Die Tagesschau wacht auf: „Sichert die Riester-Rente nur die Banken ab?“

Die Tagesschau wacht auf: „Sichert die Riester-Rente nur die Banken ab?“

Die Tagesschau wacht auf: „Sichert die Riester-Rente nur die Banken ab?“

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Gestern um 20:13 Uhr war unter den Texten der Tagesschau ein Artikel mit der oben zitierten Überschrift und dem folgenden Einführungstext zu lesen: „Die Versprechungen waren groß, doch die Ergebnisse sind oft mehr als mager. Die Riester-Rente sollte eine Zusatzversorgung im Alter sein, stattdessen haben vor allem Banken und Versicherungen abgesahnt. …“ – Dass ein öffentlich-rechtliches Medium über 20 Jahre braucht, um zu dieser fundamentalen Erkenntnis zu kommen, ist außerordentlich beachtlich. Von Anfang der Debatte um Modelle der Privatvorsorge und insbesondere um die Riester-Rente war klar, dass Modelle wie die Riester-Rente und die sogenannte Rürup-Rente zum Vorteil der Banken und der Versicherungswirtschaft geplant und umgesetzt worden sind. Auf den NachDenkSeiten konnte man die sachlich fundierte Kritik von Anfang an lesen – vom Start Ende des Jahres 2003 an. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Recherche unter „NachDenkSeiten Rente“ führt zu unzähligen Artikeln und Hinweisen. Auf eine Auswahl relevanter Artikel weise ich weiter unten hin. Die Artikel stammen vom 15. Dezember 2003 bis zum 31. Juli 2023. Im Artikel vom Juli 2023 ist auch nachzulesen, dass ich mich mit diesem Thema schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigt habe.

Zugegebenermaßen ist das ein frustrierender Rückblick. Ich weise darauf hin, weil an diesem Thema sichtbar wird, dass die politische Willensbildung hierzulande sich weder an den Interessen der Mehrheit der Menschen noch an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. An zwei Personen wird auch sichtbar, dass das Elend der Gestaltung der Altersvorsorge maßgeblich von einem Gewerkschafter und einem Wissenschaftler, der mal als progressiv galt, mitgestaltet und mitbetrieben worden ist. Walter Riester, auf den der Name der Riester-Rente zurückgeht, war stellvertretender Vorsitzender der IG Metall, als er 1998 von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung berufen worden ist. Bert Rürup galt als fortschrittlicher Ökonom. Ich hatte ihn auch deshalb in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Mitarbeiter für die Planungsabteilung des Bundeskanzlers Schmidt engagiert. 2002 wurde er zum Vorsitzenden der sogenannten Rürup-Kommission berufen. Der richtige Name des Gremiums lautete „Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“.

Gegen jede Vernunft, aber voll auf der Linie finanzieller Interessen wurden damals vor allem die Interessen der Banken und Versicherungen bedient und nicht jene der Beitragszahler. Hätte man wirklich für die „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“ sorgen wollen, dann hätte man ohne große Probleme und mit geringem Aufwand das System der Gesetzlichen Rente stärken und ausbauen können – ohne jeden Systemumbau. Man hätte weitere Gruppen wie die Beamten und die Freiberufler in die Sozialversicherung Gesetzliche Rente aufnehmen können. Aber – anders als oft behauptet wird – wäre diese Veränderung sinnvoll, aber nicht essenziell gewesen.

Bert Rürup und Walter Riester haben einen wesentlichen Beitrag zur Teilprivatisierung der Altersvorsorge geleistet. Es verwundert nicht, dass beide dann kommerziell mit dem gleichen Thema beschäftigt waren. Rürup gab seinen Namen für die in der Privatvorsorge kommerziell tätige MaschmeyerRürup AG her. Walter Riester war auch mit dabei. Die Frankfurter Rundschau schrieb darüber am 23.1.2019:

„Unwürdig und unanständig“

Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International hat die geschäftlichen Verbindungen des ehemaligen Arbeitsministers Walter Riester (SPD) und des ehemaligen Wirtschaftsweisen Bert Rürup zu dem umstrittenen Finanz-Unternehmer Carsten Maschmeyer scharf kritisiert. „Das ist eine sehr unanständige Verhaltensweise und eine sehr fragwürdige Praxis“, sagte Transparency-Vorsitzende Edda Müller der FR. „Das ist aus unserer Sicht ein Beispiel für politische Korruption.“ Rürup und Riester wirkten auf sie wie Werbefiguren für die Finanzprodukte von Maschmeyer.

Nun noch die zuvor angekündigte Auswahl von Artikeln der Nachdenkseiten zum Thema Rente vom 15. Dezember 2003 bis 31. Juli 2023. Es ist eine gekürzte Übersicht, das Thema hat uns berechtigterweise sehr, sehr oft beschäftigt:

  • 15. Dezember 2003:

    Auch die Debatte über die Therapien, also über die Reformvorschläge, ist voller seltsamer Denkfehler und Vorurteile. Zwei Beispiele:

    • Das sog. demografische Problem, also die Verschiebung der Relation von arbeitender Generation zur Rentnergeneration zugunsten der Rentner kann durch eine Änderung des Finanzierungssystems nicht gelöst werden. Die Ergänzung der sozialen Rentenversicherung durch die private Vorsorge über die Riesterrente oder andere Modelle, sogar über eine Bürgerversicherung, ändert an der Relation von arbeitender Generation zur Rentnergeneration nichts, gar nichts. Auch die Debatte über die Therapien, also über die Reformvorschläge, ist voller seltsamer Denkfehler und Vorurteile. …

    Das Elend der Reformdebatte

  • 12. Dezember 2006

    Pinochet war nicht nur ein blutiger Diktator- er war auch Förderer der neoliberalen Ideologie. Konkret: Privatrente.

