Der Ruf nach einer Aufarbeitung der Corona-Politik wird noch lauter. Mit einem neuen Buch, das den bezeichnenden Namen „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert Koch-Instituts“ trägt, hat der Journalist und Autor Bastian Barucker ein Autorenkollektiv vereint, das in die Abgründe der Corona-Politik führt. Seite um Seite ist das Buch ein Beleg dafür, dass umfangreiche Aufarbeitung im besten demokratischen Sinne erfolgen muss. Im NachDenkSeiten-Interview mit Marcus Klöckner verdeutlicht Barucker: „Die Politik hat gefordert, angeordnet und vorgegeben und das RKI, obwohl der Wissenschaft verpflichtet, hat geliefert, auch wenn die Vorgaben den wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprachen.“
Marcus Klöckner: Herr Barucker, Ihr aktuelles Buch heißt „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert Koch-Instituts“. Warum dieser Titel? Wer hat die Wissenschaft vereinnahmt?
Bastian Barucker: Beim Robert Koch-Institut [RKI] hingegen lässt sich nachweisen, dass die weisungsgebundene Behörde von der Politik, also den Gesundheitsministern, sich hat vereinnahmen lassen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den Ergebnisprotokollen zusammengetragen wurden, widersprachen bei Kernthemen der Pandemiepolitik den politischen Anordnungen. Das RKI, welches anfänglich noch aufbegehrte und sich zum Beispiel gegen das von Ex-Gesundheitsminister Spahn angeordnete Testen aussprechen wollte, ließ sich Stück für Stück vereinnahmen, bis zu Mitwirkung an einer allgemeinen Impfpflicht. Diese Befehlskette ist an sich nichts Skandalöses, problematisch ist, dass der Bevölkerung vorgetäuscht wurde, die Politik höre auf die Wissenschaft. Die Mitautorin Dr. Petkova hat sich im Kapitel „Die Manipulation des Vertrauens – Die Rolle des RKI in der Krisenkommunikation“ intensiv dieser bewussten Täuschung der Öffentlichkeit gewidmet.
Wenn „vereinnahmt“ wird, gehören zwei dazu: jemand, der vereinnahmen will – und jemand, der sich vereinnahmen lässt. Nach allem, was Sie sich angeschaut haben: Warum hat das RKI so agiert, wie es agiert hat?
Die Experten im RKI formulieren die Zwickmühle sehr deutlich wie folgt: „Kommt das RKI der politischen Forderung nicht nach, besteht das Risiko, dass politische Entscheidungsträger selbst Indikatoren entwickeln und/oder das RKI bei ähnlichen Aufträgen nicht mehr einbinden.“
Dazu ist wichtig zu wissen, dass das RKI auf der eigenen Webseite schreibt: „Zu den Aufgaben gehört der generelle gesetzliche Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erarbeiten.“
Es war anscheinend so, dass aufgrund des medialen Druckes und der im Eiltempo Richtung totalitärem Hygieneregime losreitenden Politik das RKI versuchte, seiner Aufgabe nachzukommen und gleichzeitig bei der Abkehr von den Vorgaben der nationalen Pandemiepläne und evidenzbasierter Gesundheitspolitik mitzumachen, um nicht belanglos zu werden. Statt „follow the science“ fand also eine von der Politik angeordnete Abwendung von der Wissenschaft statt, während man der Bevölkerung Wissenschaftlichkeit vortäuschte, weil Menschen Wissenschaftlern mehr vertrauen als Politikern.
Welche Erklärung haben Sie für das Verhalten vonseiten des RKI?
Im Prinzip ist im RKI massenpsychologisch wahrscheinlich das Gleiche passiert wie gesamtgesellschaftlich. Durch Angsterzeugung und Gruppendruck wurde Konformität geschaffen, und Abweichler haben sicherlich schnell mitbekommen, was vom Vorgesetzten politisch gewünscht ist und was nicht. Ich verweise immer wieder auf das ASCH-Konformitätsexperiment, welches verdeutlicht, wie der Gleichschritt in allen Bereichen der Gesellschaft möglich war. Ein passendes Zitat für die Vereinnahmung hinsichtlich der Risikoeinschätzung direkt aus den RKI-Protokollen: „Risikobewertung: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des BMG [Bundesgesundheitsministerium], voraussichtlich nicht vor der MPK [Ministerpräsidentenkonferenz] am 16. Februar 2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht.“
„Politisch nicht gewünscht“ – diese Aussage scheint zentral zu sein. Gewisse Maßnahmen wurden umgesetzt und aufrechterhalten aus politischen Gründen; die schwersten Grundrechtseinschränkungen seit Bestehen der Republik auf Politik, nicht auf Wissenschaft gebaut? Wie sehen Sie das?
