Israel und die Region

Israel und die Region

Israel und die Region

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Wie im Nahen und Mittleren Osten Israel und seinen Verbündeten Grenzen aufgezeigt werden. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Es ist dumm, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“

Dieses Zitat wird Albert Einstein zugeschrieben und wird aktuell in zahlreichen englischsprachigen Texten in Verbindung mit der israelischen Kriegspolitik gegen seine arabischen Nachbarn zitiert. Andrew Cockburn, Herausgeber des monatlichen Harper Magazin (Washington), das erstmals 1850 erschien, schreibt in einem aktuellen Artikel, es sei schwierig zu verstehen, was Israel sich von der Ermordung des stellvertretenden Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, Saleh al-Arouri, am 2.1.2024 in Beirut erhofft habe. Das Gleiche gelte für die US-Administration, die „im Herzen von Bagdad am 4. Januar den irakischen Anführer einer schiitischen Miliz Mushtaq Taleb al-Saidi ermordete“. Sollten die Attentäter erwarten, dass die Hamas geschwächt oder die Angriffe auf US-Militärbasen im Irak oder in Syrien verringert würden, seien sie „eindeutig als Verrückte einzustufen“, so Cockburn.

Israel sei „süchtig nach Mord“, schreibt Cockburn und verweist auf das Buch „Rise and Kill First“ von Ronen Bergman, in deutscher Übersetzung bei Penguin erschienen unter dem Titel „Der Schattenkrieg. Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad“.

Bergman berichtet in dem 2018 erschienenen Buch über mehr als 2.700 Personen, die seit der Gründung des Staates Israel (1948) erschossen, vergiftet, in die Luft gesprengt oder auf eine andere Weise getötet wurden. Fünf Jahre später dürfte diese Liste deutlich länger geworden sein. Diese „Mordlust“ scheine zwanghaft zu sein, so Cockburn. Alternativen wie Diplomatie oder Kompromisse würden von Israel ausgeschlossen.

Die Angriffe auf die arabischen Nachbarn haben schon vor der Staatsgründung Israels begonnen. Damals waren es zionistische Banden, die sogar die britische Mandatsmacht nicht verschonten. Bei dem Angriff das King-David-Hotel in Jerusalem 1946, das Hauptquartier der Briten, wurden 91 Menschen getötet. Verantwortlich war die zionistische Irgun, die damals von Menachem Begin kommandiert wurde, einem späteren israelischen Ministerpräsidenten. Unmittelbar nach Staatsgründung schickten die Vereinten Nationen einen Sonderbeauftragten in das Gebiet, um im Krieg zwischen Israel und arabischen Staaten einen Waffenstillstand auszuhandeln. Der norwegische Diplomat Folke Bernadotte wurde von der zionistischen Lehi-Stern-Gruppe ermordet, der damals auch Yitzhak Shamir angehörte, ein späterer israelischer Ministerpräsident.

Gezielte Morde

Der israelische Krieg gegen Gaza hat nach drei Monaten Tod, Vertreibung und Zerstörung über die Palästinenser im Gaza-Streifen und in dem von Israel besetzten Westjordanland gebracht. Ziel Israels ist die „Vernichtung der Hamas“, das Ausmaß ist verheerend. Zehntausende Zivilisten wurden bei massiven Bombenangriffen getötet, tausende Tote sind unter den Trümmern verschüttet und können nicht geborgen werden. Offen wird über die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen in die Wüste Sinai in Ägypten nachgedacht. Die Palästinenser aus dem Westjordanland wollen die mit Siedlern verbündeten rechtsradikalen Minister der Regierung Netanyahu nach Jordanien vertreiben. Anstelle der Al Aqsa-Moschee soll in Ostjerusalem ein neuer jüdischer Tempel errichtet werden.

