Syrische Flüchtlinge: Gefangen in den Netzen der Geopolitik

Syrische Flüchtlinge: Gefangen in den Netzen der Geopolitik

Syrische Flüchtlinge: Gefangen in den Netzen der Geopolitik

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Syrien wird seines Territoriums und seiner Rohstoffe beraubt, die Bevölkerung wird gespalten. Nach Krieg und Kriegsfolgen steht auch Landnahme – wie etwa die Besatzung der syrischen Ressourcen von Öl, Baumwolle und Weizen durch US-amerikanische Truppen – am Anfang der elenden Spirale von Flucht und Vertreibung. Über das Thema Flucht legt sich ein Netz von Interessen regionaler staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, denen es nicht um die Menschen, sondern um Boden und Rohstoffe oder um die Kontrolle von Transportwegen geht. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Als Teil des Kampfes gegen Menschenhandel und illegale Einwanderung über die nationale Grenze haben Einheiten der Armee im Laufe der Woche an verschiedenen Tagen rund 1000 Syrer daran gehindert, illegal über die libanesisch-syrische Grenze zu gelangen.“

Die knappe Mitteilung ist auf der Webseite der libanesischen Armee am 21.09.2023 zu lesen. Beigefügt ist ein Foto, das aus der Vogelperspektive aufgenommen Männer zeigt, die in Reihen hintereinander aufgestellt sind und ihrem Vordermann jeweils ihren linken Arm auf dessen linke Schulter gelegt haben. Die Köpfe sind gesenkt, am Ende der Gruppe stehen einige Frauen mit weißen Kopftüchern, um sie versammelt eine Schar von Kindern.

In der Woche zuvor hatte die Armee verschiedene Barackensiedlungen von syrischen Flüchtlingen in der Bekaa-Ebene durchsucht. Dabei seien 43 Syrer festgenommen worden, die keine Papiere hatten und illegal in den Libanon gekommen seien, ist auf der Webseite der libanesischen Streitkräfte zu lesen. Sie seien dem Richter vorgeführt worden. Die Informationen über den Aufenthalt der Flüchtlinge seien von Einheiten des Inlandsgeheimdienstes gesammelt und der Armee übergeben worden.

Wenige Tage zuvor wiederum hatte die Armee zwei Personen in Tripoli festgenommen. Die beiden „Bürger“, deren Namen lediglich mit AA.A und Q.AA angegeben wurden, hätten eine illegale Schiffspassage über das Meer vorbereitet, so die Mitteilung der Armee. Dafür hätten die beiden ein Boot besorgt, das im Al-Abdeh-Hafen in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli vor Anker gelegen habe. Bei der Durchsuchung des Wohnortes von einer der beiden Personen seien 48 Syrer festgenommen worden, die sich auf die illegale Seereise vorbereitet hätten. Das Boot wurde beschlagnahmt, die Festgenommenen wurden dem Richter vorgeführt. Auch hier waren die Hinweise von Einheiten des libanesischen Inlandsgeheimdienstes gekommen.

Der Blick auf die Webseite der Armee öffnet einige Fenster in das unsichere Geschehen, mit dem der Libanon täglich zu kämpfen hat: illegale Einwanderung, Menschenschmuggel, Schmuggel von Waren, Drogen, illegaler Waffenbesitz und Schießereien wie zuletzt in dem Palästinenserlager Ain al-Hilweh nahe der südlichen Hafenstadt Sidon. Armee und Inlandsgeheimdienst arbeiten eng zusammen, Richter haben viel zu tun, Gefängnisse sind überfüllt.

Hinzu kommen Verletzungen des libanesischen Luftraums von „feindlichen Drohnen“ oder Kampfjets, die aus den besetzten palästinensischen Gebieten – aus Sicht Israels Nord-Israel – in den Libanon eindringen und herumfliegen. Jeder Vorfall wird dem Oberkommandierenden der UN-Friedenstruppen UNIFIL gemeldet. Dort wird das Geschehen verfolgt und mit Israel Kontakt aufgenommen. Israel, aus Sicht des Libanon ein „Feind“, der sowohl libanesisches als auch palästinensisches Territorium widerrechtlich besetzt hält, ignoriert die Vorhaltungen. Im UN-Sicherheitsrat, der ebenfalls informiert wird, werden die Vorfälle aufgelistet.

