Für mehr als nur ein gutes Gefühl

Für mehr als nur ein gutes Gefühl

Für mehr als nur ein gutes Gefühl

Ein Artikel von Tilo Gräser

Mit einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor sollte am Samstag für nicht weniger als den Weltfrieden gestritten werden, aber ebenso für die Aufklärung der Corona-Krise. Aufgerufen dazu hatte die sogenannte neue Friedensbewegung. Gekommen waren Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik. Tilo Gräser war unter ihnen, hat mit einigen gesprochen und das Geschehen beobachtet.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Für den 5. August war in Berlin Großes angekündigt: der „Tag der Aufarbeitung“ samt einer Demo für den Weltfrieden. Beides miteinander verknüpfen wollte das Bündnis „Wir sind viele“, ein Zusammenschluss von Kritikern der Corona-Politik. Die Veranstaltung am Brandenburger Tor sollte auch an die großen Kundgebungen am 1. und 29. August 2020 in Berlin erinnern, als Hunderttausende gegen die Corona-Maßnahmen und für ihre Grundrechte demonstrierten.

Doch drei Jahre später kamen nicht annähernd so viele Menschen zusammen, auch wenn sie aus verschiedenen Regionen des Landes anreisten. Es wurde nicht die „Großdemonstration“, wie sie Anselm Lenz und Hendrick Sodenkamp von der Zeitung Demokratischer Widerstand (DW) im Vorfeld angekündigt hatten. Und erst recht nicht war es ein Ereignis, das zeigt: „Deutschland steht auf“. Das hatten die beiden Zeitungsmacher ebenfalls angekündigt.

Immerhin kamen am Samstag etwa 4.500 Menschen zum Brandenburger Tor, um die Aufarbeitung der Corona-Politik und Verhandlungen für ein Ende des Krieges in der Ukraine zu fordern. So breit wie die Themen der Demonstration waren auch die Aussagen auf den vielen mitgebrachten Transparenten und Plakaten, von „Free Assange“ über Forderungen, die Impfnebenwirkungen aufzuklären und die Verfassung neu zu schreiben, bis hin zu „Ami go home“ und „Raus aus der Nato“.

Unter ihnen war der 91-jährige Horst Aden, der auch am mehr als zweistündigen Demonstrationszug durch Berlin-Mitte teilnahm. Er engagiert sich seit Jahren nicht nur für Verständigung mit Russland, sondern war ebenso bei den großen und kleinen Demonstrationen gegen die Corona-Politik dabei. Er sehe, wohin die Gesellschaft getrieben werde, sagte er auf die Frage nach dem Motiv seines Dabeiseins. „Und ich möchte etwas dagegen tun. Viel kann ich nicht machen, aber hier mitzugehen, steht in meinen Kräften.“

Alte Herrschaftsmethode genutzt

Er habe den Zweiten Weltkrieg ganz bewusst erlebt, sagte der 1932 Geborene. Ebenso habe er dann 1945 die Enttäuschung vieler erlebt, die spätestens damals aufgewacht seien. Auch die DDR und die wachsende Unzufriedenheit ihrer Bevölkerung habe er miterlebt. Der Aufbruch im zweiten deutschen Staat 1989 lasse sich nicht mit der heutigen Situation vergleichen, betonte Aden. Er ist Physiker und hat in der DDR als Informatiker gearbeitet. „Die DDR-Gesellschaft war auf jeden Fall humaner. Was jetzt hier passiert, wäre dort nicht passiert.“ Aber das untergegangene Land habe ein ineffizientes Wirtschaftssystem gehabt.

Im Vorfeld der Kundgebung am Samstag gab es wieder Debatten zwischen der sogenannten alten Friedensbewegung und jenen, die aus der Protestbewegung gegen die Corona-Politik heraus sich nun für Frieden engagieren. So nahm eine Reihe von Menschen, die sich seit Jahrzehnten gegen Krieg und für Frieden engagieren, nicht teil. Zu den Gründen gehörte unter anderem das Auftreten von „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg, Rechtsanwalt Ralf Ludwig und DW-Gründer Anselm Lenz auf der Kundgebung. Ihnen wurde vorgeworfen, mit „Reichsbürgern“ in Verbindung zu stehen oder mit dem umstrittenen Publizisten Jürgen Elsässer aufgetreten zu sein. Aber auch ihre Sicht auf die Corona-Krise und die damit verbundene Politik wurde als Anlass genommen, das Trennende wichtiger als das Gemeinsame zu nehmen.

