„Denken Sie daran, Putin versteht Deutsch, der schaut deutsche Nachrichten“ – das sagte Jens Spahn im ZDF-Morgenmagazin. Das Gespräch mit dem CDU-Politiker drehte sich um die Aufhebung der Reichweitenbegrenzung jener Waffen, die Deutschland an die Ukraine liefert. Eine Kurzanalyse. Von Marcus Klöckner.
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Jens Spahn ist zu Gast im ZDF-Morgenmagazin. Die Moderatorin fragt den CDU-Politiker, ob die von Merz ausgesprochene Aufhebung der Reichweitenbegrenzung von Waffen, die Deutschland an die Ukraine liefert, bedeute, dass nun auch Taurus-Raketen geliefert werden. Spahn antwortet:
Entscheidend ist ja erstmal grundsätzlich: Wir unterstützen die Ukraine, die sich verteidigt, aber auch unsere Freiheit verteidigt gegen den russischen Kriegstreiber Putin. Wir unterstützen die Ukraine mit allem, was sie braucht, und das was sie erhält, kann sie auch entsprechend einsetzen – da haben wir Vertrauen. Ich glaube, es ist nicht sinnvoll, über einzelne Waffensysteme – sei es in Deutschland, sei es im westlichen Bündnis – öffentlich zu reden. Es ist gut, wenn Putin im Unklaren darüber ist, was wir liefern und auch was, wann, wie, wo genutzt werden kann.
Eva-Maria Lemke:
Das heißt: Es könnte auch eine stille Lieferung des Taurus-Systems geben?
Spahn:
Das ist jetzt ein guter Versuch. Verstehe ich ja, das Interesse. Aber gerade in Fragen von Krieg und Frieden – und das machen wir anders als die Ampel – sollten wir das nicht öffentlich austragen. Denken Sie daran, Putin versteht Deutsch. Der schaut deutsche Nachrichten, vielleicht sogar das Morgenmagazin – das meine ich so – er weiß mehr, als er wissen sollte durch unsere öffentlichen Debatten der letzten 4 Jahre in diesen Fragen, und deswegen ist es gut und wichtig, dass wir es nicht öffentlich austragen.
Eva-Maria Lemke:
Das verstehe wiederum ich auch … andererseits gibt es natürlich auch ein großes öffentliches Interesse daran. Immerhin ist damit verbunden, dass Deutschland Kriegspartei wird – so zumindest sieht es die SPD. Es bedeutet auch, dass Bundeswehrsoldaten beispielsweise zu Schulungen in die Ukraine müssten. Also das würde doch bedeuten, dass die deutsche Öffentlichkeit das erfahren sollte, oder?
Spahn:
Deutschland wird nicht Kriegspartei, die NATO wird nicht Kriegspartei. Das ist klar. Das ist ja auch klar gesagt. Gleichzeitig sind wir nicht neutral in diesem Konflikt. Man muss daran erinnern: Putin überfällt sein Nachbarland. Seine Armee, seine Soldaten plündern, rauben, morden, vergewaltigen (…). Es ist Putin, der keinen Frieden will. (…)
Eva-Maria Lemke:
Trotzdem, die Aussage von Merz, das einmal festzustellen und dann als sowieso ja schon bekannt hinzustellen – das wurde auch in Russland registriert.
Das Interview geht nach dieser Stelle noch rund 3 Minuten. Besser wird es nicht.
Zum Vorschein kommt, was nahezu durchgängig in allen Interviews des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beobachten ist: Wo dringend und zwingend ein kritisches Nachhaken angebracht wäre, bietet der ÖRR ein Podium für politische Propaganda. Anstatt die Verdrehungen von Spahn geradezurücken und die Aussagen zu dekonstruieren, kommt journalistische Untertänigkeit zum Vorschein.