Dem kann ich nur zustimmen, und damit ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit bei all diesen Einschränkungen ernsthaft in Frage zu stellen. Anders Tegnell, der Architekt der schwedischen Pandemiepolitik, hat Kinder und Jugendliche fast komplett vor diesem Wahnsinn verschont. Er hatte Zugang zu denselben Daten wie deutsche Minister und Staatssekretäre. Die von ihm geleitete zuständige Behörde konnte aber aufgrund ihrer politischen Unabhängigkeit nicht vereinnahmt werden, weshalb es dort nie einen Lockdown, Maskenpflichten und generelle Schulschließungen gab. Anfang Oktober 2020 fand auf Wunsch des RKI ein Austausch mit ihm statt. Protokolle zu dieser Videokonferenz sind laut Nachfrage durch eine von mir beauftragte Anwaltskanzlei nicht vorhanden.
Schweden ist mit Blick auf die Entwicklung der Lebenserwartung ohne diese politische Vereinnahmung wesentlich besser durch diese Zeit gekommen.
Noch mal zum RKI: Woran machen Sie noch fest, dass eine vereinnahmte Wissenschaft auszumachen ist? Würden Sie bitte ein Beispiel anführen?
Greifen wir vielleicht etwas heraus, was ich oben schon angedeutet habe und jeden Bundesbürger betraf: das massenhafte anlasslose Testen, welches die wenig aussagekräftigen Inzidenzen hervorbrachte, die zu Parametern für die Pandemiepolitik wurden. Im RKI heißt es dazu im März 2020: „Vorschlag klare Botschaft für morgige Pressekonferenz Schaade: keine Testung von asymptomatischen Personen“. Der damalige Vizepräsident Lars Schaade wollte also der Wissenschaft folgend die Massentestungen verhindern.
Im April 2020 taucht dann Minister Spahn mit dem Vorhaben der Massentesterei auf: „Papier kommt von Jens Spahn, Arbeitsebene wurde vorab nicht stark eingebunden“. Bezüglich der Testerei benennt das RKI die Vereinnahmung beziehungsweise die Zwickmühle haarscharf: „‚Testen, testen, testen‘ ist im Grunde eine implizite Strategieergänzung, die von Politik vorgegeben wurde. Insgesamt heikel, da die Politik Vorgaben gemacht hat, mit denen in manchen Punkten nicht ganz übereingestimmt wird. Diese müssen aber soweit möglich in Strategie integriert werden“, oder weiter: „Die Testung sollte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Wie kann dem politischen Wunsch nach verstärkter Testung entgegengekommen werden?“
Ein Jahr später steht es dann klipp und klar auch in den Protokollen: „Die Inzidenz-Grenzwerte sind willkürliche politische Werte.“ Ich habe die politisch angeordnete Massentesterei in einem Artikel bei der Berliner Zeitung ausführlich nachvollzogen.
Können Sie weitere Beispiele nennen? Wie sieht es zum Beispiel mit der Maskenpflicht aus?
Die Grünen engagieren sich aktuell sehr medienwirksam mit der Aufarbeitung der Maskenbeschaffung, ohne dabei zu benennen, dass Masken für Laien nie hätten beschafft und schon gar nicht verpflichtet werden dürfen. Auch bei dem Thema finden sich Belege für eine Vereinnahmung: „Die Regierung möchte beschließen, dass an jede Risikoperson 15 Stück [Anm. d. Autors: FFP2-Masken] kostenlos abgegeben werden. Das RKI soll praktische Hinweise unter Beteiligung des BfArM entwickeln. Kann noch interveniert werden? Es ist ungünstig und gefährlich, wenn Masken von Laien benutzt werden.“
Weiter heißt es: „Keine fachliche Grundlage zur Empfehlung FFP2-Maske für die Bevölkerung vorhanden, daher Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen hinzufügen“.