Den Menschen bleibt keine Wahl

Der Libanon hat sich diese Probleme nicht ausgesucht. Sie sind die Folge jahrzehntelanger Einmischung von internationalen und regionalen Akteuren, die im Nahen und Mittleren Osten, im östlichen Mittelmeerraum, um Einfluss und Macht, um die Eroberung eigener Interessenssphären kämpften. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Den Menschen blieb keine Wahl und so suchten im Ersten Weltkrieg armenische Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich Zuflucht in der Nähe des Hafens von Beirut. 1948 und danach folgten Palästinenser, die aus ihrer Heimat von den jüdischen Milizen vertrieben worden waren, die auf palästinensischem Boden dann den Staat Israel gründeten. Die Palästinenser sprechen von der Nakba, der Katastrophe. Der Staat Israel – für den Verhandeln und Dialog keine Option war – folgte den Palästinensern und bekämpfte sie selbst in den Flüchtlingslagern noch. Die israelische Armee marschierte bis Beirut und hielt den Süden des Libanon bis zum Jahr 2000 besetzt.

Erst am vergangenen Freitag (22.9.2023) erinnerten in Beirut palästinensische und internationale Delegationen an das Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila, das im September 1982 unter den Augen der israelischen Armee unter General Ariel Scharon von christlichen libanesischen Milizen, den Falangisten, verübt worden war. Die Milizen rächten sich für die Ermordung des damaligen libanesischen Präsidenten Bashir Gemayel, einem Falangisten, durch einen Palästinenser und ermordeten 1.700 Frauen, Männer und Kinder. Die israelische Armee hatte die Falangisten ausgebildet, bewaffnet und half in der Nacht mit Leuchtgranaten, damit genug Licht war, um mit dem Morden weitermachen zu können. Die Verantwortlichen wurden nie bestraft, Scharon wurde später israelischer Ministerpräsident.

Bis heute auf der Flucht

Nach den Palästinensern suchten Iraker Zuflucht im Libanon und selbst Kurden kamen aus der Türkei. Schließlich kamen auch syrische Flüchtlinge, deren Heimat bis zum Krieg 2011 im Laufe von Generationen selber Millionen Flüchtlinge aufgenommen hatte. Heute sind mehr als 800.000 syrische Flüchtlinge im Libanon bei UN-Hilfsorganisationen registriert, die libanesische Regierung geht davon aus, dass 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge sich im Land aufhalten. Die Fluchtbewegung aus Syrien hat in den letzten Wochen und Monaten wieder dramatisch zugenommen, weil die Lebenshaltungskosten unbezahlbar geworden sind. Die Regierung hat die Subventionen eingestellt, was die Menschen vor unlösbare Probleme stellt, ihren Alltag zu bewältigen. Die Kriegsfolgen, die Wirtschaftssanktionen von EU und USA, die US-amerikanische und türkische Besatzung der syrischen Öl-, Weizen- und Baumwollfelder und der Olivenhaine stehlen dem Land die Ressourcen, die für die Versorgung der Menschen und den Wiederaufbau gebraucht werden. Und so fliehen Tausende über die Grenzen in den Libanon, wo die Libanesen selber nicht genug Arbeit haben, wo es keinen Strom und wenig Wasser gibt, wo Hunger und Obdachlosigkeit herrschen, wo Bildung und Gesundheit Luxus geworden sind.

Der Libanon ist nicht in der Lage, die vielen Probleme zu lösen. Seit Jahren appelliert das Land an die UNO und die internationale Gemeinschaft, ihm bei der Rückführung von syrischen Flüchtlingen zu helfen. Erst vor wenigen Tagen sprach der Interims-Ministerpräsident Najib Mikati vor der UN-Versammlung über die Schwierigkeiten, denen der Libanon mit den mehr als einer Million syrischen Flüchtlingen ausgesetzt ist. Libanon führt Gespräche mit Syrien und Staaten der Arabischen Liga, die nach Lösungen suchen, die Menschen bei einer freiwilligen Rückkehr zu unterstützen. Doch die Möglichkeiten sind gering, zumal die großen Geldgeber der Hilfsorganisationen, die USA, Deutschland und die EU, eine Rückkehr der Syrer in ihre Heimat ablehnen. Stattdessen wurden in einer „Libanon-Resolution“ des Europaparlaments Mitte Juli 2023 viele Bedingungen formuliert, die der Libanon erfüllen müsse, damit ihm geholfen werde.