„Wir töten sie alle“, sagt eine Frau, die einen jungen israelischen Reservisten bei der Abreise begleitet, im Oktober 2023 im Fernsehsender euronews. „Vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer, das alles gehört uns. Es wurde uns versprochen. Es gibt keine palästinensische Nation, niemand will sie haben.“ Wenn die Geiseln befreit seien, „werden wir das Shifa-Krankenhaus bombardieren, alle Krankenhäuser, alle Tunnel und wir werden alle töten. Es ist höchste Zeit. Die Welt weiß das, es gibt keine Diskussion darüber. Wir sind heute der Mittelpunkt der Erde.“

Doch dieser zionistische „Mittelpunkt der Erde“ hat nach drei Monaten Krieg außer Zerstörung und Tod nichts erreicht. Die Freiheit der verbliebenen Geiseln, die noch im Gaza-Streifen festgehalten werden, rückt mit jedem weiteren Tag des Krieges in weite Ferne. Drei der Geiseln, die ihren Aufpassern entfliehen konnten und sich mit bloßem Oberkörper, einer weißen Fahne und Hilferufen in Hebräisch israelischen Soldaten zeigten, wurden von denen, die sie eigentlich retten sollten, erschossen. Israelische Medien schreiben ungeschönt über die Folgen, die der Gaza-Krieg für die israelischen Soldaten hat. Die Golani-Brigade, eine Sondereinsatztruppe, musste sich nach dem Verlust von 11 ihrer Soldaten in einem Hamas-Hinterhalt zurückziehen. Die Zahl der in Gaza getöteten israelischen Soldaten stieg zuletzt auf 175 (05.01.2024).

Mehr als 5.000 Soldaten wurden nach Angaben des israelischen Nachrichtenportals Ynet News verletzt, von denen 2.000 offiziell vom israelischen Verteidigungsministerium als kriegsversehrt eingestuft werden. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete, 18 Prozent der IDF-Soldaten, die im Gaza-Streifen kämpften, hätten psychische Probleme und litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PSTD).

Zusätzlich zum Gaza-Krieg wird die israelische Armee auch von den Hamas-Verbündeten im Libanon, im Jemen, im Irak und in Syrien erheblich unter Druck gesetzt. Die „Achse des Widerstandes“, eine militärische Formation, die von dem iranischen General Qassim Soleimani seit Beginn des völkerrechtswidrigen US-Krieges gegen den Irak 2003 aufgebaut wurde, soll den US-amerikanischen Vormarsch in der Region des Nahen und Mittleren Ostens zurückdrängen. Das betrifft auch und vor allem Israel, den engsten Verbündeten der USA in der Region.

Auf Drängen der USA scheint die israelische Armee einen Kurswechsel zu vollziehen. Ohne die Bombardierungen des Gazastreifens aus der Luft, durch die Artillerie und vom Meer einzuschränken, werden Truppen zurückgezogen. Washington will, dass Israel den Kampf gegen die Hamas fortsetzt, gleichzeitig aber die Zivilbevölkerung mehr schützt und die Lieferung humanitärer Hilfe in die Trümmerwüste ermöglicht. US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin sagte Anfang Dezember im Reagan National Defense Forum, Israel müsse verstehen, dass es „den Häuserkampf (original urban warfare) nur gewinnen kann, wenn es die Zivilisten schützt“. Das „Gravitationszentrum“ in diesem Kampf sei die Zivilbevölkerung, so Austin. „Wenn man sie in die Arme des Feindes treibt, wird aus einem taktischen Sieg eine strategische Niederlage.“

Israel solle mehr zu den Mitteln des Krieges niedriger Intensität greifen, lautet der Vorschlag aus Washington. Man könnte meinen, Israel solle die Intensität des Krieges zurückfahren, tatsächlich aber kommen neben Bombardierungen in einem Krieg niedriger Intensität viele verschiedene Kriegsmethoden zum Einsatz. Dafür gibt es beim US-Militär seit den 1990er Jahren eine Anleitung in Form eines „Field Manual“, das nach den Kriegen niedriger Intensität in Lateinamerika (Nicaragua, El Salvador, Guatemala, Argentinien) und später in Afghanistan, Irak bis heute aktualisiert wird.