„Das ist die alte Methode ‚Teile und herrsche‘“, sagte Aden dazu. „Die gespaltenen Einzelteile kann man viel besser beherrschen. Das ist ein uraltes Verfahren.“ Heute geschehe das, indem Kritiker als „Nazis“ oder „Antisemiten“ verleumdet würden, obwohl sie damit nichts zu tun haben. Es gehe nur darum, „die Leute davon abzuschrecken, sich mit denen zu unterhalten“, so der 91-Jährige. „Im Mittelalter waren es die Ketzer. Das waren die, die am besten über die Natur und die Gesellschaft Bescheid wussten. Die führenden Religionen mussten natürlich dafür sorgen, dass das Volk nicht mit den Ketzern zusammenkommt.“

Erbärmlicher Zustand des Landes

Aden erinnerte im Gespräch auch daran, dass die Nazis durch das große Kapital an die Macht kamen. „Und jetzt sind diejenigen, die gegen die Machenschaften der Mächtigen protestieren, angeblich Nazis. Das ist irrsinnig.“ Ein Beispiel für diesen Irrsinn lieferte am Rande des Demonstrationszuges eine kleine Gruppe von sogenannten Gegendemonstranten ab. Sie bezeichneten sich als Antifaschisten und warfen den anderen auf der Straße per Plakat vor „Ihr seid die Wegbereiter des Faschismus“. Einige von ihnen trugen Masken oder Echsenkostüme, manche bezeichneten sich als „Omas gegen rechts“ und beschimpften unter dem Schutz der Polizei jene, die für Frieden und die Aufarbeitung der Corona-Politik demonstrierten.

Doch diese ließen sich nicht provozieren, denn sie waren ja für eine „Zukunft in Frieden, Freiheit und Freude“ auf der Straße. Sechs Stunden lang wurde geredet, Musik gespielt und gesungen, durch Berlins Mitte demonstriert. Neben Lenz und Sodenkamp, Ballweg und Ludwig sprachen auf den beiden Kundgebungen vor und nach der Demonstration die Friedensaktivistin Christiane Reymann, der Journalist und Aktivist Kayvan Soufi-Siavash, der Arzt Heiko Schöning und der Unternehmer Wolfgang Kochanek. Sie rechneten mit der Politik in der Corona-Krise wie auch allgemein ebenso ab wie mit den Waffenlieferungen in die Ukraine. Sie sprachen sich gegen die zunehmende staatliche Zensur aus wie auch gegen das zunehmende Klima von Denunziation und Hetze.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist in einem erbärmlichen Zustand“, stellte Soufi-Siavash fest. „Ein Klima der Angst, mit seiner persönlichen Meinung nicht dem diktierten Zeitgeist zu entsprechen und damit ins Fadenkreuz selbsternannter Schergen eines selbsternannten Wahrheitsministeriums zu geraten. Dieser menschengemachte politische Klimawandel ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer in Thinktanks ersonnenen Agenda, welche mittels Massenmedien seit Jahren konsequent umgesetzt wird.“

Die staatlichen Institutionen gingen gegen kritische Stimmen nach dem Prinzip vor: „Bestrafe einen, erziehe Tausende.“ Das hatten zuvor auch „Querdenken“-Aktivist Ballweg und sein Anwalt Ludwig festgestellt. Wie diese forderte Soufi-Siavash die Bürger auf, selbst aktiv zu werden und sich der politischen und medialen Manipulation zu entziehen. „Bildung ist der Schlüssel und die konzernunabhängigen Medien sind die Boote, in die wir umsteigen müssen, um diese Titanic-Demokratie lebend zu verlassen.“

Verloren gegangener Impuls

Viele der Teilnehmer wirkten misstrauisch, wenn sie von Journalisten angesprochen wurden, die als solche zu erkennen waren. Diese standen schnell unter „Mainstream-Verdacht“, selbst wenn sie nicht für die etablierten, sondern für alternative Medien arbeiten. Eines der Gesprächsthemen unter den Menschen auf dem Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor war neben der Erinnerung an den August 2020 die große Friedensdemonstration am 25. Februar dieses Jahres am selben Ort. An dem kalten Wintertag hatten die Initiatoren und Unterzeichner des „Manifestes für Frieden“ um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gemeinsam mit mehreren Zehntausenden ein Zeichen gegen die Eskalation des Krieges in der Ukraine gesetzt.

