Einreiseverbot für Abu Sitta und Varoufakis – Bundesregierung erklärt sich für nicht verantwortlich

Einreiseverbot für Abu Sitta und Varoufakis – Bundesregierung erklärt sich für nicht verantwortlich

Einreiseverbot für Abu Sitta und Varoufakis – Bundesregierung erklärt sich für nicht verantwortlich

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 4. Mai sollte der Chirurg und Rektor der Universität von Glasgow, Ghassan Abu Sitta, bei einer Anhörung im französischen Senat über die humanitäre Lage im Gazastreifen sprechen. Eingeladen hatten die französischen Grünen. Allerdings wurde ihm die Einreise verwehrt mit der Begründung, Deutschland habe gegen ihn ein einjähriges Einreiseverbot für den gesamten Schengenraum ausgesprochen. Ebenfalls am 4. Mai hatte der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis erklärt, dass die deutschen Behörden die Forderung seiner Anwälte abgelehnt hätten, ihm die Gründe für sein Einreiseverbot in die Bundesrepublik mitzuteilen. Die NachDenkSeiten wollten von der Bundesregierung wissen, auf welcher Rechtsgrundlage das geschilderte Vorgehen deutscher Behörden beruht. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ghassan Abu Sitta, renommierter Chirurg und Rektor der Universität Glasgow (Schottland), ist britischer Staatsbürger und war ab Ende 2023 für 43 Tage im Rahmen einer humanitären Tätigkeit in Gaza als Arzt tätig, vorwiegend im Jabiliya-Flüchtlingslager und im Shifa-Krankenhaus. Über seine dortigen Erfahrungen sollte er auf Einladung sowohl in Deutschland (auf dem dann verbotenen Palästina-Kongress) am 12. April als auch in Frankreich am 4. Mai im Senat sprechen. In beiden Fällen haben bundesdeutsche Behörden diese Zeugenaussage über die humanitären Zustände in Gaza mit einem EU-weit geltendem Einreiseverbot unterbunden. (Über die Hintergründe der Einreiseverbote nach Deutschland und Frankreich hat unsere Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld ausführlich hier und hier berichtet.)

In Paris sollte Abu Sitta auf Einladung der Grünen-Partei bei einer Anhörung im Senat mit dem Titel „Das Völkerrecht und der Krieg in Gaza“ sprechen und Zeugnis ablegen. Als Experten waren auch zahlreiche weitere Mediziner, Journalisten und Völkerrechtler mit Arbeitserfahrung in Gaza eingeladen.

Wie kann Deutschland im gesamten Schengen-Raum Einreiseverbote gegen unliebsame Zeugen verhängen?

Gegenüber der Nachrichtenagentur AP erklärten französische Beamte noch am selben Tag, das Einreiseverbot gehe auf eine Anordnung Deutschlands zurück. Berlin habe beantragt, dass Abu Sitta für mindestens ein Jahr in kein Land des Schengen-Bereichs einreisen dürfe.

Die französische Tageszeitung Liberation ging dem Einreiseverbot ausführlich nach und berichtete noch am gleichen Tag, dass jeder Mitgliedsstaat der Schengen-Vereinbarung Personen, die aus einem Drittstaat kommen, die Einreise in den Schengen-Raum verweigern könnte. Möglich ist dies laut Schengener Einreisekodex, wenn diese Personen eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines der Mitgliedstaaten“ darstellen. Zudem müsse eine „Ausschreibung zur Einreiseverweigerung“ in den nationalen Datenbanken der Mitgliedsstaaten vorliegen.

Der „ausschreibende Mitgliedsstaat“ – in diesem Fall Deutschland – müsse Informationen wie Identität, Fingerabdrücke, besondere körperliche Merkmale und die Gründe für die Ausschreibung in der Datenbank mitteilen.

Aus französischen Regierungskreisen wurde in Folge mitgeteilt, man habe aufgrund des deutschen Einreiseverbots in das EU-Hoheitsgebiet „keinen Handlungsspielraum gehabt“. Die Grenzbehörden hätten lediglich „das europäische Recht und den Schengen-Grenzkodex angewendet“.

Bundesregierung weiß angeblich von nichts

Als die NachDenkSeiten vor diesem Hintergrund von der Bundesregierung wissen wollten, mit welcher konkreten rechtlichen Begründung dieses EU-weite Einreiseverbot gegen den Rektor einer renommierten europäischen Uni und Gaza-Augenzeugen ausgesprochen wurde, wies diese jegliche Verantwortung von sich:

Deutsche Behörden verweigern auch Varoufakis Begründung für Einreiseverbot

Ähnlich zweifelhaft verhielt sich die Bundesregierung im Falle des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Dieser hatte in direkter Reaktion auf das Einreiseverbot gegen Abu Sitta erklärt, dass die deutschen Behörden die Forderung seiner Anwälte abgelehnt hätten, ihm die Gründe für sein Einreiseverbot in die Bundesrepublik mitzuteilen.

