Westliche Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen – Alternativlose Maßnahme zur Abwehr der Attacken gegen die Handelsschifffahrt?

Westliche Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen – Alternativlose Maßnahme zur Abwehr der Attacken gegen die Handelsschifffahrt?

Westliche Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen – Alternativlose Maßnahme zur Abwehr der Attacken gegen die Handelsschifffahrt?

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Nach wiederholten Angriffen der Huthis auf Handelsschiffe im Golf von Aden und im Roten Meer haben US-amerikanische und britische Kampfflugzeuge im Rahmen der Operation „Prosperity Guardian“ mehrfach Einrichtungen der Huthis im Jemen angegriffen und damit eine weitere Eskalation der Gesamtlage in der Nahmittelost-Region in Kauf genommen. Washington und London und die sie bei ihren Angriffen unterstützenden Staaten berufen sich bei ihren Operationen auf die UN-Resolution 2722 vom 10. Januar 2024. In diesem Zusammenhang stellen sich allerdings zwei Fragen: Ob die Angriffe auf Einrichtungen im Jemen von der Resolution gedeckt sind und ob es keine Alternativen zu dieser offensiven Reaktion auf die Gefährdung der Handelsschifffahrt gibt. Bevor die möglichen Alternativen aufgezeigt werden, ist es wichtig zu wissen, auf welcher Basis die aktuellen Angriffe der USA und Großbritanniens durchgeführt werden. Von Jürgen Hübschen.

Operation „Prosperity Guardian“

Bei der Operation „Prosperity Guardian“ handelt es sich um eine multinationale Koalition, die im Dezember 2023 als Reaktion auf die Angriffe der Huthi-Rebellen auf die Schifffahrt im Roten Meer in der Meerenge Bab al-Mandab ins Leben gerufen wurde. Außer den USA beteiligen sich, nach Angaben aus dem US-Verteidigungsministerium, u.a. Bahrain, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, die Niederlande, Norwegen und die Seychellen an der Operation. Durch die stärkere Kooperation zwischen den Seestreitkräften solle der Schutz von Handelsschiffen verbessert werden. Nach US-Angaben haben, mit Stand 22. Dezember 2023, insgesamt mehr als 20 Länder zugestimmt, sich an der Koalition zu beteiligen, wobei einige nicht öffentlich genannt wurden.

Die Operation steht unter amerikanischem Kommando, und das Hauptquartier liegt in Bahrain, wo Großbritannien und die USA Stützpunkte betreiben.

Vertreter des Pentagons bezeichneten das Bündnis als Antwort auf ein internationales Problem, demnach würde die Huthi-Miliz die Wirtschaft von Nationen der ganzen Welt gefährden. Die Operation müsse sich allerdings nicht nur auf Schiffe begrenzen.

Außer den USA und Großbritannien beteiligen sich die vom Pentagon genannten Staaten nicht an konkreten Angriffen gegen die Huthi-Rebellen, vor allem nicht an Einsätzen gegen Huthi-Einrichtungen im Jemen selbst. Einige Staaten, z.B. Kanada, Niederlande und Norwegen, haben lediglich Offiziere in das Hauptquartier nach Bahrain entsandt, und andere Länder, die mit eigenen Marinekräften in der Region präsent sind, haben eine Unterstellung unter das US-Kommando abgelehnt.

So erklärte das französische Verteidigungsministerium, seine Kriegsschiffe würden „unter französischem Kommando bleiben“. Auch Italien, das aktuell die Fregatte Virginio Fasan in der Gegend stationiert hat, erklärte, dass das Kriegsschiff nicht Teil von „Prosperity Guardian“ sei. Das spanische Verteidigungsministerium machte unmissverständlich klar, dass es sich nur an Operationen unter NATO- oder EU-Koordinierung beteiligen werde. Außerdem legte Spanien ein grundsätzliches Veto gegen jeglichen EU-Beitrag zur Operation „Prosperity Guardian“ ein, sollte dieser über die Ressourcen der EU-geführten Operation „Atalanta“ bereitgestellt werden. Die Ursachen für die Zurückhaltung europäischer Staaten liegen auch in begründeten Zweifeln, ob die britischen und US-amerikanischen Luftangriffe im Jemen durch die UN-Resolution 2722 gedeckt sind.