Wagenknecht und Schwarzer hatten damals die neue Friedens- und Bürgerbewegung ausgerufen – doch danach war nichts weiter geschehen, bis auf den Anstieg auf derzeit mehr als 850.000 Unterschriften für das Manifest. Einige von jenen, die am 25. Februar dabei waren, kamen auch am Samstag zum Brandenburger Tor. Katja aus Erkner, Beate aus Oranienburg und Regina aus Hannover trafen sich dort, um wieder für Frieden zu demonstrieren, wie sie erklärten. Sie hätten sich über die Chat-Funktion auf der Manifest-Webseite kennengelernt und dann verabredet, berichteten sie.

Sie seien dem Aufruf des Bündnisses „Wir sind viele“ gefolgt, „weil wir jede Gelegenheit nutzen, für den Frieden zu demonstrieren“. Die drei Frauen trugen blaue Fahnen mit weißen Friedenstauben mit sich, wie sie viele an dem Tag durch Berlin bei sich hatten. Mit dem weitgespannten Anliegen der Organisatoren hätten sie weniger übrig, sagten sie. Aber für sie wäre es wichtig, „hauptsächlich“ für den Frieden und Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine zu demonstrieren. Sie wollten sich selbst ein Bild von der sogenannten neuen Friedensbewegung machen, fügten die drei hinzu.

Kritik am Kriegskurs

Keine Berührungsängste im Unterschied zu einigen aus der „alten“ Friedensbewegung hatte auch Christiane Reymann, Journalistin, Publizistin und Friedensaktivistin. „Ich war 1982 im Bonner Hofgarten mit Hunderttausenden anderen“, berichtete sie auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor. „Wir wollten, dass die Atomraketen raus aus Europa kommen. Wir haben es leider nicht geschafft. Sonst sähe es heute anders aus.“ Damals protestierten mehrere Hunderttausend Menschen in Bonn gegen die NATO-Atomrüstung. „Für mich gibt es keinen Grund, abzuschwören“, sagte Reymann. „Abrüstung und ein europäisches Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands sind nötiger denn je.“

Sie rief dazu auf, die Unterschiede der „alten“ und „neuen“ Friedensbewegungen nicht als Trennendes zu sehen: „Wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir Interesse aneinander haben, wenn wir zuhören, wenn wir nach Schnittpunkten von Gemeinsamkeiten suchen. Und die sind in der Frage Frieden wichtiger denn je.“ Reymann warnte, dass der Krieg in der Ukraine „beabsichtigt oder aus Versehen völlig außer Kontrolle“ geraten könne. Deutschland sei selbst zur Kriegspartei geworden, stellte sie mit Blick auf die Ausbildung ukrainischer Militärs und die Waffenlieferungen fest.

Die Friedensaktivistin kritisierte ebenso den Wirtschaftskrieg gegen Russland: „Der ist völkerrechtswidrig. Nur der UNO-Sicherheitsrat ist berechtigt, Sanktionen zu verhängen.“ Die Wirtschaftssanktionen des Werte-Westens seien ein Wirtschaftskrieg und Unrecht. „Und wo Recht zu Unrecht wird, dann ist Widerstand Pflicht.“ Reymann widersprach den offiziellen Mythen zum Krieg in der Ukraine. Bei diesen werde verschwiegen, dass der Krieg in dem Land bereits 2014 durch die nach dem Putsch an die Macht gekommene Kiewer Führung gegen die eigene Bevölkerung in der Ostukraine begonnen wurde. Sie berichtete von ihren Besuchen dort, als sie gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Gehrcke und anderen Hilfsgüter in ein Krankenhaus in Gorlowka brachte.

