Die Friedenskonferenz in Dschidda – ehrlicher Ansatz zur Konfliktlösung oder gezielte PR-Aktion?

Die Friedenskonferenz in Dschidda – ehrlicher Ansatz zur Konfliktlösung oder gezielte PR-Aktion?

Die Friedenskonferenz in Dschidda – ehrlicher Ansatz zur Konfliktlösung oder gezielte PR-Aktion?

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Am 5. August 2023 hat auf Einladung Saudi-Arabiens in Dschidda eine Friedenskonferenz zum Krieg in der Ukraine stattgefunden. Die Konferenz wurde geleitet von Musaid al-Aiban, dem Sicherheitsberater des De-facto-Herrschers Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed Bin Salman. Jürgen Hübschen fasst für die NachDenkSeiten die Vorgeschichte und die bislang bekannten Erkenntnisse zur Konferenz zusammen und gibt dabei auch einen Überblick über die bisherigen Ansätze zu einer Friedenslösung.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es sollen Vertreter von ca. 40 Staaten an der Konferenz in Dschidda teilgenommen haben. Dazu sind allerdings nur relativ wenige Details bekannt geworden, weil die Konferenz unter Ausschluss der Medien durchgeführt wurde. Fest steht, dass das Treffen auf der Ebene der Sicherheitsberater der Teilnehmerländer stattgefunden hat. Die USA waren durch Präsident Bidens Sicherheitsberater, Jack Sullivan, vertreten, Deutschland hatte den außen- und sicherheitspolitischen Berater des Bundeskanzlers, Jens Plötner, entsandt, und aus China hatte der Sonderbeauftragte für die Ukraine, Li Hui, teilgenommen. Bekannt wurde auch, dass Ägypten, Brasilien, Chile, Großbritannien, Indien, Indonesien, Kanada, Südafrika und die Türkei eine Delegation geschickt hatten und auch die EU präsent war. Ob Vertreter der OSZE und/oder der UNO in Dschidda anwesend waren, ist nicht bekannt. Von den Kriegsparteien nahm nur die Ukraine teil, weil Russland zur Konferenz nicht eingeladen war. Die Delegation der Ukraine wurde vom Chef des Präsidialamts, Andriy Yermak, geleitet.

Die Basis der Gespräche war der von der Ukraine erstellte Friedensplan. Es sollen allerdings auch andere Pläne noch einmal vorgestellt und diskutiert worden sein. Dabei soll ein Abgleich zwischen den einzelnen Initiativen stattgefunden haben. Ob dadurch möglicherweise von Saudi-Arabien ein neuer Friedensvorschlag entwickelt wird, wie es einige Beobachter behaupten, ist zunächst einmal reine Spekulation. Das wird auch erst einmal so bleiben, weil auf eine Abschlusserklärung verzichtet wurde, wie man bereits im Vorfeld entschieden hatte. So muss man sich mit der Aussage des saudischen Gastgebers zufriedengeben, der gemäß einer Meldung der saudischen Staatsagentur SPA nach der Konferenz erklärt hat, die teilnehmenden Staaten hätten sich darauf geeinigt, die internationalen Beratungen fortzusetzen, um auf einer gemeinsamen Grundlage den Weg zum Frieden zu ebnen. Diese Aussage wurde aus EU-Kreisen ergänzt: Ein weiteres Treffen, dann auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, scheine möglich zu sein und sei noch vor Jahresende „denkbar“. Saudi-Arabien werde einen Plan für weitere Gespräche in Arbeitsgruppen vorlegen, um Themen wie globale Ernährungssicherheit, nukleare Sicherheit und Gefangenenfreilassung zu erörtern. In Riad verlautete aus Diplomatenkreisen, Saudi-Arabien bemühe sich um einen Kompromiss mit dem Ziel eines „globalen Friedensgipfels im weiteren Verlauf des Jahres“.

Übersicht über die bisherigen Friedenspläne und -initiativen

Der ukrainische Friedensplan

Der ukrainische Friedensplan wird oft auch als „Friedensformel des ukrainischen Präsidenten“ bezeichnet. Bevor dieser in seinen zehn Punkten dargestellt wird, soll nachstehend an die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im März 2022 in Istanbul erinnert werden, die nach dem Besuch des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Kiew am 9. April 2022 nicht mehr fortgesetzt wurden.