Die UN-Resolution 2722

Der nachfolgende vollständige Text der Resolution soll die Basis für die Bildung einer eigenen Meinung sein:

Der Sicherheitsrat,

in Bekräftigung seiner nach der Charta der Vereinten Nationen bestehenden Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie seiner Verpflichtung, die Ziele und Grundsätze der Charta hochzuhalten, erneut erklärend, dass das Völkerrecht, wie im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 niedergelegt, den für Tätigkeiten in den Ozeanen, einschließlich der Bekämpfung rechtswidriger Tätigkeiten auf See, anwendbaren rechtlichen Rahmen vorgibt, mit dem Ausdruck seiner Besorgnis angesichts der Bedrohung, die von widerrechtlichen Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt für Seeleute und andere Personen ausgeht, unterstreichend, wie wichtig die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch Schiffe aller Staaten im Roten Meer, einschließlich der die Meerenge Bab al-Mandab durchfahrenden Handelsschiffe, im Einklang mit dem Völkerrecht ist, und ferner unterstreichend, dass die Durchfahrt von Handelsschiffen durch das Rote Meer ungehindert weitergehen muss, betonend, dass Stabilität und Wohlstand der Küstenstaaten des Roten Meeres zum Weltfrieden und zur internationalen Sicherheit beitragen, nachdrücklich darauf hinweisend, dass die gestiegenen Kosten der Beförderung unverzichtbarer Güter die wirtschaftliche und humanitäre Lage weltweit und auch die der jemenitischen Zivilbevölkerung beeinträchtigen werden, unter Hinweis auf seine Resolutionen betreffend Jemen sowie auf die Angriffe, die in der Vergangenheit auf Ölverladestationen verübt wurden, die der Kontrolle der Regierung Jemens unterstehen, in Bekräftigung seiner Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Küstenstaaten des Roten Meeres und erneut erklärend, dass den Staaten in der Region eine führende Rolle dabei zukommt, in enger Zusammenarbeit mit regionalen und subregionalen Organisationen zu Frieden und Sicherheit beizutragen

S/RES/2722 (2024)
24-004372/2

  1. verurteilt auf das Entschiedenste die mindestens zwei Dutzenden Angriffe der Huthi auf Handelsschiffe seit dem 19. November 2023, als die Huthi die Galaxy Leader und ihre Besatzung angriffen und in ihre Gewalt brachten;
  2. verlangt, dass die Huthi unverzüglich alle derartigen Angriffe einstellen, die den Welthandel hemmen und die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt wie auch den Frieden und die Sicherheit in der Region untergraben, und verlangt ferner, dass die Huthi die Galaxy Leader und ihre Besatzung sofort freigeben;
  3. bekräftigt, dass die Ausübung der Rechte und Freiheiten der Schifffahrt durch Handelsschiffe im Einklang mit dem Völkerrecht zu achten ist, und nimmt davon Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht das Recht haben, ihre Schiffe gegen Angriffe, einschließlich solcher, die die Rechte und Freiheiten der Schifffahrt untergraben, zu verteidigen;
  4. würdigt die Anstrengungen, die Mitgliedstaaten im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation unternehmen, um die Sicherheit und die sichere Durchfahrt von Handelsschiffen aller Staaten durch das Rote Meer zu verbessern;
  5. legt den Mitgliedstaaten nahe, die Kapazitätsaufbaumaßnahmen der jemenitischen Küstenwache zu unterstützen, damit die in Ziffer 14 der Resolution 2216 (2015) verhängten Maßnahmen unter uneingeschränkter Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Jemens wirksam umgesetzt werden können;
  6. legt den Mitgliedstaaten außerdem nahe, ihre Kapazitäten weiter auszubauen und zu stärken und den Küsten- und Hafenstaaten am Roten Meer und an der Meerenge Bab al-Mandab Hilfe beim Aufbau ihrer Kapazitäten zu leisten, um die maritime Sicherheit zu erhöhen, unter anderem indem sie diesen Staaten nach Bedarf und auf deren Antrag über die zuständigen Institutionen der Vereinten Nationen im Rahmen ihres jeweiligen Mandats technische Hilfe bereitstellen;
  7. unterstreicht die Notwendigkeit, die tieferen Ursachen, darunter die zu regionalen Spannungen und zur Störung der maritimen Sicherheit beitragenden Konflikte, anzugehen, um eine zeitnahe, effiziente und wirksame Reaktion zu gewährleisten, und bekräftigt in dieser Hinsicht, dass alle Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen, darunter das in seiner Resolution 2216 (2015) enthaltene gezielte Waffenembargo sowie die Bezeichnung der Huthi gemäß Resolution 2624 (2022) als eine dem Waffenembargo unterliegende Gruppe, nachkommen müssen, und erinnert daran, dass die Sachverständigengruppe des Rates in ihrem Bericht vom Oktober 2023 (S/2023/833) umfangreiche Verstöße gegen das Waffenembargo festgestellt hat;
  8. verurteilt ferner die unter Verstoß gegen seine Resolution 2216 (2015) erfolgende Bereitstellung von Waffen und sonstigem Wehrmaterial aller Art an die Huthi und fordert mehr praktische Zusammenarbeit, um die Huthi daran zu hindern, in den Besitz des für weitere Angriffe benötigten Wehrmaterials zu gelangen;
  9. fordert nachdrücklich zu Vorsicht und Zurückhaltung auf, um eine weitere Eskalation der Situation im Roten Meer und in der gesamten Region zu verhindern, und legt allen Parteien nahe, zu diesem Zweck stärkere diplomatische Bemühungen, einschließlich anhaltender Unterstützung für den Dialog und den Friedensprozess in Jemen unter der Ägide der Vereinten Nationen, zu unternehmen;
  10. ersucht den Generalsekretär, dem Sicherheitsrat als Informationsgrundlage für seine künftigen Beratungen monatlich bis zum 1. Juli 2024 schriftliche Berichte über etwaige weitere Angriffe der Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer vorzulegen;
  11. beschließt, mit dieser Angelegenheit aktiv befasst zu bleiben