Schon der erste Satz: „Entscheidend ist ja erstmal grundsätzlich: Wir unterstützen die Ukraine, die sich verteidigt, aber auch unsere Freiheit verteidigt gegen den russischen Kriegstreiber Putin“, schreit nach einem journalistischen „Halt!“. 1. Bei Hunderttausenden von toten, verstümmelten und traumatisierten Soldaten ist der Gebrauch des Begriffs „Unterstützung“ eine politisch beschönigende Formulierung, der ein Journalist nicht folgen sollte. 2. Der Teilsatz „aber auch unsere Freiheit verteidigt“ ist reine politische Propaganda. Die Ukraine „verteidigt“ nicht „unsere Freiheit“ – allenfalls so, wie unsere Freiheit angeblich auch am Hindukusch (Afghanistan) verteidigt worden sein soll (Aussage des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck). Die Aussage Spahns ist Teil politischer Propaganda, sie dient dazu, unfassbare Summen für die Ukraine und zur Aufrüstung Deutschlands zu legitimieren.
Ob Spahn an diese Aussage selbst glaubt, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Als Journalist in einem Interview darf man sie nicht stehenlassen. Die Formulierung „Kriegstreiber Putin“ bringt eine propagandistisch aufgeladene Schärfe in das Gespräch. Putin wird dämonisiert. Die Aussage erweckt den Eindruck, es gehe im Sinne eines Protokolls darum, mindestens einmal bei einem Auftritt eines Politikers Putin als Kriegstreiber zu bezeichnen. Sicherlich: Wer einen Krieg anfängt, darf auch als Kriegstreiber bezeichnet werden – ein Journalist sollte aber den Versuch der Stimmungsmache durchschauen und darauf hinweisen, dass es nach über drei Jahren Krieg, einer großen Zahl menschlicher Opfer eigenartig anmutet, wenn sprachlich nicht abgerüstet wird, da doch – angeblich – die Diplomatie bemüht werde.
Säßen Spahn und anderen Politikern Journalisten gegenüber, die sofort reingrätschten und die politische Propaganda nicht einfach hinnähmen: Die Gespräche würden völlig anders verlaufen, das heißt, wenn sie überhaupt stattfänden und Politiker mit heruntergerissener Maske nicht das Studio verlassen würden.
Auch die folgenden Aussagen Spahns müssten dekonstruiert werden. Ich glaube, es ist nicht sinnvoll, über einzelne Waffensysteme – sei es in Deutschland, sei es im westlichen Bündnis – öffentlich zu reden. Es ist gut, wenn Putin im Unklaren darüber ist, was wir liefern und auch was, wann, wie, wo genutzt werden kann.
Hier müsste von journalistischer Seite die Anmerkung kommen, dass es für Deutschland eine enorme Gefahr birgt, wenn in einem solchen Krieg „Unklarheit“ herrscht. Was wäre, wenn Russland Deutschland als Kriegspartei betrachten und gegebenenfalls entsprechend handeln würde?
Doch überhaupt: Vonseiten der Moderatorin wäre zu fragen gewesen, welchen Sinn das gesamte Vorgehen überhaupt ergibt. Auch wenn eine Politik der Geheimhaltung praktiziert wird: Keine Waffenlieferungen – auch nicht Taurus – dürften dazu führen, dass Russland seine Ziele aufgibt. Das ist schlicht logisch in Anbetracht dessen, worum es Russland geht. Hinzu kommt, wie wir alle wissen: Die Eskalationsdominanz liegt bei Russland.
Unterm Strich setzt Deutschland auf eine Strategie, die seit über 3 Jahren verfolgt wird – und nicht „erfolgreich“ war.
Spahns Aussage, dass Putin Deutsch spreche und es auch deshalb angebracht sei, nicht öffentlich über Waffenlieferungen zu sprechen, offenbart die unterirdische „Qualität“ seiner „Argumentation“. Also ob Russland auf die Deutschkenntnisse seines Präsidenten angewiesen wäre, um mitzubekommen, welche politische Weichen in Deutschland gestellt werden. Erneut fokussiert Spahn auf die Person Putin, reduziert damit Komplexität und verzerrt so zugleich die Realität.