Der Verhandlungsentwurf für ein Sicherheitsgarantieabkommen zwischen Russland und der Ukraine

Der Verhandlungsentwurf für ein Sicherheitsgarantieabkommen zwischen Russland und der Ukraine wurde am 29. März 2022 von Farida Rustamowa veröffentlicht. Er ist Ergebnis der russisch-ukrainischen Gespräche vom 29. März in Istanbul und soll vom Berater des russischen Präsidenten, Wladimir Medinski, nach Moskau gebracht worden sein. Es handelte sich nicht um endgültige Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine, sondern um Entwürfe der ukrainischen Seite, die von Moskau noch geprüft und diskutiert werden sollten. Einige dieser Überlegungen wurden von Vertretern der russischen und ukrainischen Delegationen bekannt gemacht:

  • Vorschlag 1: Proklamation der Ukraine als neutraler Staat mit völkerrechtlichen Garantien zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status. Mögliche Garantiestaaten: Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel. Auch andere Staaten können dem Vertrag beitreten.
  • Vorschlag 2: Die internationalen Sicherheitsgarantien der Ukraine im Rahmen des Vertrages gelten nicht für die Krim, Sewastopol und einzelne Gebiete des Donbass. Die Parteien müssen die Grenzen dieser Gebiete festlegen oder sich darauf einigen, dass jede Seite sie auf ihre eigene Weise versteht.
  • Vorschlag 3: Die Ukraine wird keinem Militärbündnis beitreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder -kontingente stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantiestaaten durchführen. Die Bürgschaftsstaaten bekräftigen ihrerseits ihre Absicht, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union zu fördern.
  • Vorschlag 4: Die Garantiestaaten und die Ukraine kommen überein, dass im Falle einer Aggression, eines bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine oder einer Militäroperation gegen die Ukraine jeder der Garantiestaaten nach einer dringenden und unverzüglichen Konsultation zwischen ihnen (die innerhalb von höchstens drei Tagen stattfinden wird) in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (als Reaktion auf ein förmliches Ersuchen der Ukraine und auf der Grundlage dieses Ersuchens) der Ukraine als dauerhaft neutralem Staat Beistand leisten wird. Dies geschieht durch die unverzügliche Durchführung der erforderlichen individuellen oder gemeinsamen Maßnahmen einschließlich der Sperrung des Luftraums über der Ukraine, der Bereitstellung der erforderlichen Waffen und der Anwendung bewaffneter Gewalt, um die Sicherheit der Ukraine als eines auf Dauer neutralen Staates wiederherzustellen und dann aufrechtzuerhalten.
  • Vorschlag 5: Jeder bewaffnete Angriff (jede Militäroperation) und alle daraufhin getroffenen Maßnahmen werden unverzüglich dem UN-Sicherheitsrat gemeldet. Diese Maßnahmen werden beendet, sobald der Sicherheitsrat die zur Wiederherstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
  • Vorschlag 6: Der Mechanismus zur Umsetzung der Sicherheitsgarantien für die Ukraine wird nach zusätzlichen Konsultationen zwischen der Ukraine und den Garantiegeberstaaten im Vertrag geregelt, wobei der Schutz vor möglichen Provokationen berücksichtigt wird.
  • Vorschlag 7: Der Vertrag wird ab dem Zeitpunkt seiner Unterzeichnung durch die Ukraine und alle/bzw. die Mehrheit der Bürgschaftsstaaten vorläufig angewandt. Der Vertrag tritt in Kraft, nachdem der Status der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat durch ein gesamtukrainisches Referendum gebilligt wurde und die entsprechenden Änderungen an der ukrainischen Verfassung vorgenommen und von den Parlamenten der Ukraine und der Bürgschaftsstaaten ratifiziert wurden.
  • Vorschlag 8: Der Vertrag sieht vor, das Bestreben der Parteien festzuhalten, die Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu lösen. Es wird auch vorgeschlagen festzuhalten, dass die Ukraine und Russland die Fragen der Krim und Sewastopols nicht militärisch lösen werden, sondern ihre politischen und diplomatischen Bemühungen zur Lösung dieser Frage fortsetzen werden.
  • Vorschlag 9: Die Parteien werden ihre Konsultationen (unter Einbeziehung anderer Garantiegeberstaaten) fortsetzen, um die Bestimmungen des Vertrags über Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Rückzug der Truppen und anderer paramilitärischer Formationen, die Öffnung und Gewährleistung des sicheren Funktionierens der humanitären Korridore auf dauerhafter Basis sowie den Austausch der Leichen und die Freilassung von Kriegsgefangenen und internierten Zivilisten vorzubereiten und zu vereinbaren.
  • Vorschlag 10: Die beiden Parteien halten es für möglich, dass die Präsidenten der Ukraine und Russlands zusammenkommen, um einen Vertrag zu unterzeichnen und/oder politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen.