(Quelle: Deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen)

Bei der Verabschiedung dieser Resolution haben sich Algerien, China, Mozambik und Russland der Stimme enthalten. Der aktuelle Streit geht jetzt darum, ob diese Resolution auch die „westlichen“ Luftangriffe gegen Huthi-Einrichtungen im Jemen rechtfertigt oder eben nur die direkte Abwehr der Huthi-Angriffe auf die internationale Schifffahrt. Russland hält – im Gegensatz zu den USA und anderen westlichen Staaten – die Angriffe auf Ziele im Jemen selbst für nicht gedeckt von der Resolution, auch im Hinblick auf die Souveränität und territoriale Integrität des Jemen.

Darüber sollen Völkerrechtler entscheiden, aber unstrittig ist aus meiner Sicht, dass nach Ziffer 9 der Resolution alle Mitgliedstaaten der UNO aufgefordert werden, eine weitere Eskalation zu vermeiden und nach diplomatischen Lösungen zu suchen.

Das führt zu der Frage, ob es nur die Möglichkeit gibt, durch Luftangriffe auf Einrichtungen der Huthis im Jemen selbst weitere Attacken von ihnen auf die Handelsschifffahrt zu verhindern oder Alternativen dazu vorstellbar sind.

Militärische Stützpunkte in Dschibuti

Dschibuti liegt sozusagen dem Jemen gegenüber, an der Gegenküste der Meeresstraße Bab al-Mandab. Diese Meerenge ist nur 27 km breit und verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden, der ein Teil des Arabischen Meeres und damit des Indischen Ozeans ist.

Die USA betreiben in Dschibuti das „Camp Lemonnier“. Der Stützpunkt wurde 2002 von Dschibuti an die Vereinigten Staaten verpachtet, zusammen mit dem Recht, den benachbarten Flughafen und die Hafenanlagen zu nutzen. Der Stützpunkt ist das Herzstück eines Netzwerks von rund sechs US-Drohnen- und Überwachungsbasen, die sich über den gesamten Kontinent erstrecken. Diese Basen sind kleiner und operieren von abgelegenen Hangars aus, die sich in lokalen Militärbasen oder zivilen Flughäfen befinden. Genauere Informationen dazu liegen nicht vor. Aufgrund seiner strategischen Lage dient „Camp Lemonnier“ auch als Drehscheibe für Luftoperationen in der Region des Persischen Golfs.

China unterhält eine Marinebasis, Frankreich den Luftwaffenstützpunkt „Colonel Massart“, Italien die „Base Militare Italiana di Supporto“, Japan die Marinebasis „Self-Defence Force Base Djiibouti“ – der einzige japanische Stützpunkt im Ausland – und Saudi-Arabien baut aktuell in Dschibuti eine Militärbasis auf. Diese Stützpunkte könnten in vielerlei Hinsicht zur Abwehr von Huthi-Angriffen auf die Handelsschifffahrt eingesetzt werden.

