Deutschland zeigt Zähne? Kanonenbootpolitik, Größenwahn und Selbstbesoffenheit

Deutschland zeigt Zähne? Kanonenbootpolitik, Größenwahn und Selbstbesoffenheit

Deutschland zeigt Zähne? Kanonenbootpolitik, Größenwahn und Selbstbesoffenheit

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Der SPIEGEL war gestern mal wieder ganz außer sich. In Wilhelmshaven stach ein deutscher Einsatzgruppenversorger in See. Zusammen mit einer deutschen Fregatte wird er die Welt umrunden und dabei auch – mit gehörigem Abstand – China passieren. Deutschland zeige Zähne und sende eine Warnung an China aus, so der SPIEGEL. Man fühlt sich in wilhelminische Zeiten zurückversetzt. Der extra nach Wilhelmshaven angereiste Verteidigungsminister Pistorius beruhigt – es ginge nur um die Sicherung deutscher Handelswege. Für so einen Spruch musste Bundespräsident Köhler vor gerade einmal 14 Jahren zurücktreten. Wie schnell sich die Zeiten doch geändert haben. Dass ausgerechnet Deutschland nun wie ein Zwerg auf Steroiden unter Größenwahn leidet und im Indopazifik eine Kanonenbootpolitik probt, ist jedoch kaum mehr als eine bittere Farce. Sind unsere politischen und medialen Eliten der kollektiven Selbstbesoffenheit verfallen? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die chinesische Marine verfügt laut einem US-Kongressbericht zurzeit über 120 Fregatten und Korvetten. Die Bundesmarine hat 18 dieser Schiffe – wenn denn, was selten vorkommt, mal alle gleichzeitig einsatzfähig sind. Eines dieser Schiffe, die Fregatte Baden-Württemberg, tritt nun zur großen Weltumrundung an. Sieben Monate wird dieser Ausflug dauern. Fernando Magellans Segelschiffe hatten im 16. Jahrhundert dafür fast drei Jahre gebraucht. Der technische Fortschritt ist schon was Feines. Vor Hawaii dürfen die deutschen Süßwassermatrosen dann sogar mit den Großen spielen – ein echtes „Seekriegsmanöver“ der Amerikaner, bei dem man als Deutscher viel lernen kann. Ich war vor vielen, vielen Jahren selbst bei der Marine und kann mich noch an die ehrfürchtige Unterwürfigkeit des deutschen Offizierskorps und die offensichtliche Limitierung der Bundesmarine bei solchen Veranstaltungen erinnern. Peinlich.

Drollig ist es jedoch, wenn der SPIEGEL und die Falken der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in eine solche Fahrt nun eine warnende Geste in Richtung Peking hineininterpretieren. Es ist fraglich, ob Deutschlands Seestreitkräfte überhaupt über der Wahrnehmungsschwelle Chinas liegen. Neben den 120 Fregatten verfügt China auch noch über 52 Zerstörer und Kreuzer und drei Flugzeugträger – Deutschland hat keines dieser Waffensysteme. Es ist so, als „drohe“ ein Dreijähriger einem Schwergewichtsboxer. Doch so absurd die ganze Sache ist, so überzeugt wird sie vom SPIEGEL vorgetragen. Handelsrouten, Menschenrechte, blabla – Deutschlands Seestreitkräfte sollen sogar Taiwan und „unsere Verbündeten im Westpazifik“, also Australien und Neuseeland, gegen die bösen Chinesen verteidigen. Auf die Idee, dass Deutschland mit solchen peinlichen Aktionen nur mehr und mehr in den amerikanischen Rückzugskampf aus dem indopazifischen Raum hineingezogen wird und damit seine eigenen Interessen denen der USA opfert, kommt natürlich niemand.

Verstörend ist zudem, mit welcher Begründung diese Unterordnung unter amerikanische Hegemonialinteressen heruntergespielt wird. Um China nicht offen vors Schienbein zu treten – man weiß offenbar doch noch, wer im Welthandel Koch und wer Kellner ist –, werden die Machtprojektionsambitionen der USA von offizieller Seite zu einer Sicherung deutscher Handelsrouten umgedeutet. Wir erinnern uns. Im Mai 2010 erzählte der damalige Bundespräsident Horst Köhler in einem Interview mit dem Deutschlandfunk etwas davon, dass „im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig [sei], um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.

Die Aufregung war groß. Der damalige SPD-Fraktionsführer Thomas Oppermann verkündete, „wir wollen keinen Wirtschaftskrieg“. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, „wir brauchen weder Kanonenbootspolitik noch eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates“, und befand, Köhlers Äußerungen stünden nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Auch aus den Reihen der damaligen Regierungsparteien CDU und FDP gab es Kritik. Sogar sicherheitspolitischen Falken gingen diese Äußerungen zu weit. Michael Wolffsohn forderte Köhler auf, er solle sich öffentlich korrigieren. Der Verfassungsrechtler Ulrich Preuß von der Berliner Hertie School of Governance resümierte: „Das ist eine durch das Grundgesetz schwerlich gedeckte Erweiterung der zulässigen Gründe für einen Bundeswehreinsatz um wirtschaftliche Interessen. Da ist ein imperialer Zungenschlag erkennbar.“ Köhler nahm sich die Kritik zu Herzen und trat zurück.

Diese Äußerungen sind gerade einmal 14 Jahre alt! Und heute? Was damals noch ein Tabubruch war, ist heute nicht nur Normalität, sondern wird sogar als diplomatische Ausrede für eine – vollkommen mit dem Grundgesetz inkompatible – Kriegspolitik im indopazifischen Raum gegen unseren wichtigsten Handelspartner China missbraucht. Braucht es noch einen Beleg dafür, wie weit sich der Diskurs in den letzten Jahren verschoben hat? Germans to the front … wir spielen Imperialismus und schlafwandeln auf Kaiser Wilhelm Zwos Spuren. Wahnsinn.

Titelbild: Germans to the front! – Nach einem Gemälde von Carl Röchling 1855-1920

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