Kein Frieden ohne Russland“

Wie viele der Demonstranten forderte Reymann, dass die US-Truppen samt ihrer Atomraketen Deutschland verlassen sollten. Dafür bekam sie ebenso viel Beifall wie für ihre Forderung, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern „in der Spur der Zerstörung, die sie zieht“. Denn: „Wir sind Botschafterinnen und Botschafter des Friedens, denn wir lieben das Leben. Wir lieben alles Lebendige. Wir lieben alles Widersprüchliche, alles Neugierige.“

Ein Paar war aus Dresden angereist: „Für ein gutes Gefühl, für eine gute Sache, für eine neue, bessere Welt“, so der Mann zu den Gründen dafür. Beide waren nicht das erste Mal in Berlin dabei und sind auch in der sächsischen Hauptstadt aktiv, wie sie berichteten. Sie trugen drei kleine Fahnen mit, eine deutsche, eine russische und eine mit Friedenstaube und dem Wort Frieden in mehreren Sprachen. Ohne Russland gibt es keinen Frieden, sagte der Dresdner dazu und fragte: „Soll Russland zerbombt und atomar vernichtet werden? Sind wir wahnsinnig?“

Auf eine weitere Frage sagte der 61-jährige Mann, der seinen Namen nicht nennen wollte: „Wir wissen, dass gegen Russland überhaupt nichts geht. Und irgendwann wird es sowieso Frieden nur mit Russland und nicht gegen Russland geben. Der Wohlstand, den der Westen und der Osten hatten, ist der Wohlstand aus den Rohstoffen von Russland. Das ist uns vielleicht in Vergessenheit geraten.“ Zur geringen Teilnehmerzahl sagte er: „Schauen Sie die Menschen an, die freuen sich, die lachen, das reicht. Das ist ein wunderschönes Gefühl, mit dem wir wieder nach Sachsen fahren.“

Mehr als nur „Querdenker“

Unter den Teilnehmern waren der Psychologe und Machtkritiker Klaus-Jürgen Bruder sowie der Journalist Uli Gellermann. Letzterer gestand im Gespräch: „Eigentlich kann ich Demonstrationen nicht mehr leiden. Ich war auf zu vielen.“ Aber es gebe keine andere Möglichkeit. „Wir haben nur dieses Mittel der Demonstration, der Blockaden, der Verweigerung, um uns zu wehren, denn die Zeit des Wehrens ist immer noch angesagt. Wir brauchen die Kraft der Massen, um vielleicht das Land mal auf einen anderen Kurs zu bringen.“ Er bestätigte, dass viele aus verschiedenen Regionen nach Berlin gekommen waren und befand, dass es dennoch zu wenige waren.

Aus Sicht von Gellermann fehlt „eine ordentliche, klare Struktur der Oppositionsbewegung“. Es gebe viele Oppositionelle und viele Meinungen, aber keine zentrale Struktur und Anlaufstelle, die notwendig sei. Auch er bedauerte, dass Schwarzer und Wagenknecht den Impuls der großen Demonstration vom 25. Februar nicht genutzt haben. Es wäre notwendig gewesen, diesen politisch übergreifenden Ansatz zu nutzen, „eine Einheit sozusagen in der Aktion herzustellen“.

Die Demonstration am Samstag war zumindest ein kleiner Versuch dazu, der nicht an den Organisatoren scheiterte. Sie sind nicht verantwortlich dafür, dass die Veranstaltung so etwas wie eine leichte Schlagseite hin zur Kritik an der Corona-Politik und den damit verbundenen Interessen hatte. Längst wäre es Zeit, ideologische Scheuklappen abzulegen, wenn es um Frieden geht. Die notwendige Debatte und auch der Streit, auf welchem Weg die Gesellschaft für alle besser gestaltet werden kann, sind nicht möglich ohne Frieden.

Doch wie der 91-jährige Horst Aden feststellte: Die Spaltung nutzt den Herrschenden und Kriegstreibern. Und so warfen die etablierten Medien in ihren wenigen Berichten über die Demonstration am Samstag auch wieder alle Teilnehmer in den einen Topf mit dem Etikett „Querdenker“.

Bilder: © Tilo Gräser

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