EU-Mission „Atalanta“

Im Februar 2008 hatte die somalische Übergangsregierung den VN-Sicherheitsrat angerufen und um Unterstützung bei der Bekämpfung der Piraterie gebeten. Der Sicherheitsrat beschloss am 2. Juni 2008 in der Resolution 1816, auch fremde Staaten zum Vorgehen gegen die Piraterie in den somalischen Hoheitsgewässern zu ermächtigen. Der Rat der Europäischen Union richtete auf Basis dieser Resolution und des Seerechtsübereinkommens der VN von 1982 am 10. November 2008 die „Operation Atalanta“ ein, deren Mandat seitdem stets erneuert und angepasst wurde. Der Auftrag der „European Union Naval Forces Somalia“ (EU NAVFOR Somalia) – so die vollständige Bezeichnung der Mission – umfasst den Schutz der Schiffe des VN-World Food Programmes, die Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piraterie vor der Küste Somalias, am Horn von Afrika und im Golf von Aden, die Durchsetzung des gegen Somalia verhängten Waffenembargos sowie das Überwachen des illegalen Handels mit Suchtstoffen und Fischereitätigkeiten. „EU NAVFOR Somalia“ ist die erste Marineoperation der EU und bezeichnet gleichzeitig einen gemischten multinationalen Marineverband, also eine Flottille. Das Mandat wurde – bislang letztmalig – 2022 bis zum Ende 2024 verlängert. An der Mission beteiligen sich nach vorliegenden Informationen 19 EU-Staaten und zusätzlich auch Großbritannien, Norwegen, Serbien und Neuseeland.

Deutschland hat seine Beteiligung an der „Operation Atalanta“ zum 31.12.2022 beendet.

„Operation Sentinel“

Im August 2019 begann in der Straße von Hormuz die amerikanische Militärmission „Operation Sentinel“. Der damalige US-Verteidigungsminister Mark Esper erklärte, neben dem US-Militär seien auch Kräfte aus Großbritannien, Australien und Bahrain beteiligt. Genaue Angaben darüber, wie viele Schiffe und Soldaten im Einsatz sind, machte er nicht.

Ziel der Operation sei es, die freie Schifffahrt in der für den globalen Handel bedeutenden Meerenge zu garantieren. Zudem sollten Provokationen verhindert und dadurch ein Konflikt in der Region vermieden werden. Die Sicherheitslage in der Straße von Hormuz im Persischen Golf hatte sich zuvor wegen des Konflikts zwischen den USA und dem Iran deutlich verschlechtert. Immer wieder war es dort zu gefährlichen Situationen gekommen. Die USA machten den Iran für diverse Attacken auf Handelsschiffe in dem Seegebiet verantwortlich, was die Führung in Teheran bestritt. Esper betonte trotzdem, dass die USA keinen Konflikt wollten.

Die Bundesregierung hatte eine Anfrage Washingtons zur Teilnahme an der US-Mission zurückgewiesen. Konkret sagte der damalige deutsche Außenminister Heiko Maas wörtlich:

„An der von den USA vorgestellten und geplanten Seemission wird sich die Bundesregierung nicht beteiligen. Wir befinden uns da in enger Abstimmung mit unseren französischen Partnern.“

Er begründete die deutsche Absage damit, dass Deutschland die US-Strategie des „maximalen Drucks“ auf den Iran für falsch halte. Deutschland wolle keine militärische Eskalation und setze weiterhin auf Diplomatie. Die Frage, ob er eine parallele europäische Mission befürworte, beantwortete Maas nicht. Der US-Mission wollen sich viele EU-Staaten ebenfalls nicht anschließen, weil sie fürchten, dass diese für weitere Spannungen mit dem Iran sorgen könnte.

European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH)

Knapp ein halbes Jahr nach Beginn der US-Mission „Operation Sentinel“ begann am 25. Februar 2020 die „European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“. EMASoH ist eine europäisch geführte Meeresüberwachungsmission, die zu Beginn von acht europäischen Nationen politisch unterstützt wurde. Auf der Basis einer französischen Initiative unterstützt diese unabhängig agierende und nicht mit der Europäischen Union verbundene „Koalition der Willigen“ einen deeskalierenden Ansatz im Umgang mit regionalen Sicherheitsfragen. Die Regierungen von Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, der Niederlande und Portugals unterstützen politisch die Einrichtung von EMASoH. Seit September 2021 ist Norwegen als neunte europäische Nation EMASoH beigetreten.

