Russlands Rolle und die Atomkriegsgefahr im Nahen Osten: Eine Analyse mit Ex-CIA-Analytikerin Elizabeth Murray

Russlands Rolle und die Atomkriegsgefahr im Nahen Osten: Eine Analyse mit Ex-CIA-Analytikerin Elizabeth Murray

Russlands Rolle und die Atomkriegsgefahr im Nahen Osten: Eine Analyse mit Ex-CIA-Analytikerin Elizabeth Murray

Ein Artikel von Éva Péli

In einem exklusiven Interview in Berlin gewährte die ehemalige CIA-Analytikerin und Nahost-Expertin Elizabeth Murray Einblicke in Russlands veränderte Rolle im Nahen Osten. Zusammen mit Ray McGovern war sie für Gespräche und Veranstaltungen nach Deutschland gekommen. Murray beleuchtet Russlands aktuelle Präsenz und seinen Einfluss auf die regionalen Machtverhältnisse, insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts und der Dynamiken in Syrien. Dabei werden entscheidende Fragen aufgeworfen: Wird Moskaus Darstellung als glaubwürdige Alternative oder als Propaganda wahrgenommen? Welche Sicherheitsrisiken ergeben sich aus dieser Transformation, und wie beurteilt Murray die wachsende Gefahr eines Atomkonflikts im Nahen Osten? Das Interview mit Elizabeth Murray führte Éva Péli.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Éva Péli: Frau Murray, angesichts Ihrer Expertise und langjährigen Arbeit im Nahen Osten: Wie beurteilen Sie die aktuelle Rolle Russlands in der Region? Mit Blick auf Syrien: Welche Auswirkungen hat diese veränderte Rolle auf die regionalen Machtverhältnisse, und wie wird Russlands Einfluss von den Akteuren vor Ort wahrgenommen?

Elizabeth Murray: Nun, die jüngsten Ereignisse in Syrien haben die Dynamik stark verändert. Der Putsch, der Assad stürzte und eine Al-Qaida-nahe Figur – jetzt als Ahmed al-Scharaa bekannt, früher Mohamed al-Jolani – an die Macht brachte, hat vieles umgekrempelt. Jetzt sehen wir, wie die Einflüsse der Türkei, Israels und besonders der Vereinigten Staaten stark zunehmen. Die USA sind ja wegen des Öls immer noch im Norden präsent.

Ich denke, Russlands Anteil an Latakia, wo die Russen ihre Basis haben, könnte unter Druck geraten, sodass sie vor der Wahl stehen, sich zurückzuziehen oder ihre Präsenz zu verringern. Aber Putin ist ein geschickter Verhandlungsführer. Er hat gute Beziehungen zu Erdogan, sogar sehr gute zu Israel, und er spricht auch mit Trump. Aus meiner Sicht müssen sie ihre Kalkulationen wahrscheinlich neu überdenken, aber ich gehe davon aus, dass eine gewisse russische Präsenz in Syrien und im Nahen Osten generell bestehen bleiben wird.

Russland ist derzeit extrem mit der Ukraine beschäftigt. Dort müssen sie den Großteil ihrer Ressourcen einsetzen. Deshalb wird Russland meiner Meinung nach eine geringere Rolle in Friedensprozessen spielen. Sie haben zwar in der Vergangenheit schon die Hamas und andere palästinensische Akteure zu Friedensgesprächen eingeladen, aber ich habe dabei nie etwas Substanzielles herauskommen sehen. Meine Antwort ist also: Russlands Rolle im Nahen Osten ist vorübergehend geschwächt und könnte nach einer Lösung der Ukraine-Frage wieder an Bedeutung gewinnen.

Wie beurteilen Sie generell das Ansehen und die Glaubwürdigkeit Russlands und der USA bei den Akteuren und der Bevölkerung im Nahen Osten?