(Quelle: 1. April 2022 „Russland-Ticker.de)

Angeblich soll der ukrainische Präsident Selenskyj die Vorschläge grundsätzlich positiv bewertet haben und bereit gewesen sein, darüber direkte Gespräche mit dem russischen Präsidenten zu führen.

Dazu ist es wegen der Intervention von Boris Johnson, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Vorfeld mit den USA abgestimmt worden war, nicht gekommen. Deshalb weiß man nicht, ob diese Verhandlungen erfolgreich gewesen wären.

Der Zehn-Punkte-Friedensplan der Ukraine

Nach ziemlich genau zehn Monaten Krieg präsentierte der ukrainische Präsident Selenskyj bei seinem Besuch in den USA am 22. Dezember 2022 erstmalig seinen Zehn-Punkte-Friedensplan, die „Friedensformel des ukrainischen Präsidenten“. Konkret geht es bei dem Plan um zehn Bedingungen, die Selenskyj erfüllt sehen will, sollte ein Ende des Krieges erreicht werden.

Der Plan umfasst im Einzelnen:

  • Strahlenschutz und nukleare Sicherheit,
  • Lebensmittelsicherheit,
  • Sicherheit der Energieversorgung,
  • Freiheit für alle Gefangenen und Deportierten,
  • Charta der Vereinten Nationen sichert die territoriale Integrität der Ukraine zu,
  • Rückzug aller russischen Truppen und Einstellung aller Feindseligkeiten,
  • Internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung aller russischen Verbrechen sowie Wiedergutmachungen,
  • unmittelbarer Schutz der Umwelt,
  • Verhinderung weiterer Eskalationen,
  • Friedensabkommen mit der Bestätigung der Beendigung des Krieges.

Zuvor hatte bereits der Fraktionschef der Selenskyj-Partei, „Diener des Volkes“, David Arachamija, auf Telegram erklärt, die Ukraine sei unter vier Bedingungen bereit, mit Russland Gespräche aufzunehmen:

  • Vollständiger Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine
  • Reparationszahlungen
  • Bestrafung aller Kriegsverbrecher
  • freiwillige Abgabe aller Nuklearwaffen“

Danach sei man bereit, sich an den Verhandlungstisch zu begeben und über Sicherheitsgarantien zu sprechen.

Weitere bekannte formale Friedensvorschläge

Wegen fehlender Presseerklärungen kann man nur vermuten, über welche Alternativen zum ukrainischen Friedensplan auf der Konferenz gesprochen wurde. Deshalb sollen die drei bislang bekannt gewordenen offiziellen Vorschläge/Initiativen nachfolgend dargestellt werden.

Der italienische Friedensplan

Am 22. Mai 2022 stellte der damalige italienischen Außenmnister Di Maio auf dem Treffen des Europarates in Turin einen Plan vor, der zuvor mit dem UN-Generalsekretär abgesprochen worden sei. Ziel sei es, Schritt für Schritt vorzugehen und am Ende einen dauerhaften Frieden mit einem echten Abkommen zu erreichen. Der Vorschlag sehe unter anderem die Bildung einer internationalen Vermittlergruppe mit Vertretern von UNO, EU und OSZE vor.

Nach Informationen der italienischen Zeitung „La Repubblica“ sieht das Dokument vier Schritte vor:

  • einen Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
  • Verhandlungen über den Status der Ukraine,
  • ein bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
  • ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.