Gleichzeitig wurde im Rahmen von EMASoH die Militäroperation „Agénor“ gestartet.

Operation Agénor

Die Mission „Agénor“ ist die militärische Komponente der europäischen Überwachungsinitiative in der Straße von Hormuz „EMASoH“. Den Namen „Agénor“ hatte die EU gewählt, weil „Agénor“ als Sohn des Poseidon und der Libya der Vater der „Europa“ ist. Die von Frankreich etablierte, europäisch geführte maritime Überwachungs- und Sicherheitsmission in der Straße von Hormuz zielt darauf ab, die Freiheit der Schifffahrt zu gewährleisten. Ausdrücklich unterstrichen wird der deeskalierende Charakter von EMASoH. Die Operation steht für andere Nationen, die im gleichen Sinne zur Stabilität in der Region beitragen wollen, offen.

Die damalige französische Verteidigungsministerin Florence Parly erklärte auf dem Gelände der französischen Marinebasis in Abu Dhabi zum offiziellen Auftakt der Operation:

„Dies ist ein entscheidender Schritt im Engagement der europäischen Partner für die Sicherheit des Seeverkehrs und die Freiheit der Schifffahrt in der Region“.

Das französische Hauptquartier Abu Dhabi übernahm die operationelle Kontrolle und die taktische Führung von „Agénor“. Neben Frankreich und den Niederlanden beteiligen sich bisher Belgien und Dänemark an der Operation (Belgien und Dänemark mit Personalabstellungen). Deutschland, Griechenland, Italien und Portugal unterstützen EMASoH politisch.

Bewertung und Aufzeigen von möglichen Alternativen

Die aktuelle militärische Auseinandersetzung mit den Huthis ist eine Regionalisierung des Nahostkrieges. Die Huthis begründen ihre Angriffe auf Israel und auch gegen die Handelsschifffahrt mit ihrer Unterstützung der Palästinenser. Hinter den schiitischen Huthis steht der Iran, so dass durch die aktuellen Angriffe der USA und Großbritanniens die Gefahr besteht, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen dem Iran und den USA kommen könnte. Außerdem gefährden die Luftangriffe gegen Einrichtungen der Huthis auf jemenitischem Territorium den momentan noch bestehenden, aber sehr fragilen Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabien. Der De-facto-Herrscher des Königshauses, Mohammed bin Salman, hatte die Huthis 2015 im Rahmen der Operation „Sturm der Entschlossenheit“ angegriffen und wurde dabei von den USA mit Waffen und vor allen Dingen auch durch Aufklärungsergebnisse unterstützt. Der Waffengang war letztendlich für Saudi-Arabien erfolglos und deswegen ist Riad besonders darauf bedacht, dass die Kämpfe nicht wieder aufbrechen, zumal das Königreich eine 1.600 km lange Grenze zum Jemen hat.

So wie Israel die Hamas militärisch nicht besiegen kann, werden auch die Luftangriffe der USA und Großbritanniens nicht dazu führen, dass die Huthis die Handelsschifffahrt nicht mehr attackieren. Zusätzlich muss befürchtet werden, dass besonders die saudischen Ölförderanlagen – so wie in der Vergangenheit wiederholt geschehen – mit Raketen der Huthis angegriffen werden. In Kenntnis dieser Lage sollte darauf verzichtet werden, die Huthis direkt auf jemenitischem Territorium zu bekämpfen. Das heißt nicht, dass man die Attacken der Huthis in Zukunft hinnehmen und dabei zusehen sollte, wie sich die Frachtraten der Handelsschiffe ständig weiter erhöhen und Handelsketten unterbrochen werden, weil die zivile Schifffahrt die Risiken eines Transports durch das Rote Meer vermeidet und stattdessen die kostspielige und deutlich längere Route um Südafrika nimmt.

Europa muss sich vielmehr von der US-geführten Operation „Prosperity Guardian“ distanzieren und nach realistischen Alternativen suchen, die aus meiner Sicht durchaus vorhanden sind.

