Gut, dann reden wir eben über Kriegstüchtigkeit

Gut, dann reden wir eben über Kriegstüchtigkeit

Gut, dann reden wir eben über Kriegstüchtigkeit

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Kriegstüchtigkeit – „Die Riesenaufregung über diesen Begriff war nur der Beweis dafür, dass unsere ganze Gesellschaft noch nicht in der ‚Zeitenwende‘ angekommen ist.“ Das sagte Sigmar Gabriel (SPD) am Wochenende in einem F.A.Z.-Interview. Und Boris Pistorius legte in Sachen Kriegstüchtigkeit nach. Auf einer Veranstaltung meinte er, die „Lage“ sei „ernst“ und  Deutschland müsse schneller mehr investieren – für die „Kriegstüchtigkeit“. Sowohl Gabriels als auch Pistorius‘ Aussagen sind untragbar. Und so führt kein Weg daran vorbei: Gut, dann reden wir eben über „Kriegstüchtigkeit“. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

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Auftritt Boris Pistorius im Bundestag: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein. Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt. (…) Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Männer und Frauen, die dieses Land verteidigen können. Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein (…). Wir brauchen Hauptwaffensysteme, Luftverteidigungssysteme, Munition und Einsatzunterstützung vom Kampfpanzer bis zur mobilen Feldküche.“

Das war im Juni dieses Jahres. Und nun, wie soll man es nennen? Das „Wochenende der Kriegstüchtigkeit“!

Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung bekräftigte Pistorius sein Gerede von der Kriegstüchtigkeit Deutschlands. Russlands Krieg in der Ukraine sei „längst kein regionaler Krieg mehr“, Putin habe sein Land „längst vollständig auf Kriegswirtschaft umgestellt“. Den Zuhörern sagt Pistorius, dass Deutschland schneller mehr in die „Kriegstüchtigkeit“ investieren müsse.

Sigmar Gabriel, ehemaliger Außenminister Deutschlands, Vorsitzender der diskreten Atlantik-Brücke und Mitglied der Denkfabriken Trilaterale Kommission und European Council on Foreign Relations, äußerte sich in einem Interview mit der F.A.Z. mit den folgenden Worten: Kriegstüchtigkeit – „Die Riesenaufregung über diesen Begriff war nur der Beweis dafür, dass unsere ganze Gesellschaft noch nicht in der ‚Zeitenwende‘ angekommen ist.“

Die am Wochenende veröffentlichten Aussagen von Gabriel und Pistorius zeigen: Es hört nicht auf. Seit geraumer Zeit pressen Politik und Medien die Begriffe „Kriegstüchtigkeit“ und „kriegstüchtig“ in die Öffentlichkeit. Gabriel möchte man sagen: Dass unsere Gesellschaft „noch nicht“ in der „Zeitenwende“ angekommen ist, könnte damit zusammenhängen, dass sie ja auch nicht die Atlantik-Brücke ist – wo die „Zeitenwende“ natürlich längst ein unumstößliches Faktum sein scheint!

Ungeheuerlich ist bei dem Gerede um die Kriegstüchtigkeit, dass Politiker und Journalisten es überhaupt wagen, mit Begriffen dieser Art die deutsche Gesellschaft zu traktieren, aber auch, wie sie es tun. Nämlich so, als sei Kriegstüchtigkeit eine Selbstverständlichkeit. Schließlich, um es mit Ironie zu formulieren: Da gibt es doch (wieder) einen Feind, der in Russland sitzt. Und dieser Feind tut eben, was Feinde so tun, nämlich uns bedrohen.

Überhaupt nicht selbstverständlich sein soll hingegen die – wie Gabriel es nennt – „Riesenaufregung“ um die Kriegstüchtigkeit.

Was soll es da auch schon an Aufregung geben?!

Nur eine Gesellschaft, so lernen wir, die eben noch nicht in der „Zeitenwende“ angekommen ist, rege sich darüber auf. Anders gesagt: Die Deutschen sollen wohl am besten dem ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel folgen und endlich in der Zeitenwende ankommen – dann ist nichts mehr mit Aufregung und der Akzeptanz für hemmungslose Aufrüstung, Heimatschutzregimente, das Feindbild Russland und nicht zuletzt: die Kriegstüchtigkeit! werden dann wohl wie von selbst akzeptiert. Genug er Ironie.

Welch eine unverschämte Demagogie!

Der Begriff „kriegstüchtig“ trägt das Monströse geradezu in sich. So wie ein Krieg monströs ist, so soll das Monströse offensichtlich in unserer Gesellschaft verankert werden.

Die Perversion des Krieges, die Abgründe, ja etwas teuflisch Boshaftes spiegeln sich in ihm.