Wurden Sie jemals darüber informiert, dass das Tragen der FFP2-Maske eine potenzielle Gesundheitsgefahr darstellt?
Nein, nicht von offizieller Seite. Aber es gab kritische Experten, die die Problematik thematisierten. Gehört wurden sie nicht.
Richtig. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Fachärztin für Hygiene, Prof. Dr. Ines Kappstein, die früh darlegte, dass es keine Hinweise für eine Wirksamkeit des Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit gibt. Sie hat das RKI im Mai 2020 sogar direkt angeschrieben und keine Antwort bekommen.
Beeindruckend ist jedenfalls auch die Diskrepanz zwischen den Verlautbarungen zur Corona-Impfkampagne durch die Politik und den Ergebnissen der Beratungen im Corona-Krisenstab des RKI. Mitautor des Buches Dr. Konietzky widmet sich in einem Buchkapitel explizit dieser Thematik und kommt zu dem Schluss: „Niemand konnte der Impfung informiert zustimmen.“ Wie auch, wenn laut RKI-Experten „relevante Daten erst Post-Marketing [Anm. d. Autors: nach Markteinführung] erhoben werden“.
Eines der Zitate, welches Kopfschütteln hervorrufen kann: „Impfung von Kindern: Auch wenn STIKO die Impfung für Kinder nicht empfohlen wird, BM Spahn plant trotzdem ein Impfprogramm“.
Eine Woche später: „In USA wurden 2,4 Mio. Kinder geimpft, noch keine Daten zur Sicherheit verfügbar, es muss noch abgewartet werden, um Erfahrung kennenzulernen“.
Im Nachwort Ihres Buches schreiben Sie auch etwas Interessantes zur Risikoeinschätzung des RKI zu Beginn der Corona-Krise. Würden Sie das bitte kurz skizzieren?
Das RKI musste auf den Medienrummel rund um die Protokolle reagieren und brachte klammheimlich eine Stellungnahme zu den wichtigsten Vorwürfen heraus. Dort heißt es zum Beispiel: „Die RKI-Protokolle taugen nicht dazu, ein „geheimes Wissen“ oder gar eine gezielte Täuschung zu belegen.“ Hinsichtlich der von ihnen angesprochenen Risikoeinschätzung macht das RKI in den FAQs eine wichtige Aussage. Entgegen der eigenen Richtlinien zur Bewertung des Risikos durch Covid-19 war „nicht die tatsächliche Kapazitätsauslastung Mitte März 2020 der relevante Punkt, sondern die damals absehbare Entwicklung der Fallzahlen, falls keine Maßnahmen getroffen werden.“ Modelle und Prognosen, die sich nicht bewahrheitet haben, waren also Grundlage für diese sehr bedeutsame Entscheidung. Lars Schaade musste übrigens als Zeuge bei einem Gerichtsverfahren bezüglich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zugeben, dass die Hochstufung ein Managementaspekt war. Zu diesen brisanten Aussagen kam es aber nur, weil der Richter die RKI-Protokolle gelesen hatte.
Die vereinnahmte Wissenschaft im Hinblick auf die Corona-Politik und das Agieren des RKI bedeutet zusammengefasst nun was?
Ganz einfach formuliert, hat die Politik gefordert, angeordnet und vorgegeben, und das RKI, obwohl der Wissenschaft verpflichtet, hat geliefert, auch wenn die Vorgaben den wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprachen. Der ehemalige Präsident Lothar Wieler wurde im März 2025 in einem Interview gefragt, ob er sich „nicht immer getraut“ habe, „öffentlich das zu sagen zur Politik, was […] [er] gerne sagen“ würde. Seine wortkarge, aber klare Antwort lautete: „Das ist korrekt, ja“. Gleichzeitig schlug er vor, dem RKI größere Unabhängigkeit zu verschaffen – vielleicht auch, um eine erneute Vereinnahmung zu verhindern?