Die Elenden schlagen sich mit den Elenden

Die Menschen geraten zunehmend aneinander. Die Elenden schlagen sich mit den Elenden um Arbeit, um Wohnungen, um Geldgeschenke, um Almosen. Ende August kam es in der Republik Zypern zu Protesten gegen Flüchtlinge in der Stadt Paphos. Es gab Schlägereien, Geschäfte der Flüchtlinge wurden zertrümmert. Medien berichteten, rechte Gruppen hätten den Protest organisiert. Bewohner Zyperns erklärten, die Aggressionen richteten sich vor allem gegen afrikanische Flüchtlinge, die über die Türkei und den türkisch besetzten Teil Nordzypern über die grüne Grenze in die Republik Zypern kämen. Hinzu kommen Hunderte Flüchtlinge aus Syrien, Palästinenser und Libanesen, die über das Mittelmeer im Süden der Insel anlanden. In der Türkei werden syrische Flüchtlinge attackiert und so manche werden abgeschoben in die Gebiete Syriens, die von Al-Qaida-nahen Gruppen im Norden und Nordwesten kontrolliert werden.

Internationale Denkfabriken und Stiftungen schieben die Spannungen auf den Klimawandel, der den Boden austrockne und dafür sorge, dass Regen und Schnee ausblieben und es an Wasser fehle. „Rising Temperatures, Rising Tensions“, was so viel heißt wie: „Steigende Temperaturen, steigende Anspannung“.

Die Klimaveränderungen tragen zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anspannungen bei, das ist wahr. Doch der zentrale Grund für die angespannte Lage in der Region ist eine falsche Politik des Westens seit mehr als 100 Jahren. Obwohl die Staaten der Region in den 1940er Jahren unabhängig wurden – von britischem und französischem Mandat –, mischten sich die ehemaligen Mandatsmächte und zunehmend die USA immer wieder in die Staatenentwicklung der Region ein.

Die Folge: Unruhen, Umstürze, bewaffnete Konflikte und Kriege brachen aus, wenn bspw. eine Regierung entschied, die nationalen Ölressourcen (Iran, Irak) zu verstaatlichen. Seit 2001 ist die Region im Fokus des von den USA erklärten „Krieges gegen den Terror“, der Land und Gesellschaft verwüstet, der Flucht, Menschen-, Drogen- und Waffenschmuggel begünstigt, der sich wie ein Netz über Länder und Völker spannt, dem sie kaum entrinnen können.

Syrien ist nur ein Beispiel

Angesichts ihrer kriegs- und krisenzerstörten Heimat Syrien suchen auch 12 Jahre nach Beginn des Krieges in dem Land (2011) noch immer Menschen nach neuen Lebensperspektiven für sich, vor allem aber für ihre Kinder. Die einen fliehen vor dem Militärdienst, der in Syrien obligatorisch ist. Die meisten suchen im nahen und fernen Ausland Arbeit, Ausbildung, ein sicheres Zuhause, um eine Familie zu gründen und genug zu verdienen, um die Eltern in Syrien unterstützen zu können. Je nach finanziellen Möglichkeiten kaufen sie eine Passage, die von Schmugglern kontrolliert wird. Es geht mit dem Bus oder Flugzeug von Damaskus oder Aleppo in den Libanon. Dort erhält man durch Mittelsleute ein Visum für ein europäisches Land, bevorzugt ist Deutschland. Dann reist man, ggf. auch mit Kindern, mit dem Flugzeug nach Brüssel, Frankfurt, Berlin oder Stockholm, um sich in ein Asylverfahren einschleusen zu lassen. Alles inklusive kostet das bis zu 20.000 Euro.

Wer nicht so viel Geld hat, kauft einen Platz auf einem der oftmals seeuntauglichen Boote, um von Tripoli (Nordlibanon) über das Mittelmeer in die Republik Zypern, auf eine griechische Insel oder nach Italien zu gelangen.