Dass Lemke die Gefahr anspricht, Deutschland könnte Kriegspartei werden, ist gut. Ebenso richtig ist es, dass sie ausspricht, dass die deutsche Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, zu erfahren, was in Sachen Ukraine-Politik passiert. Allerdings: Das „kritische“ Nachfragen ist schwach, ja: geradezu gefällig. Der übliche Anstrich der Scheinkritik kommt zum Vorschein. Die Kritik wird so zart vorgetragen, dass es ein Leichtes für Spahn ist, mit ihr umzugehen.
Auch den folgenden Aussagen setzt die Interviewerin nichts an kritischem Journalismus entgegen:
Deutschland wird nicht Kriegspartei, die NATO wird nicht Kriegspartei. Das ist klar. Das ist ja auch klar gesagt. Gleichzeitig sind wir nicht neutral in diesem Konflikt. Man muss daran erinnern: Putin überfällt sein Nachbarland. Seine Armee, seine Soldaten plündern, rauben, morden, vergewaltigen (…). Es ist Putin, der keinen Frieden will. (…)
Die Coronaimpfungen haben keine Nebenwirkungen, Deutschland wird nicht Kriegspartei.
Politiker schmeißen mit Aussagen nur so um sich – Journalisten nehmen sie hin. Ob Deutschland Kriegspartei wird oder nicht, hängt nicht von der Beurteilung Spahns ab. Wenn Russland sagt: „Deutschland ist Kriegspartei“, dann spielt es keine Rolle, ob Politiker in Deutschland die Sachlage anders einschätzen. Vonseiten der Moderatorin müsste zwingend angesprochen werden, dass deutsche Politiker durch ihre Politik Bürger der Kriegsgefahr aussetzen.
General a.D. Harald Kujat sagte vor einiger Zeit in einem Interview mit der Weltwoche zum Thema Taurus Folgendes:
„Das heißt, wir machen den Schritt von der indirekten Kriegsbeteiligung zur direkten Kriegsbeteiligung. Wer das nicht versteht, der hat es nicht verdient, irgendein politisches Amt auszuüben. Und wer dann trotzdem sagt: ‚Wir machen das (…)‘, der gehört eigentlich aus der Politik zurückgezogen.“
Dieses Wissen, diesen Stand der Debatte, muss eine Journalistin, die zu dem Thema ein Interview führt, kennen – und konstruktiv bei ihren Fragen einbringen.
Als Spahn sagt, dass wir nicht „neutral in diesem Konflikt“ seien, wäre anzuführen gewesen, dass es sich bei dem Krieg in der Ukraine auch um einen Stellvertreterkrieg handelt. Auch hier gilt wieder: Eine Journalistin, die ein Interview zum Ukraine-Krieg führt, muss das wissen – entsprechend kritische Fragen sollten eine Selbstverständlichkeit sein.
Würde Lemke klar ansprechen, dass ein Stellvertreterkrieg geführt wird, entstünde ganz schnell eine andere Diskussion. Lemke unterlässt dies jedoch. Das ist journalistisch unvertretbar. Stattdessen kann Spahn nochmal ausholen zur Dämonisierung Putins. Dass in Kriegen nahezu immer alle involvierten Parteien grausam agieren, ist eine Binse, die sich auch bis zur Redaktion des Morgenmagazins herumgesprochen haben sollte (man denke nur an das Agieren der „guten“ Tiger Force in Vietnam). Schandtaten in Kriegen anzuprangern und zu verurteilen, ist wichtig – es einseitig zu tun, ist Propaganda.
Auch die letzte hier angeführte Aussage von Spahn, wonach es Putin sei, der keinen Frieden will, ist als politische Propaganda zu identifizieren. Von russischer Seite ist immer wieder zu hören, dass sich um Frieden bemüht werde, wie etwa der aktuelle Vorschlag Russlands für ein Treffen am 2. Juni zeigt.
Zusammengefasst: Ein 5-minütiges Interview bietet Anschauungsmaterial dafür, wie die Verbindung zwischen politischem Tiefflug und „journalistischer“ Beißhemmung aussieht. Auf der einen Seite Propaganda, auf der anderen Seite Zurückhaltung, Gefälligkeit und Ignoranz.
Titelbild: Screenshot ZDF