„(…) Die deutschen Behörden haben die Forderung meiner Anwälte abgelehnt, mir die Gründe für mein Einreiseverbot mitzuteilen. Also werde ich sie jetzt verklagen (…).“

Auch in diesem Fall fragten die NachDenkSeiten nach und wollten von der Bundesregierung wissen, auf welcher Grundlage die verantwortlichen Bundesbehörden einem aktiven Politiker, der mit seiner paneuropäischen Partei DiEM25 auch bei den EU-Wahlen in Deutschland antritt, die Begründung verweigern, wieso ihm die Einreise nach Deutschland verboten wurde. Auch hier ist die „Antwort“ der Bundesregierung vielsagend:

Es bleibt festzuhalten: Deutsche Behörden verhängen nachweislich Einreiseverbote gegen einen Zeugen der Auswirkungen der israelischen Kriegsführung gegen Zivilisten in Gaza und Rektor einer europäischen Universität sowie gegen einen aktiven Politiker eines EU-Staates, dessen Partei sogar in Deutschland bei den EU-Wahlen antritt. Das Ganze ist rechtlich hoch problematisch und wird von einem breiten internationalen Medienecho begleitet. Und was macht die Bundesregierung auf Nachfrage? Sie gibt vor, von den Vorfällen angeblich nichts zu wissen, und erklärt zudem, selbst wenn, wäre man dafür weder verantwortlich noch zuständig. Wer soll so einen Kommunikationsstil noch ernstnehmen?

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 6. Mai 2024

Frage Warweg
Der Rektor der Universität von Glasgow (Ghassan Abu Sitta) wollte am Wochenende über die humanitäre Lage in Gaza im französischen Senat sprechen. Eingeladen hatten die französischen Grünen. Die Einreise wurde ihm verweigert mit Verweis darauf, dass Deutschland gegen ihn ein einjähriges Einreiseverbot im gesamten Schengenraum verhängt hätte. Da würde mich interessieren: Mit welcher Begründung und auf welcher rechtlichen Grundlage wurde dieses einjährige Einreiseverbot in den gesamten Schengenraum gegen ihn vonseiten der Bundesregierung verhangen?

Kall (BMI)
Ich kann Ihnen eine solche Maßnahme ausdrücklich nicht bestätigen. Wenn es einen solchen Einzelfall geben sollte, dürften wir uns dazu auch nicht äußern. Da müssten Sie sich, was mögliche Einreisefragen angeht, an das Bundespolizeipräsidium wenden, oder, was mögliche aufenthaltsrechtliche Maßnahmen angeht, an die Berliner Behörden, an die Berliner Ausländerbehörde. Wie gesagt, für das BMI kann ich Ihnen das nicht bestätigen.

Zusatzfrage Warweg
Jetzt haben die französischen Behörden das ja offiziell so bestätigt und gesagt: Wir lassen dich nicht einreisen, weil die Deutschen dieses entsprechende einjährige Einreiseverbot erteilt haben. Sie sagen, das stimme so nicht beziehungsweise können das für das BMI nicht bestätigen. Habe ich das richtig verstanden?

Kall (BMI)
Ich kann Ihnen erst einmal abstrakt juristisch sagen, dass das BMI solche Maßnahmen gar nicht verhängen könnte. Insofern sind wir auch nicht der richtige Ansprechpartner. Und an wen Sie sich, falls es eine solche Maßnahme geben sollte, wenden können, habe ich Ihnen ja genannt.

Frage Warweg
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat am 4. Mai bekannt gegeben, dass die deutschen Behörden die Forderung seiner Anwälte abgelehnt hätten, ihm die Gründe für sein Einreiseverbot in die Bundesrepublik mitzuteilen. Mich würde interessieren, auf welcher Grundlage die verantwortlichen Bundesbehörden einem aktiven Politiker, der mit seiner paneuropäischen Partei DiEM25 auch hier bei den EU-Wahlen präsent ist, dieses Einreiseverbot für die Bundesrepublik erteilt haben.

Kall (BMI)
Herr Warweg, ich habe ja vorhin schon gesagt, dass wir uns zu Einzelfällen grundsätzlich nicht äußern können und dürfen. Dafür müssten Sie sich an die Bundespolizei oder gegebenenfalls an die Berliner Landesbehörden wenden.

Zusatzfrage Warweg
Aber das ist ja trotzdem etwas mit bundespolitischen Ausmaßen. Sie haben einem aktiven Politiker, dessen Partei hier auch zu den EU-Wahlen antritt, den Zutritt zur Bundesrepublik verweigert, dann wird ihm auch noch die Begründung dafür verweigert, und Sie erklären mir jetzt, das betreffe die Bundesregierung sozusagen nicht, das seien ausschließlich Dinge der Berliner Landesbehörden. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Kall (BMI)
Herr Warweg, das behaupten erst einmal alles Sie. Davon mache ich mir nichts zu eigen. Wer die zuständigen Behörden für etwaige Maßnahmen sind, habe ich Ihnen gesagt, und dann gehört es sich so, dass Sie sich bitte an diese Behörden wenden.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 06.05.2024

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