Der Friedensplan des mexikanischen Präsidenten

Es sei nie zu spät, einen Fehler zu korrigieren, insbesondere, wenn er zu einem Angriff auf menschliche, soziale und wirtschaftliche Rechte auf der ganzen Welt geworden sei. Vor diesem skizzierten Hintergrund präsentierte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador am 24. August 2022 seinen Friedensplan: Mexikos Regierung schlägt darin vor, dass

  • anstelle der Fortsetzung dieses schmerzhaften und absurden Krieges“ unverzüglich ein Komitee für Dialog und Frieden gebildet wird.
  • Als Vermittler sollen die Staatsoberhäupter Indiens und des Vatikans sowie der Generalsekretär der Vereinten Nationen agieren, also der indische Premierminister Modi, Papst Franziskus und UN-Generalsekretär António Guterres.
  • Die Friedensmission unter Leitung der genannten Vertreter soll dann unverzüglich eine Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine und die Aufnahme direkter Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und dem russischen Präsidenten Putin anstreben.
  • Darüber hinaus sollte dieses Verhandlungskomitee nach unserem Vorschlag auch ein multinationales Abkommen erzielen, um einen Waffenstillstand von mindestens fünf Jahren zu vereinbaren, einstimmig angenommen im UN-Sicherheitsrat, welches auch
  • die sofortige Aussetzung militärischer Aktionen und Provokationen sowie von Atom- und Raketentests beinhaltet.
  • Das Abkommen würde die Verpflichtung aller Staaten begründen, Konfrontationen zu vermeiden und nicht in interne Konflikte einzugreifen.

Abschließend erklärte Obrador, dass seine Regierung hoffe, dass auf diese Weise eine Atmosphäre des Friedens und der Ruhe geschaffen werden könne, die es ermöglichen wird, alle Anstrengungen der Regierungen darauf zu verwenden, die elementaren Probleme der Welt wie Armut, Gesundheit, Gewalt und Migration anzugehen. Der mexikanische Präsident schloss mit den Worten:

„Ohne Frieden wird es kein Wirtschaftswachstum geben, geschweige denn Gerechtigkeit. Regieren sollte keine Ausübung von Hegemonie oder Herrschaft sein, sondern vor allem die Suche nach Wohlergehen für die Völker; Macht ergibt nur Sinn und wird zur Tugend, wenn sie in den Dienst anderer gestellt wird. Hoffentlich werden wir mit dieser Initiative Erfolg haben, aber egal was passiert, es wird nie umsonst sein, für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen.“

Der chinesische Zwölf-Punkte-Plan

Der offizielle Titel lautet „Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“. Der chinesische Zwölf-Punkte-Plan wurde am 24. Februar 2023, also am ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine veröffentlicht.

In dem Dokument heißt es:

„Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. Konflikt und Krieg dienen niemandem. Alle Parteien müssen rational bleiben, Zurückhaltung üben und vermeiden, die Flammen anzufachen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder sogar außer Kontrolle gerät.“

Auch fordert China, dass die Grundsätze der Vereinten Nationen streng beachtet werden müssten. Das chinesische Außenministerium verspricht darin, dass China weiterhin eine „konstruktive Rolle“ bei der Wiederaufnahme der Friedensgespräche spielen werde, nannte aber keine weiteren Einzelheiten.

Auf jeden Punkt folgt ein Absatz, in dem die chinesische Position erläutert wird, der jedoch keine konkreten Vorschläge enthält, wie die Punkte erreicht werden sollen. Die Forderungen Chinas im Zwölf-Punkte-Papier:

  • Respektierung der Souveränität aller Länder
  • Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges
  • Einstellung der Feindseligkeiten
  • Wiederaufnahme der Friedensgespräche
  • Beilegung der humanitären Krise
  • Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen
  • Sicherheit der Kernkraftwerke
  • Verringerung der strategischen Risiken
  • Erleichterung der Getreideexporte
  • Beendigung einseitiger Sanktionen
  • Stabilisierung von Industrie- und Versorgungsketten
  • Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten

Stellungnahmen von Teilnehmerstaaten zu Zielen, Inhalten und zum Ergebnis der Konferenz

Auch zu diesen Punkten gibt es wegen der fehlenden Pressepräsenz auf der Konferenz in Dschidda nur wenige Details, deshalb nachfolgend nur die bekannt gewordenen Positionen einiger Länder:

Ukraine

Nichts weniger als die Grundlage einer neuen globalen politischen Architektur soll in Dschidda gelegt werden. So hoch steckt Mychajlo Podoljak, der zum engsten Kreis des ukrainischen Präsidenten gehört, Kiews Erwartungen an den Gipfel in Saudi-Arabien.