Der Eindruck besteht: Nicht nur die Wissenschaft wurde vereinnahmt, auch die Justiz und weitere Teilbereiche unserer Gesellschaft. Vielleicht braucht es auch noch ein Buch mit dem Titel „Vereinnahmte Justiz“. Wie sehen Sie das?
Auf jeden Fall. Aktuell konzentriere ich mich auf das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und bemühe mich darum, dort ebenfalls umfangreiche Protokollsammlungen zu erhalten. Das PEI, welches die Sicherheit der Impfstoffe überwachen soll, verschleppt die Veröffentlichung sehr relevanter Daten bezüglich der Impfnebenwirkungen seit Jahren. „Vereinnahmte Wissenschaft Teil 2“ würde sich dann nur mit der Arbeit dieser ebenfalls weisungsgebundenen Behörde beschäftigen, bei der aktuell der Verdacht besteht, dass sie absichtlich wichtige Daten zurückhält.
Die Arbeit der mit Corona-Maßnahmen beschäftigten Richterinnen und Richter fußte auf der Annahme, dass RKI und PEI den Stand der Wissenschaft vermitteln. Alle Richter wussten gleichzeitig, dass es weisungsgebundene Behörden sind und eben keine objektiven Sachverständigen. Mit der Verurteilung des Familienrichters Christian Dettmar zu einer Haftstrafe auf Bewährung schreit es fast nach einer Aufarbeitung der Justiz. Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti und die ehemalige Richterin Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth haben mit ihrem Buchkapitel „Pandemie der Unmenschlichkeit“ bereits einen ersten Schritt getan. Der Anwalt Sebastian Lucenti schreibt im Buch dazu, „der Weg für eine juristische Neubewertung der massivsten Grundrechtseingriffe der Bundesrepublik Deutschland“ sei nun „frei“.
Mitautor und Professor für öffentliches Recht Volker Boehme-Neßler spricht diesbezüglich von Corona-Fehlurteilen. Sie hatten ihn ebenfalls dazu interviewt.
Es gibt viele weitere gesellschaftliche Bereiche, denen eine sachliche und sorgfältige Aufarbeitung guttun würde. Die Mitautorin und ehemalige Leiterin des Ressorts Gesundheit bei der Berliner Zeitung Ruth Schneeberger kommt hinsichtlich der Arbeit der Leitmedien zu folgendem Schluss: „Solange große Teile der Presse sich weiterhin schützend vor die damals Verantwortlichen stellen, wird es keine echte Aufarbeitung geben können.“
Wichtiger Bestandteil sollte dabei immer sein, wie die Konformität durch Verhaltensökonomie erzeugt wurde. Denn die Antworten darauf sind universell anwendbar. Übrigens in den vielen Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe, wiederholt sich eine Beobachtung immer wieder: Handwerker und vor allem Nichtakademiker haben die Pandemiepolitik sehr früh als unverhältnismäßig durchschaut.
In Ihrem Buch haben Sie ein Autorenkollektiv zusammengebracht, dem unter anderem Juli Zeh, Wolfgang Kubicki und Svenja Flaßpöhler angehören. Was haben all diese Autoren zu sagen?
Alle vereint, so denke ich, die Forderung nach einer Aufarbeitung der Pandemiepolitik und die Sorge um die gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn das Corona-Geschehen einfach ad acta gelegt wird. Ein Zitat von Wolfgang Kubicki sticht für mich dabei heraus: „Ein Minister, der offensichtlich eigenständig – gewissermaßen par ordre du mufti – die wissenschaftliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen beschließt, war vorher nicht in meiner Vorstellungswelt.“
Frau Rostalski, die erst kürzlich Karl Lauterbach auf die brisanten Erkenntnisse aus den RKI-Protokollen hinwies, schreibt hinsichtlich der verschleierten Vereinnahmung Folgendes:
„Immer wieder zeigt sich in den Protokollen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zugunsten des politischen Willens übergangen wurden und das RKI dabei noch helfend auftrat, indem zum Beispiel passende Sprachregelungen entworfen oder Beeinflussungsstrategien ersonnen wurden.“
Der Ruf nach einer Aufarbeitung der Corona-Politik ist noch immer deutlich zu hören. Wie sehen Sie den aktuellen Stand?
