Ein neues Buch räumt mit der Desinformation der NATO-Lobby auf: Der Westend Verlag veröffentlichte kürzlich den Band „Mit Russland“, dessen Titel schon Programm ist. Das Buch ist ein Plädoyer für eine Politik, die den Bellizisten in den Leitmedien und den Kräften an der Spitze der NATO-Staaten entgegensteht. Von Bernhard Trautvetter.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Eine der ersten Aussagen ist, dass ein weiterer großer Krieg kein Schicksal ist: Er kann verhindert werden. Die Bedingung dafür ist, dass die Staaten des politischen Westens eine multipolare Welt mit Russland als integralem Bestandteil einer europäischen Sicherheitsarchitektur akzeptieren. Die drei Autoren – der einstige Sprecher des Bremer Senats Stefan Luft, der Journalist Jan Opelka und der Autor Jürgen Wendler – schildern, wie alle Teile der deutschen Gesellschaft abermals auf den Irrweg des Krieges geführt werden; sie beziehen sich auf das Völkerrecht und das Verhältnis der NATO-Staaten zu Russland.
Sie stellen mit ihren Analysen die Behauptung der NATO-Lobby richtig, die Sicherheit Europas sei nur gegen Russland, nicht mit diesem Staat zu erreichen, wie es selbst der SPD-Chef Klingbeil verbreitet, der damit die Stimmungsmache aus Vermutungen der Bundeswehr und des Bundesnachrichtendienstes bedient, die bar jeder validen Faktenbasis den öffentlichen Diskurs der Herrschenden prägt.
Im Vorwort des Buches macht der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen auf Basis seiner Erfahrungen in der EU-Kommission klar, dass eine Politik gegen Russland einen Spannungszustand durch immer weiter gesteigertes Wettrüsten hervorruft, der „irgendwann zur Entladung führen wird. Die Kriegsgefahr wird … vergrößert.“ (S. 15) Er verweist auf Artikel 23 Grundgesetz, der die deutsche Politik darauf festlegt, die europäische Einheit zu vollenden. Er bringt es pointiert auf den Punkt:
„So verstanden, ist es … ein Verfassungsgebot, Russland nicht aus Europa auszuschließen.“
Schon hier wird deutlich, wie die NATO-Ostexpansion mit der im Zwei-plus-Vier-Vertrag 1990 fest vereinbarten europäische Friedensordnung und dem Respekt für die Sicherheit eines jeden Staates in Europa bricht. Die NATO-Erweiterung ist der zentrale Grund für den Ukraine-Krieg. Der größte europäische Staat ist Russland, das sich einer NATO gegenübersieht, die ihre militärische Infrastruktur immer näher an der russischen Westgrenze in Stellung bringt; darunter sind auch nuklearfähige Systeme in Polen und Rumänien, die beschwichtigend Abwehrraketen genannt werden, die aber leicht in Offensivsysteme umgerüstet werden können.
Das Buch lässt sich auch als Hilfe zur Korrektur der Behauptungen der NATO-Lobby verstehen – dazu zählt auch Bundeskanzler Merz, der am 17. Juli 2025 während der Zeremonie zum sogenannten Deutsch-Britischen Freundschaftsvertrag Russland vorwarf, es „rüttelt an der europäischen Sicherheitsarchitektur“; Jürgen Wendler verdeutlicht dagegen, dass die europäische Sicherheitsordnung einer gemeinsamen weil gegenseitigen Sicherheit von der NATO zerrüttet worden ist:
„Entgegen am Ende des Kalten Krieges gemachten Zusagen hat sich die von den USA geführte NATO immer weiter nach Osten ausgedehnt.“ (S. 85)
Des Weiteren ließe sich die US-Intervention im Prozess der Herbeiführung eines verfassungswidrigen Regierungswechsels in Kiew 2014 unter anderem durch belegte Aussagen der US-Diplomatin Victoria Nuland nur „schwerlich bestreiten“ (S. 114). Diese korrekte Faktendarstellung bedeutet nicht, dass irgendein Krieg damit legitimiert ist; sie zeichnet allerdings das Buch „Mit Russland“ aus, da die Autoren sich nicht von der Propaganda der Militärs und ihrer Unterstützer manipulieren lassen.
Die globalpolitisch relevante Analyse führt zu dem Plädoyer, Europa müsse sich „von den alten Strukturen … emanzipieren“ (S. 212), die mit der Strategie verbunden sind, Sicherheit könne nur mit den Vereinigten Staaten garantiert werden.
Die Analyse bezieht den Demokratie-Index des US-amerikanischen Thinktank „Freedom House” mit ein, der die Souveränität der Staaten „nicht nur formell, sondern (auch) faktisch“ betrachtet. Zitat:
„Selbst die großen EU-Staaten sind »unter dem Schutzschirm« der USA in ihrer Souveränität faktisch eingeschränkt. Darauf deuten etwa in Deutschland die US-Militärbasen hin (…).“ (S. 265)
In diesem Zusammenhang zitieren die Autoren eine Aussage von Ex-US-Außenminister Kissinger aus dem Jahr 2014 wie folgt:
„Die Behandlung der Ukraine als Teil einer Ost-West-Konfrontation würde für Jahrzehnte jede Aussicht zerstören, Russland und den Westen – vor allem Russland und Europa – in einem kooperativen internationalen System zusammenzubringen.“ (S. 270)
Dies aber ist das Gebot des Völkerrechts, das international verpflichtende Texte umfasst wie die Charta von Paris, die unmittelbar zum damals begrüßten Ende des Kalten Krieges 1990 verabschiedet wurde und die ganz im Sinne der UN-Charta eine Friedensordnung gemeinsamer weil gegenseitiger Sicherheit einfordert.
Dieser Friedensperspektive stehen im Buch zitierte Aussagen aus dem Bereich der Militärs entgegen, die mit der Entspannungspolitik abrechnen und die die Orientierungen, die zur Charta von Paris führten, als gefährlichen Irrtum abtun: „Die sogenannte Friedensdividende entpuppt sich heute als Fata Morgana, die fast schlimmere Auswirkungen auf den Zustand der Streitkräfte und unsere Sicherheit hatte als ein bewaffneter Konflikt“, so zitiert Stefan Luft Generalleutnant von Sandrart. Mit dieser Abrechnung mit der Politik von Willy Brandt, Olof Palme und Michail Gorbatschow verbinden die Bellizisten einen „Mentalitätswechsel“, der die Aussage umfasst, dass Russland der Feind sei (S. 143).
Die Kriegstüchtigkeitspropaganda folgt dieser irrationalen Logik und erklärt die von der NATO so propagierte Hochrüstung mit dem durch Russland verloren gegangenen Vertrauen und sieht die Welt in einer Konfrontation demokratischer Institutionen mit Despoten wie Wladimir Putin auf der Gegenseite.
Das Buch endet mit der Aussage, der Westen habe sich nach Osten überdehnt – und weiter:
„Deshalb brach in der Ukraine Krieg aus. Die mitteleuropäischen Staaten sind ihm am nächsten … Wir sollten versuchen, uns dessen mögliche Verheerungen vorzustellen. Sie müssten abschrecken, wenn das Leben weitergehen soll.“
Titelbild: Lightspring / Shutterstock