Abdullah Öcalan, der seit Jahrzehnten inhaftierte Kurdenführer, hat die Entscheidung für die Auflösung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begrüßt. Auch nach über einem Vierteljahrhundert in türkischer Haft bleibt dieser Mann die heimliche Inspirationsquelle seiner einst streng marxistischen Anhängerschaft. Von Ramon Schack.
„Ich begrüße die auf dem historischen 12. Kongress [der PKK] gefassten Beschlüsse“, hieß es in einer gestern von der prokurdischen Partei DEM verbreiteten Erklärung Öcalans. Die PKK hatte ihre Auflösung beschlossen, nachdem Öcalan dazu aufgerufen hatte.
Ein Vorgang von geopolitischer Dimension
Bei der Mitteilung der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ihre Waffen niederzulegen und sich aufzulösen, handelt es sich um eine Zäsur. Hoffnungen werden geweckt auf ein Ende eines seit fast einem halben Jahrhundert anhaltenden Konflikts mit dem türkischen Staat, der über 40.000 Menschenleben gefordert hat. Wichtig ist hierbei, ob Ankara nur den „Sieg“ über die PKK sucht oder auch den Willen hat, die Kurdenfrage zu lösen.
Zur Stunde ist noch ungewiss, ob alle PKK-Kämpferinnen und -Kämpfer dem Aufruf folgen werden und was die neue Entwicklung für die Zukunft der kurdischen Minderheit in der Türkei bringt. Die Auflösung der PKK wäre nicht nur ein Vorgang von militärischer Tragweite, sondern hätte umfassende geopolitische Dimensionen über die Türkei hinaus. Eine innenpolitische Stabilisierung, vor allem in den kurdischen Gebieten im Südosten des Landes, wäre im Bereich des Möglichen.
Allerdings müssten neben der PKK auch andere kurdische Gruppierungen und Akteure integriert werden, betonen Experten. Ob dies unter der Führung eines zunehmend autoritär regierenden Präsidenten Erdogan geschehen kann, ist aktuell fraglich.
Öcalan – Triumph und Tragödie
Der phänomenale Aufstieg der 1978 von Abdullah Öcalan gegründeten PKK vollzog sich nur deshalb so rasant, weil die rund 16 Millionen Kurdinnen und Kurden in der Türkei seit der Staatsgründung diskriminiert wurden. Bis in die 1980er-Jahre war der Begriff „Bergtürken“ geläufig, und es war ihnen verboten, Kurdisch zu sprechen, kurdische Bücher zu lesen oder kurdische Musik zu hören. Bis heute gibt es Meldungen über Diskriminierungen.
Die PKK vollzog in jüngster Zeit eine dramatisch anmutende ideologische Transformation. Die Forderung nach einem unabhängigen kurdischen Staat wurde zugunsten einer Forderung nach weitgehender Autonomie aufgegeben, inklusive der Anerkennung des Kurdischen als Nationalsprache oder der Änderung des Verfassungsartikels, der besagt, dass jeder türkische Staatsbürger Türke ist. Eine weitere zentrale Forderung der kurdischen Seite ist ein Ende der Einsetzung von regierungsnahen Zwangsverwaltern.
Hoffnung auf Amnestien
Besonders im überwiegenden kurdischen Südosten der Türkei wurden immer wieder gewählte Bürgermeister durch solche Zwangsverwalter ersetzt. Einige wurden inhaftiert. Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat und ehemalige Chef der prokurdischen Partei DEM, Selahattin Demirtas, sitzt seit 2016 im Gefängnis, obschon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung angeordnet hat. Das Schicksal von Öcalan selbst ist ungewiss.
Bild1: Kurden feiern mit Bildern von PKK-Gründer Öcalan ihr traditionelles Newroz-Fest, was auf Diyarbakir, Türkei – Quelle: Shutterstock / Sadik Gulec
Aber ausgerechnet der Chef von Erdogans ultranationalistischem Regierungspartner MHP, Devlet Bahceli, bisher eigentlich ausgesprochener Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte Öcalans Freilassung ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen. Das aber hatte Erdogan bisher ebenso vehement abgelehnt wie Amnestien für all die anderen politischen Gefangenen.
Ersatz für PKK?
Eine Zukunft ohne die PKK – also ohne ihren bewaffneten und organisatorischen Einfluss – wäre ein tiefgreifender Einschnitt für die kurdische Bewegung in der Türkei und darüber hinaus. Diesbezüglich ist es von großer Bedeutung, was die PKK ersetzt. Ohne Zugeständnisse an die kurdische Minderheit könnte es zu neuen, radikaleren Bewegungen oder einer Wiederaufnahme des Konflikts unter anderen Vorzeichen kommen. Die Frage, wie ehemalige PKK-Kader entwaffnet und in die Gesellschaft reintegriert werden, ist hierbei von existenzieller Bedeutung. Die PKK plädiert diesbezüglich dafür, dass der Auflösungsprozess von Öcalan selbst geführt werden soll. Ob das umgesetzt werden kann, ist zur Stunde noch fraglich. Kenner der Region gehen davon aus, dass der Irak, wo die PKK in den Kandil-Bergen heute ihr Hauptquartier hat, dabei eine wichtige Rolle spielen wird. Der Präsident der autonomen Kurdenregion im Irak, Nedschirwan Barsani, lobte die Entscheidung der PKK. Diese ebne „den Weg für einen Dialog, der das Zusammenleben und die Stabilität in der Türkei und der Region fördert“, sagte Barsani. Er hoffe auf einen „dauerhaften Frieden, der der jahrzehntelangen Gewalt ein Ende setzt“.
Vorläufiger Erfolg für Erdogan
Für Recep Erdogan stellt die Auflösung der PKK einen vorläufigen Erfolg dar. In einem Social-Media-Beitrag ließ Ömer Celik, ein Sprecher von Erdogans regierender AKP, verlautbaren, die Ankündigung der PKK sei ein wichtiger Schritt in Erdogans Bemühen, eine „terrorfreie Türkei“ zu gewährleisten. Was die innenpolitische Dimension betrifft, so sehen Experten die Auflösung der PKK auch als Vehikel Erdogans zur „Konsolidierung seiner Macht“ und weiteren Spaltung der Opposition.
Folgen für Syrien und den Irak
Unklar ist, inwieweit sich eine Auflösung der PKK auf den Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden in Syrien sowie auf die autonome Region Kurdistan im Nordirak auswirkt. Was Syrien angeht, so spricht einiges dafür, dass Ankara und Damaskus hier an einem Strang ziehen. Der islamistische Übergangspräsident Syriens, Ahmed al-Scharaa, einigte sich unlängst auf eine vollständige Eingliederung in die staatlichen Institutionen des sezessionistischen kurdischen Siedlungsgebietes. Außenminister Asaad al-Schaibani gratulierte der türkischen Regierung zu einem „Schritt von entscheidender Bedeutung“ für die „Stabilität unserer gesamten Region“.
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