Die Protokolle waren ein Erdbeben und haben die pandemiepolitischen Protagonisten arg in Bedrängnis gebracht. Aktuell arbeiten etliche Enquetekommissionen und Untersuchungsausschüsse in verschiedenen Landtagen, und auch aufgrund der RKI-Protokolle lässt sich die Kritik an den Corona-Maßnahmen nicht mehr als Schwurbelei framen. Gestern wollte ein Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages zwei signierte Exemplare meines Buches bestellen. Die Aufarbeitung schreitet unaufhaltsam voran. Verständlicherweise wollen jedoch die damaligen Verantwortlichen diese als „Limited Hangout“ gestalten und nur einen Teil des Geschehens aufarbeiten. Das wird insbesondere aufgrund der Protokolle aber nur sehr schwer gelingen.
Die Grünen versuchen zum Beispiel aktuell, den Willen zur Aufarbeitung vorzugaukeln, indem Sie explizit nur einen Untersuchungsausschuss zur Spahn‘schen Maskenbeschaffung fordern und dieses Instrument wiederum für die gesamte Pandemiepolitik ablehnen. Aus ihrer Sicht ist das verständlich, weil sie bei einer sorgfältigen Aufarbeitung nur verlieren können. Dass keine einzige Maske für die Öffentlichkeit hätte bestellt werden müssen, wollen die Grünen, die Maskenpflichten mitzuverantworten und sich sogar für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen haben, nicht erwähnen. Das meine ich mit Limited Hangout.
Dieser Tage war Frauke Brosius-Gersdorf bei Markus Lanz zu Gast. Der Moderator sprach mit der Juristin auch über ihre Positionierung während der Coronazeit. Brosius-Gersdorf hat etwa vorgeschlagen, Ungeimpfte an den Behandlungskosten von Coronaerkrankten über die Krankenkassen zu beteiligen. Was bedeutet es im Hinblick auf eine Aufarbeitung der Coronazeit, wenn jemand wie Brosius-Gersdorf vonseiten der Politik als mögliche Richterin am Bundesverfassungsgericht benannt wird?
Das Bundesverfassungsgericht hat auch ohne Frau Brosius-Gersdorf bereits gezeigt, dass es sowohl Schulschließungen als auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht für verfassungsgemäß hält. Frau Brosius-Gersdorfs Äußerungen zur Impfpflicht erscheinen vor allem im Lichte der RKI-Protokolle fast schon beängstigend entrückt von der Evidenzlage zur Wirksamkeit und Sicherheit der modRNA-Impfungen. In ihrer Stellungnahme zur Impfpflicht, die verfasst wurde, als die milde Omikron-Variante bereits vorherrschte, erklärt sie, dass „man sogar darüber nachdenken kann, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“.
Das mit ihrem Mann verfasste Statement strotzt vor Fehlannahmen, sodass davon auszugehen ist, dass sie als Richterin am höchsten Gericht dieses Landes nicht in der Lage wäre, einen Sachverhalt, bei dem es um die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen geht, angemessen zu ermitteln. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen, behauptet sie, dass die Immunität nach Infektion „nach einigen Monaten nachlässt, sodass ohne Impfpflicht auf den Corona-Winter 2021/22 voraussichtlich weitere Corona-Winter folgen würden.“ Bereits ein halbes Jahr vorher hatte Prof. Andreas Radbruch, einer der renommiertesten Immunologen Deutschlands, im Medizin-Journal Nature einen Aufsatz publiziert, der solide darlegte, dass die erworbene Immunität nach Infektion der Impfimmunität haushoch überlegen ist. Ich habe ihn dazu ausführlich befragt. Wie soll Frau Brosius-Gersdorf zukünftig bei möglichen Klima-Lockdowns über Grundrechtseingriffe entscheiden, wenn sie damals nicht in der Lage war, sich Grundkenntnisse über den Sachverhalt anzueignen?
Weiter behauptet Frau Brosius-Gersdorf in derselben Stellungnahme: „Zu berücksichtigen ist auch, dass das Risiko einer Beeinträchtigung von Leib und Leben bei einer Corona-Erkrankung ohne Impfung groß ist“, was in der Pauschalität schlichtweg falsch ist.