Manche versuchten mit einem Flug von Dubai nach Belarus zu gelangen, um von dort über die grüne Grenze nach Polen und von dort nach Deutschland geschleust zu werden. Sein Bruder habe mehr als 14 Tage in einem Hotel in Minsk gewartet, bis man ihn zurückgeschickt habe, erzählt M., ein Fahrer, der seine Gäste zwischen Beirut und Damaskus chauffiert. Er habe ihm gesagt, er solle es lassen, meint M. Doch sein Bruder habe nicht gehört. 6.000 US-Dollar habe ihn die Tour gekostet – „was hätten wir mit dem Geld hier in Syrien machen können!“

Junge Männer nehmen den Bus, eine Schmuggelroute oder das Flugzeug nach Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Norden des Irak. Von dort versuchen sie, nach Europa zu gelangen. Bis das klappt, arbeiten sie und können so zur Finanzierung ihrer Emigration beitragen. Wer während des Krieges Zuflucht in Jordanien suchte und fand, ist möglicherweise weitergereist nach Ägypten und von dort nach Libyen, um mit einem der vielen illegalen Boote die Überfahrt nach Italien zu wagen. Nun werden viele dieser Menschen in der verheerenden Flut ums Leben gekommen sein, ihre Spur verliert sich. Ihre Familien werden nie erfahren, was geschah.

Falsche Hoffnung

Wer vom Libanon mit einem Boot die Überfahrt in die Republik Zypern überlebt, schöpft Hoffnung. Die Republik Zypern ist Mitglied der Europäischen Union, die Insel könnte für die Menschen die Chance zum Absprung in die europäischen Kernländer sein.

Die Republik Zypern hat offiziell rund 1,24 Millionen Einwohner. Die Zahl der asylsuchenden Flüchtlinge hat sich seit 2002 auf mehr als 93.000 erhöht. Damit ist die Republik Zypern das Land Europas, das pro Einwohner die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Und da das Land den Anforderungen zur Versorgung der Flüchtlinge nicht mehr gerecht werden kann, will Zypern diejenigen abschieben, die keine Perspektive auf einen Aufenthaltsstatus haben. Das betrifft besonders diejenigen, die aus dem Libanon die gefährliche Fahrt über das östliche Mittelmeer überstanden haben.

Wo immer sich die Menschen auch hinwenden, die aus Syrien fliehen, sie alle sind mit den gleichen Problemen konfrontiert. Sie müssen Geld für Schlepper, Unterhalt und Unterkunft aufbringen. Sie brauchen Geld, um an ein Visum zu kommen, Geld, um einen Platz in einem Boot über das Mittelmeer oder in einem anderen Transportmittel – legal oder illegal – zu finanzieren. Es gilt, Grenzen und Zölle, Polizeikontrollen und –stationen mittels Bestechung zu überwinden. Wird man krank, bleibt man auf der Strecke. In einem Lager, in einer illegalen Unterkunft, auf der Straße.

Landnahme und Besatzung

EU-Regierungen und die EU-Kommission mahnen und warnen. Hilfsorganisationen helfen und werben um Geld für die Hilfe. Medien und sogenannte Nicht-Regierungsorganisationen liefern die Darstellung der desolaten Lage von fliehenden Menschen. Staatliche Hilfsorganisationen oder westlich gespeiste Finanzfonds werden in den Gebieten aktiv, die von Gruppen kontrolliert werden, die – anders als Syrien – politisch und wirtschaftlich unterstützt werden sollen.

Eine Hilfsorganisation aus Katar baut beispielsweise neue Siedlungen, Krankenhäuser und Schulen entlang der syrisch-türkischen Grenze, die von der Al-Qaida-nahen Hayat Tahrir al-Scham (HTS), der Türkei und türkei-treuen bewaffneten Verbänden kontrolliert werden.

Anfang September teilte die „Qatar Charity“ mit, man habe den Gründungsstein für den Bau einer neuen Stadt bei Al Bab nördlich von Aleppo gelegt. „Al Karama“ (Würde) soll die Stadt heißen, die mit dem Geld von „Wohltätern“ aus dem Emirat Katar finanziert werde, so die Mitteilung von „Qatar Charity“. Der Bau werde in Kooperation mit der türkischen Provinz Gaziantep erfolgen, die Stadt solle für 8.500 syrische Inlandsvertriebene zur neuen Heimat werden. Bei einer Veranstaltung seien innerhalb von 3 Stunden 33 Millionen Qatari Rial gesammelt worden, umgerechnet etwa 9,4 Millionen Euro. Schon zuvor hatte „Qatar Charity“ die Stadt Al Amal (Hoffnung) im Norden Syriens gebaut, in der mehr als 8.800 Inlandsvertriebene angesiedelt wurden.