Die USA haben derzeit einen sehr schlechten Ruf im Nahen Osten. Angesichts der aktuellen Ereignisse, wo sie im Grunde eine führende Rolle bei der Ermöglichung des Völkermords in Gaza und der Unterstützung Israels spielen, ist das nicht verwunderlich. Es ist ja auch bekannt, dass Nachbarländer wie Ägypten, Jordanien und die Golfstaaten alle in gewisser Weise den Interessen der USA und sogar Israels unterworfen sind.

Russland besitzt in der Region tatsächlich mehr Glaubwürdigkeit. Die arabischen Länder suchen wahrscheinlich bei Russland nach einem gewissen Maß an Stabilität. Viele hätten sich vielleicht gewünscht, dass Russland während des Staatsstreichs in Syrien eine stärkere Rolle gespielt hätte, um dort Stabilität zu schaffen. Viele fragen sich auch, welche Rolle Russland im Iran spielen wird, besonders wenn die Feindseligkeiten mit Israel und den Vereinigten Staaten eskalieren.

Gleichzeitig hat Putin ja gesagt, dass Russland zwar freundschaftliche Beziehungen zum Iran unterhält. Aber die Russen sind sehr mit ihrer Situation in der Ukraine beschäftigt. Sie könnten möglicherweise etwas Unterstützung leisten, aber ich bezweifle, dass wir eine direkte militärische Beteiligung sehen werden.

Angesichts dieser Einschätzung: Wie strategisch agiert Russland mit seiner Medienpräsenz in der Region? Welche spezifischen Taktiken oder Narrative setzen sie ein, und wie erfolgreich sind diese, um sich als Alternative zum Westen zu positionieren? Wird die russische Darstellung eher als glaubwürdige Alternative oder als Propaganda angesehen?

Was die Medien angeht: Ich habe die russischen Medien nie wirklich im Detail analysiert, daher muss ich ehrlich sagen, dass ich mir da nicht ganz sicher bin. Aber das Image Russlands, der Ruf Russlands, ist insgesamt positiver. Das war auch schon in Syrien so. Die Präsenz Russlands wurde auch schon früher in Syrien geschätzt und sogar von der früheren syrischen Regierung gefordert. Russland hat nie angegriffen, ist nie einmarschiert oder hat sich eingemischt, und ich denke, dass sie generell ein besseres Verhältnis zu Russland haben als zu den Vereinigten Staaten.

Sehen Sie Risiken für die Sicherheit im Nahen Osten, weil sich die Rolle Russlands verändert hat?

Es ist immer besser, eine Art multipolare Weltordnung oder ein Gleichgewicht der Kräfte zu haben. Seitdem die Vereinigten Staaten darauf bestehen, eine herausragende Rolle zu spielen, beispielsweise in Friedensprozessen, haben wir in all den Jahren keinen Erfolg gesehen. Doch die Lösung der Palästina-Frage ist der Schlüssel zur Stabilität im gesamten Nahen Osten.

Die Vereinigten Staaten müssten einen multipolaren Ansatz verfolgen oder lernen, nur eine Nation unter vielen zu sein, und anderen, wie Russland, eine Rolle bei den Friedensverhandlungen zuzugestehen. Es war für mich immer sehr seltsam, dass nur die Vereinigten Staaten die Führungsrolle übernehmen. Russische Politiker haben das in der Vergangenheit versucht, und sogar die Europäer haben es versucht.

Ich hoffe tatsächlich, dass Russland eine aktivere Rolle bei der Stabilisierung der Region übernimmt. Geschieht das nicht, bleiben die Risiken enorm. Solange die USA im UN-Sicherheitsrat quasi immer auf Israels Seite stehen, wird sich die Sicherheitslage meiner Ansicht nach weiter verschlechtern, wenn wir dieses Paradigma nicht ändern.

Wären Russland oder Russland und China in der Lage gewesen, die Angriffe Israels und der USA auf den Iran zu verhindern?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich bin überzeugt, sie hätten das verhindern können, wenn sie ihre Geheimdienste früher eingesetzt hätten, um dem Iran zu helfen, die Situation zu erkennen. Ich weiß nicht einmal, ob solche Geheimdienstbeziehungen zum Iran bestehen, auch wenn wirtschaftliche Beziehungen vorhanden sind.