Rechtsprofessorin und Mitautorin des Buches Frauke Rostalski hat dazu Folgendes zu sagen:
„In einer Demokratie ist die Gesellschaft darauf angewiesen, dass die Naturwissenschaften ihrer Rolle als Wissenslieferanten redlich nachkommen. Ohne eine valide empirische Basis können keine sachangemessenen Entscheidungen getroffen werden.“
Für den Stand der Aufarbeitung bedeutet dies alles, dass angestrebt wird, die neue Normalität, in der Grundrechte veräußerbar und aufgrund falscher Tatsachenbehauptungen unbefristet einschränkbar sind, verstetigt werden soll. Ein finales Zitat von ihr, welches der Leser oder die Leserin selbst deuten kann: „Die Freiheit der Ungeimpften endet dort, wo sie die Freiheit der Geimpften beeinträchtigen.“
Insgesamt bewerte ich diese Vorgänge als ein nicht erstrebenswertes Szenario für Freunde der unveräußerlichen Freiheitsrechte des Grundgesetzes und könnte mir vorstellen, dass es bei der Personalie eher um die Erfolgschancen eines AfD-Parteiverbots geht. Zufällig ist die AfD aber die größte parlamentarische Kraft, die einen Corona-Untersuchungsausschuss fordert.
Gerade hat sich auch Nikolaus Blome in Sachen Corona-Aufarbeitung im Spiegel zu Wort gemeldet. Wir erinnern uns: Von Blome stammt der Satz, „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ Damals ging es dem Journalisten um die Ungeimpften. Nun schrieb er in seiner Kolumne:
„Trotzdem traumtanzten Abgeordnete der Regierungsparteien in der Debatte von der Überwindung der gesellschaftlichen Gräben. Es gehe um Lehren aus der Vergangenheit für die Zukunft und nicht »um Schuldzuweisungen«. An dieser Stelle schließlich musste ich lachen, tut mir leid. Dank einer gewissen Fronterfahrung mit diesem Milieu möchte ich sagen: Die nicht ganz kleine Minderheit, die nahezu alle Coronamaßnahmen unversöhnlich ablehnte und sich »im Widerstand« wähnte, sie will keine Aufarbeitung, deren Ergebnis nicht in ihrem Sinne von Anfang an zu einhundert Prozent feststeht. Die meisten dieser Leute wollen nicht reden, sie wollen Rache. Rache an den Wortführern der Mehrheit, der sie sich zu Coronazeiten fügen mussten.“
Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie das lesen?
Herr Blome hat wahrscheinlich sein Ziel erreicht, indem wir beide unsere kostbare Lebenszeit diesen hohlen Phrasen überhaupt widmen. Seine offensichtliche Provokation ist meiner Meinung nach ein Köder, um genau die empörten Reaktionen zu bewirken, die er dann als Rache deuten kann, um sich bestätigt zu fühlen und den Wunsch nach Aufarbeitung mit Rache framen zu können.
Spannenderweise nutzt der Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern eine ähnliche Strategie. In seinem aktuellen Jahresbericht tauchen die RKI-Protokolle auf. Dort wird ohne Angabe von Belegen der Wunsch nach Aufarbeitung auf Grundlage dieser wichtigen Dokumente mit der Forderung nach einem Tribunal und der NS-Zeit in Verbindung gebracht. Ich deute all das als hilflose und angstbesetzte Versuche, die Deutungshoheit über das Corona-Geschehen zu behalten. Das wird auf lange Sicht aber nicht gelingen. Ich habe Herr Blome ein Gespräch angeboten, worauf er sich bis heute nicht gemeldet hat, was zeigt, dass er selbst nicht reden will und seinen inneren Zustand auf andere Menschen überträgt. Ich nannte das während des Corona-Geschehens gerne pandemische Projektionen.
Lesetipp: Bastian Barucker (Hrsg. und Co-Autor): Vereinnahmte Wissenschaft: Die Corona-Protokolle des Robert Koch-Instituts. München 2025, Massel Verlag, Taschenbuch, 252 Seiten, ISBN 978-3948576219, 22,90 Euro.
Titelbild: (C) Jan Pyko