Kurz vor Weihnachten appellierte US-Außenminister Antony Blinken an Israel, mehr gezielte Angriffe gegen die Führung der Hamas und ihre Infrastruktur einzusetzen. Damit würde das „Leid für die Zivilisten“ deutlich zurückgehen.

Der gezielte Drohnenangriff in Beirut am 2. Januar des neuen Jahres gegen den stellvertretenden Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, Saleh Al-Arouri, trägt genau diese Handschrift. Israel hat schon früher im besetzten Westjordanland und im Gaza-Streifen hochrangige politische Führer der Palästinenser auf diese Weise getötet. Die Methode wird auch von der Türkei gegen kurdische Führungspersönlichkeiten im Nordosten Syriens angewandt. Unter den Augen der US-geführten „Anti-IS-Allianz“ – und der russischen Armee – führt Israel völkerrechtswidrig seit Jahren in Syrien solche Mordanschläge aus. In Aleppo, Latakia, Damaskus, auf dem Golan oder an der syrisch-irakischen Grenze bombardiert die israelische Luftwaffe – mit Kampfjets und Drohnen – ungestraft. Neben „traditionellen“ Angriffen werden tatsächliche oder vermeintliche Führungspersönlichkeiten gezielt hingerichtet, auch in Nachbarländern. Das geschieht ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne Verteidigung. Das „Recht des Stärkeren“ wird exekutiert, eine „Zielperson“ wird „liquidiert“.

Finden, Festhalten, Fertigmachen

Die USA haben viel Erfahrungen mit gezielten Morden. Der Einsatz von Drohnen hat das blutige Geschäft auf eine neue Stufe gehoben. Vorreiter sind die USA, wie der Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch „Assassination Complex“ beschreibt. Darin geht es um den geheimen US-Drohnenkrieg an verschiedenen US-Kriegsschauplätzen wie Afghanistan, Somalia, Irak und Jemen, der besonders unter US-Präsident Barack Obama ausgeweitet wurde.

Scahill und das Internet-Portal The Intercept veröffentlichten geheime „Drohnen-Papiere“, die ihnen von einem „Whistleblower“ zugespielt worden waren. Darin geht es um den verdeckten Krieg, um die „Tötungskette“ (The Kill Chain) und die geheimen Kriterien für die Auswahl von „Zielpersonen“ und Waffen sowie um die Zustimmung des Weißen Hauses. Man erfährt, wie Personen auf eine Todesliste kommen, wie sie nach dem Motto „Finden, Festhalten, Fertigmachen“ (Find, Fix, Finish) getötet werden.

Der Anschlag am 2. Januar 2024 in Beirut war einer von vielen in einer langen Reihe gezielter Morde. Angesichts der engen Kooperation zwischen Israel und den USA im Krieg gegen Gaza und gegen die Hamas ist eine Kooperation und/oder das Wissen darüber in Washington nicht auszuschließen. Israel bekennt sich nicht dazu, schließt es aber auch nicht aus. Der Sicherheitsberater der israelischen Regierung Mark Regev erklärte vor Journalisten, „wer immer das war, es ist klar, dass es kein Angriff auf den Staat Libanon“ war. Es sei auch kein Angriff gegen die Hisbollah gewesen, so Regev. Es handele sich um „einen chirurgischen Angriff auf die Führung der Hamas.“

„Es ist dumm, immer Dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“

Immer neue Mordkommandos, die Israel ohne oder wahrscheinlich mit US-Unterstützung gegen seine arabischen Nachbarn durchführt, lösen kein Problem. Das zeigt die lange Geschichte dieser „Operationen“ beispielhaft im Libanon, Palästina, Irak, Iran und Syrien. Morde an Führungspersonen der Hisbollah, der Hamas, der iranischen Revolutionsgarden oder an irakischen Milizen haben immer dazu geführt, dass diese Organisationen größer und stärker wurden, sich besser ausbildeten, politisch an Zulauf gewannen.