Es wäre durchaus möglich gewesen, wenn sie auch die US-Amerikaner hätten einbinden können. Russland hat ja auch sehr gute Beziehungen zu Israel, aber man weiß nie. Sie hätten eingreifen können, sogar militärisch, vielleicht den Vereinigten Staaten oder Israel drohen oder warnen können, dass sie sich einmischen würden. Das hätte eine Rolle spielen können.

Allerdings haben sie sich entschieden, einen Schritt zurückzutreten, und ich glaube, sie spielen auf Zeit. Ich schließe nicht aus, dass es in Zukunft zu einer Intervention kommen könnte, besonders wegen der Nuklearanlagen im Iran. Obwohl diese nicht für Waffen gedacht sind, enthalten sie doch Uran. Das wäre gefährlich und könnte sich auf den Kaukasus ausbreiten. Ich persönlich glaube, dass Russland und China in Zukunft eine stärkere Rolle spielen werden. Wir brauchen ein Gleichgewicht zu den USA in der Region.

Sie kämpfen auch für einen atomwaffenfreien Nahen Osten. Viele Beobachter und Experten sehen durch die Angriffe der USA und Israels gegen den Iran die Gefahr eines Atomkrieges wachsen. Wie sehen Sie das? Wie groß ist die Gefahr eines Atomkrieges aufgrund der Ereignisse im Nahen Osten?

Bevor wir uns dieser Frage nähern, müssen wir anerkennen, dass Israel über Atomwaffen verfügt. Darin liegt der Schlüssel. Wenn Israel davon überzeugt werden könnte, den Nahen Osten zu einer atomwaffenfreien Zone zu machen – aber Israel lässt keine Inspektoren zu, ist nicht Teil des Nichtverbreitungsvertrags und auch nicht des neuen Vertrags über das Verbot von Atomwaffen. Ich denke, das ist die eigentliche Ursache für die Instabilität.

Viele argumentieren jetzt, selbst Friedensbefürworter, dass eine nukleare Abschreckung des Iran tatsächlich den Frieden fördern könnte. Es ist eine traurige Realität, dass Länder mit Atomwaffen nicht angegriffen werden. Selbst als Friedensaktivistin muss ich anerkennen: Solange ein atomar bewaffnetes Israel existiert – und wir Netanjahu als sehr unberechenbar einschätzen –, halten es viele von uns für durchaus möglich, dass er eine Atomwaffe geringer Sprengkraft im Iran einsetzen könnte.

Obwohl ich persönlich gegen Atomwaffen bin, kann ich unter den gegebenen Umständen kein Urteil über die iranische Regierung fällen. Ich muss jede Entscheidung respektieren, die sie trifft, denn sie hat das Recht, sich zu verteidigen. Wissen Sie, alle sagen immer, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. Nun, auch der Iran hat das Recht, sich zu verteidigen. Bis zu diesem Konflikt hat der Iran 200 Jahre lang kein einziges Land angegriffen. Das ist wirklich traurig.

Wir hatten das JCPOA-Abkommen, einen Vertrag mit dem Iran. Jemand aus den höchsten Kreisen der Elite der USA und des Westens wollte, dass dieser Vertrag verschwindet, und das hat die Lage im Nahen Osten sehr instabil gemacht. Wenn der Iran Atomwaffen erwirbt, bringt das vielleicht kurzfristig etwas mehr Stabilität, aber ich glaube nicht, dass das langfristig wirklich sicher ist. Wenn es schließlich zu einem Konflikt kommt und Länder Atomwaffen besitzen, hängt alles von den Führern ab. Je mehr der Iran angegriffen wird, desto mehr anti-amerikanische, friedensfeindliche Führer werden meiner Meinung nach aufgrund des Drucks ihrer eigenen Bevölkerung an die Macht kommen. Sie müssen für ihre Sicherheit sorgen. Das ist ein Problem, das nicht leicht zu lösen ist.

Vielen Dank für dieses Gespräch und Ihre Zeit!

Titelbild: Éva Péli