  • 11. Januar 2008:

    Langsam fliegt der Riester-Renten-Schwindel auf

  • 21. November 2008

    Norbert Blüm spießt einmal mehr die Fehlinformationen zur gesetzlichen Rente auf. Sehr gut nutzbar.

    Er hat einen Leserbrief an den Bonner Generalsanzeiger geschrieben, den Sie für Ihre eigene Information und zum Gespräch mit anderen über die Altersvorsorge prima nutzen können. Siehe Anlage 1. Darin ist auch die Information enthalten, dass Argentinien die ihm vom Internationalen Währungsfonds (IMF) aufgedrückte Privatisierung der Altersversorgung rückgängig macht und verstaatlicht. Von Chile wissen wir schon länger, in welcher Krise sich die private Altersversorgung befindet. … Albrecht Müller.

  • 07. Dezember 2009 um 9:49

    Die totale Manipulation ist möglich – Musterbeispiel Demographie und Altersvorsorge

    Für heute, Montag den 7. Dezember, hat die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zu einer Tagung zur Altersvorsorge nach Berlin eingeladen. (Siehe Anlage A.) Schon das Thema „Vor Sorge ums Alter – Was tun gegen die Rentenlücke?“ enthält eine irreführende Tendenz. Die Rentenlücke wird als Gott gegeben dargestellt, von der „Absenkung des Versorgungsniveaus“ ist die Rede. Das Tagungsarrangement läuft auf Werbung für Privatvorsorge hinaus. – Mit einem Feuerwerk von Propaganda und diese stützenden politischen Entscheidungen ist es gelungen, zumindest den jungen Leuten einzubläuen, dass es die gesetzliche Rente mit dem Umlageverfahren nicht mehr bringt. Allerdings hat die auch von den NachDenkSeiten angefachte kritische Diskussion zur Riester- und Rürup-Rente kombiniert mit der Finanzkrise dafür gesorgt, dass die Zweifel in die Privatvorsorge wachsen. Deshalb wird von Seiten der Befürworter zurzeit ein maßloses Gegenfeuer entfacht. In diesen Kontext gehört die Tagung. Im Folgenden werden einige zusammenfassende Anmerkungen zum Gesamtkomplex gemacht. Albrecht Müller …

  • 11. April 2016

    Neoliberalismus ist Mist, die Riester-Rente wird scheitern – das wusste Horst Seehofer auch schon vor zwölf Jahren und wacht erst jetzt auf? Schade.

    Der CSU-Vorsitzende und Bayerische Ministerpräsident Seehofer hat am Wochenende hart über den Neoliberalismus geurteilt und eine Korrektur der Rentenpolitik verlangt. (Siehe hier im Hinweis Nr. 6) Die Riester-Rente sei gescheitert. Das Rentenniveau müsse wieder angehoben werden, um die weite Kreise betreffende Altersarmut zu vermeiden. Für mich ist das wie ein Déjà-vu. Der CSU-Abgeordnete Seehofer hat am 30. August 2004 freundlicherweise (zusammen mit Wibke Bruhns) mein Buch „Die Reformlüge. 40 Denkfehler …“ vorgestellt und dabei betont, dass er praktisch mit allem übereinstimme, was in dieser Kritik des Neoliberalismus, der Agenda 2010 und insbesondere der privaten Altersvorsorge (wie Riester-Rente) zu lesen ist. Warum dieses Bekenntnis Horst Seehofers dann in den entscheidenden Jahren von 2004 bis heute keine Folgen für die praktische Politik hatte, ist nicht zu begreifen. Wie glaubwürdig ist seine Kurskorrektur heute? Albrecht Müller.

    Was wir heute über die Mängel der verschiedenen Methoden der Privatvorsorge und über die Vorteile der gesetzlichen Rente und des Umlageverfahrens wissen, wussten wir auch schon vor zwölf Jahren und früher. Zum Beispiel: ….

  • Am 31. Juli 2023

    Dann an diesem Tag eine Art Resümee der bedrückenden Geschichte der Reform der Altersvorsorge. Der Artikel enthält am Ende auch noch ein Rückblick auf November 1999 mit einem einschlägigen Beitrag für den WDR:

    Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge

    Eigentlich müsste die Überschrift heißen: Über die Vorherrschaft von Einzelinteressen und ihrer Fähigkeit zur Manipulation, dargestellt am Beispiel der sinnloserweise wiederholten Altersvorsorgedebatte. – Anstoß für diesen Beitrag ist ein Text von Reiner Heyse. Er berichtet hier Schlechte Nachrichten für die Freunde der Aktienrente. – RentenZukunft (renten-zukunft.de) anhand von fünf Belegen über die mangelnde Seriosität der sogenannten „Aktienrente“. Dieses Altersvorsorgeprodukt ist die von der amtierenden Koalition propagierte neueste Erfindung in einer langen Debatte um das passende Altersvorsorgeinstrument. In einem historischen Rückblick wird im Folgenden gezeigt, wie wenig rational und stattdessen getrieben von Interessen und begleitet von Manipulationen die gesellschaftspolitische Debatte um die Altersvorsorge in den letzten Jahrzehnten verlaufen ist. Dieser wichtige Teil der Sozial- und Gesellschaftspolitik ist ein Musterbeispiel für die fundamentalen Mängel unserer so oft gepriesenen Demokratie. Albrecht Müller.

Anzumerken bleibt noch, dass auch meine beiden Bücher Die Reformlüge und Meinungsmache einschlägige Kapitel zum Thema enthalten. Die Erkenntnis der gestrigen Tagesschau, dass die Riester-Rente vor allem zugunsten der Finanzwirtschaft eingeführt worden ist, hätte man schon lange haben können.

Titelbild: Inside Creative House/shutterstock.com