Der Grund ist, dass es um das Land geht, von dem Israel seine Nachbarn vertreiben will. Es geht um Wasser und Bodenschätze, um Selbstbestimmung und um Entwicklung der Bevölkerung. Es geht um Handel und Politik und darum, dass gerade die Bewegungen, die Israel und die USA mit ihren Partnern so vehement bekämpfen, ihr Recht verteidigen, in ihrem Land selbstbestimmt zu bestehen. Sie sind keine Terroristen, sondern konfrontieren die USA und ihre Partner mit den Mitteln, die sie haben, damit, dass sie ein Recht auf ihr Land und auf Souveränität haben. Militärische Besatzung und jede ungebetene Einmischung in die inneren Angelegenheiten verletzt das internationale Recht. Das gilt nach der UN-Charta für alle Staaten, egal wie groß, egal wie reich, egal wie stark sie militärisch sind.

Ein Beispiel ist Jemen, das Armenhaus der arabischen Welt, in dem die USA einen mörderischen Drohnenkrieg führten und dann die von Saudi-Arabien geführte Kriegsallianz gegen die Ansarallah, die Houthi-Bewegung, unterstützten. Heute gibt es Friedensgespräche und Saudi-Arabien ist neben den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Iran Mitglied im Bündnis der BRICS-Staaten geworden. Im März 2023 einigten sich Iran und Saudi-Arabien unter Vermittlung Chinas, ihre Feindseligkeiten einzustellen und ihre Beziehungen wiederaufzunehmen. Und die lange von Saudi-Arabien bekämpfte Houthi-Bewegung fordert heute die USA, Israel und deren westliche Unterstützer im Roten Meer heraus. Ihre Forderungen sind konkret: Waffenstillstand in Gaza, Ende der israelischen Besatzung, Freilassung der Gefangenen. Gefragt ist Diplomatie, keine Aufrüstung.

In einer Rede am 3. Januar in Beirut wies der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, auf die Veränderungen in der Region hin. Israel und die USA hätten mit dem Krieg gegen Gaza vor der Weltgemeinschaft ihre Glaubwürdigkeit verloren, sagte er. In der UN-Vollversammlung hätten 153 Staaten einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Krieg gefordert. Die gerechte Sache der Palästinenser sei wieder auf der Tagesordnung und erhielte weltweit große Unterstützung. Israel habe sich politisch und moralisch entlarvt, jeder sehe, wie Israel das internationale Recht breche. Das gleiche gelte für die USA. Deren mediale Überlegenheit sei gebrochen. Nach drei Monaten habe Israel keinen Sieg erreicht und die psychologischen Auswirkungen des Krieges in Israel hätten die israelische Gesellschaft gespalten.

Der israelische Drohnenangriff auf Saleh Al-Arour und seine Mitstreiter sei ein Angriff sowohl auf die Hamas als auch auf den Libanon gewesen. Es sei auch der erste Angriff im Herzen von Südbeirut seit dem Krieg 2006 gewesen. Das sei sehr gefährlich und der Mord werde mit Sicherheit beantwortet werden. Nasrallah wandte sich direkt an Israel und erklärte, die militärischen Operationen gegen Israel entlang der Waffenstillstandslinie dienten der Unterstützung der Palästinenser und richteten sich gegen den „zionistischen Krieg gegen Gaza“. Es seien abgewogene Angriffe, die den nationalen Interessen des Libanon entsprächen. Die Hisbollah sei einem „Überraschungsangriff“ der israelischen Armee zuvorgekommen. Sollte Israel aber einen „totalen Krieg gegen den Libanon beginnen, werde es für den Widerstand (Hisbollah) keine Grenzen geben.“

Israelische und deutsche Medien interpretierten diese Aussage als Kriegsdrohung gegen Israel. Tatsächlich kündigte Nasrallah an, man werde sich verteidigen, sollte Israel versuchen, den Libanon erneut zu besetzen.

Titelbild: hyotographics / shutterstock.com

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