Mögliche Alternativen

Alternative 1: Schutz der Handelsschifffahrt aus Stützpunkten in Dschibuti heraus

Theoretisch denkbar wäre z.B. ein Schutz der Handelsschifffahrt durch Abwehrmaßnahmen der Huthi-Angriffe aus den internationalen Stützpunkten in Dschibuti heraus. Das könnten land- oder seegestützte Operationen sein oder eine Kombination. Daran könnten sich auch die USA beteiligen, allerdings nicht unter ihrem Kommando.

Vorteil

Es wären neben europäischen Kräften auch China und Japan beteiligt und als arabisches Land könnte sich auch Saudi-Arabien einbringen. Mit den USA wäre neben China ein zweite Veto-Macht involviert. Durch die in unmittelbarer Nähe des Einsatzgebietes gelegenen Stützpunkte wäre die Logistik relativ einfach. Man müsste sich über eine Führungsnation verständigen, und die würden vermutlich die USA beanspruchen, auch, weil sie den größten Stützpunkt betreiben.

Nachteil

Es wären zu wenige Staaten beteiligt. Außerdem würde Washington es vermutlich nicht akzeptieren, eigene Truppen unter ein fremdes Kommando zu stellen, da man bislang immer darauf bestanden hatte, eigene Soldaten ausschließlich unter amerikanischem Oberbefehl einzusetzen. Vermutlich wäre es aus amerikanischer Sicht auch zu schwierig, solche Einsätze mit ihrer Operation „Prosperity Guardian“ in Einklang zu bringen. Saudi-Arabien hätte sicherlich Bedenken, sich direkt in einer Operation gegen die Huthis zu beteiligen, weil der Krieg im Jemen ja noch nicht beendet und der Waffenstillstand ziemlich fragil ist.

Alternative 2: Erweiterung des Mandats der EU-Mission Atalanta

Die zweite Möglichkeit wäre eine Ausweitung des Auftrags/Mandats der „Atalanta“-Mission um einen Schutz der Handelsschifffahrt vor den Angriffen der Huthis. Ein solcher Schutz könnte – wie auch schon beim Kampf gegen die Piraten – durch eine Art „Geleitzüge“ organisiert werden. Handelsschiffe würden sich außerhalb der bislang üblichen Reichweite der Huthi-Operationen sammeln und dann eskortiert von Kriegsschiffen durch das Rote Meer und den Suez-Kanal zum Mittelmeer fahren.

Vorteil

„Atalanta“ ist zweifelsfrei durch das Mandat der UN-Resolution 2722 gedeckt. Es besteht bereits eine funktionierende europäische Organisation, die völlig unabhängig von den USA arbeitet.

Nachteil

Der aktuelle Auftrag von „Atalanta“ müsste um den Schutz der Handelsschiffe vor Angriffen der Huthis erweitert werden. Darüber müsste in der EU Einigkeit erzielt werden, zumindest zwischen den aktuell beteiligten 19 Mitgliedsstaaten.

Alternative 3: Eine Kombination aus „Atalanta“ mit erweitertem Mandat und Einsätzen aus Stützpunkten in Dschibuti

Eine dritte und aus meiner Sicht besonders erfolgversprechende Option wäre eine Kombination aus Kräften von Stützpunkten in Dschibuti und einer um das Mandat „Schutz vor Huthi-Angriffen“ erweiterten „Operation Atalanta“.

Vorteil

Diese Vorgehensweise wäre durch die UN-Resolution 2722 zweifelsfrei gedeckt, würde den Waffenstillstand zwischen den Huthis und Saudi-Arabien weniger gefährden und vor allem auch die Gefahr einer Eskalation deutlich verringern. Durch die Anzahl der an „Atalanta“ beteiligten Staaten würde den Huthis ein deutliches Signal geschickt, die Angriffe auf die internationale Handelsschifffahrt einzustellen. Die finanziellen, materiellen und personellen Lasten würden auf viele Schultern verteilt. Europa würde sich deutlich von der amerikanischen und britischen Vorgehensweise distanzieren. Mit Frankreich und Italien verfügen zwei Teilnehmerstaaten von „Atalanta“ über Stützpunkte in Dschibuti. Auf eine Beteiligung der USA und Saudi-Arabiens könnte man verzichten, aber mit China und Japan würden das internationale Engagement im Kampf gegen die Huthi-Angriffe wirkungsvoll unterstrichen.