Der Leiter des ukrainischen Präsidialstabs, Andrij Jermak, erklärte, dass die Konferenz ein „großer Schlag“ für Russland gewesen sei. Es seien nur Friedensvorschläge der Ukraine diskutiert worden. Auf Telegram schrieb er: „Wir diskutierten mit Vertretern anderer Länder über Verteidigung, Sicherheitsgarantien, die Bedeutung eines globalen Friedensgipfels und eines Getreideabkommens.“ Später erklärte Jermak, die Position der Ukraine sei nach den Gesprächen gestärkt. Alle teilnehmenden Länder hätten sich zur UN-Charta, zum Völkerrecht, zur Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Staaten bekannt. „Wir hatten sehr produktive Beratungen über die wesentlichen Prinzipien, auf deren Basis ein gerechter und dauerhafter Frieden geschaffen werden sollte.“ Ein neues Treffen solle in sechs Wochen stattfinden.

Der ukrainische Präsident Selenskyj lobte das Treffen in seiner täglichen Videoansprache am Abend des 5. August. Die Ukraine treibe ihren Zehn-Punkte-Friedensplan voran. Dieser Plan sei von weiteren Ländern akzeptiert worden. Namen nannte der Präsident jedoch nicht. Während der Konferenz seien viele bilaterale Gespräche geführt worden. Ob dazu auch ein Treffen zwischen der ukrainischen und der amerikanischen Delegation gehört hat, wurde nicht bekannt.

Brasilien

Der frisch gewählte brasilianische Präsident Lula da Silva hatte sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Vermittler im Ukraine-Krieg angeboten und angeregt, einen „Friedensclub“ zu gründen. Der Krieg sei an einem Punkt angekommen, an dem keiner mehr seine Maximalziele erreichen könne. Es sei notwendig, eine Gruppe von Ländern zu bilden, die stark genug sei und respektiert werde, um sich mit Russland und der Ukraine an einen Verhandlungstisch zu setzen. Neben Brasilien erwähnt er China, Indien und Indonesien – diejenigen Staaten, die zwar mehr oder weniger scharf den russischen Angriffskrieg verurteilen, sich aber weder an den westlichen Sanktionen noch an Waffenlieferungen beteiligen. Russland habe den Fehler begangen, „in das Territorium eines anderen Landes einzudringen“, sagte Lula. „Aber ich denke immer noch: Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.“ Man wisse nicht genau, warum der Krieg begonnen worden sei, aber einige sagten, „der Krieg habe begonnen, weil die Ukraine in die NATO“ wolle. Für eine Lösung des Konfliktes müsse mithin über die Ursachen und Hintergründe geredet werden.

Bei einem Portugal-Besuch im April 2023 hatte Brasiliens Staatschef die Ukraine erneut aufgerufen, sich zu Friedensverhandlungen mit Moskau bereit zu erklären, um den russischen Angriffskrieg zu beenden. „Ebenso wie meine Regierung die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine verurteilt, treten wir für eine politische Verhandlungslösung für den Konflikt ein. Wir brauchen dringend eine Gruppe von Ländern, die sich sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland gemeinsam an den Tisch setzt.“

In Dschidda forderte der brasilianische Delegationsleiter Celso Amorim in seiner Stellungnahme, dass „echte Verhandlungen alle Parteien einschließen“ müssten, also auch Russland. „Auch wenn die Ukraine das größte Opfer ist, müssen wir, wenn wir wirklich Frieden wollen, Moskau auf irgendeine Weise in diesen Prozess einbeziehen.“

China

China hat den russischen Überfall bislang nicht offiziell kritisiert und sprach auf der Konferenz weiter offiziell von einer „unparteiischen“ Position, die es in dem Konflikt einnehme.

Deutschland

Im Vorfeld der Konferenz hieß es in Berlin, Ziel des Treffens in Dschidda sei die „Konsolidierung verschiedener Friedenspläne“. Nach einer Erklärung der Bundesregierung hätten sich alle Teilnehmer der Konferenz zur UN-Charta und damit etwa zur Unverletzlichkeit der territorialen Integrität und Souveränität der UN-Mitgliedsländer bekannt. Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich vorsichtig optimistisch. „Jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens bringt ein Stück Hoffnung für die Menschen in der Ukraine.“ Das Signal von Dschidda sei, dass der russische Angriffskrieg „auch die Menschen in Afrika, Asien und Südamerika“ betreffe, etwa was die Energiesicherheit und die Versorgung mit Nahrungsmitteln angehe. Für ein Ende des Krieges habe der ukrainische Präsident Selenskyj „mit seiner Friedensformel dafür einen ganz entscheidenden Pfad aufgezeigt“, sagte Baerbock.

