ Soldaten in der Hinterhand haben, um die notwendige „Durchhaltefähigkeit“ der kämpfenden Truppe zu garantieren.

aus der Hölle gefallene Engel
Gibt es, Herr Scholz, in der christlichen Theologie nicht. Der Lichtträger Luzifer, den Sie aus Konfirmationstagen wohl noch dunkel in Erinnerung haben, wurde aus dem Himmel verstoßen. Peinlich, peinlich, Himmel und Hölle, Pazifisten und Kriegstreiber zu verwechseln … Hoffentlich verwechseln Sie demnächst nicht auch noch Krieg und Frieden!

ausschalten
„Die Israelis haben schon gegen die Hisbollah im September letzten Jahres einen großen Teil der Führungsebene ausgeschaltet“, so der Journalist Richard Chaim Schneider am 16. Juni in einem Deutschlandfunk-Interview. Gemeint war natürlich: getötet. (Oder sollte man etwa schreiben: „ermordet“?) (vgl. „Figuren“, „liquidieren“, „neutralisieren“)

autonom
Nein, hier handelt es sich nicht um militante Linksextremisten in schwarzen Lederklamotten! Wir sprechen hier von KI-gesteuerten Waffensystemen, wie zum Beispiel der von der deutschen Firma Helsing hergestellten Kampfdrohne HX-2. (6.000 werden gerade in die Ukraine geliefert.) Zu „autonomen Wirknetzen“ im Schwarm zusammengefasst, führen sie selbständig Attacken durch, um die entsprechenden Ziele – feindliche Waffen und Soldaten – zu „neutralisieren“. Dazu der Publizist Günther Burbach: „Ob die russischen Soldaten überzeugte Putinisten sind, Kriegsverbrecher oder gerade einmal zwanzigjährige Rekruten, spielt keine Rolle. Der Algorithmus kennt keine Biographien. Die Maschine macht keinen Unterschied zwischen Ideologie, Zwang, Zweifel. Sie kennt nur Zielprofile und Muster. So funktioniert diese neue Kriegslogik: Sterben ohne Geschichte. Töten ohne Verantwortung.“ (vgl. „ethische Fragen im Voraus beantworten“, „Resilience Factory“)

Bereit sein ist alles
Hochgelobte Imagekampagne des Reservistenverbandes um, wie es heißt, „die Bedeutung der Reserve für die Sicherheit Deutschlands hervorzuheben und die Bürgerinnen und Bürger zum Engagement für die Landesverteidigung zu ermutigen.“ Erste Erfolge sind bereits zu verzeichnen: So verfügt unser Land seit diesem Jahr endlich auch über einen „Veteranentag“. Und an der entsprechenden „Veteranenkultur“ arbeiten wir alle noch. (vgl. „preppen“)

Bibel
Jawohl, die!! Die präsentiert uns nun, vollständig und im zeitengewendeten Flecktarnlayout, der evangelische „Arbeitskreis Soldaten“ der Deutschen Evangelischen Allianz e. V., deren erklärtes Anliegen es ist, „Soldaten zu einem lebendigen Leben mit Jesus Christus zu ermutigen“. – Subkutanes Motto: Erst beten, dann töten!

blutrünstiges Regime
„Das ist ein unhaltbarer Zustand. Im Kreml regiert ein blutrünstiges Regime. In der Ukraine sterben nach wie vor viele Menschen – auch infolge dessen, dass die Kriegskasse des Kreml so gefüllt ist“, wetterte Tobias Goldschmidt, grüner Landesminister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein am 25. Juni 2025 im ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ gegen den Import preiswerten russischen Düngers in die EU. Und betonte, dass obendrein auch beim Thema ‚russische Gasimporte‘ nicht „gewackelt“ werden dürfe. – „Blutrünstig“. Darunter macht es der fraglos auf der richtigen moralischen Seite befindliche Minister nicht. Stalin und Iwan der Schreckliche lassen grüßen. (Insinuierte Schlussfolgerung: Gegen ein solches „Regime“ sind auch noch ganz andere Mittel als nur Sanktionen erlaubt …)

Body bags
Was hier so sprachlich flott daherkommt, bedeutet in klarer deutscher Prosa: Leichensäcke, luft-, wasser- und gasdicht, aus Kunststoff, zum einmaligen Gebrauch! 8.400 von ihnen will die Bundeswehr laut Berliner Zeitung (25. Juni 2025) bestellen, wozu sie offenbar gerade den Markt für den besten Anbieter sortiert. (Und was aus unerfindlichen Gründen – aber zu luft-, wasser- und gasdichten Säcken wundersam passend – als „geheime Verschlusssache“ eingestuft wurde.) Die Bundeswehr dazu auf entsprechende Anfrage: „No comment“…