Nachteil

Zusätzlicher Zeitbedarf bei der Realisierung, weil mit China und Japan verhandelt werden müsste, unter welchen Bedingungen Peking und Tokio bereit wären, sich einer EU-Mission anzuschließen

Alternative 4: Integration der European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH) und der Militäroperation „Agénor“ in eine Mission „Atalanta“ mit einem erweiterten EU-Mandat

Die vierte Möglichkeit wäre eine Ausweitung European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz (EMASoH) und der Militäroperation „Agénor“. Da für „Agénor“ kein EU-Mandat besteht, denken die Brüsseler Diplomaten darüber nach, ob man diese Militäroperation in die Mission „Atalanta“ integrieren könnte und dadurch praktisch ein Mandat für einen gesamteuropäischen Einsatz geschaffen werden könnte. Über diese Option wird in Brüssel aktuell nachgedacht und am 19. Februar 2024 soll konkret darüber entschieden werden.

Vorteil

Auf diese Weise könnten die Streitkräfte der EU die Handelsschifffahrt auf einer Route von Hormuz, an der Küste von Oman und Südjemens entlang durch das Arabische Meer, den Golf von Aden und die Meerenge von Bab al-Mandab bis ins Rote Meer eskortieren und vor den Huthi-Angriffen schützen. Es wäre eine klare Abgrenzung von den US-Operationen, die sich in der Hauptsache an nationalen Interessen orientieren und im Grunde gegen den Iran gerichtet sind.

Nachteil

Die Handelsschiffe müssten über eine sehr lange Strecke eskortiert werden. Dafür wäre ein umfangreicher Schutz durch europäische Seestreitkräfte erforderlich, und auch für die notwendige Überwachung aus der Luft wären umfangreiche Ressourcen unabdingbar. Ob eine solche EU-Operation durch die aktuelle UN-Resolution gedeckt ist, muss bezweifelt werden, weil diese ja in der Hauptsache den Schutz vor Huthi-Angriffen zum Inhalt hat. Die Huthis bedrohen aber die Schifffahrt im Raum der Straße von Hormuz nicht und auch nicht entlang der Küste von Oman. Auch im Süd-Jemen sind die Huthis nicht präsent, so dass auch von dort keine konkrete Bedrohung für die Handelsschifffahrt ausgeht. Da es bei der Operation „Agénor“ de facto hauptsächlich um den Schutz von Handelsschiffen vor Angriffen durch den Iran geht, würde bei einer Integration dieser Mission in die Operation „Atalanta“ der Eindruck erweckt, dass letztlich Teheran für die Gesamtbedrohung in der Region verantwortlich sei. Last, but not least darf man nicht vergessen, dass Frankreich im Falle einer solchen Integration führungsmäßig ins zweite Glied zurücktreten müsste; es sei denn, man würde Paris die Führung der Gesamtoperation übertragen.

Fazit

In Kenntnis der aktuellen Entwicklung muss man wohl davon ausgehen, dass die Huthis, wie auch die Hamas, erst dann einlenken, wenn es aus ihrer Sicht akzeptable Verhandlungsangebote für einen Waffenstillstand im Nahostkrieg gibt. Da dafür aktuell keine Anzeichen zu erkennen sind, ist es dringend geboten, eine Alternative zu den amerikanischen und britischen Luftangriffen zu versuchen, bevor die militärische Situation „aus dem Ruder läuft“ und die Folgen der unterbrochenen Handelsketten für Europa eine Dimension erreichen wie im März 2021 durch den vom Containerschiff „Ever Given“ blockierten Suez-Kanal.

Wenn man die Vor- und Nachteile der dargestellten Alternativen gegeneinander abwägt, scheint mir eine Kombination aus „Atalanta“ mit erweitertem Mandat und Einsätzen aus Stützpunkten in Dschibuti die meisten Vorteile zu bieten. Als zweitbeste Lösung käme aus meiner Sicht eine Integration der „European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“ (EMASoH) und der Militäroperation „Agénor“ in eine Mission „Atalanta“ mit einem erweiterten EU-Mandat infrage, wobei man in diesem Fall die nicht zu übersehenden Nachteile im Auge behalten müsste.

Unabhängig davon, wofür sich die Europäer entscheiden: Wichtig ist eine klare Abgrenzung von den US-Operationen „Prosperity Guardian“ und „Sentinel“, die in keiner Weise zur Deeskalation beitragen, auch weil sie sich letztlich gegen den Iran richten und damit zu einer entscheidenden Regionalisierung des Nahostkrieges führen können.

Titelbild: Shutterstock / GAlexS

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