Russland

Am 4. September 2022 hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in der im Staatsfernsehen ausgestrahlten Sendung „Moskau-Kreml-Putin“ gesagt: „Jede Konfrontation endet mit einer Entspannung, und jede Krisensituation endet am Verhandlungstisch. Das wird auch diesmal der Fall sein.“ Wahrscheinlich sei, dass es nicht so schnell geschehen werde, aber es werde passieren.

Am 22. Dezember 2022 hatte sich Präsident Putin auf einer Konferenz in Jekaterinburg zu möglichen Friedensverhandlungen mit der Ukraine ähnlich geäußert. „Alle bewaffneten Konflikte enden mit Verhandlungen, und Russland hat sich nie gedrückt, im Gegensatz zur Ukraine. Je schneller in Kiew die Erkenntnis einkehrt, dass Gespräche notwendig sind, umso besser.“

In Dschidda hätte man den russischen Präsidenten beim Wort nehmen können, aber Russland war zu der Konferenz nicht eingeladen. Trotzdem kündigte Kremlsprecher Dimitri Peskow im Vorfeld an, man werde die Konferenz verfolgen. Man müsse erst verstehen, was die Ziele der geplanten Gespräche seien und was besprochen werden solle. Alle Versuche, eine friedliche Lösung zu fördern, seien „eine positive Bewertung wert.“

Der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow bezeichnete das Treffen laut TASS als sinnlosen und vergeblichen Versuch des Westens, Länder des globalen Südens auf die Seite der Ukraine zu ziehen. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte die Konferenz für bedeutungslos, solange Russland nicht an der Konferenz teilnehme. Sie bekräftigte erneut die russische Position, dass Russland für eine diplomatische Lösung offen sei – aber nur zu seinen Bedingungen. Als solche nannte Moskau in der Vergangenheit etwa, dass die Ukraine alle besetzten Gebiete abtreten solle. Präsident Selenskyjs Formel habe mit Frieden nichts zu tun. Die Russische Föderation habe mehrfach bestätigt, dass diese Formel inakzeptabel sei. Die Gespräche unter saudischer Vermittlung bezeichnete Sacharowa als Betrug.

Kremlsprecher Peskow relativierte seine vorsichtig positive Aussage vor der Konferenz am 6. August gegenüber der New York Times und erklärte, es gebe derzeit „keine Grundlagen für eine Einigung. Wir werden die Operation für die absehbare Zukunft fortsetzen.“ Darüber hinaus deutete er an, Russland wolle die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete verteidigen und behalten.

Nach vorliegenden Hinweisen war Russland von Saudi-Arabien über Inhalt und Verlauf der Konferenz unterrichtet worden.

Zusammenfassende Bewertung

Die Friedenskonferenz als saudische PR-Aktion abzutun, würde dem Treffen nicht gerecht. Man muss vielmehr der deutschen Außenministerin grundsätzlich – allerdings ohne die von ihr gemachten Einschränkungen und Ergänzungen – zustimmen, dass jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens zu begrüßen ist. Das gilt besonders deswegen, weil die UNO und auch die OSZE keinerlei Initiativen erkennen lassen, wie man diesen Krieg beenden könnte. Umso bedauerlicher ist es, dass Russland zu der Konferenz nicht eingeladen wurde, obwohl jedem Politiker klar sein muss, dass man bei einem Streit – gleich welcher Art – nie eine Lösung finden wird, wenn man nur mit einer Partei spricht und verhandelt. Trotzdem gab und gibt es positive Signale, dass es in Zukunft weitere Verhandlungen geben soll – und dann hoffentlich unter Beteiligung Russlands, wie es von Brasilien gefordert wurde. Außerdem war es sicherlich wichtig und richtig, dass auch bilateral die jeweiligen Positionen ausgetauscht wurden und sich offensichtlich alle Teilnehmer darin einig waren, dass dieser Krieg schnellstmöglich beendet werden müsse und dies nur auf dem Verhandlungsweg zu erreichen sei. Hervorzuheben ist auch, dass mit Brasilien, China, Indien und Südafrika außer Russland alle BRICS-Mitgliedsstaaten auf der Konferenz vertreten waren, weil dieses Bündnis in der zukünftigen Gestaltung einer neuen globalen Weltordnung eine wichtige Rolle spielen wird.

