Selbst wenn die laufenden Gespräche in Doha zu einer Einigung führen sollten, wäre dies nicht mehr als ein vorübergehender Waffenstillstand. Jüngste Äußerungen des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu und von Mitgliedern seiner Regierung haben deutlich gemacht, dass sie beabsichtigen, die Kämpfe wieder aufzunehmen, sobald die vorgeschlagene 60-tägige Waffenruhe endet. Währenddessen hat sich die israelische Rhetorik in Bezug auf die Vertreibung der Palästinenser noch einmal verschärft. Sie verbirgt sich hinter einer sogenannten „humanitären“ Redeweise, wie etwa über Pläne, die Bevölkerung des Gaza-Streifens in Rafah ‚umzusiedeln‘, um sie angeblich „vor Schaden zu bewahren“. Von Yahya Dbouk.
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Dies markiert eine Verschiebung der Ziele der Besatzer: Sie beschränken sich nicht mehr darauf, die Hamas zu besiegen, sondern konzentrieren sich nun darauf, die demografische Landschaft des Gaza-Streifens entsprechend einer siedlungskolonialen Agenda umzugestalten, die darauf abzielt, die palästinensische Präsenz vollständig auszulöschen.
Leaks aus Doha bestätigen, dass der Weg zu einem dauerhaften Abkommen weiterhin durch komplexe Hindernisse blockiert ist. Netanjahu will einen Rahmen schaffen, der die Wiederaufnahme des Krieges nach dem Waffenstillstand ermöglicht. Gleichzeitig drängen seine ultrarechten Koalitionspartner auf eine Beschleunigung der Zwangsumsiedlung, eine Agenda, der er sich eindeutig nicht entgegenstellt.
Die Hamas ihrerseits verweigert Zugeständnisse ohne klare und verbindliche Garantien, die eine erneute Aggression verhindern würden.
Der entscheidende Faktor sind jedoch die unzulänglichen Bemühungen der USA, die Blockade zu durchbrechen, was ernsthafte Zweifel an Washingtons Engagement für eine umfassende Lösung aufkommen lässt. Dies öffnet der Möglichkeit die Tür, dass sich die USA mit einem kurzfristigen, symbolischen Deal zufrieden geben, also genau mit dem Ergebnis, das derzeit in Doha vorbereitet wird.
Alle Anzeichen aus Tel Aviv, Washington und die Entwicklungen vor Ort deuten darauf hin, dass das Hauptziel Israels in dieser Phase die Zwangsvertreibung ist. Es gibt die kalkulierte Absicht, die Bevölkerung des Gaza-Streifens umzuformen, indem Zivilisten unter dem Deckmantel einer „humanitären Stadt“ in bestimmte Gebiete, insbesondere Rafah, eingesperrt werden. Dies ist Teil einer umfassenderen Strategie, die von allen Flügeln der israelischen Regierung unterstützt wird, um eine neue Realität zu schaffen: die Annexion des Gaza-Streifens ohne seine Bevölkerung.
Dieses Projekt stößt offenbar nicht auf den Widerstand der USA. Im Gegenteil, es wird möglicherweise stillschweigend unterstützt oder sogar begünstigt.
Die Idee, die Palästinenser außerhalb des Gaza-Streifens anzusiedeln, wurde von Präsident Donald Trump bereits früher in seiner Amtszeit öffentlich vorgeschlagen.
Der Schwerpunkt der derzeitigen Verhandlungen auf vorübergehende und symbolische Maßnahmen spiegelt eine gemeinsame Absicht der USA und Israels wider, diesen Prozess als Deckmantel für den Ausbau der Siedlungen und die Vertreibung zu nutzen.
Aus dieser Perspektive wird der Waffenstillstand zu einem Fenster, um Kräfte neu zu positionieren und die Bedingungen für eine großangelegte Vertreibung zu schaffen.
Folglich lehnt Netanjahu jedes Gespräch über eine Beendigung des Krieges oder einen Weg zu einer vollständigen Lösung ab, denn die Fortsetzung des Krieges bleibt sein wichtigstes Instrument, um die Vertreibung zu erreichen, sei es über den Gaza-Streifen hinaus oder in die sogenannte „humanitäre Stadt“, wo die „freiwillige“ Umsiedlung beginnen würde.
Das erklärt auch das israelische Beharren auf die Kontrolle des Morag-Korridors, den jetzt wichtigsten Knackpunkt, der einen vorübergehenden Waffenstillstand verhindert.
Die schmale Zone zwischen dem Morag- und dem Philadelphi-Korridor ist genau das, was Israel im Sinn hat, wenn es sich auf die „humanitäre Stadt“ bezieht. Das ist Teil einer umfassenderen Taktik, um sich unter dem Vorwand der Sicherheit die Kontrolle über den Rest des Gaza-Streifens zu sichern und den Grundstein für eine Annexion oder die Umwandlung von Gebieten in Siedler- und Militärzonen zu legen.
Während seines Treffens mit Netanjahu in Washington betonte Donald Trump, dass die Hamas einen Waffenstillstand anstrebt; eine Einschätzung, die entweder persönlichen Optimismus oder die Zuversicht widerspiegeln könnte, dass der Druck der USA bald zu einer Einigung führen wird. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer vorübergehenden Einigung, obwohl frühere Erfahrungen zeigen, dass Erklärungen von US-Präsidenten selten die tatsächlichen Gegebenheiten wiedergeben.
Netanjahu vermied es unterdessen, sich direkt zu einem möglichen Gefangenenaustausch oder einer Aussetzung der Feindseligkeiten zu äußern und machte nur vage, zweideutige Bemerkungen. Dies unterstreicht klar seine mangelnde Bereitschaft, sich auf ein dauerhaftes Abkommen einzulassen.
Berichten zufolge könnte auch der US-Gesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, nach Doha reisen, um an den Gesprächen teilzunehmen – ein mögliches Zeichen für begrenzte Fortschritte. Doch Witkoff hat selbst eingeräumt, dass eine der vier Kernfragen ungelöst bleibt: Das israelische Beharren auf der Beibehaltung der direkten Kontrolle über den Morag-Korridor, ein äußerst umstrittener Punkt.
Das Gerede über Witkoffs Reise nach Doha spiegelt also eher laufende Beratungen als eine endgültige Entscheidung wider. Es wurde keine Einigung erzielt, das Abkommen ist noch lange nicht abgeschlossen. Selbst wenn es zustande käme, wäre es eine vorübergehende Regelung und keineswegs ein Ende des Krieges.
Quelle: Der Beitrag erschien im Original auf Al-Akhbar. Übersetzung: Marta Andujo.
Titelbild: Shutterstock / Anas Mohammed
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