Die stärkste Friedensbewegung Deutschlands
Ist natürlich, Herr Orwell, die – Bundeswehr! (vgl. „Bereit sein ist alles“)

Diskurstüchtigkeit
Olivgrüne Promenadenmischung von Habermas und Pistorius. „‚Kriegstüchtigkeit‘ kann es nicht ohne Diskurstüchtigkeit geben.“ So das Arbeitspapier „Noch nicht Krieg, aber auch nicht Frieden“ der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Denn: „Eine offene, kontroverse, aber nüchterne Diskussion zu Fragen von Krieg und Gewalt bedient eine integrale Funktion nicht nur in das Militär hinein. Sie adressiert alle – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung – zur Frage des Wesens eines zukünftigen Krieges und den Implikationen für die nationale Wehrhaftigkeit und Resilienz.“ – Man sollte gegen solche Sprüche schleunigst „Resilienz“ entwickeln, bevor „Diskurstüchtigkeit“ noch zur Tarnkappe für Aufrüstungseuphorie degeneriert … By the way: Der Habermas‘sche „Diskurs“ ist bekanntlich ein „herrschaftsfreier“. Keiner zur Herrschaftslegitimierung oder gar von „Krieg und Gewalt“!

Drecksarbeit
Die macht gerade ein bestimmter Staat laut Bundeskanzler Merz selbstlos „für uns alle“, indem er einen anderen nachhaltig bombardiert. Wovor Herr Merz „größten Respekt“ hat. (Nennt eine Reihe Völkerrechtler schlicht „Angriffskrieg“.) (vgl. „Zivilisationskrieg“)

Drehscheibe Deutschland
Auch „logistische Drehscheibe für die NATO“ genannt. Bedeutet: Wenn Putin spätestens 2030 Polen und/oder das Baltikum angreift, werden nicht nur die Bundeswehr, sondern auch andere NATO-Soldaten, nicht zuletzt die in Bremerhaven anlandenden GIs, mit ihrem Gerät quer durch Deutschland gen Osten ziehen. Weshalb jetzt vor allem die zivile Infrastruktur – und dazu gehören laut Verteidigungsministerium „Straßen, Schienen oder Gewässer, das Bereitstellen von See- und Binnenhäfen, Flugplätzen, Unterkünften oder Betankungsmöglichkeiten in Bundeswehr-Kasernen sowie die Nutzung von Übungsplätzen“ – für jährlich 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf militärischen Vordermann gebracht werden muss. „Dabei ist die Logistik in zwei Richtungen bedeutsam: Nicht nur, um Truppen und Nachschub wie Munition und Kraftstoffe in einen etwaigen Einsatzraum zu bringen, sondern auch, um etwa Verwundete zu transportieren.“ Für deren Versorgung – man rechnet mit täglich Tausenden – wäre Deutschland aufgrund seiner Lage ebenfalls von zentraler Bedeutung, so Oberstarzt Kai Schmidt. Und dafür muss nun auch, laut „Operationsplan Deutschland“, unser gesamtes Gesundheitssystem auf „Kriegstüchtigkeit“, will sagen: Kriegsmedizin umgekrempelt werden … Frohe Botschaft: „Body bags“ sind schon mal bestellt! (vgl. „Heimatfront und Frontlinie“)

Durchhaltefähigkeit
Ist sozusagen der Komparativ der „Aufwuchsfähigkeit“. „Wir erreichen die geforderte Durchhaltefähigkeit unserer Streitkräfte nur mit der Reserve“, betonte der bereits erwähnte Generalleutnant Hoppe im Februar diesen Jahres vor der „Reservistenarbeitsgemeinschaft Bundestag“ (RAG) und forderte eine „aufwuchsfähige“ Bundeswehr inclusive eines „gesellschaftlichen Konsens darüber, wie wir unser Land verteidigen.“ Wozu unter anderem die Imagekampagne „Bereit sein ist alles“ des Reservistenverbandes einen lobenswerten Beitrag liefere.

(wird fortgesetzt)

Die ersten fünf Folgen erschienen am 29. Mai, 2. Juni, 22. Juni, 2. Juli und 6. Juli 2025

Titelbild: arvitalyaart/shutterstock.com

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