Die Initiative Saudi-Arabiens muss uneingeschränkt anerkannt werden, auch wenn das Königreich damit sicherlich eigene politische Ziele verfolgt hat. Das ist legitim und zu respektieren. Durch die – wahrscheinlich sogar vom Kronprinzen Mohammed Bin Salman gebilligte oder gar veranlasste – Ermordung des kritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi war Saudi-Arabien von vielen westlichen Staaten massiv kritisiert worden. Der amerikanische Präsident hatte das Land in seinem Wahlkampf 2020 sogar als „Paria“ bezeichnet. Die Weigerung Saudi-Arabiens, den amerikanischen Wunsch nach einer höheren Ölförderquote zu erfüllen, hatte das Verhältnis zu Washington zusätzlich belastet. Auch der noch immer andauernde Krieg im Jemen schadet dem Königreich.

Durch die unterschiedlichsten politischen Aktivitäten und Initiativen ist es dem Land aber gelungen, sich der Welt positiver zu präsentieren und vor allen Dingen auch seine internationale Position zu stärken. Dazu gehört die Annäherung an die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) – Saudi-Arabien hat mittlerweile den Status eines Dialogpartners – ebenso wie die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Iran. Der Krieg in der Ukraine wird seitens des Kronprinzen als gute Gelegenheit gesehen, als kommender Global Player in Erscheinung zu treten. Schon im September 2022 spielte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman eine führende Rolle bei den Vermittlungsbemühungen, die zur Freilassung von zehn Kriegsgefangenen führten, darunter zwei US-Bürger.

Im Februar 2023 war Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al-Saud in Kiew mit Präsident Selenskyj zusammengetroffen. „Wir unternehmen alle möglichen Anstrengungen, um das Leid des ukrainischen Volkes zu lindern“, sagte der saudische Minister gegenüber Selenskyj. In diesem Rahmen unterzeichneten Riad und Kiew ein Abkommen und ein Memorandum of Understanding, mit dem sich der Golfstaat verpflichtete, insgesamt 400 Millionen Dollar zugunsten der Ukraine zu finanzieren. Konkret fließen 100 Millionen Dollar in ein Kooperationsprogramm zur Bereitstellung humanitärer Hilfe über das „King Salman Humanitarian Aid and Relief Center“, während weitere 300 Millionen Dollar für die Lieferung von Ölderivaten an das europäische Land über den „Saudi Fund for Development“ verwendet werden. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte nach einem Gespräch mit seinem saudischen Amtskollegen: „Wir sehen eine Interaktion mit Saudi-Arabien nicht nur bilateral, nicht nur multilateral im Rahmen der UNO und anderer internationaler Organisationen, sondern auch regional, und wir werden unsere Bemühungen koordinieren.“

Im Mai 2023 hatte der ukrainische Präsident Selenskyj als Gast am Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Dschidda teilgenommen. Obwohl man Russland zur Konferenz nicht eingeladen hatte, dürfte das Königreich auch in Zukunft ein zumindest pragmatisches Verhältnis zu Moskau pflegen, nicht zuletzt, weil man im Energiesektor eng zusammenarbeitet. Saudi-Arabien hatte z.B. in der Vergangenheit für den heimischen Gebrauch preiswertes russisches Öl importiert, um auf diese Weise mehr teures eigenes Öl auf dem Weltmarkt zu verkaufen.

Mit Selbstbewusstsein hat Riad auch sein Verhältnis zu den USA wieder normalisiert und arbeitet aktuell mit Washington an einer Lösung, das Verhältnis zwischen Israel und den arabischen Staaten weiter zu verbessern.

Fazit: Der Wert der Friedenskonferenz in Dschidda liegt trotz des fehlenden konkreten Ergebnisses darin, dass sich etwa 40 Länder überhaupt zu diesem Thema getroffen und ausgetauscht haben und vor allem auch die BRICS-Staaten teilgenommen haben. Die Fortsetzung derartiger Gespräche wird aber nur dann zu einem konkreten Ergebnis führen, wenn auch Russland als zweite Kriegspartei an solchen Treffen teilnimmt. Wenn Riad das gelänge, wäre das nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Friedenslösung, sondern für das Königreich ein Meilenstein, als Global Player anerkannt zu werden.

Titelbild: Osama Ahmed Mansour/shutterstock.com