Al Bab liegt auf syrischem Territorium. Eine Vereinbarung mit der syrischen Regierung ist nicht bekannt. De facto wird auf diese Weise eine Mauer aus fremdkontrollierten Siedlungen zwischen Syrien und der Türkei errichtet, auf syrischem Territorium. Diese Art von „Wohltat“ spaltet Syrien und seine Bevölkerung ebenso wie die Besatzung der syrischen Ressourcen von Öl, Baumwolle und Weizen durch US-amerikanische Truppen. Syrien wird seines Territoriums und seiner Rohstoffe beraubt, die Bevölkerung wird gespalten. Nach Krieg und Kriegsfolgen stehen diese Art von Landnahme und Besatzung am Anfang der elenden Spirale von Flucht und Vertreibung.

Einhaltung des internationalen Rechts, der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität des syrischen Staates würden das stoppen. So steht es auch in der UN-Sicherheitsratsresolution 2254, die aber bisher nicht umgesetzt werden konnte. An die Stelle von Besatzung und Landnahme würden Verhandlungen treten. Statt Sanktionen gäbe es politische und finanzielle Unterstützung.

Das aber ist politisch von den interessierten staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren nicht gewollt, weil sie ihren Einfluss verlören. Und so spenden reiche Wohltäter und Hilfsorganisationen betteln um Geld, um Hilfe und Almosen für die Flüchtlinge und die eigene Arbeit finanzieren zu können. Die großen Geldgeber für die humanitäre Hilfe für Syrien – USA, Deutschland und die Europäische Union – verbinden mit ihren Geldzuwendungen Bedingungen, wie und wofür das Geld eingesetzt werden darf. Für die von Regierungsgegnern kontrollierten Gebiete, für Flüchtlinge in Lagern in der Türkei, Libanon und Jordanien gibt es Geld. Nicht aber für diejenigen, die in ihre syrische Heimat zurückkehren möchten. Die Fluchtbewegung wird so nicht enden. Das Leben in Syrien wird blockiert.

Gefangen in den Netzen geopolitischer Interessen

Keine Region der Welt hat so lange und so viele Flüchtlinge gesehen wie der östliche Mittelmeerraum. Die Vertreibung der Armenier und Assyrer Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts; die Vertreibung der Kurden seit den 1930er Jahren; die Vertreibung der Palästinenser seit 1948; die Vertreibung von Libanesen während der Bürgerkriege 1958 und 1975-1990; die Vertreibung der Iraker mit den Golfkriegen 1980/88; 1990/91 und 2003 bis heute; die Vertreibung der Libyer 2011; die Vertreibung der Syrer seit 2011/12; die Vertreibung der Jemeniten seit 2016. Hinzu kommen Flüchtlinge aus Afghanistan, aus Afrika, die in dem einen oder anderen Land zwischen Pakistan und dem Mittelmeer, in Nordafrika oder den südeuropäischen Ländern gestrandet sind.

Auf der Suche nach neuen Perspektiven geraten die fliehenden Menschen in ein Netz von Schmugglern und Grenzen, in dem Lager, in denen Almosen verteilt werden, häufig die Endstation sind. Darüber legt sich ein Netz von Interessen regionaler staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, denen es nicht um die Menschen, sondern um Boden und Rohstoffe, um Kontrolle von Transportwegen geht. Darüber spannt sich ein Netz von Kriegen und den Folgen dieser Kriege, die Länder und die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen zerstören. Diese Kriege sorgen für Profit für den Militärisch-Industriellen Komplex aus Rüstungsindustrie, Militär und Politik mit dem Ziel, die weitere Anhäufung von Macht und Profit zu sichern. Parteien, Regierungen, Industrie und Handel, Wissenschaft, Forschung, Bildung und Medien und selbst das internationale Recht sollen diesem Ziel unterworfen werden.

Die Menschen, deren Länder dafür zerstört werden, sind viele und sie sterben früh. Sie sterben in den Kriegen und an den Folgen der Kriege. Sie werden krank und sind hungrig. Sie sterben bei Kämpfen mit anderen, die ihr Land und ihr Leben vor der Zerstörung schützen oder selber aus dem Netz ausbrechen wollen. Sie sterben auf der Flucht, in einem Lager oder im Mittelmeer.

Titelbild: thomas koch / shutterstock.com

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