„Der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern Krieg und Tüchtigkeit. Das heißt: Hier wird ein negativ besetztes mit einem positiv konnotierten Wort verbunden. Der Begriff erinnert an die nicht minder abscheuliche Formulierung „nukleare Teilhabe“. Tüchtigkeit – dieses Wort strahlt etwas für den Menschen Erstrebenswertes aus. Dynamik, Energie, Können – das sind Ausdrücke, die mit der Tüchtigkeit verbunden sind. Auf einer weiteren gedanklichen Ebene tauchen Bilder von „tüchtigen“, das heißt: trainierten, schlanken, energiegeladenen Körper auf, die an- und zupacken können. Deutlich wird, wie perfide es ist, das Wort „Tüchtigkeit“ mit dem Begriff „Krieg“ zu verbinden. Hochgradig manipulativ, verdreht es gerade jenen den Kopf, die aufgrund mangelnder Lebenserfahrung vielleicht noch nicht erfasst haben, wie brutal und zerstörerisch ein Krieg ist. Mit der „Tüchtigkeit“ eines Menschen, der voller Tatendrang im Leben steht und durch seine Energie etwas erreicht – Bildung, Familie, beruflichen Erfolg etc. –, hat Kriegstüchtigkeit nichts zu tun. Der Blick ins vergangene Jahrhundert zeigt schonungslos, wie jener „Ruhm“ und „Glanz“ für den Einzelnen und für ein Land aussehen, nachdem ein ganzes Volk auf Kriegstüchtigkeit getrimmt worden war. Ranke, schlanke, durchtrainierte Körper. Mit blitzeblanken Uniformen und dem Gewehr in der Hand, ein Lachen auf den Lippen: So zogen die Kriegstüchtigen in den Krieg – ganz Krieg – ganz wie bei einem lieblichen Sommerausflug einer Pfadfinder-Truppe. Zwischendrin faselte der Oberkriegstüchtige was von „flink wie ein Wiesel, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ – am Ende lag Deutschland in Trümmern und die einst so Kriegstüchtigen, die den Krieg überlebten, humpelten einbeinig bettelnd durch die Straßen. Ausschau haltend, ob das Kind, die Frau, die Schwester oder der Bruder vielleicht doch noch irgendwo leben. Eben noch ein Mann, kraftvoll, tüchtig. Und im nächsten Moment für immer gezeichnet vom Krieg – körperlich, und/oder seelisch. Denken wir an die Worte von Erich Maria Remarques in seinem weltbekannten Roman „Im Westen nichts Neues“.

„Wir waren 18 Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir mussten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf unser Herz.“

Diese Zeilen stammen aus meinem gerade fertiggestellten neuen Buch. Als der Verlag und ich nach einem Titel gesucht haben, war der Begriff „Kriegstüchtig“ sofort in der Diskussion. Kriegstüchtig – darunter lässt sich nämlich eine Entwicklung subsumieren, die – leider – immer relevanter wird. Vielen Bürgern in Deutschland scheint noch nicht einmal im Ansatz klar zu sein scheint, wie ernst die Lage ist. Wenn Politiker von Kriegstüchtigkeit sprechen – und dann auch noch so massiv, wie es zu beobachten ist – dann droht große Gefahr. Auch wenn einem jedem Land aus gewissen Gründen eine Fähigkeit zur Verteidigung zugestanden werden soll: Wer von Kriegstüchtigkeit spricht, der hat bereits den Krieg ins Auge gefasst. Sonst ergibt die Verwendung des Begriffs keinen Sinn. Wie fatal eine solche Politik ist, sehen wir jeden Tag. Unaufhörlich spitzt sich der Konflikt zwischen Russland und Nato zu. Unaufhörlich schaukeln sich Aggressionen und Gegenaggressionen hoch. Von Diplomatie, von Frieden, von Abrüstung ist so gut wie nichts mehr zu hören. Das Feindbild Russland – es wird regelrecht immer fester geschmiedet. Die angebliche Bedrohung – sie wird mit immer breiteren Pinselstrichen gezeichnet. Der Philosoph Paul Watzlawick sagte einmal. „Je mehr eine Nation sich von Nachbarn bedroht fühlt, desto mehr wird sie sich zur Verteidigung rüsten, und desto mehr wird die Nachbarnation ihre eigene Aufrüstung für das Gebot der Stunde halten. Der längst erwartete Krieg ist dann nur noch eine Frage der Zeit.“

Lesetipp: Von Marcus Klöckner erscheint im Januar: Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront. Fifty-Fifty.

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Titelbild: penofoto/shutterstock.com

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