Die Argumentation für Unternehmenssteuersenkungen ist so einfach, dass sie nur allzu logisch erscheint: Werden die Steuern für Unternehmen gesenkt, bleibt mehr Geld im Unternehmen und kann so für Investitionen genutzt werden. Diese Investitionen steigern anschließend die Produktion, die Produktivität, den Umsatz und sorgen gleichzeitig für neue Arbeitsplätze. Klingt gut, klingt richtig, klingt toll. Aber kann es nicht sein, dass diese Logik ein paar nicht ganz unbedeutende Kleinigkeiten außer Acht lässt, welche das Theoriegebäude zum Einsturz bringen? Ein Kommentar von Lutz Hausstein.
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Der neue Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) plant aktuell Steuersenkungen für Unternehmen, um so die lahmende deutsche Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen. Der Beifall vonseiten der Wirtschaftslobbyistenverbände wie BDA, BDI, den dem neoliberalen Zeitgeist ergebenen Wirtschaftsforschungsinstituten wie ifo, IW, RWI oder IfW Kiel, aber auch so manchen volkswirtschaftlichen Dünnbrettbohrern in der deutschen Medienlandschaft ist ihm gewiss. CDU/CSU sind nicht nur der große Koalitionspartner der SPD in dieser Regierung und haben damit ihre Zustimmung zu dieser Maßnahme gegeben, sondern trommeln selbst auch schon seit Jahren für solcherart Steuersenkungen. Die FDP ist zwar seit der Bundestagswahl 2025 nicht mehr im bundesdeutschen Parlament vertreten, solch eine Steuersenkung für Unternehmen ist aber quasi seit ihrer Gründung ihr Markenkern und dürfte – Bundestagszugehörigkeit hin oder her – auf breite Zustimmung bei ihr stoßen. Können so viele Fliegen irren?
Eine solch breite Zustimmung besagt jedoch noch gar nichts. Allenfalls das Interesse dieser Seiten, den Unternehmen noch mehr finanzielle Mittel zuzuschachern. Mehr aber auch nicht. Denn Wirtschaftswachstum wird weder Klingbeil noch sonst wer damit erzeugen können. Bestenfalls, aber auch nur bestenfalls, sind frei verfügbare Finanzmittel notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzungen für eine Ausweitung der Produktion. Den Unternehmen verbleibt nach einer Steuersenkung mehr Geld, das sie ganz nach ihrem Gusto verwenden können. Sie können dieses Geld investieren, es aber auch – je nach Unternehmensform – für Rückstellungen, Aktienrückkäufe, Privatentnahmen oder Dividendenausschüttungen verwenden.
Die eigentliche Frage – und diese sollten sich unsere „Wirtschaftsexperten“ einmal stellen – ist doch, aus welchem Grund Unternehmen dieses zusätzliche Geld nun für Investitionen nutzen sollten. Diese Frage nach den Motiven für eine bestimmte Handlung ist unabdingbar. Da würde es sogar reichen, den kleinen Handwerksmeister um die Ecke zu befragen, unter welchen Umständen er in zusätzliche Maschinen und Geräte investieren, er möglicherweise gar einen weiteren Mitarbeiter einstellen würde.
Die Antwort dürfte schnell zu bekommen sein. Er investiert nicht dann, wenn er mehr Geld zur Verfügung hat. Er investiert vor allem dann, wenn er für die Zukunft einen Zuwachs an Aufträgen erwartet. Hat er für das kommende Jahr die Vermutung (oder eventuell gar schon die Gewissheit), dass sich seine Auftragslage bessert, dass seine Dienstleistungen oder seine Produkte stärker nachgefragt werden, wird er insoweit investieren, um diese Nachfrage absichern zu können.
Nachfrage ist hier das Zauberwort. Welchen Sinn hätte es für ein Unternehmen, seine Produktionskapazitäten zu erweitern, wenn gar keine Kunden vorhanden sind, die diese erhöhte Produktionsmenge kaufen würden? Würden deutsche PKW-Hersteller neue Mitarbeiter einstellen und in zusätzliche Maschinen und Anlagen investieren, nur weil nach den Steuersenkungen mehr Geld bei ihnen verbleibt? Nein, sie würden es stattdessen für höhere Ausschüttungen an ihre Aktionäre nutzen. Oder in Rückstellungen für eine zukünftige Verwendung der Gelder, wenn die Gesetzeslage es besser zulässt. Das deutsche Steuerrecht lässt diesbezüglich einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Aber sie müssten nicht noch mehr Autos produzieren, die alle auf ihren Verkauf warten, wenn sich an der Nachfrage nichts ändert.
Dass seit Jahrzehnten einzig und allein Steuersenkungen für Unternehmen als Mittel, Wirtschaftswachstum zu erzeugen, propagiert werden, ist eine intellektuelle Bankrotterklärung. Diese einseitige Dominanz der Apologeten angebotsorientierter Wirtschaftspolitik, die auch an den deutschen Universitäten seit Jahrzehnten die alles beherrschende Lehrmeinung ist, wird seit langem von Vertretern der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik wie Heiner Flassbeck heftig kritisiert. Und das völlig zu Recht.
Wenn sich an der Politik der aktuellen schwarz-roten Bundesregierung nichts ändert, werden wir also ein weiteres Mal beobachten können (und müssen), wie der versprochene Wirtschaftsaufschwung ausbleibt, die dafür eingesetzten Steuergelder aber munter ihren Weg in die Taschen der reichsten Unternehmenseigner finden.
Eine dem Gemeinwohl verpflichtete Volkswirtschaft gehört besser organisiert! Um die inländische Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten effektiv anzukurbeln, müssten die Einkommen des ärmeren Bevölkerungsteils signifikant erhöht werden. Rentner mit niedrigen Renten, Alleinerziehende, Arbeitslose, Kinderreiche und durch sonstige Umstände Verarmte – also all jene, die mangels verfügbarer finanzieller Möglichkeiten ihre Bedürfnisse nicht in Nachfrage materialisieren können – bräuchten mehr Geld, um dieses dann nachfragewirksam ausgeben zu können. Darüber ließe sich gesichert mehr Wachstum erzeugen. Doch dieser simplen Erkenntnis verweigern sich Politik und Medien seit Jahrzehnten.
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